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Patientin Kultur?

Am 4. März 2012 titelte Michael Tschida in der „Kleinen Zeitung“ bei einem Kommentar: „Die Patientin Kultur“. Wir komme ich eigentlich dazu, daß mein Berufsfeld auf solche Art desavouiert wird, bloß weil wir a) seit Jahren eine (weltweit) komplexe Krisensituation haben und weil b) sich die steirische Auseinandersetzung zwischen Kulturschaffenden mit den Leuten aus Politik und Verwaltung zunehmend als ein Festival wachsender Kompetenzmängel erweist? (Und zwar auf ALLEN Seiten!)

(Quelle: Kleine Zeitung)

Eine der interessantesten Deutungen kommt in den aktuellen Debatten gar nicht vor. Seit der Antike kennen wir die Auffassung, daß eine Krise die Voraussetzung für Katharsis sei. Wo nun eine „freie“ bzw. „autonome Initiativenszene“, die seit den 1970er-Jahren besteht, eventuell Veränderungsschübe in großem Ausmaß zu durchlaufen hätte, wo sich also dieses Feld vielleicht völlig verändern MUSS, weil die Welt sich dreht und sich Gesellschaft immer in Veränderungen ereignet, wäre es ja denkbar, daß wir, „WIR“ mit Vorsicht hingesetzt, uns vor allem einmal in einer Art „Modernisierungskrise“ befinden. Da gehörte es zum Wesen der Angelegenheit, daß kein Stein auf dem Anderen bleibt und daß alte Modi hinfällig werden. (Ich glaub, ich mag diese Vorstellung sehr.)

Die Kultur ist nicht krank, keine Patientin, sie krankt auch nicht an mir oder an anderen Leuten. Sie zeigt sich in genau dem Zustand, den wir ihr durch unser Handeln und Unterlassen ermöglichen. Daß aus meinem Milieu heraus der Tschida-Headline auch noch applaudiert wird, halte ich für einen Ausdruck von Borniertheit und auch für ein bißchen lustig.

Das illustriert nämlich, wie sehr viele Primärkräfte des Kulturbetriebes ernsthaft denken, a) „die Anderen“ seien schuld an dieser oder jener Misere und b) diese „Anderen“ seien in Politik und Verwaltung dingfest gemacht. Um Jandl zu zitieren: „werch ein illtum!“ Kulturpolitik, das sind natürlich wir ALLE im laufenden Wechselspiel der Kräfte.

Krusche plaudert mit der Kurie

Was sich in den spärlichen öffentlichen Kulturdiskursen der Steiermark hervortut, versteht sich per Sprachregelung immer noch als „Szene“, „Initativenszene“, „Freie Szene“ etc. Das ist weder sachlich sehr aufschlußreich, noch benennt es eine konkrete „Wir-Situation“.

Was hier wenigstens via Medien als soziokulturelle Kuschelecke erscheint, wirkt gegenüber aktuellen Veränderungsschüben schreckensstarr und etwas ratlos. Daher auch, so vermute ich, der Hang zum Alarmismus und zum Superismus. Die Alarmrufe künden von Untergangsstimmungen und der Superismus läßt jeden kleinen Effekt verbal als großes Ereignis dastehen. („Kulturkampf in der Steiermark“ und ähnlicher Schmonzes.)

Ich halte viele der Überschriften für polemische Gesten. Übertreibungen verklären Argumente. Ich glaube nicht daran, daß damit in der Sache weiterzukommen ist. Für mein Ringen um festen Boden im Kulturbereich und ein Terrain, auf dem auch ökonomische Erholung vorankommt, erscheinen mir einige Überlegungen wie Voraussetzungen unverzichtbar.

+) Kulturpolitik
… ist NICHT das, was Leute aus Politik und Verwaltung konstituieren, sondern das, was wir Kunst- und Kulturschaffende plus andere Engagierte aus der Zivilgesellschaft im Kräftespiel mit Leuten aus Politik und Verwaltung herbeiführen.

+) Kunst
Wenn wir keine Kunstdiskurse führen bzw. daran nicht teilnehmen, überlassen wir es Politik und Wirtschaft, zu definieren was Kunst sei. Genau das geschieht schon eine Weile mit vielen der Konsequenzen, die uns mißfallen.

+) Genres
Wenn wir nicht in der Lage sind, kategorial wenigstens grobe Unterscheidungen vorzunehmen, was etwa Gegenwartskunst meint und was Voluntary Arts sind, wenn wir Kunsthandwerk, ferner ambitioniertes Basteln etc. nicht als unterschiedliche GENRES betrachten können, die in Intentionen und Zielen der Leute sehr kontrastreich angelegt sind, bleiben kulturpolitische Verhandlungen sehr nebulös.

+) sozialer Status
Obwohl Kunstschaffende, die aus künstlerischer Arbeit ein akzeptables Jahreseinkommen lukrieren, in Österreich die extrem rare Ausnahme sind und daher für unser Metier keinesfalls eine Role Model abgeben können, gelten diese Freischaffenden unausgesprochen als „Königsklasse“. Wir weigern uns überwiegend, zu debattieren und nach außen zu kommunizieren, welche Vielfalt an Lebensmodellen und ökonomischen Konzepten unser Metier ergibt. Damit untermauern wir einen Obskurantismus in dieser Sache, der uns politisch und sozial permanent auf die Köpfe fällt.

+) Selbstbeschädigung
Wenn ich in den letzten dreißig Jahren ein problematisches Phänomen in meinem Metier als durchgängig erlebt habe, dann den Mangel an Fähigkeiten zur tragfähigen Kooperation. Dieser sichere Beitrag, verfügbare Ressourcen besser zu nutzen und deren Verknappung besser abzufangen, hat nach meiner Erfahrung zwei Hauptbarrieren: Brotneid und Eitelkeit. Das Geld der Anderen sowie mediales Augenmerk und Sozialprestige sind oft der Anlaß, sogar gut laufende Projekte zu kippen. Diese Art gepflegter, kulturell ausgefeilter Selbstbeschädigung erscheint mir geradezu sensationell.

+) Hauptamt/Ehrenamt
Wir könnten noch etwas mehr best practice vertragen, wie sich Hauptamt und Ehrenamt innerhalb eines Projektes kombinieren lassen, ohne zu Blockaden zu führen. Das Verlaufsschema ist gut bekannt. Ein Projekt beginnt, befeuert von viel Zuversicht und ehrenamtlichem Engagement. Es wächst in der Dimension, den Hoffnungen und Erwartungen. Jemand schafft es, etwas Geld zu akquirieren, längst nicht genug, um das ganze Ding in hauptamtliche Dimensionen zu wuchten, aber immerhin eine stärkende Zugabe. Plötzlich legen sich einige Ehrenamtliche quer und fordern: Wenn ich nicht auch bezahlt werde, tu ich nichts mehr. Zack, das Projekt sauft ab. Das sollten wir besser hinkriegen!

Die Liste läßt sich natürlich fortsetzen…

Wovon handelt Kulturpolitik? #17

Ich verfolge den „Speakers Corner“ im Kulturteil der „Kleinen Zeitung“ schon eine Weile. Dabei geht es um Fragen der Kulturpolitik, um die Einschätzung des Status quo. Eines der offenkundigen Schwerpunktthemen ist dabei der Mangel an Wertschätzung, den Kunst- und Kulturschaffende erleben und betonen.

(Quelle: Kleine Zeitung)

Ich kenne das gut, es ist fast so was wie ein übliches „Berufsrisiko“ geworden, dss sich laufend einlöst. Dazu kommt ein auffallender Mangel an Sachkenntnis bei recht vielen Funktionstragenden in Politik und Verwaltung sowie in diversen privatwirtschaftlichen Institutionen der Meta-Ebene.

