Ich hab mit der Themenleiste „Die Gefolgschaft des Ikarus“ [link] nun begonnen, zentrale Grundlagen unserer Mobilitätsgeschichte kulturgeschichtlich aufzuarbeiten. Das weist übrigens auf eine Station beim kommenden „April-Festival“ hin, wo wir dieses Thema im Raum Weiz auf eine Praxisebene herholen werden: „gehen, reiten, fahren“ [link]
Mobilitätsgeschichte greifbar: Unser "Puch-Buch"
Das hat eine andere Verzweigung in einer Print-Publikation, die gerade fertig wird. In „Das Puch-Buch“ [link] (Einige Puch-Werke), gemeinsam mit Magna Steyr-Mitarbeiter Michael Toson und Graphic Novelist Jörg Vogeltanz erarbeitet, skizzieren wir das am Beispiel eines Stückes (alt-) österreichischer Konzerngeschichte, die bis in die Gegenwart Präsenz zeigt. (Dazu gibt es eine Serie von Tosons Ausschneidebögen mit den wichtigsten Fahrzeugen.)
Unsere nächste Kunstpostkarte zeigt eine Grafik von Michela Knittelfelder-Lang
Eine andere Produktion ist demnächst verfügbar. Die Ausgabe #9 in unserer Kunstkarten-Editon ist [link] gerade in Arbeit. Sie wird eine Druckgrafik von Michaela Knittelfelder-Lang zeigen.
Wir haben es nicht kommen gesehen. Als es uns erwischt hat, fielen uns kaum adäquate Reaktionen ein. Ich meine diese Umbrüche. Zuerst haben wir gesehen, wie eine Industriegesellschaft ihre Blue Collar-Jobs verliert, da war das Handwerk schon entwertet. Dann wurden wir, in der Entwertung von Industrie-Jobs, zur Wissensgesellschaft, von manchen etwas schlampig als Informationsgesellschaft verstanden. (Den essentiellen Unterschied zwischen dem Erwerb von Information und dem Erwerb von Wissen muß ich nun hoffentlich nicht erläutern.)
Die letzten 20 Jahre waren davon geprägt, daß die Wissensarbeit ebenso entwertet wurde, wie vor ihr die Industriearbeit und vor der das Handwerk; bei gleichzeitig rasendem Anstieg an Content-Bedarf. Das Angebot mußte demnach angehoben werden, die Preise gingen runter. Verblüffend!
Beispiel Vinyl: Was wurde alles innerhalb (m)einer Biographie entwertet, ohne deshalb wertlos zu sein?
Mir ging das durch den Kopf, weil gestern eine Künstlerin im Web 2.0 schrieb: „bücher machen ist horror!!!“ Das ist in meinen Ohren ein entsetzliches Statement. Ich liebe Bücher.
Das Machen von Büchern gehört zu den magischen Handlungen unserer Kultur. Natürlich nicht in der Form einer Massenproduktion. Aber kleine Editionen zu realisieren, das sind außergewöhnliche Erfahrungen.
Kleiner Einschub:
Ich gehe selbst gerade mit Kollegen in das Finish einer Print-Publikation, die viel Arbeit gemacht hat. Mühen, ja, aber was für ein Prozeß! („Das Puch-Buch„)
Mit Michael Toson und Jörg Vogeltanz mitten in einem großen Stück Sozial- und Industriegeschichte
Ich hab mir als junger Kerl einen großen Teil der Fertigkeiten angeeignet, die es zum Büchermachen braucht, konnte damals auch eine Offset-Presse bedienen. Ich habe Bücher und Zeitschriften gemacht. Sowohl im inhaltlichen Bereich, was ich heute noch tue, als auch im Anfertigen der Artefakte.
Das ist weit mehr als bloß ein Herstellen von Dingen. Unsere Demokratie beruht auf der Tatsache, daß es Öffentlichkeit und Meinungsbildung gibt, die nicht vom Staat abhängen. Derlei ist nicht ausschließlich, aber sehr wesentlich etwas auf Medienanwendung Gestütztes.
Ich finde es gleichermaßen irritierend, daß man a) das Büchermachen als „Horror“ erleben und desavouieren muß, daß b) seit etlichen Jahren so viele Kunstschaffende vor allem beklagen, was sie tun. (Dann laß es doch! möchte man zurückrufen.)
