Archiv für den Monat: März 2011

Verbeugung vor dem Leben

Wir nehmen gerne an, das Unglück würde in seinen schlimmsten Spielarten nicht an uns heranreichen. Das ist eine passable Sichtweise, um den Alltag zu bewältigen und sich nicht in latenter Schreckensstarre durch ein Leben zu kämpfen. Aber sollten wir nicht gleichzeitig gerüstet sein, dem Schrecken zu begegnen? Und falls ja, wie ginge das?

Von links: Wolfgang Seereiter, Elisabeth Scharang und Christina Seyfried gaben Gelegenheit, über individuelle Verantwortung für den allgemeinen Lauf der Dinge nachzudenken

In Extremsituationen entscheiden sich manche Menschen für die Liebe, andere für die Verachtung. Regisseurin Elisabeth Scharang besuchte Gleisdorf zu ihrem aktuellen Film Vielleicht in einem anderen Leben. Dieser Besuch wurzelt im Engagement des Lehrers Wolfgang Seereiter („Zukunft braucht Erinnerung“) und fand offene Türen bei Christina Seyfried, die im „Dieselkino“ für die Reihe „Kino anders“ verantwortlich zeichnet. Es lief ein Film, der anderen ästhetischen Erfahrungen verpflichtet wurde, als flotte Mainstream-Unterhaltung. Dazu das reale Kinoerlebnis von Raum (großer Saal) und mächtiger Oberfläche (stattliche Leinwand), worin man sich selbst völlig anderes erfährt als zuhause auf der Couch.

Die Geschichte wird von Scharang sehr ruhig und konzentriert erzählt. Ein SS-Offizier (Alexander Meile) führt ungarische Juden auf einem langen Fußmarsch Richtung Mauthausen in den Tod. Dieser Marsch ist historisch verbürgt und berührte zu Kriegsende auch den Raum Gleisdorf. Der junge Nazi begegnet in einem kleinen Dorf, wo Station gemacht wird, einem hohen Offizier der einst kaiserlichen Armee. Daß der alte Mann (Joachim Bißmeier) später den Selbstmord des jungen „Herrenmenschen“ entdecken wird, ergibt einen sehr zurückhaltenden, aber bissigen Kommentar zur jugendlichen Schnöselpartie der Barbaren unter dem Hakenkreuz. (Es sollte nicht vergessen werden, was wir in der Zweiten Republik als „Buberl-Partie“ von politischer Relevanz kennenlernen durften, hat historische Vorläufer.)

Ob es so angelegt war? Scharang bekennt, daß sie sich in ihrer Bearbeitung des Theaterstücks von Silke Hassler und Peter Turrini manche Freiheit genommen hat, der Geschichte da und dort einen anderen Fokus zu geben. Sie macht in ihrem Werk deutlich, wie nahe in menschlicher Gemeinschaft die Positionen beieinander liegen können, von denen aus Mitmenschen gerettet aus großer Gefahr gerettet oder zu „Gegenmenschen“ degradiert und ausgelöscht werden.

Damit reicht der Appell dieser Geschichte in unsere unmittelbare Gegenwart, weil man nach 90 beeindruckend Minuten ahnt, es könne jeden von uns treffen, sobald die Rahmenbedingungen einer Gesellschaft auf Sturm gebürstet sind. Scharang läßt keinen Zweifel, es liegt an uns selbst, zu entscheiden und zu verantworten, in welchen Verhältnissen wir leben und wir unsere Kinder aufwachsen sehen. Sie meint, es werde bestimmt interessant sein, in 20 oder 30 Jahren Antworten zu hören, wenn jemand fragt, was wir uns heute in Europa zum Lauf der Dinge gedacht haben.

Das karge Leben und das wortkarge Milieu in dem kleinen Dorf erscheinen mir als sehr authentische Darstellung dessen, was gerade noch die agrarische Welt gewesen ist. Es trennen uns bloß wenige Jahrzehnte von diesen lebenslangen Schindereien, die den meisten Menschen ein bloß bescheidenes Auskommen ermöglichten.

Dabei fällt auch diese weitgehende Unfähigkeit der Leute auf, eigene Gefühle auszudrücken. Wer diesen Bereich der Stille durchbricht, kann sich dafür schnell eine Zurechtweisung einfangen. Was muß alles geschehen, damit der Bauer (Johannes Krisch) seiner Frau (Ursula Strauss) sagen kann, es ausspricht, wie sehr ihm der Sohn fehlt, den ihnen der Krieg genommen hat?

