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Tabu Leistungsaustausch

Wir debattieren in unserem Milieu keine Fragen wie die nach dem Leistungsaustausch. Aber wir praktizieren es. Wenn „Die Szene“ Geld erwartet, sogar Geld fordert, sei es von der öffentlichen Hand oder von der Wirtschaft, impliziert das ja einen Leistungsaustausch. Die Forderung nach Geld ist evident, die nach MEHR Geld häufig.

Ich betreibe keine Philosophie, sondern rede dem realen Leben hinterher, wenn ich daran erinnere, daß Geld ein MEDIUM ist. Was immer andere Menschen an Prioritäten bevorzugen, in MEINEM Universum bleibt es unverzichtbar, stets neu zu klären:
a) WAS möchte ich in Geld konvertieren?
b) IN was möchte ich Geld konvertieren?

Gerald Gigler bei der Session in Wien

Gut, als Kunstschaffender ist mir das schnurzegal, weil ich in der künstlerischen Praxis mit solchen Kategorien nichts zu tun hab. Aber als Kulturschaffender empfinde ich da stets Klärungsbedarf. Verwechseln wir also nicht Fragen der Kunst und Fragen der Kunstvermittlung.

Eine Gesellschaft kennt viele Zusammenhänge, in denen erbringbare Leistungen NICHT einer kommerziellen Verwertungslogik unterworfen werden können. Wo wir das für uns geltend machen, müssen wir natürlich unsere Gründe nennen können. Ich hab im vorigen Beitrag [link] LEADER-Fachreferent Gerald Gigler erwähnt.

Giglers Feedback zur Wiener Session an mich berührt einen grundlegenden Bereich möglicher Schnittstellen verschiedener Genres. Er schreibt zum Beispiel: „Mechanismen, Qualitäten oder auch nur Themen, die mich und andere ‚berühren’, offenzulegen und deren innere Logik für unterschiedliche Kontextebenen brauchbar zu machen.“

Worum es da geht? Wir debattieren immer wieder, auf welchen Grundlagen praktikable ANSATZPUNKTE liegen können, um der Gegenwartskunst in der Provinz mehr Boden zu verschaffen. Diese Ansätze können nicht in der Kunst selbst liegen, sondern bedürfen ziemlich sicher grundlegenderer „Bezugsfelder“.

1982: Eine dichte "Club-Szene", in der sich Kunstschaffende erproben konnten, gab es im Landeszentrum, aber nicht in der Provinz

Da habe ich mit Gigler offenbar schon Konsens: „Ich glaube verstanden zu haben, was du für Intentionen hegst und von welchen Arbeitsprämissen du ausgehst. Ich versuche in der Regionalentwicklung ja ähnlich anzusetzen.“

Das bedeutet auch, wir haben nicht die Ambition, als „Provokateure“ im Sinne einer „antibürgerlichen Bohème“ aufzutreten, denn dieses Konzept ist in seiner heutigen Deutung über 200 Jahre alt und überdies „Zentrums-Kram“. Darin liegt keinerlei brauchbare Strategie für unsere Vorhaben in der Provinz, das ist bloß ein Rollenangebot für soziokulturelle „Pausen-Kasperln“, denen die Argumente ausgegangen sind.

Gigler geht es darum, und da sind wir uns einig, „an den Schnittstellen der Regionalentwicklung ‚Diskussion und Innovationskraft’ zu ‚provozieren’“. Er meint damit genauer ein „nicht systemangepasstes Verhalten – natürlich gepaart mit hoher Kompetenz in der Argumentation bzw. Dialektik“. Wir wissen ja beide, „dass ANDERE schon das als provokativ erachten, was nicht ihrem Denkschema entspricht“. Das trifft übrigens auch und besonders auf unser Milieu selbst zu.