Was ist uns also mehr eingefallen, denn das Jammern, da wir erlebten, wie die Bezahlung für Contentproduktion so sprunghaft nach unten fiel? Warum war uns offenbar kaum etwas aufgefallen, als die Leute aus Handwerksbereichen und später in den Industriehallen es genau so erlebt hatten? Entwertung. Ich vermute, wir waren zu lange den Annehmlichkeiten einer blühenden Jammerkultur ausgesetzt, um dem von Anfang an entgegenzutreten.
Kürzlich hatte ich eine interessante Debatte, in der es darum ging, daß eine zu massive „Intellektualität“ den Lauf von manchen Dingen blockiere, weil beispielsweise Funktionstragende in den Kommunen nicht die Zeit hätten, sich damit entsprechend auseinanderzusetzen. Der naheliegende Schluß daraus: Wenn ich etwas bewegen will, muß ich es einfacher machen. Muß ich das wirklich?
Diese Überlegung unterschlägt nämlich einen wichtigen Punkt: Was tun, wenn jeder weitere Schritt an Komplexitätsreduktion einem die ganze Sache entgleiten läßt? Ich meine, diesen Modus „einfacher machen“ kenne wir nun in seinen förderlichen Effekten seit wenigstens 25 Jahren, denn das wird ja von zahlreichen Agenturen praktiziert und ist in der Medienwelt sehr populär.
Was hat’s gebracht? Sind Funktionstragende in Summe engagierter und tatkräftiger? Haben Problemlösungskompetenzen allgemein merklich zugenommen? Ist die Bereitschaft, beizeiten Entscheidungen zu treffen und zu handeln, insgesamt gestiegen?
Darauf weist leider nichts hin. Fehlervermeidung durch Entscheidungsvermeidung ist sehr verbreitet. Immer häufiger wird Überregulierung beklagt. Bürokratie nimmt zu, Handlungsspielräume scheinen abzunehmen.
All das vor dem Hintergrund, daß wir eines der teuersten Bildungssysteme Europas haben, dessen Ergebnisse zur Zeit über weite Strecken als erbärmlich gelten müssen. In der Oststeiemark herrscht zur Zeit glücklicherweise noch Vollbeschäftigung, aber in Unternehmerkreisen höre ich, es könnte noch besser laufen, wenn man die Anzahl der Fachkräfte hätte, die gebraucht würden. Das gelingt uns schon etliche Zeit nicht mehr so sehr; unseren Kindern adäquate Bildungswege einzurichten.
Ich soll es den Funktionstragenden leichter machen, einfacher formulieren? Tut mir leid, Leute, dieser Weg hat sich nicht bewährt. Ihr werdet Euch anstrengen müssen, um a) komplexere Zusammenhänge besser erfassen zu können und b) Eure Arbeitsabläufe so zu ordnen, daß wieder mehr Zeit bleibt, sich mit kniffligen Sachverhalten ausreichend intensiv zu befassen.
Bei vielen Dingen ist es wir mit dem Kochen: Zeit kann nicht durch Surrogate ersetzt werden
Wir haben all die Heilsversprechen der Simplifizierungs-Branche längst als Postwurfsendungen erhalten, daß unsere Briefkästen überquollen. Wir haben all die Phrasen gehört, die gequirlten Reden, die knackigen Botschaften, wir haben die glänzenden Renderings gesehen, die so tun, als würden sie uns die Mühe abnehmen, aus Information Wissen zu machen.
Genau DAS ist einer der entscheidenden Punkte: Aus Information Wissen zu machen. Ein höchst anspruchsvoller Vorgang, der sich, wie Erfahrungen zeigen, nicht an Maschinen delegieren läßt, auch nicht an Agenturen.
Wir haben miterlebt, wie Wissensarbeit immer weniger wert wurde, also immer schlechtere Bezahlung erhielt. Wir sind in einer Situation angelangt, die von Kompetenzverlusten und Stagnation geprägt ist. Tut mir leid! Ich kann es dem werten Publikum nicht einfacher machen. Wenn all das noch billiger werden muß, wird uns das teuer zu stehen kommen. Unter anderem, weil uns dann gut ausgebildete, hoch motivierte Leute aus Ländern, auf die bei uns gerne herabgeblickt wird, um die Ohren fahren werden.