Sehr konsequent erscheint der kurz angebundene Ortsgruppenführer (August Schmölzer), dessen Auffassung vom „Feind des Volkes“ sich bloß aus der verbrecherischen Ideologie der Nazi schöpft, während er die reale Begegnung mit den Juden vermeidet. Aus sicherer Distanz, die er für seine Vorurteile braucht, bringt er das Mordgeschäft, in dem der Film gipfelt, zur Vollendung. Diese radikale Art, eigene Düsternis auf andere abzuwälzen, ist nicht aus der Welt, hat sich nicht mit dem Ende des nazistischen Regimes aus unserem Leben verflüchtigt.

So gesehen erzählt der Film „Vielleicht in einem anderen Leben“ von einem äußerst akuten Gefahrenpotenzial, das zu jeder Zeit die passenden Klamotten an hat.

Fußnote: Mit Jean-Claude Larrieu [link] stand Elisabeth Scharang ein herausragenderKameramann zur Seite.

kunst ost in der praxis #5

dieses „april-festival“ ist ein modellhaftes projekt, an dem sich unsere momentan bevorzugte arbeitsweise sehr gut demonstrieren läßt. es wurde in kooperation mit einigen gemeinden der „kleinregion gleisdorf“ realisiert. das ist EINE ebene des geschehens. es wurde auch von lokalen und regionalen wirtschaftsbetrieben unterstützt. das ist eine weitere ebene. es kam jedoch hauptsächlich zustande, weil eine reihe kulturschaffender mehr für das „größere ganze“ getan haben, als sich bloß um die präsentation ihres eigenen oeuvres zu kümmern.

zwei schlüsselpersonen auf einem sitz: malerin irmgard hierzer (mitte) von einer gleisdorfer "location crew" und malerin michaela knittelfelder-lang von der "location crew" in markt hartmannsdorf. (links der puppenspieler werner hierzer)

dabei sind nun zwei arten der kräftespiele entstanden. einerseits hat die inhaltliche ausrichtung des „april-festivals“ zu momenten der kollektiven kreativität geführt. andrerseits haben wir greifbar erlebt, daß sich erhenamtliches engagement mit hauptamtlicher arbeit verknüpfen läßt. nur so war dieses ergebnis, dessen auftakt wir gerade absolvierten, möglich geworden.

angelpunkte solcher entwicklungen sind die „schlüsselpersonen“. das sind menschen, die quasi als verbindungsglieder zwischen allen teilnehmenden des festivals und der „basis-crew“ fungieren. engagierte leute, welche dadurch auch mehr arbeit leisten müssen als jene ürbigen, deren beiträge im „april-festival“ gezeigt werden.

tierarzt karl bauer ist als privatmann schlüsselperson des "tages der agrarischen welt" (wetzawinkel), zugleich als gleisdorfer gemeinderatsmitglied repräsentant der lokalpolitik

was die öffentliche hand angeht, sind teilweise landesmittel zum einsatz gekommen, außerdem hat sich die stadt gleisdorf mehr als andere kommunen mit ressourcen eingebracht.

wirtschaftstreibende sind durch ganz unterschiedliche leistungen mit im spiel, was die fülle des festivals wesentlich abrundet. nichts ist verzichtbar, das mosaik aller beiträge ergibt ein verblüffend leistungsfähiges setup.

der aufwand an privaten mitteln war diesmal untypisch hoch und kann sicher nicht dauerhaft in diesem maße erbracht werden. aber die konkrete erfahrung, was heuer vor dem hintergrund der aktuellen finanzkrisen auf landeseben und in der region möglich wurde, scheint mir sehr ermutigend.

von links: andreas turk, franz lukas und richard mayr; drei gleisdorfer unternehmer, hier nicht als geldgeber, sondern als künstlerische akteure im festival präsent

für die zukunft wird es nötig sein, die ehrenamtlich tätigen schlüsselpersonen teils mehr zu entlasten beziehungsweise mit mehr mitteln und möglichkeiten auszustatten. ich denke, durch die konsequente inhaltliche arbeit und deren effekte, zuzüglich einer noch besseren umsetzungsarbeit – wir lernen ja alle dazu –, könnten sich die kommunen bestärkt fühlen, intensiver mir uns in kooperationen zu gehen.

ein eigener komplex, der noch klärungsarbeit verlangt, ist das angebot an die wirtschaftstreibenden; nämlich nicht im simplen „zweiweg-modus“ als geldquellen zur verfügung zu stehen, sondern aktive rollen im kulturgeschehen der region zu finden.

kulturbüro-mitarbeiterin sigrid meister, kustodin des "museum im rathaus" (hier rechts neben kunsthandwerkerin irmfard eixelberger), repräsenteirt die verwaltungsebene gleisdorfs und hat bei der umsetzungsarbeit des festivals etliche aufgaben übernommen

was die inhaltliche arbeit angeht, kann man die mehrschichtigen prozesse hier ablesen: [link] das werde ich weiterhin forcieren. ich denke, in diesem bereich entstehen nicht nur anregungen für künstlerische und kulturelle beiträge, hier entstehen folglich auch anlässe, durch die sich kommunen und firmen zur kooperation angeregt fühlen mögen.