Die Mängelliste könnte fortgesetzt werden. Aber das bringt uns nichts, wir kennen den Problemkatalog ohnehin in vielen Ausfertigungen. Einen wichtigen Punkt möchte ich noch anfügen, der in solchen Erörterungen gerne unterschlagen wird. Auch unter meinen Kolleginnen und Kollegen stelle ich manchmal einen deprimierenden Mangel an Sachkenntnis fest. Das führt gelegentlich zu sehr skurrilen Diskurs-Momenten.

Der Job ist Gerade nicht vakant...

Was machen wir nun? Ich hab kürzlich eine — meiner Meinung nach — wichtige Ursache für diesen Stand der Dinge skizziert: „Was (nicht) zu übersehen war“ [link] Die konsequente Abwertung von Wissensarbeit und von Kulturarbeit bei gleichzeitig erschreckendem Verfall der Bezahlung solcher Arbeit ist ein umfassendes Phänomen, dem wir uns während der letzten 25 Jahre leider nie konsequent und womöglich kollektiv gewidmet haben.

Daher ist für mich eine der vorrangigen Fragen, mit welchen Mitteln sich die Wertschätzung für Wissens- und Kulturarbeit wieder anheben läßt, was auch verlangt, daß die Reputation unserer Berufe wachsen muß, daß wir unser Sozialprestige in die Höhe bringen sollten.

Aus verschiedenen sachlichen Zusammenhängen nehme ich nicht an, daß uns dabei herkömmliche Methoden der PR-Arbeit nützen würden. Es sind wohl auch kaum Budgets verfügbar, um einschlägige Kampagnen zu fahren. Ich nehme an, daß wir
a) über berufliche Kompetenz, die sich in Arbeitsergebnissen zeigt, punkten können,
b) über fundierte kulturpolitische Ansichten und deren Vertreten in öffentlichen Diskursen Boden gewinnen werden und
c) mittels zeitgemäßer Formen von Kooperation Terrain sichern mögen.

Damit meine ich ausdrücklich NICHT anschwellende Phrasendrescherei und Polemiken, die keiner genauern Debatte standhalten. Ich meine auch NICHT das klagende Verkünden von harten Arbeitsbedingungen und das herbeten von Krankheitsbildern, denn: Wer will das hören? Wir sind Weltmeister in Sachen Burn out, ganz Österreich pflegt das. (Jede Supermarkt-Kassierin im Teilzeitjob, die ein kleines Kind zuhause hat, kann in Belastungsfragen sicher locker mit mir mithalten.)

Ich würde es vorziehen, daß wir erst einmal — quasi branchen-intern — beginnen, angemessene Strategien zu entwickeln und best practice herauszuarbeiten. Das kann NICHT bedeuten, diese Leistung erst zu erbringen, wenn die Politik uns endlich mehr Geld rüberschiebt. (Auch die Geldfragen bedürfen neuer Verhandlungszusammenhänge.) Das muß uns primär aus eigenen Stücken gelingen; allein um der Autonomie willen.

Zugleich meine ich, daß wir unter den Funktionstragenden aus Politik und Verwaltung Boden gewinnen sollten. Ich will sie in Kooperationssituationen eingebunden sehen. Ich will erreichen, daß wir für gemeinsam gewählte Aufgaben auch gemeinsam Verantwortung übernehmen. Das mag ja in Graz nicht gar so leicht zu bekommen sein, in kleineren Gemeinden ist das selbstverständlich denkbar und machbar.

Außerdem hat unsere praktische Erfahrung gezeigt, daß es unter Wirtschaftstreibenden etliche gibt, die finden an einer Reihe Fragestellungen gleiches Interesse wie wir. Also suche ich mir jene aus, die mit uns gemeinsame Aufgabenstellungen erwägen würden, bei denen wir unser Know how und unsere Ressourcen bündeln können.

Der entscheidende Punkt in dieser Vorgangsweise ist die Modusänderung. Ich gehe nämlich nicht zu Geschäftsleuten und sage zu ihnen: „Gebt’s uns ein Geld, wir machen dann schon!“ Ich sage: „Was können wir uns gemeinsam vornehmen? Welche Rolle im regionalen Kulturgeschehen könnt Ihr Euch vorstellen, um zu einer Stärkung des kulturellen Klimas beizutragen?“

Klar, das ist ein viel weiterer und aufwendigerer Weg als zu sagen: „Gebt’s uns Geld, wir machen dann schon!“ Es ist eben ein völlig anderer Modus, der von einem anders gewichteten Selbstverständnis handelt. Überflüssig zu betonen, daß wir diesen Weg bei „kunst ost“ schon praktizieren. Deshalb sind unsere Budgetsorgen keineswegs vom Tisch. Das ist nun eben Entwicklungsarbeit. Die verlangt Inputs, bevor sie Profit abwirft. Nein, halt! Es gibt ja auch immateriellen Profit; der hat sich längst eingestellt.

Zu dieser Entwicklungsarbeit gehört hier in der Provinz auch ganz wesentlich die Klärung der Frage, wie sich längerfristig das Ehrenamt zum Hauptamt verhalten soll, wie sich öffentliche Mittel und Sponsorengelder mit den Früchten unbezahlter Arbeit kombinieren lassen, ohne permanent Spannungen zwischen Akteurinnen und Akteuren zu erzeugen.

Orientierungs-Kniffligkeiten: Und wenn das Pferd blöd schaut, waren vielleicht gerade mehr Häuptlinge als Indianer am Werk.

Die letzten Jahre der Praxis haben nämlich gezeigt, daß oft jene, die am allerwenigsten etwas zum größeren Ganzen beitragen, am lautesten nach Zugriff auf lukrierte Gelder verlangen. Bei unseren Projekten haben manchmal jene, die am geringsten für Akquise, Öffentlichkeits- und Überzeugungsarbeit zur Verfügung stehen, am heftigsten nach Anteil an errungenen Geldmitteln verlangt.

Die Gemeinde soll, die regionale Wirtschaft soll, der soll und die soll, das sind alles keine brauchbaren Ausgangspunkte für eine kontinuierliche kulturpolitische Entwicklung und für einen Aufbau von adäquaten Strukturen. Der Modus, den wir bei KWW [link] herausgearbeitet haben, erscheint da wesentlich vielversprechender:
1. Frage: Gibt es Fragestellungen, die uns gemeinsam interessieren?
2. Frage: Welche Aufgabenstellungen können wir aus Schnittpunkten ableiten und gemeinsam bearbeiten?
3. Frage: Welche Ressourcen kann jede beteiligte Person/Einrichtung in eine Kooperation einbringen?

Diesen kleinen Fragenkatalog nutze ich stets, ganz egal, ob ich mit Leuten aus einer Gemeinde, einer Firma, einer Kulturinitiative oder Einzelpersonen zu tun habe. Ein Arbeits-Auftakt im Konsens zu diesen Fragen kann viel Positives nach sich ziehen. Mir ist dagegen noch nie aufgefallen, daß die wechselseitigen Zurufe von Forderungen uns Konsens und Geschäftsabschlüsse gebracht hätten…

Was mir nötig erscheint? Stichhaltige Befunde des Status quo unter Vermeidung üblicher Wanderlegenden. Klare Schlußfolgerungen, Handlungspläne und Praxisschritte. Leistungsfähige Kooperationen, mindestens um die verknappten Ressourcen besser nutzen zu können. Seriöse Präsenz in öffentlichen Diskursen.