Die aktuelle Ausdifferenzierung von „kunst ost“ schreitet voran. Aus dem Umfeld der „Kulturspange“ hat sich nun ein Team (Fickel, Flekatsch, Krusche, Peitler-Selakov) zum Schwerpunkt „Kunst, Wirtschaft, Wissenschaft“ herauskristallisiert, das augenblicklich schon einmal via „Facebook“ an die Öffentlichkeit tritt: KWW [link]
Die nächste größere Zusammenkunft wird am 25. Jänner 2012 stattfinden und öffentlich zugänglich sein. Die Themenstellung lautet „Regionale Identität: eine Illusion oder unsere Wirklichkeit?“ [link]
Ein anderes Team ist auf der „Reise über die Dörfer“ und besucht Betriebe, um in laufenden Gesprächen einen verfeinerten Eindruck zu erarbeiten, was genau die Themen der Region seien, soweit das einige maßgebliche Akteurinnen und Akteure der Wirtschaftswelt angeht. (Das Team: Bauer, Knittelfelder-Lang, Krusche, Peitler-Selakov und Strassegger.)
Diese Arbeit, als Work in Progress angelegt, liefert uns klarere Vorstellungen, womit wir es in der Begegnung mit Wirtschaftstreibenden zu tun haben. Es herrscht nach unserer Erfahrung unter den Kulturschaffenden der Region noch viel zu wenig Kenntnis dieser anderen Milieus, vice versa.
In den nächsten Tagen trifft sich eine Gleisdorfer „Location Crew“ zur Projektbesprechung, wodurch nun die neue Struktur für die Ebene regionaler Kunstpräsentation ihre konkrete Form erlangt. Das soll beispielgebend für andere Kunstschaffende sein, die im Rahmen von „kunst ost“ Präsenz zeigen wollen.
Gernot Schrampf ("Malwerkstatt Gleisdof") und Sigrid Meister ("Musuem im Rathaus")
Es gibt aber auch noch weitere Optionen. Etwa daß sich eine vollkommen eigenständige Formation in ein Projekt einbringt. Das wird 2012 beispielsweise die „Malwerkstatt Gleisdorf“ machen, die einen eigenen Part entwirft und realisiert, dabei aber mit dem Kernbereich von „kunst ost“ kooperiert.
Zwischen den praxisbezogenen Angelegenheiten haben wir auch grundlegendere Dinge zu bearbeiten. Zwei von diesen drei Logos dürften in der Steiermark einigermaßen geläufig sein, nämlich jene, wo es um 25 Prozent Kulturbudget rauf oder runter geht. Das dritte Logo, dem Thema „no culture no future“ gewidmet, ist bei uns nicht so populär. Warum?
Es handelt nicht nur von einer kritischen Prüfung der Gesamtsituation des Kulturbetriebes, sondern auch von einer Selbstreflexion, die Konsequenzen verlangen würde. Im Sinne von: „die anderen zwei zeichen handeln in der steiermark vor allem davon, EINER der drei instanzen etwas zuzurufen; im sinne von: wenn IHR euer verhalten ändert, werden UNSERE angelegenheiten in ordnung kommen.“ Weite Details dazu: [link] In diesem Zusammenhang sollte klar sein, wir setzen nicht auf Förderung, sondern auf Kooperation.
Michael Toson mit Prototypen seiner Bastelbogen-Autos
Aber es geht bei uns gerade auch um lustigere Themen. Das „Kuratorium für triviale Mythen“ bringt in wenigen Tagen eine kuriose Publikation heraus. Techniker Michael Toson und Graphic Novelist Jörg Vogeltanz haben in Kooperation eine Serie von Ausschneidebögen gestaltet. Die repräsentieren ein Stück Sozial- und Mobilitätsgeschichte, welche auch in einem erläuternden Text skizziert wird.
Daß Michael Toson [link] gerade Nachtschicht fährt, um mit seinen Bastelbögen, die Jörg Vogeltanz [link] graphisch aufbereitet hat, nun die einzelnen Modelle zu bauen, hat eine launige Vorgeschichte. Österreich ist seit Anbeginn der Geschichte des Automobilismus ein Land der Automobilproduktion. Das reicht bis in die Gegenwart, auch wenn dieser Umstand momentan breiterer Wahrnehmung ein wenig entzogen ist.