Ich hab im vorigen Eintrag mit einem Gigler-Zitat zu jenem grundlegenden Bezugsfeld hingeführt, von dem aus mir dann auch der Bodengewinn für die Gegenwartskunst möglich erscheint: „Ist ja leider auch bei ‚Insidern’ noch nicht so angekommen: der Krusche plaudert mit Bauern und Schlossern, wo ist da die Kunst?“

Das klappt nämlich nicht, indem wir die Kunstfernen zum Auftakt über Kunst belehren wollten. Wir schon erwähnt, es wäre eine zu drollige Vorstellung: Der Künstler rennt zu Bauern und Handwerken und erklärt ihnen die Kunst, er„beuyselt“ also gewissermaßen, und die wackeren Kinder des Ruralen lauschen aufmerksam, werden erhellt und erweckt.

Wir verstanden uns als Ausdruck einer "Subkultur", die etablierten Formationen erschienen uns suspekt.

Derlei selbstreferenzielle und arrogante Bildungsschusselei war im Grunde schon Ende der 1970er-Jahre erledigt und – man beachte! – in eben ihrem Scheitern ein wesentlicher Entstehungsimpuls der damals ganz jungen Initiativenszene. Zum Mitschreiben:

Genau WEIL eurozentristisch und zentralistisch angelegte bildungsbürgerliche Bildungsschusselei sich als ziemlich untauglich erwiesen hat, genau WEIL a) „Entwicklungshilfe“ für „Entwicklungsländer“ und b) rund zwei Jahrzehnte heimischer Erwachsenenbildung auch all die Mängel und Defizite damaliger Ansätze offengelegt hatten, waren Ende der 1970er-Jahre Prozesse in Gang gekommen, die unter anderem jene kulturelle Initiativenszene hervorbrachten, zu der wir uns zählen.

Sind wir womöglich in der Steiermark heute zu eben dem geworden, was uns vor rund 30 Jahren als soziokulturelle Innovation ausgelöst hat? Das wäre ja etwas gruselig. Ich rede deshalb so bestimmt darüber, weil ich mich mit allerhand Bauern, Handwerkern, Ingenieurinnen herumtreibe und einigermaßen klare Vorstellungen hab, womit man ihnen die Plomben zieht und wodurch man ihre Verachtung lostritt.

Der Mechaniker und der Ingenieur, Rennsportlegende F. Thaler (links) und Syncro-Ingenieur E. Mohorko: "Die Bodenplatte ist heilig. Da könntest du sonst gleich ein neues Auto konstruieren, so teuer wird das."

Wir „beuyseln“ nicht, wenn wir einander begegnen, wir Künstler, Bauern, Handwerkern, Ingenieurinnen, sondern tun das mit Achtsamkeit uns Respekt. Niemand von jenen, mit denen ich dafür Zeit verbringe, würde den anderen eine Superiorität des eigenen Metiers aufschwatzen wollen. So ein paternalistisches Verhalten würde einen mit Sicherheit sofort aus diesen Kreisen heraushebeln.

— [Dokumentation] —

Wider das Beuyseln

Die Präsentation der Studie, welche Veronika Ratzenböck mit ihrem Team erarbeitet hat, stimmt zuversichtlich. Woher kommt dann die viele schlechte Laune unter den Kulturschaffenden in meiner direkten Umgebung? Naja, was generell gelingt, muß nicht alle von uns sanft betten. Gut, „sanft“ ist sowieso momentan nicht lagernd, kann auch auf absehbare Zeit nicht nachbestellt werden.

Wissenschafterin Veronika Ratzenböck

Die Wiener Session hat mir ergänzend deutlich gemacht, daß der Kulturbereich — ganz unabhängig von diversen krisenhaften Entwicklungen — generell gar nicht so übel beinander ist. Wir haben aber einen Verteilungswettkampf am Hals, ein Rennen um Budgets, das mit spitzen Ellbogen und anderen Artigkeiten ausgetragen wird.

Ich behalte einige Standardzeilen aus meinem Lieblingsliedchen auf den Lippen: „Hundert Prozent Abhängigkeit vom Staat wäre so ein Nordkorea-Modus. Will das jemand?“ Oder: „Als Künstler bin ich noch nicht auf einen geschützten Arbeitsplatz aus.“ (Blöd, daß einen das rauhe Arbeitsklima schon geraume Zeit derart zaust, ich träume natürlich zwischendurch von einem Liegestuhl und kühlen Drinks on the house.)