Das halte ich für eine unverzichtbare Grundausstallung, die je nach Position und Bezugsrahmen noch diverse Ergänzungen verlangt.

[überblick]

Wovon handelt Kulturpolitik? #15

Kulturpolitik ist selbstverständlich nicht bloß das, was von Leuen aus Politik und Verwaltung ausgeht. Kulturpolitik wird auch durch das konstituiert, was wir Kunst- und Kulturschaffende tun, allenfalls unterlassen.

Daraus folgt zwingend, daß in Zeiten heftiger kulturpolitischer Kontroversen und Diskurse unser eigenes Tun gleichermaßen zur Debatte stehen muß. Aber zuerst etwas Grundsätzliches.

Als Kunstschaffender teile ich mit Leuten aus der Architektur und einigen anderen Genres eine sehr banale Erfahrung. Ich reiche immer wieder da und dort Projekte oder fertige Werke ein, um dadurch eine Bühne betreten oder ein Budget abholen zu können.

Manchmal werden meine Angebote berücksichtigt, manchmal werden sie abgelehnt. Das ist business as usual. Gremien haben ihre Kriterien. Im günstigsten Fall sind diese Kriterien bekannt. Im besten Fall wird eine Ablehnung begründet. Standard ist das aber nicht.

Ich bin noch nie auf die Idee gekommen, daß eine Ablehnung in einer Art Anti-Krusche-Verschwörung begründet liegen könnte. Selbst vor rund einem Jahrzehnt wäre ich, obwohl ich da eine schwierige Zeit erlebte, nicht auf den Gedanken gekommen, die Politik habe mir irgendein Wasser abgegraben.

Kulturpolitische Kontroversen sind oft naheliegend. Dabei bevorzuge ich das Prinzip "Nennen Sie Ihre Gründe!"

Ich hatte wegen einer klaren Urheberrechtsverletzung seitens der steirischen ÖVP der damaligen Landeskulturreferentin und Landeshauptfrau Waltraud Klasnic einigen Kummer bereiten müssen: [link] Ergänzend: [link] (Nicht gerade vorteilhaft für einen steirischen Künstler.)

Ich möchte prinzipiell davon ausgehen, daß politisches Personal durchaus in der Lage ist, Kontroversen und Konflikte zu bestehen, ohne deshalb die Existenz eines Opponenten zu beschädigen.

Ich habe freilich auch schon anderes erlebt. So hat etwa im Jahr 2009 ein Weizer Funktionärsgespann definitiv versucht, mich a) als Kulturschaffenden nachhaltig zu diskreditieren und b) existentiell in den Graben zu fahren: [link]

So etwas kommt vor. Deshalb fiele es mir trotzdem nicht ein, das gesamte Metier unter Generalverdacht zu stellen. Schon allein aus dem simplen Grund, weil dann keinerlei Kooperation mehr denkbar und machbar wäre.

Unter meinen steirischen Kolleginnen und Kollegen hat sich in jüngster Vergangenheit einiges an Generalverdachtsneigungen zusammengebraut. So wird etwa die Kultur- und Förderungspolitik recht ausdauernd kritisiert und mit zum Teil extrem kreditschädigenden Unterstellungen bedacht. Daran ist mindestens folgendes kurios.

Dieses Unterstellungskonzert behauptet ja IMPLIZIT, daß der ganze Förderbeirat, wie er unter dem Vorsitz von Heimo Steps bestand, samt den zusätzlichen Fachbeiräten, korrupt gewesen sei und sich Zurufen aus der Landespolitik dienstbar gemacht hätte.

Diagonale-Intendantin Barbara Pichler

Explizit war das für mich nie zu hören, aber die Unterstellung stand im Raum. Das würde ja nach wenigstens einfachsten Belegen verlangen. Ich kenne aber keine. In solcher Tonlage geht es allerdings an verschiedenen Ecken weiter. Eben habe ich ein Glanzstück derlei Unterstellungsmanier entdeckt. Filmemacher Heinz Trenczak mußte erleben, daß zwei seiner Dokumentarfilme nicht für die kommende „Diagonale“ [link] ausgewählt wurden.

Prompt folgte in einem offenen Forum auf Facebook der Korruptionsvorwurf mit der Unterstellung, Intendantin Barbara Pichler hätte seine Filme ausgeschlagen, um das Land Steiermark als Fördergeber nicht zu brüskieren. Ich möchte prinzipiell davon ausgehen, daß die zuständigen Politiker kein Problem mit der Sichtbarkeit dieser Filme haben. Und Pichler?

Diagonale – Chefin Barbara Pichler hat meines Wissens einen makellosen Ruf. Wenn also unter Kulturschaffenden eine Kollegin so fundamental diffamiert wird, sollte das nicht ohne Belege laufen. Wer so eine Unterstellung nicht belegen kann, würde als infame Person gelten müssen. Da ersuche ich also um Auskunft, wie die Dinge liegen!

[überblick]

Läßt sich der Korruptionsvorwurf auch belegen?

Wovon handelt Kulturpolitik? #14

Künstler Karl Grünling hat in der „Kleinen Zeitung“ vom 7.2.12 ein paar Überlegungen zur kulturpolitischen Lage der Steiermark vorgelegt, die interessante Anregungen für eine aktuelle Debatte sein könnten. Mit den drei Bereichen der (Aus-) Bildung, Produktion und Vermittlung im möglichen Zusammenhang hält er sich gar nicht erst auf. Grünling spricht für die wirtschaftlichen Fragen von uns Kunstschaffenden. Seine Forderung: Mehr Direktförderung, weniger Funktionärswesen.

(Quelle: Kleine Zeitung)

Ich denke allerdings nicht, daß sein Befund ausreichend stichhaltig ist. Prinzipiell steht es ja jeder Einzelperson frei, zum Beispiel beim Land um eine Förderung vorstellig zu werden. Es gibt momentan einen neu besetzten Förderbeirat, dessen Tun wir noch nicht genau kennen, weil er in dieser Form ganz jung ist: [link]

Aber dem früheren, unter dem Vorsitz von Heimo Steps, wird man nicht vorwerfen können, er habe sich von der Politik zurufen lassen, was er tun solle. Wer also auf ein Förderansuchen negative Antwort bekam, das Recht auf Einspruch und Anhörung genutzt hat, wer dann dennoch ohne Zusage blieb, wird wohl akzeptieren müssen, daß ein bestimmtes Vorhaben zu dem Zeitpunkt nicht durchzubringen war. Das ist in jedem Metier ein ganz normaler Vorgang.

(Quelle: Kleine Zeitung)

Grünling meint, so würden wir an die Programmatik diverser Institutionen angepaßt. Sehen wir einmal davon ab, daß künstlerische Arbeit seit wenigstens fünftausend Jahren unter genau diesen Bedingungen stattfindet, daß nämlich Auftraggeber Interessen äußern. Auch das ist völlig normal und war nie anders. Man kann es sich freilich anders wünschen. Das hieße zum Beispiel, nicht für den Markt zu produzieren. Etliche Kunstschaffende haben diesen Weg gewählt. (Ich etwa.)

Was genau wäre nun wünschenswert? Zwei Wege der direkten Finanzierung von Kunstschaffenden sind gut eingeführt: Die Bestellung von Auftragswerken und Ankäufe. Dem könnte sich auch der Staat widmen. Halt! Tut er ja. Sollte es mehr Budget dafür geben? Welche Vergabe-Modi wären dabei vorteilhaft?

Beides müßte entsprechend begründet werden, denn daß a) die Marktsituation für Kunstschaffende in Österreich katastrophal ist, wissen wir ebenso wie daß uns b) die verfügbaren Budgets als zu klein erscheinen. Ein „Bitte mehr von all dem!“ fällt also in den Bereich „No na!“ und ist daher eine Null-Aussage.