Der 126er, wie er heute noch als Lizenzbau bei südöstlichen Nachbarn läuft, als frischer Bastelbogen
In all den Jahrzehnten wurde vor allem ein Auto zur folkloristischen Ikone: Der Steyr-Puch 500. Dessen Geschichte und ihre Zusammenhänge machen wir grade in einer gemeinsamen Publikation anschaulich. Diese Produktion hat einen Vorlauf von kuriosen Details. Es begann an einem Abend, den ich mit Werner Musil und Ferdinand „Fredi“ Thaler verbrachte. Musil ist bei Magna Steyr für den LKW-Bereich zuständig, Thaler ein altgedienter „Puchianer“ der unter Ledwinka Lehrling gewesen ist.
Erich Ledwinka war jener leitende Ingenieur bei Puch, in dessen Verantwortung die Pucherl und die Haflinger entstanden sind. Ich bekam also sehr direkte Einblicke in die historischen Geschehnisse jener Tage. Thaler erwähnte damals die Idee, auf dem Kreisverkehr in der Puchstraße solle es ein Memorial oder einen angemessenen Wegweiser gaben.
Insider verschiedener Felder: Werner Musil (links) und Ferdinand „Fredi“ Thaler
Darauf bat ich den Graphic Novelist Jörg Vogeltanz, mir eine Fotomontage anzufertigen, die eine optimale Visualisierung dieser Idee schaffen sollte. Ich lieferte das Fotomaterial und Jörg zauberte. Das Ergebnis war für unsere Augen bezaubernd. Die spätere Realisierung kam an diese Darstellung sehr nahe heran; siehe: [link]
Der Vogeltanz-Entwurf für das Memorial in der Puchstraße
Zu jenem Zeitpunkt hatte ich schon alles eingesammelt, was von Enthusiasten in meiner Umgebung und was via Internet an Bastelbögen mit dem Pucherl verfügbar war. Durchgehend schlecht umgekupferte Fiats, miserable grafische Arbeiten.
Die Ära der miesen Grafiken in der Abteilung Steyr-Puch 500 ist gerade zu Ende gegangen.
Da wollte ich Jörg schon gewinnen, einen schönen Bogen zu erarbeiten. Aber irgendwie kamen wir damit nicht voran. Zu viele andere Prioritäten. Später hatte ich via Web Michael Toson kennengelernt.
Das brachte neuen Schwung in diese Idee, denn Toson hat sich schin allerhand Kompetenz mit Bögen erarbeitet, die er so schicht hielt, daß ungeübte Leute beim Basteln nicht verzweifeln würden, aber so akkurat, daß man die Originale erkennen könnte.
Im „Kuratorium für triviale Mythen“ [link] fanden wir dann an einen gemeinsamen Tisch. Jetzt ist es so weit. In wenigen Tagen werden wir damit in Druck gehen.
Ich muß darauf bestehen, daß die Arbeit auch Spaß machen soll, ganz egal, wie hart die Konsequenzen waren, die uns aus verschiedenen Krisensituation des Staates und der Welt inzwischen erreicht haben. Im Sinn von: Die Freude darf mir nicht verloren gehen. Das löst sich auf sehr unterschiedliche Weisen ein. Zum Beispiel, wenn Dinge gelingen. Und wenn inspirierte Menschen mich bei unseren Vorhaben begleiten.
Auch allerhand Rückmeldungen machen mir Freude. Die sind teils inhaltliche Art und bereichern so das verfügbare Know how. Die sind teils auf aktive Teilnahme an kommenden Stationen bezogen. Die haben aber auch Momente der Ermutigung. (Können wir alle gut brauchen, hm?)
Michael Toson (links) mit Karlheinz Rathkolb, dem Leiter des Puch-Museums
In den letzten Wochen dieses Jahres sind wir ganz auf das Thema Mobilitätsgeschichte konzentriert. Augenblicklich arbeitet Graphic Novelist Jörg Vogeltanz [link] am Layout einer Publikation, die zweierlei bietet:
a) Eine Serie von Bastelbögen, mit denen Techniker Michael Toson [link] die Geschichte des „Puch-Autos“ darstellt.
b) Eine erläuternder Text von mir, der diese Historie vom Beginn des 20. Jahrhunderts her aufrollt.