hier zeigt sich also, wie wir das denkmodell der „drei sektoren“ (1: staat, 2: markt & 3: zivilgesellschaft) in ein praxismodell der kooperartion dieser drei sektoren überführen. ich denke, das ergebnis belegt, daß wir aus eienr situation der (sozialen) schwäche gegenüber den anderen zwei sektoren in eine starke position gelangen konnten. was hier womit verzahnt wurde, werde ich um der transparenz willen hier noch erläutern.

allein die fotos in diesem beitrag mögen erahnen lassen: wo wir eine enge zusammenarbeit von leuten aus 1: politik & verwaltung (staat), 2: regionaler wirtschaft (markt) und 3: privaten kunst- und kulturschaffenden (zivilgesellschaft) erreichen,
+) wächst das gegenseitige verständnis für höchst unterschiedliche zugangsweisen
+) gewinnt das inhaltliche spektrum des festivals und
+) steigt die allseitige akzeptanz der beteiligten für präferenzen aus höchst verschiedenen lebenswelten.

— [übersicht] —
— [april-festival] —

kunst ost in der praxis #4

es macht mir erhebliche freude, daß einige leute der „kunst ost“-community so genau verstanden haben, was zeichen der zeit sind und wie wir einige der defizite kompensieren können, welche uns durch aktuelle sparmaßnahmen verursacht wurden. dieses „april-festival“ ist ausdruck einer aktiven und einfallsreichen reaktion auf die budgetprobleme des landes und der kommunen.

gleisdorfs kulturreferent alois reisenhofer und kulturmanagerin nina strassegger-tipl (kulturreferent ist ein politisches amt, das von einer verwaltungsaufgabe unterschieden werden muß)

das bedeutet definitiv nicht, hier hätten bürgerinnen und bürger sich aufgerafft, politik und verwaltung aus ihren aufgaben zu entlassen. aber wir haben schon vor einer weile begonnen, neue modi und möglichkeiten der kooperation zu entwerfen, zu verhandelt und zu erproben.

im beitrag #2 zum thema „kunst ost in der praxis“ habe ich skizziert, welche situation der gemeinderat uns zeigt. gleisdorf, das muß betont werden, steht augenblicklich – im vergleich zu anderen gemeinden – noch ungewöhnlich gut da. und weil die fraktionen offensichtlich die situation möglichst stabil halen möchten, wurde in einigen bereichen kräftig auf die bremse gestiegen. das haben auch wir schmerzlich zu spüren bekommen.

winfried kuckenberger leitet das gleisdorfer "büro für kultur & marketing", repräsentiert also die VERWALTUNG, während kulturreferent reisenhofer für die POLITIK steht; das sind zwei verschiedene instanzen

auf der anderen seite ist allerdings ein ansatz gegeben, mit politik und verwaltung der stadt neue kooperationsweisen auszuloten. das nimmt uns leider nicht die bürde der erheblichen kürzung von mitteln, von ressourcen. da geht’s also nicht bloß um cash. in der „kleinen zeitung“ war eben zu lesen: „Denn, so Stark, sehr viele Serviceleistungen würden von der Gemeinde freiwillig erledigt, die eigentlich gar nicht Aufgabe der Gemeinde wären.“ gleisdorfs bürgermeister christoph stark bevorzugt klartext; siehe: „Soll die Gemeinde so viel helfen?“ [quelle]

wie läßt sich die veränderung also handhaben? wie lassen sich die aktuellen defizite kompensieren? ich hab im beitrag #3 das denkmodell von den „drei sektoren“ erwähnt: 1) staat, 2) markt und 3) zivilgesellschaft. ich bemühe mich, kooperations-situationen zwischen leuten aus diesen drei bereichen herbeizuführen: 1) politik &/ verwaltung, 2) wirtschaft und 3) privatpersonen, vereine etc.

gemeinderat karl bauer (links) und bürgermeister christoph stark repräsentieren zwei bereiche der politik der stadt

das „april-festival“ ist gewissermaßen unser „labor“ für diese perspektive. wie und wodurch können wir politik und verwaltung bewegen, in unsere vorhaben zu investieren? was führt dazu, daß wirtschaftstreibende sich auf unsere projekte einlassen? es scheint ansatzweise so zu gehen: relevante themenstellungen, prozeßhafte arbeit, also auch: kontinuität, ein mindestesmaß an selbstorganisation, also auch: selbstverantwortung, all das in einem zusammenwirken von hauptamt und ehrenamt, also von bezahlter und unbezahlter arbeit.

das bedeutet in summe, den stellenwert von kooperationen höher anzusetzen und teilbereiche zu professionalisieren; im sinne von: engagement und abläufe etwas effizienter gestalten, damit die knapperen mittel besser genutzt werden können.