Woher also Budgets nehmen und nicht stehlen, wenn Länder und Kommunen die Budgets runterfahren? Vom (Kunst-) Markt = Verkäufe von Werken? Von der Wirtschaft = Sponsoring?

Es ist ja klar, daß all unsere liebgewonnen Vorstellungen aus früheren Jahrzehnten völlig irrelevant werden, sobald wir a) die Landeszentren verlassen und dann womöglich auch noch b) von den Feldern bürgerlicher Repräsentationskultur runtersteigen.

Kleiner Einschub:
Ich hab keinerlei Ressentiments gegenüber bürgerliche Repräsentationskultur. Ich hab bloß die Erfahrung gemacht, daß sie für Agenda der eigenständigen Regionalentwicklung kaum etwas hergibt; im inhaltlichen wie im materiellen Sinn des Wortes „hergeben“. Sie bringt uns kaum etwas für die Arbeit an neuen Optionen. Aber sie sichert in einigen Nischen kulturellen Grundkonsens. Das hilft auch.

Für "LEADER Kultur" zuständig: Sandra Kocuvan und Gerald Gigler

Gerald Gigler, der für LEADER zuständige Fachreferent beim Land Steiermark, hat mir zur Wien-Session noch ein paar Überlegungen und Einwände zugeworfen. Darunter zu Fragen der Funktionen von Gegenwartskunst:

„Was noch immer nicht beantwortet, welche Art von Kunst das nun sein wird, aber etwas hat mir schon einen Stich versetzt, dass du die Kunst nicht als ‚soziokulturellen Entwicklungshelfer’ sehen willst. Siehst du unsere ‚Ansprüche’ (Joseph II) wirklich so? Künstler als Unternehmensberater? Nein, hatten wir nicht im Sinn, aber – wie du immer betonst – das Schaffen von ‚NEUEN Verhandlungsebenen’, für Kunst, für gesellschaftliche Entwicklung, das kann schon ein verfolgbares Ziel sein.“

In Pischelsdorf hatte ich bemerkt, daß ich keine allgemeine Kenntnis voraussetzen darf, wer und warum er „J’accuse!“ ausgerufen hat. So verstand zwar Gigler meine ironische Erwähnung Josef II, aber ich erkläre es für alle Fälle kurz.

Seit dieser aufgeklärte Monarch in Österreich geschaltet und gewaltet hat, scheinen wir eine ungebrochene Tradition zu genießen, in der Reformen „von oben“ kommen, also von Regierungsseite. Seit jener Zeit haben wir auch den Typ des Künstlers im Staatsdienst als vertrautes Sujet vor Augen. Zum Thema „oben/unten“ siehe: [link]

In der Tat und peinlicherweise sind die gegenwärtigen Sonderrichtlinien plus das steirische Punkteprogramm zu LEADER Kultur sehr viel anregender als vieles, was ich seit Jahren von der steirischen Szene lese. Während wir also „vorne“ die Kulturpolitik lauthals schmähen, bekommen wir „hinten“ von der Beamtenschaft recht interessante Diskussionsgrundlagen zugestellt.

+) Die „Sechs Punkte“ von Gerald Gigler: [link]
+) Die Sonderrichtlinien: [link]

Nun muß ich einerseits, wie sich zeigt, die Autonomie der Kunst verteidigen, weil zu viele Leute mit unscharfen Vorstellungen herumgeistern, und zum Beispiel annehmen, Kunst ließe sich als soziokulturelles Reparatur-Set funktionalisieren. (Mumpitz!) Ich muß andrerseits völlig neue Arbeitsansätze finden, wo es um Kulturarbeit und eigenständige Regionalentwicklung geht, weil sich veraltete Zentrumskonzepte nicht in der Provinz recyceln lassen, wie sich auch die Provinz nicht „urbanisieren“ läßt.

IG Kultur: Stefan Schmitzer und Juliane Alton in Pischelsdorf

Ergo kann ich, von einigen Teilaspekten abgesehen, für die (kulturelle) Emanzipation der Provinz gegenüber den Zentren keine Zentrumsstrategien anwenden. Wir müssen hier schon selbst herausfinden, was es überhaupt geben sollte und wie es zu erreichen wäre.