Blieben noch einige andere Optionen. Stipendien? Gibt es. Ein lebenslanges Stipendium? Eine fixe Anstellung? Ein geschützer Arbeitsplatz? Das müßten Kunstschaffende schon aus Prinzip ablehnen. Die historischen Beispiele dafür sind eher beunruhigend bis abschreckend.

(Quelle: Kleine Zeitung)

Von der Einengung und der Gängelung ist unter meinen Kolleginnen und Kollegen oft die Rede. So auch hier. Aber wodurch soll die denn möglich sein? Wer kann mir mein Tun diktieren? Wer ZWINGT mich zu Kompromissen im Werk? Ja, ich weiß, die Marktlage kann nicht ignoriert werden, wenn man auf dem Kunstmarkt sein Brot verdienen will.

Aber das bedeutet bloß, ich werde mich dem entziehen, wenn mir da Bedingungen winken, die ich unakzeptabel finde, wenn mir meine künstlerische Freiheit geschmälert werden soll. Es gibt tausend andere Tätigkeiten, die mir Geld einbringen können und es mir ermöglichen, meine künstlerische Freiheit zu verteidigen.

Moment! Da ich Künstler bin, möchte ich mich freilich auch von meinem künstlerischen Werk ernähren können und sollte dabei nicht auf andere Tätigkeiten angewiesen sein. Gut. Aber ich will dabei keine Zurufe vom Markt entgegennehmen? Schwierig! Und eine Abnahmegarantie gibt es in keiner Branche, so natürlich auch nicht auf dem Kunstfeld. Was wäre der Ausweg?

Grünling nennt eine Option. Ein „eigenes Kulturbudget“, welches Kunstschaffenden direkt zugute komme. Das wäre also ein Splitting des bestehenden Kulturbudgets in ein a) Kulturbudget und ein b) Kunstbudget. Ist das so gemeint? Ist das machbar? Ist das wünschenswert? Das Kunstbudget wäre dann nur der primären Kunstproduktion gerwidmet, keinen anderen Aspekten wie Vermittlung, Diskurs etc.

Wer darf oder soll folglich im Bereich dieses Kunstbudgets einkommen? Nach welchen Kriterien soll jemand als kunstschaffende Person anerkannt werden? Vor allem von wem? Welches Gremium wäre dafür zuständig? Vielleicht ein Förderbeirat zuzüglich Fachbeiräte? Die haben wir ja schon. (Und der Modus ist seit dem 2005er-Kulturförderungsgesetz nicht übel.)

Wer würde sich mit den verbleibenden Mitteln eines Kulturbudgets um (Aus-) Bildung plus Vermittlung kümmern, um Kuratorien, Diskurs, Reflexion, kunsthistorische Texte etcetera? Oder regeln wir das selbst, weil wir ja die Berufendsten wären und weil es da schließlich um UNSER Berufsfeld geht? Nein, wir sollten uns eigentlich primär der Kunst selbst, der Kunstproduktion widmen. Aber wer bezahlt uns das? Der Markt? Der Staat? Ja. Nein. Beide und alle. Sonst noch wer?

Kurz, mir ist völlig klar, was Grünling meint. Und könnte ich das haben, wäre es fein. Angenehm. Aber das ist auch leicht dahingesagt. Jetzt möchte ich allerdings gerne wissen, wie dieser Modus genau aussehen würde. Dann wüßte ich schon etwas mehr, was wir konkret mit den Leuten aus Politik und Verwaltung verhandeln müssen.

Post Scriptum:
Wir haben nun die ersten Februar-Tage und nichts, absolut nichts, belastet meine Existenz als Künstler so sehr wie Modus und die Höhe der Beiträge, über die ich an Finanzamt und Sozialversicherung gekettet bin. Das wurde nämlich gerade wieder für das erste Quartal im neuen Jahr amtlich ausformuliert und schnürt mir den Hals ab.

Ich möchte also, etwas polemisch, anfügen:
Um das laufende Geschäft kümmere ich mich schon, wenn die Politik uns den Rücken stärken möchte, daß die Finanz- und Sozialreglements einer Kunst-E-M-U mit prekärer Marktsituation angemessener wären.

Immerhin sind rund 60 Prozent der Betriebe Österreichs „Einmannunternehmen“, wobei wir Kunstschaffende mit materiellen und immateriellen Gütern arbeiten, deren Marktwert und Sozialprestige einen kulturellen Status quo des Landes reflektieren, der so problematisch ist, wie es Grünling ja andeutet.

[überblick]

Wovon handelt Kulturpolitik? #13

Wenn wir im Kulturbereich Boden gewinnen möchten, sollten wir in der Lage sein, den Status quo realistisch zu betrachten und darzustellen. Das betrifft natürlich auch die Selbsteinschätzung, denn jene, die uns in kulturpolitischen Verhandlungen gegenüber stehen, verzichten ja keinesfalls darauf, uns so oder so einzuschätzen. Wir sollten demnach allfällige Diskrepanzen dieser Ansichten erörtern können.

Unsere Praxis zeigt außerdem, daß es vorteilhaft ist, wenn uns die anderen Positionen nicht egal sind, wenn wir uns über angemessenes Interesse brauchbare Eindrücke verschaffen können, was die Prioritäten, Codes und Reglements jener Metiers sind, mit denen wir aus sachlichen Gründen zu tun bekommen.

Kulturpolitische Froststarre? Sicher nicht!

Kleiner Eischub: Wenn ich hier „wir“ und „uns“ schreibe, meine ich Kunst- und Kulturschaffende im Sinne eines Metiers, eines Berufsfeldes, NICHT im Sinne einer bestimmten „Szene“.

Ich möchte deutlich machen, daß ein kulturpolitischer Diskurs nicht nur von uns und unseren Prioritäten handeln kann, weil ja unser Tun von anderen Bereichen mitbestimmt wird, stellenweise abhängig ist. Wir können also nicht bloß über Positionen reden, wir müssen uns auch mit den Relationen (zwischen verschiedenen Metiers) befassen.

Ich finde genau an diesen Schnittpunkten oft ein schlampiges Reden über eine „Freiheit der Kunst“. Doch diese Freiheit ist meines Wissens inhaltlicher Natur, was die Kunstwerke selbst angeht, sie ist nicht als soziale Kategorie eingeführt. Wir müßten ja sonst entweder eine quasi aristokratische Existenz anstreben, die sich materiell völlig auf Kosten anderer ereignet oder wir müßten „geschützte Arbeitsplätze“ wünschen, an denen wir von herkömmlichen Anforderungen, wie sie werktätige Menschen meist kennen, weitgehend freigestellt sind.

Ich teile die vehemente Forderung nach angemessener Bezahlung von Kunst- und Kulturschaffenden. Dazu müssen wir freilich sehr konkret klären, WOFÜR wir bezahlt werden sollen. Ich denke, anders ist das nicht verhandelbar.

Ich hab am Beispiel des aktuellen kulturpolitischen Diskurses, der rund um das Grazer Künstlerhaus entstanden ist, skizziert, daß diese Diskussionen in der Steiermark überwiegend, wenn auch nicht ausnahmslos, hinter sich selbst herhinken. Damit meine ich, was viele Kunst- und Kulturschaffende dazu gerade äußern, erreicht nicht einmal das Level jener Papiere, die schon verfügbar sind und der steirischen Politik an mehreren Stellen übergeben wurden: [link]

Man mag darüber spekulieren, woran das liegt. Mich schert diese Frage am allerwenigsten. Es muß einem in einer Demokratie freistehen, aus gemachten Überlegungen genau KEINE Schlüsse zu ziehen, diesen fehlenden Schlüssen daher KEINEN Handlungsplan nachzureichen und in der Folge NICHT zu handeln, sondern weiterhin vor allem bloß zu sudern.