Der Weg in die Massenmotorisierung ist von einem fast unbeschreiblichen ideologisch-propagandistischen Kräftespiel getragen worden, das im Faschismus Bilder etablierte, die bis heute Wirkung haben. Fahrrad – Motorrad – Automobil; die Mechanisierung der individuellen Mobilität hat weltweit so enorme Konsequenzen gezeigt, daß es uns schwer fällt, einen kritischen Blick zu entwickeln, der nicht zutiefst von den trivialen Mythen dieser Geschichte geprägt ist.
Der Austro Daimler „Sascha“, von Ferdinand Porsche konstruiert, war zu seiner Zeit zwar noch den Reichen vorbehalten, ist aber konzeptionell der erste bedeutende „Kleinwagen“ Österreichs
Um dieses Thema zu erschließen, hat unser „Kuratorium für triviale Mythen“ [link] nun auch eine Themenleiste auf Facebook eingerichtet, wo die Sache im launigen Plauderton abgehandelt wird: [link]
Dieser Themenbereich ereignet sich auch in Querverbindungen zu unserem Schwerpunkt „Frauen und Technik“, den Mirjana Peitler-Selakov eingeführt hat. Siehe dazu: [link] Peitler-Selakov arbeitet zur Zeit aber noch an einem ganz anderen Thema. Ihre Dissertation handelt von: „Kunst und Krieg: Politik des Erinnerns in öffentlichem Raum“.
Die „Akademie Graz“ veranstaltet die Reihe „Trauma und Kreativität“. Im Zuge dessen ist ein Block dem Teilthema „Verletzungen der Seele“ gewidmet, bei dem Peitler-Selakov mit eine Beitrag vertreten ist; zu einigen brisanten Fragen:
„Ein Trauma kann nicht wie andere Erinnerungen erzählt werden. Können Kunst und Literatur dazu beitragen, die Unmöglichkeit des Ausdrucks mit anderen Formen erzählter Erinnerung zu übersetzen? Kreativität ist eine gestaltende Kraft, mit der Widerstand gegen menschenunwürdige Verhältnisse aufgebaut werden kann, und mit der man die Würde des Menschen zu behaupten versucht.“ [quelle]
Wohin ich mich auch wende, Kulturschaffende führen Klagen über den Status quo. Mir ist das kein Rätsel und wir wissen ja auch, wie es gekommen ist. Aber um das deutlich zu sagen: Ich hab keine Lust, mich selbst als „Opfer“ oder „Problemfall“ zu definieren. Und ich hab auch keine Laune, dauernd nur mit dem befaßt zu sein, was uns schwer fällt. Da müssen auch noch andere Aspekte eine Rolle spielen können.
Die laufenden Debatten sind mir überdies etwas zu dünn. Ich wünsche mir:
+) Wenn schon Polemik, dann mit Esprit!
+) Wenn schon „Flaming“, dann aber radikal und mit grober Kelle!
+) Ansonsten hätte ich es gerne lieber sehr viel sachlicher und unaufgeregter!
Am wenigsten interessiert mich das populäre Verfahren, die Selbstdefinition durch Feindmarkierung vorzunehmen. Das ist erbärmlich. Ich brauche keine Wand, gegen die ich spielen kann, um anderen klar zu machen, wer ich bin und warum ich das bin.
Als Kunst- und Kulturschaffender muß ich in der gegebenen Situation neu klären, was ich selbst zu leisten vermag, wer mich als Verbündeten akzeptieren würde und was daraus folgt, wenn ich meine Position gegenüber Politik und Verwaltung zu verdeutlichen hab.
Wenn ich am Stand der Dinge Kompetenzmängel und Stagnation feststellen muß, dann betrifft das wahrlich nicht bloß die anderen Metiers, sondern auch unseres. Also liegt mir an brauchbaren Befunden, die einer Prüfung und Debatte standhalten. Daraus sind Schlüsse zu ziehen und Handlungspläne zu entwerfen, dann geht’s los. (Ja, ich wiederhole mich.)