Gerald Gigler meinte auch: „Ist ja leider auch bei ‚Insidern’ noch nicht so angekommen: der Krusche plaudert mit Bauern und Schlossern, wo ist da die Kunst?“

Es wäre eine zu drollige Vorstellung:
Der Künstler rennt zu Bauern d und Handwerken und erklärt ihnen die Kunst, er „beuyselt“ also gewissermaßen, und die wackeren Kinder des Ruralen lauschen aufmerksam, werden erhellt und erweckt.

So hat das natürlich Gigler nicht gemeint, so hab auch ich das noch nie versucht, aber derlei fahrlässiges „Beuyseln“ kommt tatsächlich gelegentlich vor, wenn manche Spießer und Mittelschicht-Trutschen sich selbst auf Bauern oder Mechaniker loslassen. Na, das muß ich noch genauer ausführen. Was ich mit „Beuyseln“ meine, ist hier skizziert: [link]

— [Dokumentation] —

kunst ost: reflexionen #5

Kulturelles Engagement auf der Höhe der Zeit

Aber nun kurz zurück zu den klar erinnerbaren Anfängen von kunst ost, in erster Schreibweise noch kunst O.ST, was auf den Regionsbegriff „Oststeiermark“ verwies. Rückblickend läßt sich ein Abend konstituierender Ereignisse markieren. Der 6. März 2007: [link]

Wir hatten bei kultur.at zu der Zeit eine Kooperation mit dem Festival steirischer herbst erreicht, um so im Herbst 2007 einen Kunstakzent von internationaler Relevanz zu realisieren. Der Auftakt dazu war für 16. März festgesetzt: [link] Im Mai folgte, als Zwischenschritt, die kleine Ausstellung „Nobody Want’s To Be Nobody“.

Veronica Kaup-Hasler (steirischer herbst, links) und Mirjana Peitler-Selakov (kultur.at, Mitte) bei der Eröffnung in Gleisdorf

Das eingangs erwähnte Treffen vom 6. März hatte ich als eine Einladung an regionale Kräfte konzipiert, mit einem Auftritt an die Herbst-Geschichte anzudocken und ein Gesamtereignis herbeizuführen, in dem internationale und regionale Kräfte in Wechselwirkung kamen.

Das war also 2007 gewissermaßen die Vorläufersituation zum aktuellen Programmschema, in dem diese zwei Positionen allerdings heute geteilt sind: Regionale Kräfte im ersten Halbjahr (April-Festival), internationaler Kontext im zweiten Halbjahr.

Ende März 2007 hatte ich außerdem noch ein Gespräch in Weiz erwirkt, bei dem wir eine mögliche Kooperation Kulturschaffender quer durch die Region erörterten: [link] Das war die kulturpolitische Ebene; mit einigen Konsequenzen, die ich damals nicht einmal geahnt habe, denn es sollte später noch für erhebliche Unruhe sorgen, daß unser Arbeitsansatz der regionalen Kulturpolitik ganz neue Optionen zumutete: [link]

Gleisdorfer Kunst- und Kulturschschaffende beim ersten 2007er-Treffen, das zu kunst ost führte

Für die Ebene der primären Kräfte hatte ich einen „Dreisprung“ vorgeschlagen. Es ging mir darum, daß wir in drei festgelegten Schritten innerhalb von drei Jahren die praktische Kooperation üben konnten und innerhalb der Region schrittweise wachsen würden; falls alles gut ging. Die „1 von 3“ trug den Titel „next code: flow“ und ging im November 2007 auf dem Weizberg über die Bühne: [link]

Mit der „2 von 3“ im Jahr 2008 waren wir bei den konzeptionellen Grundlagen des April-Festivals angelangt: [link] 2009 folgte die „3 von 3“ und 2010 hatte ich mit der ganzen Geschichte einen Status quo erreicht, der uns neue Möglichkeiten bot, weil kunst ost inzwischen zu einem LEADER-Kulturprojekt geworden war; weshalb wir es aus kultur.at auslagerten und als eigenständige Rechtsperson aufstellten. Hier eine kleine Zusammenfassung dieser Schritte: [link]