Ich hab bei meiner einschlägigen Themenleiste im Web (“kunst.rasen“) schon vor einer Weile eine Liste mit Links publiziert, auf der die wichtigsten Quellen zusammengefaßt sind: [link] Im oben erwähnten Artikel zur Lage findet sich folgende Empfehlung:

„Ich weiß, ich weiß, das Lesen kostet Zeit, Zeit ist kostbar. Aber lassen Sie mich phantasieren. Jemand verwendet einen Nachmittag, einen einzigen mickrigen Nachmittag, auf eine flüchtige Lektüre der hier genannten und leicht verfügbaren Dokumente. Zum Beispiel auf einem bequemen Sofa ruhend, zum Beispiel bei Kaffee und Kuchen.

Das würde nach meiner Meinung tatsächlich genügen, um sich kulturpolitisch einigermaßen auf die steirische Höher der Zeit hin zu bewegen.

Zurück zur Frage der Begegnung mit Leuten aus anderen Metiers und zu Fragen der Kooperation. Das ist für mich nämlich eines der Schlüsselwörter, wenn wir a) aus den Posen gebeugter Bittsteller und b) aus den Verknappungen durch jüngste Krisenfälle herauskommen wollen. Kooperation als die Grundlage von Kofinanzierung statt Förderung.

Ich meine, der Begriff Förderung impliziert ein GEFÄLLE, der Begriff Kooperation setzt Augenhöhe voraus. Über welche Fragen und Schritte lassen sich Augenhöhe, Kooperation, folglich da und dort Kofinanzierung erreichen? Das beschäftigt uns zum Beispiel im Arbeitsbereich „Kunst Wirtschaft Wissenschaft“: [link]

(Quelle: Kleine Zeitung)

Künstler Gerhard Flekatsch hat eben ein Fazit aus unserer zweiten Session zusammengefaßt: „Fliessende Identitäten und veränderbare Beziehungen“ [link] Wir waren davon ausgegangen, daß verschiedene Berufsgruppen permanent mit der Begrifflichkeit „regionale Identität“ laborieren und wollten genauer herausarbeiten, was sichtbar wird, wenn man in diese Geschichte tiefer reingeht.

Flekatsch: „Vom individuellen Selbstverständnis, über unterschiedlichste Identifikationsangebote, die Relativität überlappender Kollektiv-Zugehörigkeiten oder über die Modelle der Konsumation gegenüber der Partizipation, kristallisierte sich immer mehr heraus, dass Identität ein Ensemble von Relationen und ein Prozess ist – dass wir Identität als ständigen Fluss begreifen müssen.“

Fußnote: Hier ist mein Intro als Soundfile von neun Minuten: [link] Das soll deutlich machen, wovon wir ausgegangen sind. Nun bereiten wir gerade die dritte Station vor, die wieder öffentlich zugänglich sein wird.

Es geht mir hier aber noch um ein anderes Gefälle als bloß das soziale zwischen Kulturleuten und jenen aus übrigen Metiers. Jenes zwischen Landeshauptstadt und Regionen, wie es sich nicht nur im Denkschema „Zentrum/Provinz“ ausdrückt, sondern auch in einer Asymmetrie der Mittel und Möglichkeiten. In den letzten Jahren habe ich öfter notiert: „Provinz war gestern!“ Jetzt meine ich, daß wir uns das Wort Provinz zurückholen und es neu konnotieren sollten.

[überblick]

Wovon handelt Kulturpolitik? #12

Kunstschaffende, die rein aus ihrer Kunstproduktion ein annehmbares Jahreseinkommen erwirtschaften, sind in Österreich die Ausnahme. Solche Leute können sie in vielen Genres mit der Lupe suchen. Es bleibt ein Rätsel, warum genau dieser Typ von Professional das dominante Rolemodel der Branche sein soll und überdies noch mit allerhand moralischen Implikationen behängt wird.

Viele Berufsgruppen kennen Freelancers. Der „freischaffende Künstler“ ist in Österreich bloß eine Variation und auf dem Feld der Kunst keineswegs das Hauptereignis. Leute von Rang haben zum Beispiel Lehraufträge; wie etwa Brigitte Kowanz oder Niki Passath an der Angewandten in Wien.

Der Weizer Maler Hannes Schwarz

Die FH bietet auch attraktive Anstellungen, wie in Graz beispielsweise Melitta Moschik eine inne hat, oder Lehraufträge, wie Jörg Vogeltanz einen pflegt. Auch auf der TU kann man fündig werden. Der Universitäre Bereich ist ebenfalls ein sicherer Hafen für Künstler. Dichter Alois Hergouth, ein Mitbegründer des „forum stadtpark“, war am Institut für Volkskunde an der Universität Graz beschäftigt. Außerdem verdienen an zahlreichen Mittelschulen Künstler ihr Brot. Hannes Schwarz, der bedeutenste lebende Maler der Oststeiermark, ebenfalls ein „forum stadtpark“-Gründer, war Jahrzehnte als Lehrer tätig. Im Bereich der Literatur kommt das genauso häufig vor.

Von Alfred Kolleritsch bis Wolfgang Pollanz reichen Beispiele der Lehrer, die auf solche Art von den drückendsten existenziellen Lasten befreit sind und etwa über eine verminderte Lehrverpflichtung Zeit für ihr kulturelles Engagement finden. Bildungseinrichtungen aller Art bieten solche Beispiele. Aber auch Politik und Verwaltung haben Jobs für Kunstschaffende. Andrea Wolfmayr war beispielsweise Nationalsratsabgeordnete und ist heute im Kulturamt der Stadt Graz tätig.

Medienkünstler Niki Passath

Ökonomisch erfolgreiche Freelancer wie Thomas Glavinic sind die Ausnahme. Selbst eine bedeutende Größe der österreichischen Literatur wie H.C. Artmann hat zum Lebensabend materielle Probleme gekannt und durfte sich dafür noch von einem Schnösel wie Jörg Haider vorführen lassen.

Das heißt also unterm Strich, daß Freelancers den geringeren Teil der Kunstschaffenden ausmachen. Unter ihnen, und dafür bin ich selbst ein Beispiel, bemühen sich viele, in kunstnahen Bereichen Geld dazuzuverdienen, weil sich aus nur künstlerischer Praxis kein adäquates Jahreseinkommen ausgeht.

Viele Kunstschaffende üben Brotberufe aus. Recht häufig sind auch Ensembles wie der freischaffender Künstler und die Lehrerin etc., also Ehepaare, bei denen ein Part über ein fixes Einkommen verfügt und dem anderen Teil entsprechenden Freiraum sichert.

Viele Menschen haben nicht einmal die Spur einer zutreffenden Vorstellung vom österreichischen Kunstbetrieb. Da gab es vor Jahren eine Veranstaltung in Weiz, zu der ich eingeladen war, in einer Debatte über die Bedeutung Kunstschaffender in dieser Gesellschaft mitzuwirken. In der Runde saß auch Markus Wilfling. Ich erinnere mich noch an das Staunen einiger Gäste, als sie erfuhren, daß Wilfling KEIN wohlhabender oder zumindest gut situierter Mann ist, denn „er hat es doch geschafft“.