mir ist aufgefallen, daß manche unserer leute keine trennschärfe zwischen künstlerischer praxis und vermittlungsarbeit aufbringen. so habe ich etwa die kuriose vorhaltung gehört, eine themenstellung würde die „künstlerische freiheit“ einchränken. oder ich erlebe, daß eine künstlerin jemandem im projekt für ihre dienstmagd hält und entsprechend fordernd agiert, ohne selbst etwas erkennbares für das „größere ganze“ beizutragen.

diese unschärfen werden sich noch abarbeien lassen. wie angedeutet, es ist zweierlei, a) als kunstschaffende ein werk zu erarbeiten und b) sich für die kunstvermittlung, die publikation von werken zu engagieren, also etwas beizutragen, damit es so ein kulturfestival gegeben kann, eine serie von veranstaltungen, die koordiniert, organisiert und beworben werden müssen.

ich schreibe hier von zweierlei: von momenten kollektiver kreativität und von zukunftsträchtigen kooperationen engagierter leute aus den drei erwähnen sektoren. die individuelle künstlerische position und freiheit bleibt davon ja unbelastet. als freelancer weiß ich gut genug, daß marktlage und kulturpolitischer status quo natürlich großen einfluß auf meine individuelle situation haben, daß meine möglichkeiten als freischaffender künstler davon sehr wesentlich mitbestimmt werden.

aber eine „regionale kulturpolitik“, die über einzelne gemeindegrenzen hinausreichen würde und mit deren funktionstragenden wir unsere bedingungen verhandeln könnten, gibt es noch nicht. vielleicht bietet das „labor april-festival“ einen ansatz dazu …

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— [april-festival] —

kunst ost in der praxis #3

wo kein zweifel besteht, daß sich „die zeiten“ ändern und der lauf der dinge neue bahnen findet, sollte es einleuchten, daß wir als kulturschaffende nicht über jahrzehnte im gleichen modus und mit den gleichen strategien agieren können. klar? klar!

aber was bedeutet das für unsere praxis? wir erinnern uns an den „alten modus“. kunstschaffende erwarten von der wirtschaft sponsorgelder und von der politik subventionen. (nur ein bruchteil von uns kann sein jahreseinkommen auf dem freien markt lukrieren.)

das hat erstens eine starke tendenz zur antiquiertheit und ist zweitens ein urbanes modell. in der „provinz“, in ländlichen regionen, gibt es dafür zwar gelegentlich beispiele, aber es ist keineswegs ein prominenter modus, auf den wir uns je hätten verlassen können.

nina strassegger in der "heiligenschein-ecke" beid er eröffnung des "april-festifals" 2001

urbane konzepte lassen sich in dieser sache nicht auf ländliche regionen übertragen. außerem ist dieses modell der sponsorengelder plus subventionen das echo einer (groß-) bürgerlichen kulturvorstellung, die ihrerseits mindestens von der pop-kultur schon vor jahrzehnten gründlich überrannt worden ist.

es gibt zwar heute noch verschnarchte spaßvögel, die tief in der oststeiermark mit dem begriff „hochkultur“ operieren, das erweist sich aber gar nicht so selten als die markierung einer traurigen provinz-kopie des städtischen kulturbetriebes in längst versunkener fassung; also – wie angedeutet – die kopie eines antiquierten konzeptes.

auf solchen pfaden ist nichts interessantes zu erringen. es reicht da bestenfalls, daß sich ein milieu der „provinz-bürgerlichkeit“ vor ort auf jene arten inszieniert, wie es die dinge gesehen hat, wenn es zur stillung kultureller bedürfnisse ab und zu nach graz oder nach wien, vielleicht sogar nach salzburg und wahrscheinlich nach mörbisch gefahren ist.

kein einwand! mich interessiert dieser teil des geschehens bloß nicht und bei „kunst ost“ könnte solches geschehen keinen referenzpunkt ergeben. wir haben gerade das „april-festival“ 2011 mit einer satten session eröffnet. es ist aktueller ausdruck dessen, woran wir arbeiten; kulturell, künstlerische und kulturpolitisch.

das werte publikum erwies sich als durchaus belastbar, wo doch bei der vernissage eine nennenswerte wegstrecke durch gleisdorf bewältigt werden mußte

die gezeigten werke reichen von ambitionierten bastelarbeiten über stücke, die im bereich kunsthandwerk geltung hätten, zu bereichen der „voluntary arts“, bis hin zu exponaten, die man der gegenwartskunst zurechnen darf.

wir hatten nun über mehrere jahre im engeren kreis debatten, ob das genauer formuliert und formiert werden sollte. nein, die notwendigkeit dazu hat sich nicht herausgestellt. einerseits konzentrieren sich die genres im rahmen der nun eingeführten „location crews“. das heißt, was zusammenpaßt, findet auch meist zusammen, da und dort erzeugt der kontrast des verschiedenen auch besondere reize.