Von links: Winfried Kuckenberger (Kulturbüro), Christoph Stark (Bürgermeister) und Hannes Felgitsch (Kulturreferent) vertraten das "offizielle Gleisdorf" beim Weizer Treffen

Ich denke, einer der wichtigsten Aspekten dieses Prozesses lag darin, regionale und internationale Kräfte in ein Wechselspiel zu bringen, so daß für die Kreativen in der Region neue Impressionen und Erfahrungen zum fixen Bestandteil unseres gemeinsamen Tuns wurden. Außerdem haben wir im kulturpolitischen Bereich eingelöst, was die Kommunen seit Jahren offiziell erwarten und erbitten: „Bürgerbeteiligung“, Bürgerinnen selbstverständlich eingeschlossen. Genau dieses Einlösen des Bottom up-Prinzip hat uns allerdings in manchen Gemeindestuben auch erhebliche Widerstände beschert.

Ich hab vor fast genau einem Jahr, beginnend am 21. März 2011, kurz zusammengefaßt, wo wir damals gerade mit kunst ost standen: [link] Es war das „Krisenjahr“, in dem die bestürzenden Budgeteinbrüche der Kommunen voll zur Wirkung kamen. Die weltweiten Krisen von 2008/2009 hatten voll zu uns durchgeschlagen, gerade im Kulturbereich wurde bedenkenlos gekürzt.

Ich habe in sehr schöner Erinnerung, was uns als Kollektiv in diesem schwierigen Jahr gelungen ist. Für mich steht außer Zweifel, daß wir diese Ergebnisse heuer bestätigen und stabilisieren können. Nächstes Jahr wird die aktuelle LEADER-Periode enden. Diesen Zusammenhang möchte ich noch kurz erläutern.

Wir sind in einer LEADER-Region, der Energie-Region Weiz-Gleisdorf (Oststeiermark), angesiedelt. Deshalb haben wir eine grundlegende Themenstellung formuliert, die ausdrückt, was hier prägend erscheint: „Zwischen Landwirtschaft und High Tech“. In diesem Gesamtzusammenhang entfalten wir seit Jahren unsere Aktivitäten.

Was diese Region angeht, finden Sie hier weiterführende Details: [link]

Auf dem Weg zum überhaupt ersten LEADER-Kulturprojekt des Landes im Jahr 2009 hatte ich die erhebliche Freiheit, daß mir niemand sagen konnte, wie zu verfahren wäre. Es gab ein interessantes Regelwerk, das sich von der Landesebene her aus a) Sonderrichtlinien und b) einem eigenen Arbeitspapier zusammensetzte:
a) Aktionsprogramm Achse 4 LEADER [Link]
b) Sechs Punkte zum Kulturgeschehen (Gerald Gigler) [link]

Es gab meine eigenen Erfahrungen aus der Praxis mit kultur.at und dem künstlerischen Langzeitprojekt the long distance howl, dessen damaliger Abschnitt unter dem Titel next code der Suche nach neuen Codes und Vorgangsweisen im Kunstkontext gewidmet war: [link]

Ich hatte außerdem seit den 1980ern meine Erfahrungen mit den Ideen eigenständiger Regionalentwicklung. Von da her war klar, daß jenseits des Landeszentrums noch keinerlei kulturpolitische Konzepte bestanden, die über Gemeindegrenzen hinausreichten; wenn wir vom Veranstaltungstyp „Landesausstellung“ und dessen Folgekonzept „regionale“ absehen. Aber die sind beide top down angelegt. Mich interessierte, was für einen Künstler bottom up möglich wäre…

[kunst ost: reflexionen]

und dann 2050? #5

Um es vorweg zu betonen: Die ersten Absätze dieses Beitrages mögen etwas deprimierend klingen. Ich muß das so ausführten, damit der Status quo klar wird. Im Anschluß wird es aber sehr optimistisch; wenn ich meine Schlüsse ziehe…

Ich komme mit Absagen besser zurecht, wenn sie offen formuliert sind, statt bloß unter einem Lächeln exekutiert zu werden. Zum Beispiel: „Festhalten möchte ich jedoch, daß wir keine externen Marketingaktivitäten durchführen und dafür auch kein Budget haben. Eine finanzielle Unterstützung der Künstler ist uns daher leider nicht möglich.“ Das ist ja keine Seltenheit.