Künstler Markus Wilfling und Kunsthistorikerin Mirjana Peitler-Selakov

Wir leisten uns in Österreich also ein doppeltes Problem. Einerseits herrschen keine realistischen Auffassungen von realen Berufsbildern auf dem Kunstfeld. Andrerseits tun wir selbst offenbar zu wenig oder kaum Angemessenes, um die vorherrschenden Bilder und Klischees zu korrigieren.

Kein Wunder, daß der kulturpolitische Diskurs entsprechend hinkt und holpert, was allerhand dazu beiträgt, daß die sozialen Rahmenbedingungen Kunstschaffender weitgehend inadäquat sind. (Vor allem im Bereich der Steuergesetzgebung und der Sozialversicherung.)

Es muß einigen sehr verschrobenen psychischen Dispositionen zu verdanken sein, wie gerne verwischt wird, daß Kunstschaffende seit Jahrtausenden vor allem einmal Dienstleister waren. Selbst der große Leonardo befand seine künstlerischen Potentiale nachrangig gegenüber den praktischn Fertigkeiten, die er den Fürsten seiner Zeit anbot, um sein Brot zu verdienen.

Ab der Renaissance kennen wir Traditionen, worin der höfliche Dienstleister teilweise zum sebstbewußten Unternehmer wurde. Superstars des Geschäfts wie Brunelleschi oder Cellini sind freilich Ausnahmeerscheinungen geblieben. Jedenfalls haben sie Wege geebnet, damit der individuelle Künstler, dem eine besondere Aura zugeschrieben wird, sich als Einzelpersönlichkeit im Betrieb profilieren, hervorheben kann. Und nur ausnahmsweise wird er auch großen ökonomischen Erfolg schaffen.

In Österreich sind wir teilweise bei einem romantischen Motiv aus Romanen hängengeblieben. Der Bohemien, die Bohemienne, antibürgerlich aufgestellt, alle „bürgerlichen Werte“ und das „Establishment“ verachtend, um doch niemand anderen als Publikum und als Geldquelle zu haben, denn da ist nur die Bourgeoisie, der sich ein Bohemien mit seiner Attitüde und seiner Kritik widmen kann, von der ihm der Lebensunterhalt bezahlt wird.

Solche Klischees und Ressentiments ergeben Gemengelagen des Diffusen, in denen natürlich überhaupt nicht klar sichtbar wird, welche realen und realistischen Berufsbilder auf dem Kunstfeld zu finden sind und welche Bedarfslagen kulturpolitisch zu verhandeln wären.

Ich meine, wer solche Diffusion mehrt, statt durchschneidet, wer sich in solchen Unschärfen geborgen fühlt, statt aus ihnen herauszutreten, ist natürlich verurteilt, in diesen prekären Verhältnissen hängen zu bleiben.

Eine Kulturpolitik, die nicht bloß der Funktionärswelt überlassen ist, sondern auch von der Elgenverantwortung Kunststschaffender getragen wird, müßte solcher Diffusion eigentlich energisch entgegenwirken. Siehe zu diesen Überlegungen auch: „Wovon lebt der Krusche?“ [link]

[überblick]

Wovon handelt Kulturpolitik? #11

Kulturpolitik ist selbstverständlich nicht bloß das, was uns Politik und Verwaltung servieren. Es ist auch das, was wir als Metier, als Berufsstand, von uns aus thematisieren, forden, durchsetzen. In letzter Zet weist allerhand darauf hin, daß gewissermaßen ene Ära endet. Was Ende der 1970er-Jahre erprobt und schließlich als „Initiativenszene“ eigeführt, etabliert wurde, kann als soziokulturelle Innovation nun offenbar im Archiv vermerkt werden. Irgendwie scheint es Zeit zu sein, sich selbst und den Lauf der Dinge neu zu bechreiben.

Unterschiedliche Begehrlichkeiten, die sich auf das Grazer Künstlerhaus richten, haben deutlich gemacht, daß die Branche eine aktuelle kulturpolitische Debatte vertragen könnte. Was davon bisher in steirischen Medien angekommen ist, stammt hauptsächlich von Leuten der Vermittlung. Kohärente Beiträge von Kunstschaffenden fehlen vorerst weitgehend. Siehe dazu: [link]

Woran mag das liegen? Diese Frage habe ich gestrichen, denn, wie der Volksmund sagt: „Wer nicht will, der hat schon“. Es ist einigermaßen kurios, daß eine ganze Berufsgruppe zu den Bedingungen ihrer Profession eher nichts zu sagen hat, obwohl diese Bedingungen so schlecht sein sollen wie lange nicht.

Die Debatten um Kunstfinanzierung aus öffentlichen Mitteln sind stets neu notwendig. Die Gründe dafür wollen jeweils zeitgemäß genannt und diskutiert werden. Eigentlich wären wir spätestens ab Februar/März 2010 gut beraten gewesen, diese Debatten in Gang zu bringen. Vor nun fast zwei Jahren war in der Branche vollkommen klar, daß auf Landesebene Kürzungen im Ausmaß von 25 bis 30 Prozent anstehen.

Verfügbare Mittel aus dem Bereich „Kulturförderung“ müssen auf wenigstens drei Bereiche verwendet werden: Bildung, Produktion und Vermittlung. Außerdem wären sehr praxisbezogene Diskurse über das Verhältnis „Gesellschaft, Kunst, Kultur“ hilfreich, um zu klären, aufgrund welcher Interessenslagen auch andere Genres und Förderstellen mit ihren Ressourcen etwas zur Stärkung des Kulturbetriebes beitragen könnten.

Wenn wir Kunstschaffende dazu keine elaborierten Vorstellungen auf den Tisch bringen, wer sollte das Thema für uns betreuen und die möglichen Aufgaben bearbeiten? Finde ich derlei Angelegenheiten berücksichtigt, wenn ich etwa den Ansprüchen rund um das Künstlerhaus Graz folge und auf den Websites der verschiedenen Prätententinnen und Prätententen Nachschau halte? Leider nein.

IG Kultur Steiermark oder KIG: Kultur in Graz („Plattform für interdisziplinäre Vernetzungsarbeit, mit Veranstaltungskalender und Diskussionsforum“) lassen mich ratlos. Verbände wie Werkbund, Sezession etc. haben zu derlei Fragen nichts zu sagen. Einzelne Kunstschaffende exponieren sich nicht. Literatur, Musik, bildende Künste, Theater, keine Ahnung, welche Positionen da präsent sind.

Der kosovarische Maler Milaim Avdiu

Bei unseren südslawischen Nachbarn ist mir im letzten Jahr ein vermehrtes Aufkommen des weißen Kreuzes auf schwarzem Grund aufgefallen. Das verweist auf den Kanadier Simon Brault und seine Streitschrift „No Culture, no Future“.

Noch südlicher, beim kosovarischen Maler Milaim Avdiu, stieß ich kürzlich auf einen sehr interessanten Text von David Edgar, der im britischen Guardian publiziert wurde: „Why should we fund the arts?“ [link] Darin bezieht sich Edgar unter anderem auf das Buch „What Good Ar the Arts?“ von John Carey.

An diesen Autoren und Texten finde ich unter anderem ein brisantes Thema sehr interessant: Es weist einiges darauf hin, daß der Nutzen, den die Befassung mit Kunst erbringt, sehr viel mehr in der Partizipation liegt als in der Konsumation. Das heißt, traditionelle bürgerliche Kunstvermittlung in diversen Präsentationsformen, wo hier Kunstereignis und da Publikum aufgestellt sind, mag für Kunstschaffende komfortabel erscheinen, es rechtfertigt aber etliche Argumente der Kunstförderung nicht ausreichend.