andererseits führt diese verbindung diverser genres in einem gemeinsamen vorhaben, in einer gemeinsamen „erzählung“, durchaus zu wechselseitigen anregungen. in summe dürfen wir damit rechnen, daß die durchmischung sehr verschiedener kreativer leute und ebenso verschiedener publikumskreise einen wichtigen beitrag ergibt, um ein kulturelles klima zu erzeugen, das diese bezeichnung wert ist. bleibt noch ein wesentlicher aspekt in dieser sache zu erwähnen: kontinuität!

zurück zu den ersten absätzen dieses beitrages; „alter“ und „neuer“ modus? statt nun das rollenangebot „energisch fordernder bittsteller“ zu übernehmen, um von der wirtschaft sponsorgelder und von der politik subventionen zu erhoffen, setze ich auf die möglichkeit der KOOPERATION. dabei geht es mir um die kooperation von drei sektoren: 1) staat, 2) markt und 3) zivilgesellschaft.

das aktuelle „april-festival“ bildet diesen arbeitsansatz schon sehr deutlich ab. daraus hat sich schon ein klarer nutzen ergeben. trotz krisenhafter entwicklungen in der steiermark und unserer momentanen position zwischen „low budget“ und „no budget“ erweist sich das heurige programm als umfassend und inhaltlich äußerst relevant.

wie das gegangen ist? wir danken es vor allem den „schlüsselpersonen“ und einigen engagierten leuten aus allen DREI genannten sektoren, die im zusammengreifen dieses gesamtergebnis generiert haben.

— [übersicht] —
— [april-festival] —

agrarische welt

wir führen in der oststeiermark erst recht kurze zeit ein überwiegend urban geprägtes leben mit dem standard eines wohlhabenden landes. städtische lebensweise hat ihre spuren auch in ruhige winkel des landes getragen.

aktuelle wirtschaftliche und strukturelle umbrüche legen nahe, unsere vorstellungen zu überprüfen: was IST diese region? und wie ist es in so kurzer zeit dazu gekommen? hierbei nützt ein wenigstens flüchtiger blich in die geschichte.

was geschah, als die bauern plötzlich eigentümer des landes wurden, das sie bebauten? die gesetztliche grundlage dazu ist nicht gar so alt. es geschah 1848. (damals entstanden auch die jetzigen bezirkshauptmannschaften.)

sozialhistoriker robert hausmann ist ein profunder kenner jener entwicklungen, die unserer gegenwärtigen lebensart unmittelbar vorausgegangen sind

wie wirkte es sich auf die oststeiemark aus, als die eisenbahn fertig war und plötzlich billiges getreide aus ungarn verfügbar wurde? was ereignete sich, als im ersten und auch im zweiten weltkrieg die traditionellen selbstversorger-landwirtschaften den zwang erlebten, nun für den markt, also für andere produzieren zu müssen?

wer weiß noch, daß elektrizität und fließwasser in den meisten häusern erst NACH dem zweiten weltrieg eingeleitet wurden? wem ist bewußt, welche veränderungen in genau jener zeit plötzlich traktoren, düngemittel und neue futter-arten brachten?

das sind eine menge offene fragen hinter jenem annehmlichen lebensstil, den wir augenblicklich genießen und der hier, jenseits von graz, in vielen bereichen längst wieder bedroht ist. 1848, 1918, 1946, einige historische markierungen in den rund 160 jahren, die das leben unserer leute radikal verändert haben.

foto-künstler christian strassegger erforscht in einem mehrjährigen prozeß den statu quo der region auf visueller ebene

sie ahnen vielleicht, diese kleine skizze beruht auf einem gespräch, das ich gerade mit dem sozialhistoriker robert f. hausmann geführt habe. er war schon einmal so freundlich, für eines unserer projekte einen vortrag zu erarbeiten, der von den historischen hintergründen eben dieser zeitspanne handelte.

diesmal wird er für unseren kommenden „tag der agrarischen welt“ das thema „landwirtschaft. vom gestern zum heute“ faßbar machen. wir sind nämlich in unserer mentalität nicht so „modern“ wie in unserem lebensstil. es dürfte also nützlich sein, jene lebens- und arbeitsbedingungen zu betrachten, von denen unsere leute über hundert generationen geprägt wurden.