Vieles ist in Umbruch befindlich. Auch Gerald Gigler, beim Land Steiermark für die LEADER-Regionen zuständig, kann uns augenblicklich nicht sagen, wohin es in naher Zukunft mit diesen Konzepten geht

Mehr noch, inzwischen agieren ja auch Kommunen so. Kennt noch jemand kleinere oder mittlere Gemeinden, deren Funktionstragende Kunst und Kultur für ebenso wichtig halten wie das Bildungs- oder Gesundheitswesen? Werden dafür Budgets bereitgestellt? Diese Fälle sind rar geworden.

Offen gesagt, ich war zwischenzeitlich etwas erschrocken, wie umfassend hier in der „Provinz“ der Kulturbereich an wesentlichen Ecken fallen gelassen wurde, als die Krisenmomente zunahmen. Es erfolgte ein weitreichender Rückzug auf vertraute Positionen, was bedeutet: Events, Projektchen mit Tourismusbezug, aus! Es gibt auch keinen aktiven Dialog Funktionstragender mit bewährten Kulturschaffenden. Damit meine ich: Von den Gemeinden geht derzeit offenbar gar nichts aus.

Es scheint, als sei die Schildkröte zum Wappentier der Region erwählt worden. Da ist sicher noch Leben unter dem Panzer, aber es läßt sich nicht sagen, ob sich nun etwas bewegen wird oder nicht.

Gut, da wäre nun gerade ein als Offensive angelegter Prozeß, bei dem unter der Headline „Visionen 2050“ Debatten und Feedbacks angeregt werden sollen, die im Sinne einer wachsenden „Bürgerbeteiligung“ funktionieren mögen. Also ein diskursiver, eine soziokultureller Prozeß.

Der Prozeß läuft, Rückmeldungen führen zu Veränderungen der Grundlagen. Aber was wird solchen Vorgängen Dauer verleihen? Wie wird allenfalls professionelle Begleitung für ehrenamtliches Engagement gestaltet sein?

Der Auftakt ist bemerkenswert, weil das Projektteam von diversen Universitäten und der TU Graz einen sehr interessanten Ausgangspunkt erarbeitet hat. Hat es sich deshalb ereignet, daß sich der Vorstand unserer LEADER-Region, immerhin alles Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, an ihre Leute aus Bildungswesen und Kultur gewandt haben, um ihnen zur Sache einen Vorschlag zu machen oder sie zur Zusammenarbeit einzuladen?

Nein, das hat sich nicht ereignet. Diese Idee ist offenbar kaum naheliegend. Gut. Da besteht eben Klärungsbedarf, der in den vergangen Jahren nicht statgefunden hat. Es ist fast, als begännen wir anläßlich dieses Projektes bei Null. Fast. Denn immerhin haben wir Kunst- und Kulturschaffenden die letzten Jahre genutzt, um verschiedene Modi zu erproben und praktische Erfahrungen zu sammeln.

Das bedeutet AUCH:
Es kann gar nicht genügen, in diesem Kulturbereich aufzutreten und den Anspruch „Ich bin Künstler“ als einzig relevantes Thema einzuführen. Ebenso könnte man vorbringen, Lehrerin zu sein, Krankenschwester, Polizist, was auch immer. Das ist ja für sich kein relevantes Statement, sondern bloß ein Hinweis darauf, worüber nun geredet, eventuell verhandelt werden könnte.