Edgar: “And John Carey – whose 2004 book What Good Are the Arts? is a 300-page philippic against the arts having any educative role whatsoever – finds himself impressed by the success of arts activities in building self-confidence and self-esteem among young prisoners. A recent Europewide study of 5,000 13- to 16-year-olds found that…“

Natürlich können sich Kunstschaffende den Fragen nach solchen Zusammenhängen entziehen, denn prinzipiell müßte ich mich nur der Kunst, ihren eigenen Regeln nd Aufgabenstellngen verpflichtet fühlen. Allerdings wird dann mein Katalog kulturpolitischer Argumente schlagartig sehr schmal.

Standortfragen des Aufenthalts zwischen Konsumation und Partizipation, das berührt sehr grundsätzliche Fragen von Gesellschaften zeitgemäßer Demokratien. Falls zukünftige Begründungen für Kunstförderung stärker auf Formen der Partizipation ausgerichtet sein sollen, müssen auf jeden Fall neue Versionen der Kunstpräsentation und -vermittlung zur Debatte stehen, was freilich auch Konsequenzen für das berufliche Selbstverständnis Kunstschaffender nach sich ziehen dürfte. Bohemiens, Genies, Salon-Rebellen, das sind heute eher Kategorien des „lebenden Museums“.

In den Post-Kriegs-Gesellschaften des Balkans sind meine Kolleginnen und Kollegen offenbar gerüstet, solche Debatten zu führen. Und sie blicken dabei auch zu anderen Gesellschaften rund um den halben Erdball. Welche Aspekte des Geschehens haben da Priorität? Gegen welche Einwände und auch Ressentiments muß Stellung bezogen werden?

Einer der wichtigsten Fragenkomplexe ist hier noch gar nicht erwähnt. In welchen Berufsbildern (be-) finden wir uns heute? Was heißt es konkret und in sozialen Kategorien, in Österreich Künstlerin, Künstler zu sein? Was verlangen wir dabei von uns und was von anderen? Wie soll demnach unser Berufsfeld sich zu anderen Metiers verhalten? Was ist in solchen Zusammenhängen heute kulturpolitisch verhandelbar und welche Konsequenzen müßte das sozialpolitisch haben?

Siehe dazu auch:
+) Durchgeknallte Selbstverwirklicher
+) Boulevardisierung des Kunstbetriebes?

[überblick]

und dann 2050? #9

Ich bin ein Feind der Phrasendrescherei. Sie macht mir die Rufenden suspekt. Ich mißtraue jenen, die ihre Gründe nicht zu nennen bereit sind. Und wie sollten gute Gründe in beliebig befüllbaren Containersätzen verborgen sein? Was sollen abgenutzte Floskeln verdeutlichen? Es mag ja sein, daß Marktschreierei diesem oder jenem Geschäft sehr nützlich ist. In meinem Geschäft schadet sie.

Wir haben gerade ein Jahr der Klärungen durchlaufen. Klar ist vor allem, daß aktuell eine Menge Klärungsbedarf besteht. Wofür sollen sich Kunst- und Kulturschaffende selbst zuständig fühlen? Was haben sie mit Politik und Verwaltung zu verhandeln? Wie soll sich der Kulturbetrieb in unserem Bereich zur Privatwirtschaft verhalten?

Ich beziehe solche Fragen primär auf den Bereich jenseits des Landeszentrums, auf die sogenannte „Provinz“. Das hat mit kpmplexen Räumen und mit Wegstrecken zu tun, auch mit strukturellen Differenzen. Das hat mit großen Unterschieden der Milieus zu tun.

Wir haben hier, auf dem Lande, keinen Bevölkerungsanteil, der – ausreichend kulturaffin – ein Stück Grundkonsens verkörpern würde, daß es ein lebhaftes kulturelles Klima geben muß, welches angemessene Ressourcenausstattung verlangt. Was hier an nennenswert Kulturinteressierten wohnt, pendelt gerne in die nächsten Zentren, um Interessen zu befriedigen. Graz, Maribor, Wien …

Wir haben keine Kulturreferate und Kulturbeauftragten, die Kahlschläge von minus 70 bis minus 100 Prozent im Kulturbudget als ein ernstes Problem im Gemeinderat behandeln würden. Vieles weist drauf hin, daß es da und dort genau umgekehrt ist, daß bestehende Kulturbudget wird als Problem verstanden, seine Abschaffung als politische Leistung angesehen. Ich gehe noch weiter: Niemand hat uns gerufen. Niemand würde beklagen, wenn wir als Kulturschaffende demissionieren wollten.

Daß erfahrene Leute den realen Bedarf, auch auf dem Lande, ganz anders einschätzen und bewerten, gehört zu den gut gehüteten Geheimnissen unseres Metiers. Daß nun langsam Defizite der Regionalenwicklung offensichtlich werden, die auf soziokulturelle Mankos hinweisen, beginnt manchen aufzufallen. Mit Phrasendreschen und Marktschreierei wird nun in solchen Fragen nichts zu erreichen sein.

Was bedeutet nun „Professionalität“ in unserer Profession? Wie kommen wir vom Modus Förderung zum Modus Kooperation? Wie soll unser Verhältnis zur Privatwirtschaft angelegt sein? Wie mögen sich Ehrenamt und Hauptamt zu einander verhalten? Und als inhaltlicher Angelpunkt: Was ist die Gegenwartskunst im Kontrast zu anderen Genres?

[2050: übersicht]

Wovon handelt Kulturpolitik? #10

Ich darf kurz daran erinnern, daß ich den Begriff „Politik“ auf kulturgeschichtliche Art deute. Ursprünglich wurde darunter ein Wechselspiel zwischen „Polis“ und „Politiké“ verstanden, also (in heutiger Sprachregelung) zwischen Gemeinwesen und der Welt Funktionstragender.

Das war bloß in der Antike auf beiden Seiten eine gebildete und wohlhabende Minorität gegenüber einer Sklavengesellschaft. Heute sind wir ALLE zur Partizipation eingeladen, eigentlich: gefordert.

Zu diesem Verständnis von einem Wechselspiel zwischen Gemeinwesen und der Welt Funktionstragender bewegen wir uns aktuell ja, wenn wir aus den Gemeindestuben den Ruf nach BürgerInnenbeteiligung vernehmen, wenn Regionalentwicklung sich vor allem auch „bottom up“ ereignen soll. Regional bearbeiten wir so etwas zum Beispiel gerade im Themenbereich „Vision 2050“: [link]

In der allgemeinen Wahrnehmung und in gängiger Berichterstattung sind Kunstveranstaltungen, vorzugsweise Ausstellungen, vor allem als gesellschaftliche Ereignisse betont; und darin wiederum als „Präsentationsfläche“ für die Lokalpolitik. Das ist nicht an jedem Ort so, aber es ist ein dominantes Modell.

Damit offenbart sich dieser Modus als ein Kommunikationsmodell, das vor allem etablierten Deutungseliten zuarbeitet. Vom alten Hierarchieverständnis, das in regionalen Ortschaften Bürgermeister, Pfarrer, Arzt und Lehrer hervorhob, ist hauptsächlich das (lokal-) politische Feld als zelebrierbar geblieben. Dabei drängt sich im Extremfall alles ins Blickfeld, was einen Anspruch auf erhöhte Wahrnehmung durch die Bevölkerung pflegt. Das inkludiert gelegentlich sogar einen „Bürgermeister außer Dienst“, also jemanden, der genau NICHT Bürgermeister ist und demnach in solchem Zusammenhang keiner Erwähnung wert.