"kunst ost" in der aktuellen Ausgabe von "top of styria"
Mich interessiert zur Zeit natürlich sehr, was wir als Kulturschaffende überhaupt direkt mit Wirtschaftstreibenden zu tun haben können. Das ist ja keineswegs so klar und herkömmliche Vorstellungen von Sponsoring führen in unserem Bereich erfahrungsgemäß eher ins Leere.
In der heurigen Jahresausgabe von „top of styria“ ist auf Seite 18 meine Zusammenfassung solcher Überlegungen zu finden: [link]
Außerdem haben wir im Rahmen unserer „Kulturspange“, einer Kooperationsebene im Kulturbereich, nun eine Reihe von Arbeitstreffen eröffnet, wo solche Annahmen, Optionen, Überlegungen debattiert werden, um in praktikable Versuche zu münden: [link]
Ich sehe die wachsende Diskussion um das Grazer Künstlerhaus als einen interessanten Anlaß, um zu klären, wo denn Kunst- und Kulturschaffende in der Steiermark momentan überhaupt stehen; vor allem auch in ihrer Auseinandersetzung mit Politik und Verwaltung. Deshalb fasse ich einen Teil einschlägiger Beiträge hier zusammen: [link]
Techniker Michael Toson (links) und Graphic Novelist Jörg Vogeltanz im Grazer Johann Puch-Museum
Die Alltagskultur bleibt derweil nicht unberücksichtigt. Aus unserem „Kuratorium für triviale Mythen“ ist inzwischen so einiges hervorgegangen. Das bildet längst einen speziellen Fokus auf Mobilitätsgeschichte. Der hat nun eine im Plauderton gehaltene Ebene auf Facebook, an der Person Johann Puch festgemacht: [link]
die „avantouristische zentralbibliothek“ hat zuwachs erhalten. diese kleine bibliothek hat sozialhistoriker matthias marschik vor einer weile mit seinem opulenten band „flieger, grüß‘ mir die sonne …. eine kleine kulturgeschichte der luftfahrt“ initiiert. sammler emil gruber setzte mit dem film „two lane blacktop“ von monte hellman einen wichtigen cineastischen akzent in dieser jungen sammlung.
nun kam per post gerade marschiks aktuelle publikation: „automobil in wien 1955-1975“. der band erschien im „sutton verlag“ wo zur zeit unsere gemeinsame publikation über den steyr-puch 500 in arbeit ist. das „kuratorium für triviale mythen“ [link] ist also wieder aktiver und der „avantourismus“ wird neue blüten treiben.
unser nächstes projekt ist eine publikation mit den ausschneidebögen von michael toson, wobei das artwork von graphic novelist jörg vogeltanz kommen wird. apropos toson. der fährt inzwischen, wenn das wetter nicht zu unfreundlich ist, einen ferrari mondial, was am steuer einige unerschrockenheit verlangt und in der garage die fertigkeiten eines versierten mechanikers.
marschik und ich sind bescheidener motorisiert, dafür mit unseren überlegungen gerade in den optionen jener legendären hochenergie-zone, die sich überm teich als ära der „muscle cars“ manifestiert hat, während europas automobilismus ideologisch und technisch andere wege ging. aber dem thema widmen wir uns wohl erst kommendes jahr näher. (siehe zu marschik auch: „individuelle mobilität„!)
aus der zeit vom anfang des jahres 2007 ist ein foto erhalten, das zeigt den vormaligen gleisdorfer gemeinderat gerwald hierzi, winfried kuckenberger (leiter des büros für kultur und marketing) sowie graphic novelist jörg vogeltanz an der kaffeemaschine.
von links: gerwald hierzi, winfried kuckenberger, jörg vogeltanz
wir waren damals gerade dabei, den deal für eine kooperation mit dem festival „steirischer herbst“ abzuschließen. hierzi gehörte zu jenen, die im rathaus wege ebneten, um so einen schritt in sachen gegenwartskunst zu schaffen: [link]
nun ereignet sich in gleisdorf zweierlei: city-manager alfred tieber hat gekündigt, seine stelle ist vakant. winfried kuckenberger geht in pension. das heißt, wir wußten nun eine weile nicht, wer unser gegenüber im bereich wirtschaft und verwaltung sein wird. neuerdings wissen wir es aber.