Zurück zur Passage „…daß wir keine externen Marketingaktivitäten durchführen und dafür auch kein Budget haben. Eine finanzielle Unterstützung der Künstler ist uns daher leider nicht möglich.“

Es wäre naiv bis skurril, wollten regionale Kunstschaffende, die keinen internationalen Marktwert für sich geltend machen können, bei einer Firma ankommen und sagen: „Geben Sie uns einiges Geld für unsere künstlerischen Vorhaben, wir bieten Ihnen dafür einen Imagegewinn.“

Das wäre freilich ein Kernereignis von Sponsoring, wie wir es bisher kennen. Kulturschaffende bieten Unternehmen wenigstens zweierlei Möglichkeiten: a) Sich im Gemeinwesen soziokulturell zu engagieren und b) dabei auch einen Imagegewinn für den Betrieb zu verbuchen.

Minimalbetrieb in der Kommune: Sigrid Meister vom Gleisdorfer Büro für Kultur und Marketing bekommt ein Kind und geht demnächst in Karenz. Ihr bisheriger Chef Winfried Kuckenberger geht eben in Pension, sein Nachfolger Gerwald Hierzi wird im Februar 2012 seinen Dienst antreten.

Das kann keine Basis für unsere regionalen Vorhaben sein, weil sich so ein Zugang praktisch nicht einlösen läßt. Ich habe im vorigen Beitrag schon notiert, welchen Ausgangspunkt ich für „kunst ost“ herausgearbeitet habe, um klären zu können, was an Kooperationen denkbar wäre. Und DAS ist der wesentliche Punkt: Kooperation.

a) Gibt es aktuelle Fragestellungen, die uns gleichermaßen interessieren?
Falls ja, bleibt zu erörtern:
b) Gibt es Aufgabenstellungen, die sich aus diesen Fragen ableiten und die wir teilen könnten?
Das verlangt auch Klärung:
c) Welcher Art sind unsere Kompetenzen, die sich in einem gemeinsamen Vorhaben komplementär ergänzen und verstärken könnten?

Das bringt mich wiederum zum Themenkomplex „Visionen 2050“. Es wird viele Wege geben, zu dieser großen Themenstellung etwas Relevantes beizutragen. Ich denke, der hier angerissene Modus ist einer davon, welcher vor allem brauchbare Erfahrungen schaffen kann, wie denn nun höchst verschiedene Instanzen eines Gemeinwesens, einer regionalen Gesellschaft erst einmal mit einander in Dialog kommen können, um schließlich auch da und dort zusammenzuarbeiten.

Ich habe nicht den geringsten Zweifel, daß solcher Zugang uns den Weg zu neuen Verfahrendweisen und Strukturen im Kulturbereich weist.

[2050: übersicht]

strategiedebatten

wir haben nun eine art besprechungs-marathon hinter uns. es ging nicht nur darum, das projekt „kunst ost“ durch die verdichteten krisen-auswirkungen der jahreswende zu steuern und dabei wieder zu stabilisieren. es ging auch darum, den regionalpolitischen status quo zu erheben, um eine vorstellung entwickeln zu können, unter welchen konkreten bedingungen wir heuer unsere arbeit entfalten.

es mißfällt mir zu räsonieren, aber ich bin momentan ziemlich aufgebracht, welches durcheinander offenkundig in den fragen der regionalentwicklung herrscht. die kommunikation zwischen den verschiedenen ebenen (land, region, gemeinde, zivilgesellschaft) liegt sehr im argen. dabei klingt es fast schon lustig, daß wir im arbeitsjahr 2010 drei verschiedene landeskulturfererenten erlebt haben.

gleisdorfs kulturreferent alois reisenhofer ist gerüstet, kulturpolitische überlegungen und arbeitsschritte anzugehen, die über eine einzelne orts- und gemeindegrenze hinausreichen

unser jüngstes arbeitsgespräch mit den kulturleuten des „offiziellen gleisdorf“ (siehe zwischenstände“!) hat mehr als klar gemacht, daß a) die kommunalen teams von den rabiaten budget-kürzungen merklich durchgerüttelt sind und b) die diversen regional-konzepte als eher verwirrend statt hilfreich empfunden werden.

da ist also mindestens einiger stress im verhältnis der „kleinregion gleisdorf“ („lokale agenda 21“) und der „energie-region weiz-gleisdorf“ (LEADER plus) zueinander, da gibt es dann auch noch die „oststeiermark neu“ und das „regionalmanagement ost“. was denn nun eine „großgemeinde“ und eine „großregion“ praktisch sei, erscheint mir momentan eher unklar.