— [tag der agrarischen welt] —
— [april-festival] —

kunst ost in der praxis #2

kulturschaffende sollten wissen, woran sie sind und von welchen rahmenbedingungen ihr tun umgeben ist. dazu gehört auch eine wenigstens kursorische kenntnis der wirtschaftlichen situation einer kommune und der politisch aktuell gesetzten themenschwerpunkte.

weder geld noch guter wille reichen, um in einem gemeinwesen allen grade vorhandenen bedürfnissen entgegenzukommen. die jeweiligen prioritäten innerhalb eines jahres werden folglich von der politik vor ort bestimmt. die politische willensbildung ist naturgemäß nicht in allen aspekten nachvollziehbar. sie ereignet sich ja primär innerhalb der fraktionen.

ein teil der gemeinderats-sitzungen ist öffentlich zugänglich. waren sie schon einmal dort?

es wäre natürlich denkbar, daß auch außerhalb solcher gremien, in bereichen der zivilgesellschaft, politischen willensbildung stattfindet und auf die etablierte politik einwirkt. im kulturbereich hab ich das hier aber noch nicht erlebt. (wenn man von „kunst ost“ absieht, das im kern ein beispiel genau dafür ist.) da dominieren die individuellen partikularinteressen, die von vereinzelten leuten vorgebracht werden; naturgemäß mit wenig politischer wirkungskraft.

in der umsetzung wird politisches wollen meist an transparenz und überblickbarkeit gewinnen, weil ja fachausschüsse beauftragt sind, die themen für den gemeinderat aufzubereiten. dabei kommen im besten fall nicht nur alle fraktionen mit ins spiel, sondern die lokalpolitik wird auf angemessene kommunikation nach außen achten.

damit wir an der basis einer kulturinitiative nicht im trüben fischen müssen, damit der „blindflug“ sich solchen zeiten umfassender konfusion einschränken läßt, habe ich gerne laufend das ohr am puls dieser stadt. ich hatte bisher noch nicht das gefühl, der bürgermeister würde uns wesentliche informationen vorenthalen. es ist feilich ein komplexes kommunikationsverhältnis, momentan auf jeden fall sehr viel komplizierter als in vergangenen jahren. (ich erzähle später, was damit genau gemeint ist.)

bürgermeister christoph stark montierte im sitzungssaal eine unserer "kunst ost"-kultur-steckdosen

eben fand in gleisdorf die erste gemeinderatssitzung des jahres 2011 statt: [link] ein teil dieser zusammenkünfte ist öffentlich zugänglich, kann also von jeder interessierten person besucht werden. eine gelegenheit, die ab und zu genutzt werden sollte. man sieht, mit wem man es politisch zu tun hat, bekommt einen eindruck von arbeitsklima und stimmung im gemeinderat.

die auftakt-sitzung von 2011 war ein gesellig wirkendes arbeitstreffen, in dem gute laune vorherrschte. ich tippe auf zwei wesentliche gründe. einerseits müssen die fachausschüsse gründlich vorgearbeitet haben. falls es da und dort anlaß zu differenzen gab, sind sie offenbar im vorfeld schon bearbeitet worden. andrerseits konnte ein ausgeglichener abschluß des 2010er-haushaltes vorgelegt werden: [link]

das bedeutet, zum jahresende deckte sich die reale situation weitgehend mit dem voranschlag. was in manchen ecken an mehraufweand angefallen war, konnte durch verschiedene einsparungen und vergünstigungen kompensiert werden, ganz wesentlich aber durch ein erhöhtes abgaben-aufkommen seitens der gleisdorfer wirtschaft.

das alles bedeutet nicht, jemand hätte nun der kultur einen roten teppich ausgerollt. aber es ist schon ein bescheidener vorteil, trotz bereits vollzogener kürzungsschritte, die wir erfahren haben, mit kulturellen vorhaben nicht gleich in eine mauer der abwehr zu rennen. schauen wir also, was sich aus der situation machen läßt …

p.s.:
ein exemplar unserer von christian strassegger entworfenen „kultur-steckdosen“ ist nun auch im großen sitzungssaal des gleisdorfer „service-centers“ zu finden.

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talking communities #5

die worte sind nicht das, was sie bezeichnen. also können wir die dinge ganz beliebig benennen. nichts zwingt uns, an bestimmten begriffen festzuhalten. aber wenn in meinem umfeld nicht bekannt ist, was ich mit welchen worten bezeichne, haben wir ein verständigungsproblem.

kaum ein bereich menschlicher selbstvergewisserung entfaltet sich so radikal zwischen derlei übereinkünften und deren möglichen gegenteilen, wie die kunst. damit meine ich, nie sind wir uns der bedeutungen und der begriffe sicher. genau darin liegen die möglichkeiten für enorme erfahrungen.

diese wunderbare unschärfe mag in den bereichen der künstlerischen praxis und der kunstrezeption vorrangig sein. für fragen der kunstvermittlung und der kulturpolitik brauchen wir es temporär meist etwas genauer.

ich betone das temporäre, weil ich darauf bestehen muß, daß keine der übereinkünfte in dieser sache als zeitlos festgeschrieben gelten darf. wir haben stets neu zu verhandeln, was womit gemeint sei.