gerwald hierzi hat die aufgabe übernommen, diese beiden bereiche zu kombinieren und als geschäftsführer zu leiten. daraus folgt mit sicherheit, daß die agenda da wie dort völlig neu geordnet werden. wir wissen also noch nicht, was das für den bereich kunst und kultur konkret bedeuten wird.
aber wir wissen auf jeden fall, daß hier jemand tätig wird, der fragen von kultur und kunst keinesfalls kenntnisferei, folglich ratlos gegenüber steht, sondern diesem metier bedeutung beimißt. ein sehr guter ausgangspunkt, um beizeiten zu erörtern, was da an kooperationen denkbar ist.
kunst ist nichts für dientboten, für untertanen. die domestiken sollen was arbeiten! (die kunstschaffenden eigentlich auch.) wie viele menschen würden jetzt zustimmend nicken? wie viele menschen halten sich selbst tapfer auf dem level früherer dienstboten? das muß einem in einer demokratie natürlich frei stehen.
wie viele ausflüchte kenne ich inzwischen von menschen, die eine befassung mit gegenwartskunst ausschlagen? ich könnte ein buch damit füllen. zu den standards zählt die vorhaltung, das sei alles zu elität, zu abgehoben, würde vom großteil der menschen nicht verstanden werden. staunen? fragen? lesen? nein, nicht jene, die heute noch einem kaiser oder anderer führern danken würden, daß sie wenigstens lesen, schreiben und rechnen lernen durften.
verleger reinhard wernbacher demonstriert auf dem kaffehaus-tisch das format für unser zeitschriften-projekt
aber kunst? meine lieben, das würde einem womöglich die zeit vor den tv-gerät unzulässig verkürzen. kleiner einschub: verleger reinhard wernbacher gibt eine regionalzeitung heraus, „die oststeirische“: [link] es ist für den großteil seines publikums duchaus gewöhnungsbedürftig, dabei auch imnmer wieder ausdrücklich mit dem thema gegenwartskunst in berühung zu kommen.
nun geghen wir einen schritt weiter und diskutieren die pilot-ausgabe einer kunstzeitschrift für die region. wir möchten herausfinden, was passiert, wenn wir mit dem thema einmal breiter unter die leute gehen. im großen format. das demonstrierte er mir auf einem kaffehaus-tisch. ich habe inzwischen schon eine zusage von graphic novelist jörg vogeltanz [link], der ein grafisches gestaltungskonzept erarbeiten würde, das seinerseits einen visuellen beitrag zum thema ergäbe.
graphic novelist jörg vogeltanz (links) im selbstportrait, als figur in einer seiner geschichten
zurück zum ausgangspunkt dieses eintrags, der neigung vieler menschen, die befassung mit gegenwartskunst auszuschlagen. so bekennen sich unzählige leute zur tradition der untertanen. aus neugier und aus neigung eine andere sprache zu erlernen, mit anderen codes vertraut werden, seine horizonte aufzureißen, um in das staunen zu gehen, zu fragen (achtung! philosophiegefahr!), die eigene wahrnehmung durch neue erfahrungen zu verfeinern, das ist wirklich nichts für dienstboten.
wir haben heute zwar in diesem wohlhabenden land erhebliche probleme, ganze generationen mit einem adäquaten bildungsstatus auszustatten. es fehlt an grundkenntnissen, es mangelt an fachpersonal und die akademischen kreise lassen uns allgemein ratlos darüber, daß der uni-betrieb so viel kostet, aber so schwache ergebnisse zeigt.
deshalb müssen aber wir noch lange nicht mehr augenmerk auf das kulturelle klima dieses landes werfen. wo kämen wir hin, wenn wir etwa der kunst und deren derivate mehr stellenwert beimessen würden? das kostet ja. zeit und geld. und leidenschaft.