die bürgermeister fühlen sich verpflichtet, andauernd meetings zu besuchen, deren sinn und nutzen vielen nicht mehr klar ist. aber überall muß von den kommunen in irgend einen topf eingezahlt werden und arbeitszeit geht drauf. ergebnisse? wissen wir nicht so genau!

gerald gigler (hier mit „kunst ost“-exponentin mirjana peitler-selakov) ist einer unserer diskussionpartner für die frage, wie sich das kulturelle klima stabilisieren und für die gegenwartskunst boden gewinnen läßt

dazu kommt, daß hinter dem nächsten horizont neue gemeinde-zusammenlegungen anstehen. das bringt etliche orts-chefs schon jetzt in kampfstimmung und in verschiedenen notizen klingt die bereitschaft zu widerstand an. aber auch deren personal ist teilweise sauer oder am rande seiner möglichkeiten.

siehe dazu etwa bürgermeister christoph starks tagebucheinträge wie diesen: „Wenn dann verlautet wird, dass man nun eine neue Organisationseinheit schaffe, in die (angeblich) vieles integriert werde, dann ist es nicht verwunderlich, dass es zu mittelschweren allergischen Reaktionen kommt. Auch hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.“ [quelle]

ich höre in informellen gespräche, daß etliche gemeinden noch heute die konsequenzen älterer gemeinde-zusammenlegungen nicht verdaut haben. die liegen zwar schon jahrzehnte zurück, bringen aber immer noch differenzen hervor, die sich zwischen zugehörigen „alter“ katastralgemeinden auftun.

zu all dem hatten wir erfahren, es bestünde seit dem ende des vorjahres ein regierungsbeschluß, die LEADER-regionen der steiermark zu reduzieren. erst war von neun, zuletzt sogar von bloß sieben verbleibenden regionen die rede. man kann sich die unruhe in den bestehenden LEADER-managements vorstellen.

ich habe noch nie zuvor in meinem leben eine derart vielschichtig konfuse situation erlebt, in der uns regionale kulturarbeit gelingen soll, während sich unsere potenziellen gegenüber in den kommunen mehr denn je mit „ganz anderen sorgen“ herumschlagen.

ich bin zur zeit WÜTEND, wie konfus sich manche „offzielle“ des regionalen geschehens geben, wie viel an blicken gerade wieder hinter die tellerränder zurückrutschen, in welchem ausmaß die kommunikation vor allem auch unter kulturschaffenden selbst eingebrochen ist etc.

von krisenmanagement keine rede und ich weiß auch nicht so genau, was da draußen zur zeit an problemlösungs-kompetenzen aktivierbar ist, um manches von dem zu kompensieren, was uns eben an strukturen und ressourcen weggebrochen ist.

das lokale generell in größeren zusammenhängen betrachten: karl bauer (links) vom gleisdorfer kulturausschuß und kamillo hörner vom "steirischen volksbildungswerk"

in den letzten wochen wachsender konfusion war nun gleisdorfs kulturfererent alois reisenhofer der erste, von dem ich in unserem jüngsten arbeitsgespräch konkret gehört habe, daß wir uns nach dem april-festivaldarauf konzentrieren würden, ein treffen mit engagierten leuten der „kleinregion gleisdorf“ zu absolvieren, um optionen und strategien zu besprechen.

das ist für mich heute der erste konkrete ansatz einer regionalen kulturpolitik, die über einzelne ortsgrenzen hinaus in die nahe zukunft gedacht sein will. mit diesem wissensstand trafen wir nun auch gerald gigler zu einer strategiebesprechung. gigler ist beim land steiermark für den LEADER-bereich zuständig (abteilung 16).

wir haben uns bemüht, eine brauchbare ansicht vom status quo zu formulieren und daraus überlegungen abzuleiten, welche schritte und aktivitäten in nächster zeit vielbversprechend erscheinen, um das kulturelle klima zu stabilisieren und der gegenwartskunst boden zu gewinnen.