medienkünstler niki passath eröffnet unsere serie "was sagen kunstwerke?"

dieser grundlegenden forderung (für eine zeitgemäße kulturpolitik) ist unsere reihe „talking communities“ gewidmet. sie hat vorerst zwei bereiche, die einander ergänzen sollen.

den einen bereich bespielen wir mit der reihe „was sagen kunstwerke?“. dazu laden wir kunstschaffende ein, sich mit einem interessierten publikum über ein konkretes werk aus ihrem oeuvre auseinanderzusetzen.

das geschieht heuer erstmals im rahmen des „april-festivals“, wo medienkünstler niki passath sich bereit erklärt hat, den auftakt zu übernehmen.

heimo steps, derzeit vorsitzender des steirischen förderbeirates, wird bei unserer "konferenz in permanenz" einige grundlagen der kulturpolitik darlegen

den zweiten bereich lösen wir über debatten zu verschiedenen teilthemen ein. dazu hat sich heimo steps bereit erklärt, mit uns die intentionen des landeskulturförderungsgesetzes zu erörtern. (steps hat vor einiger zeit grundlagen zum aktuellen steirischen gesetz erarbeitet. er leitet momentan den steirischen förderbeirat.)

wir werden also gelegenheit finden, aus erster hand zu erfahren, wie solche fragen im bereich von politik und verwaltung behandelt werden. in summe liegt mir daran, daß wir über gesprächssituationen und laufende diskurse klären, in welchen konkreten zusammenhängen sich unser kulturelles engagegment und künstlerisches tun entfaltet.

— [talking communities] —
— [april-festival] —

kunst ost in der praxis

durch welche verfahrensweisen läßt sich für den kulturbereich in der heutigen situation terrain halten? wir haben gerade erlebt, wie radikal sich der rückzug der öffentlichen hand vollzieht, wenn budgets einbrechen und strukturen wanken.

das aktuelle krisenmanagement war für uns überhaupt nur mit privatem einsatz von arbeitskraft und geld zu bewältigen. ansonsten wäre „kunst ost“ nun den bach hinuntergegangen. für mich schien vorrangig, das heurige „april-festival“ zustande zu bringen. das ist nach innen eine prüfung, was unser konzeptioneller arbeitsansatz taugt.

medienkünstler niki passath ist beim kommenden "april-festival" unser erster gast in der neuen diskussions-reihe "was sagen kunstwerke?"

nach außen soll es ein signal sein, das den verantwortlichen aus politik und verwaltung demonstriert, was das kollektiv zu leisten imstande ist; inhaltlich und in der umsetzung. da bewährt sich nun jener prozeß aus mehreren jahren, in dem wir klären konnten, was alles NICHT geeignet ist, einen modus kollektiver kreativität voranzubringen.

dank dieser praktischen erfahrungen können wir uns heute in hohem maße auf jene schritte konzentrieren, die sehr vielversprechend erscheinen.

wir haben 2006 begonnen, ein setup herauszuarbeiten, welches aktuell stabilität bringt, wo sich in den letzten monaten – mangels verfügbarer budgets – einige mögliche kooperationspartner schlagartig verflüchtigt haben.

es war wichtig, für „kunst ost“ eine neue „basis-crew“ zu formieren, die sich so einer aufgabe gewachsen sieht, und – wie erwähnt – das „april-festival“ 2011 sicherzustellen. eine idee, ein handlungsplan, etwas geld und einige engagierte leute, die auch bereit sind, unbezahlte arbeit einzubringen.

das hat sich als leistungsfähige „grundausstattung“ erwiesen, um den aktuellen umbruch zu bewältigen. von hier aus sollte sich ein status erarbeiten lassen, der einen passablen mix von ehrenamtlicher und hauptamtlicher kulturarbeit ermöglicht.

das packen wir vor dem hintergrund einer mittefristigen entwicklung des inhaltlichen horizonts, dem sich „kunst ost“ widmet, an. das bedeutet, aus dem erst skizzenhaft entworfenen themenbogen „zwischen landwirtschaft und high tech“ haben wir nun konkrete inhaltliche arbeitsansätze, die von sehr verschiedenen personen mitgetragen werden.

sach-promotoren im umfeld von "kunst ost" (von links): tierarzt karl bauer, volksmusikant christian nell und kamillo hörner vom "volksbildungswerk steiermark"

ich habe die ganze situation am denkmodell der „drei sektoren“ orientiert. dabei ist keine hierarchische anordnung vorgesehen. ziel dieser orientierung ist eine kooperation von sachkundigen leuten aus den drei sektoren staat, markt und zivilgesellschaft. also
1) politik und verwaltung,
2) wirtschaft und
3) kulturschaffende als einzelpersonen wie als teil von vereinen.