Ich gebe ein konkretes Beispiel der jüngeren Vergangenheit: Am 25.11.2011 hieß es in der„Woche“ von Hartberg: „Ausstellung Daniela Riedl im 44QM“ [Quelle] Der Text hat 1.284 Zeichen, Leerzeichen eingerechnet. Davon gehen 342 Zeichen, also rund ein Viertel des Textes, an die Aufzählung von Orts-Honoratioren, die ja nicht Thema des Abends und der Ausstellung sind:

>>Anlässlich der Vernissage konnte Kulturstadtrat Ludwig Robitschko neben Bürgermeister Karl Pack auch Bürgermeister außer Dienst Manfred Schlögl, Direktor Friedrich Polzhofer, die Leiterin des Kulturreferates Rita Schreiner, die Betreuerin des der Galerie 44QM Elisabeth Ringhofer sowie die Gemeinderäte Herwig Matajka und Heinz Damm begrüßen.<<

Eine derart ausufernde Okkupation des Raumes in öffentlicher Berichterstattung durch Honoratioren ist unakzeptabel, auch wenn leicht zu begreifen bleibt, daß Politik und Verwaltung mit den Ergebnissen ihrer Bemühungen natürlich öffentlich wahrgenommen werden möchten.

Ich mag es so sehen, daß hier Konventionen walten, Gewohnheiten, die Jahre und Jahrzehnte ohne Einwand geblieben sind. Eine zukunftsorientierte Kulturpolitik sollte auf solche Inszenierungen verzichten. Leute aus der Welt Funktionstragender sollten ihre eigene Rolle ernster nehmen und angemessen entwerfen, sollten auch die Rollen Kunstschaffender ernster nehmen und sie nicht auf die Ebene soziokultureller Transportmittel herunterstufen. In diesem Zusammenhang müßte wohl auch bei der Berichterstattung etwas mehr Orientierung an Inhalten gefordert werden. (Selbstredend, daß sich auch Kunstschaffende nicht den alten Formationen anbiedern sollten.)

In so einer zeitgemäßeren Ausrichtung spricht ja nichts dagegen, sich bei Eröffnungen und Präsentationen das Feld der Sichtbarkeit mit lokalen Funktionstragenden zu teilen. Da dieses Feld nicht grenzenlos ist, sondern eher beengt, eine knappe Ressource, vor allem auch in der Berichterstattung, wäre vielleicht genauer zwischen Politik und Verwaltung zu trennen.

Regionaler Spitzenreiter solcher Unschärfe ist sicher der Kulturbeauftragte G. K., also ein Angestellter, kein Politiker. Blättert man in den Zeitschriften eines Jahrganges, wird man feststellen, daß er sich permanent für die Fotos zurechtstellt, die von Kunstveranstaltungen künden, welche er bearbeitet hat. Seine markanteste Aktion der jüngeren Vergangenheit war ein Foto, auf dem er zu einer Ausstellung ein Bild des Malers in Händen hält, sich so fotografieren und ins Blatt rücken ließ, während der Maler selbst abwesend ist.

Rechnen wir es einmal auf Promi-Ebene hoch, damit deutlich wird, was ich meine. Nikolaus Harnoncourt dirigiert ein Konzert. Nicht der Bürgermeister, nicht der Kulturreferent, sondern ein Angestellter der Stadt, mit der Organisation betraut, läßt sich für die Berichterstattung mit Harnoncourt, ja sogar auch ohne Harnoncourt fotografieren. Das ist irgendwie nicht sehr einleuchtend.

Wir haben also einige Arbeit vor uns, um diversen Rollen und deren Verhältnis zu einander zu klären, um mögliche Neuordnungen solcher Verhältnisse zu erproben.

[überblick]

wovon handelt kulturpolitik? #9

ich habe hier schon erwähnt, daß sich diese in summe wohlhabende gesellschaft ein irritierendes ausmaß an stagnation und kompetenzverlusten leistet. das beschreibt unsere gesellschaft nicht erschöpfend, denn selbstverständlich sind auch andere kräfte im spiel, die durchaus grund zur zuversicht geben. aber die beharrenden momente sind momentan sehr auffällig.

vielleicht liegt eine zwickmühle darin, daß wir alte prägungen noch nicht ausreichend überwunden haben. wer bei den dingen nicht mitreden darf, wird auch keine verantwortung übernehmen wollen. wirft das ein „henne-ei-problem“ auf? ich kenne es nämlich auch umgekehrt und halte es in projekten ganz gerne so: wer keine verantwortung übernimmt, soll auch nicht mitreden.

ich vermute, es sind die erfahrungen von alten, hierarchischen gemeinschaftskonzepten, welche es menschen heute manchmal so schwer machen, die eigenen begehrlichkeiten auch mit ausreichender selbstverantwortung und initiative zu unterlegen. ich hatte zu solchen fragen eben eine interessante debatte in einer anregenden runde. wir waren uns im wesentlichen einig: wenn es so IST, dann nützt es nichts, darüber zu räsonieren. wir sind gefordert, auswege zu finden und auch zu gehen.

rupert rauch (links), mirjana peitler-selakov und horst fickel

ich halte das für den teil einer grundlegenden KULTURPOLITISCHEN debatte. das handelt im kern von fragen der demokratie. denn hier geht es um ideen, wie menschliche gemeinschaft gestaltet werden kann, das stützt sich sehr wesentlich auch auf symbolisches denken, auf unsere ideenwelten. wenn also nicht simples faustrecht vorherrschen soll, bedarf es sehr „kultivierter“ denkweisen, um konzepte zu entwickeln und auch praktisch zu erproben, in denen sich KULTUR zeigt.

die KUNST spielt dabei als — ein radikaler erfahrungsbereich — eine wichtige rolle. sie ist aber nur ein teil dieses größeren ganzen einer sich äußernden kultur, also auch der kulturpolitik. ich habe es schon betont, kulturpolitik muß anders verstanden werden als ein bloßes verteilen von budgets und eröffnen von veranstaltungen. diesde auffassung kann hier in der „provinz“ aber nicht vorausgesetzt werden.

gerhard flekatsch

das heißt folglich, kulturpolitik kann nicht nur die sache von funktionstragenden der politik sein. was das nun konkret bedeuten soll, bearbeiten wir einerseits innerhalb der crew unserer „kulturspange“: [link] das ist andrerseits anlaß für arbeitsgespräche in weiteren formationen.

künstler gerhard flekatsch und kunsthistorikerin mirjana peitler-selakov sind teil der kulturspangen-crew. rupert rauch ist ein bauer aus straden. dieser ort markiert übrigens nach tradiertem verständnis auf dem stradner kogel das südliche ende der oststeiermark. horst fickel ist unternehmer im technikbereich. ein kompetenzen-mix nach meinem geschmack.

was sind also nun zeitgemäße kulturpolitische arbeitsansätze, die vor allem jenseits des landeszentrums beitragen, ein kulturelles klima zu schaffen, das über die alten hierarchischen prägungen hinausweist? was ist ein kulkturelles engagement auf der höhe der zeit, das der kunst ihren rang bestätigt und die eigenverantwortung der menschen betont?

gerhard flekatsch (links) sabine zettl und rupert rauch

das zu klären beschäftigt uns gerade; mit einem fokus auf die oststeiermark, aber auch mit bezug zu anderen landesteilen. im zentrum stehen dabei gegenpositionen zu stagnation und kompetenzverlust. die praxis der eigenverantwortung und eigeninitiative; auch als herausforderung für politik und verwaltung.

p.s.:
horst fickel und sabine zettl sind übrigens in fragen der kochkultur sehr bewandert. diesmal wurde die session durch sabines beitrag zu einem klassischen symposion, einem erlesenen GASTMAHL.

[überblick]