über kunstwerke reden: kunsthistorikerin mirjana peitler-selakov vor einer arbeit von ulla rauter
ich weiß schon, was ich selbst predige: die kunst ist die kunst und sie ist nicht dazu da, soziale probleme zu lösen. aber die BEFASSUNG mit kunst führt zu erlebnissen, erfahrungen, kompetenzen, die wir im gemeinwesen dringend brauchen. so hängt die sache nämlich zusammen.
außerdem führt die befassung mit kunst zu vergnügungen, die genau NICHT den fragen der alltagsbewältigung gewidmet sind. und das ist offenbar so frivol, da winken abertausende menschen ab, verbeugen sich noch vor dem verbliebenen schatten der herrschaft, den wir nachfahren der untertanen offenbar nur schwer abschütteln können.
einst wußten fürsten und bischöfe ganz genau, warum sie den pöbel lieber auf dem feld schuften oder bei anderen arbeiten sich abrackern sahen, als sich mit kunstwerken und schließlich mit sich selbst zu befassen. (das haben sie ihresgleichen vorbehalten.)
es ist natürlich kein zufall oder eine leere phrase, daß wir mit dem projekt „kunst ost“ eine „soziokulturelle drehscheibe“ etabliert haben, die zwar im kern der gegenwartskunst gewidmet ist, sich aber eine wesentlich komplexere aufgabenstellung vorgenommen hat.
ich hab im vorigen eintrag [link] skizziert, wie wir uns lokal/regional um eine kooperationsbasis mit politik und verwaltung bemühen, damit a) verstanden wird, was wir tun, warum und wie wir es tun, damit b) das engagement für ein anregendes kulturelles klima eine breitere basis bekommt.
das muß uns auch mit leuten aus der wirtschaft besser gelingen. sie bemerken den feinen unterscheid? nicht die kunst soll störker mit witrschaft, verwaltung und politk verzahnt werden, sondern das kulturelle engagement.
graphic novelist jörg vogeltanz von unserem „kuratorium für trivialer mythen“ blickt quasi berufsbedingt hinter den lauf der dinge. dieser eigenheit entspringt seine heutige weihnachtspost. wir deuten die welt vorzugsweise in vertrauten bildern.
das blatt entstammt einer serie heidnischer meditationsbildchen, die einem helfen, die welt hinter der welt zu erschließen. eine tradition, die auf das „institut sheng“ zurückgeht, von dem einst das internationale „büro für konspiration und paranormales“ eingerichtet wurde.
in der klassischen weihnachtsmeditation erforschen wir den „österreichischen weg“: ohne eigenen plan in die gegend rennen, hoffend, man werde irgendwo ankommen und dann schon wissen, was das ziel ist, dabei erstunliche geschichten absondernd, die kaum zu glauben sind, und alles leugnend, falls man mit seinen verdeckten intentionen aufgeflogen ist.
inspiration für diese weihnachtsinspiration war ein kasus des vormals vaterländischen politikers m., der innerhalb weniger jahre vergessen hat, wofür ihm eine fette provision bezahlt worden war:
>>Porr zahlte an Meischberger rund 800.000 Euro. Unter anderem soll er von der Porr-Tochterfirma UBM 600.000 Euro Provision für die Vermittlung eines Mietvertrages in München erhalten haben, schrieb der „Falter“ vor drei Wochen.<< [Quelle: ORF]
warum das auf einer kultur-website zur sprache kommt? erstens, weil uns so ganz generell interessiert, warum die republik am rande einer pleite dahinschrammt, wo doch so immense geldsummen in bewegung sind. zweitens, weil der versuch, sich in dieser kausa abzusprechen, wie er zwischen den zwei vormals vaterländischen politikern stattgefunden hat, von brachial-poetischer qualität ist, die unserem hansi n. neststreu fast ebenbürtig erscheint.
+++++ zitat: Grasser: „… na, aber das würd ich mir ah ein bisserl anschauen, verstehst, in welchen Ländern, in welchen Ländern ist die Porr, in welchen Projekten war sie tätig, ein bisschen in die Richtung argumentieren, in die sie auch selber argumentieren.“ Meischberger: „Da bin ich jetzt supernackt.“ Grasser: „Da würd ich halt ein bisschen eine Recherche machen.“
Meischberger: „Aber wie willst du denn das machen. Da kriegst nicht einen Kontakt von denen.“ Grasser: „Na gar nicht, aber ich würde mir anschauen sozusagen, ich mein, des siehst eh im Internet, in welchen Ländern sind s’, was haben sie gemacht, welche Projekte haben s’ wo gemacht.“ [quelle: die presse]