das aktuelle „april-festival“ bildet diese vorstellung schon sehr konkret ab. die inhaltliche entwicklung haben wir in rund einem dreiviertel jahr kontinuierlicher themenarbeit realisiert: [link]

zur „basis-crew“ (krusche, peitler-selakov & strassegger-tipl) kamen heuer autonome „location-crews“ und (aktuell in erprobung) einige „labor-gruppen“. in dieser situation kommt den verantworlichen „schlüsselpersonen“ eine wesentliche rolle zu: [link]

sie sind nicht nur bindeglieder zwischen der „basis-crew“ und den verschiedenen autonomen formationen eines größeren vorhabens, sie sind auch garanten für eine vielfalt in den zugängen und verfahrensweisen.

das bedeutet, wir nehmen die „praxis des kontrastes“ sehr ernst. und wir sind gestimmt, die vereinbarkeit dieser komtraste zu demonstrieren. das bezieht sich übrigens auch auf die vier genres, die wir integrieren: alltagskultur, kunsthandwerk, voluntary arts und gegenwartskunst [link]

überdies haben wir, was die annäherung zwischen kulturschaffenden und wirtschaftstreibenden angeht, auch einen modus entwickelt, der sich inzwischen als sehr tragfähig erweist … siehe dazu den beitrag im licht zu kontrasten„!

— [april-festival] —
— [übersicht] —

im licht zu kontrasten

manchmal ist ein hartes licht nötig, um in den aufkommenden kontrasten zu sehen, wo man steht. als kulturschaffende sind wir launige „beleuchter“ …

die flache kultur-steckdose stammt von fotograf christian strassegger, der auch das heurige cover-motiv für unser „april-festival“ geliefert hat. mit ihm habe ich eben ein längerfristiges teil-projekt von „kunst ost“ erörtert, das am nun ersten tag der agrarischen welt anknüpft.

die „kultur-steckdose“ von christian strassegger

es geht uns um die „sichtbarmachung“ der rationalen und emotionalen zusammenhänge, in denen sich die oststeiermark zu ihrem gegenwärtigen status herausgebildet hat; vor dem hintergrund ihrer komplexen sozialgeschichte. das hier schon skizzierte spannungsfeld zwischen agrarischer welt und high tech ergibt dabei eine spezielle herausforderung.

wir streben einen prozeß an, der sich deutlich vom werbeagentur-geschwätz unterscheidet, durch das uns nun schon so oft der blick auf unseren lebensraum verstellt wurde. das handelt dann zum beispiel auch von motiven, wie sie mir der vormalige bauernbub sepp gauster geschildert hat. eben noch ist gleisdorf ein „straßendorf“ gewesen, von landwirtschaften geprägt, die teils nur ein sehr karges leben erlaubten.

unternehmerin jaqueline pölzer und der vormalige bauer sepp gauster

gauster hat seinerzeit die kleine landwirtschaft, der er entstammt, hinter sich gelassen, ist der agrarischen welt aber stets verbunden geblieben. unternehmerin jaqueline pölzer ist einen umgekehrten weg gegangen. sie erschloß sich mit ihrem mann tino vor einigen jahren ein stück eben dieser agrarischen welt.

pölzers betrieb, in dem essig und senf erzeugt werden, ist zugleich seit jahren immer wieder ereignisort kultureller vorhaben: [link] ein weiterer bezugspunkt für uns, um formen einer kooperation im kulturbereich zu erproben, die nicht auf antiquierte art davon handeln, daß „wir“ von den „geldigen“ geld erbitten, um etwas realisieren zu können; in solchen klischeehaften polarisierungen würde hier nichts interessantes entstehen.

es geht statt dessen um das ausloten von kooperationsformen, in denen die beteiligten ganz unterschiedliche rollen finden. unsere station bei pölzer ist dem „kuratorium für triviale mythen“ gewidmet: [link]

unternehmer richard mayr beim finish für seinen ausstellungsbeitrag

völlig anderer art ist die kooperation mit apotheker richard mayr und zwei weiteren gleisdorfer unternehmern (franz lukas und andreas turk). sie sind selbst als kreative in das „april-festival“ eingestiegen und haben miteinander eine komplexe reflexion über den lebensraum gleisdorf erarbeitet.

diese verfahrensweisen bezwecken nicht bloß künstlerische ergebnisse, sondern haben auch den zentralen sinn, daß höchst unterschiedliche akteurinnen und akteure mit einander zu einer kulturellen praxis finden, die ja konkret erprobt werden muß.

dieser erfahrungsprozeß handelt von vollkommen verschiedenen positionen, interessenschwerpunkten und lebensstilen. eben dieser kontrastreichtum bildet ja etwas davon ab, was diese region real ausmacht.

— [april-festival] —