Jetzt kommt wieder jener Teil der Sommerzeit, da phantasielose City-Managements ihr Publikum mit kleinen Konzerten verwöhnen, in denen Mittelschullehrer, die noch ein paar Jahre bis zur Pension haben, sich mit Woodstock assoziieren oder als „Coverband“ dilettieren.
Das Aprilfestival liegt hinter uns und mit „Die Quest III“ sind wir gut beschäftigt, Kunstpraxis und Kunstdiskurs Richtung Jahresende 2018 zu bewegen. Knapp davor werden wir das heurige Kunstsymposion realisieren, wobei Maler Nikolaus Pessler eine weitere Rolle spielen wird und außerdem „Mythos Puch“ seine fünfte Ausgabe erfährt.
Wir debattieren in unserem Milieu keine Fragen wie die nach dem Leistungsaustausch. Aber wir praktizieren es. Wenn „Die Szene“ Geld erwartet, sogar Geld fordert, sei es von der öffentlichen Hand oder von der Wirtschaft, impliziert das ja einen Leistungsaustausch. Die Forderung nach Geld ist evident, die nach MEHR Geld häufig.
Ich betreibe keine Philosophie, sondern rede dem realen Leben hinterher, wenn ich daran erinnere, daß Geld ein MEDIUM ist. Was immer andere Menschen an Prioritäten bevorzugen, in MEINEM Universum bleibt es unverzichtbar, stets neu zu klären:
a) WAS möchte ich in Geld konvertieren?
b) IN was möchte ich Geld konvertieren?
Gerald Gigler bei der Session in Wien
Gut, als Kunstschaffender ist mir das schnurzegal, weil ich in der künstlerischen Praxis mit solchen Kategorien nichts zu tun hab. Aber als Kulturschaffender empfinde ich da stets Klärungsbedarf. Verwechseln wir also nicht Fragen der Kunst und Fragen der Kunstvermittlung.
Eine Gesellschaft kennt viele Zusammenhänge, in denen erbringbare Leistungen NICHT einer kommerziellen Verwertungslogik unterworfen werden können. Wo wir das für uns geltend machen, müssen wir natürlich unsere Gründe nennen können. Ich hab im vorigen Beitrag [link] LEADER-Fachreferent Gerald Gigler erwähnt.
Giglers Feedback zur Wiener Session an mich berührt einen grundlegenden Bereich möglicher Schnittstellen verschiedener Genres. Er schreibt zum Beispiel: „Mechanismen, Qualitäten oder auch nur Themen, die mich und andere ‚berühren’, offenzulegen und deren innere Logik für unterschiedliche Kontextebenen brauchbar zu machen.“
Worum es da geht? Wir debattieren immer wieder, auf welchen Grundlagen praktikable ANSATZPUNKTE liegen können, um der Gegenwartskunst in der Provinz mehr Boden zu verschaffen. Diese Ansätze können nicht in der Kunst selbst liegen, sondern bedürfen ziemlich sicher grundlegenderer „Bezugsfelder“.
1982: Eine dichte "Club-Szene", in der sich Kunstschaffende erproben konnten, gab es im Landeszentrum, aber nicht in der Provinz
Da habe ich mit Gigler offenbar schon Konsens: „Ich glaube verstanden zu haben, was du für Intentionen hegst und von welchen Arbeitsprämissen du ausgehst. Ich versuche in der Regionalentwicklung ja ähnlich anzusetzen.“
Das bedeutet auch, wir haben nicht die Ambition, als „Provokateure“ im Sinne einer „antibürgerlichen Bohème“ aufzutreten, denn dieses Konzept ist in seiner heutigen Deutung über 200 Jahre alt und überdies „Zentrums-Kram“. Darin liegt keinerlei brauchbare Strategie für unsere Vorhaben in der Provinz, das ist bloß ein Rollenangebot für soziokulturelle „Pausen-Kasperln“, denen die Argumente ausgegangen sind.
Gigler geht es darum, und da sind wir uns einig, „an den Schnittstellen der Regionalentwicklung ‚Diskussion und Innovationskraft’ zu ‚provozieren’“. Er meint damit genauer ein „nicht systemangepasstes Verhalten – natürlich gepaart mit hoher Kompetenz in der Argumentation bzw. Dialektik“. Wir wissen ja beide, „dass ANDERE schon das als provokativ erachten, was nicht ihrem Denkschema entspricht“. Das trifft übrigens auch und besonders auf unser Milieu selbst zu.
Ich hab im vorigen Eintrag mit einem Gigler-Zitat zu jenem grundlegenden Bezugsfeld hingeführt, von dem aus mir dann auch der Bodengewinn für die Gegenwartskunst möglich erscheint: „Ist ja leider auch bei ‚Insidern’ noch nicht so angekommen: der Krusche plaudert mit Bauern und Schlossern, wo ist da die Kunst?“
Das klappt nämlich nicht, indem wir die Kunstfernen zum Auftakt über Kunst belehren wollten. Wir schon erwähnt, es wäre eine zu drollige Vorstellung: Der Künstler rennt zu Bauern und Handwerken und erklärt ihnen die Kunst, er„beuyselt“ also gewissermaßen, und die wackeren Kinder des Ruralen lauschen aufmerksam, werden erhellt und erweckt.
Wir verstanden uns als Ausdruck einer "Subkultur", die etablierten Formationen erschienen uns suspekt.
Derlei selbstreferenzielle und arrogante Bildungsschusselei war im Grunde schon Ende der 1970er-Jahre erledigt und – man beachte! – in eben ihrem Scheitern ein wesentlicher Entstehungsimpuls der damals ganz jungen Initiativenszene. Zum Mitschreiben:
Genau WEIL eurozentristisch und zentralistisch angelegte bildungsbürgerliche Bildungsschusselei sich als ziemlich untauglich erwiesen hat, genau WEIL a) „Entwicklungshilfe“ für „Entwicklungsländer“ und b) rund zwei Jahrzehnte heimischer Erwachsenenbildung auch all die Mängel und Defizite damaliger Ansätze offengelegt hatten, waren Ende der 1970er-Jahre Prozesse in Gang gekommen, die unter anderem jene kulturelle Initiativenszene hervorbrachten, zu der wir uns zählen.
Sind wir womöglich in der Steiermark heute zu eben dem geworden, was uns vor rund 30 Jahren als soziokulturelle Innovation ausgelöst hat? Das wäre ja etwas gruselig. Ich rede deshalb so bestimmt darüber, weil ich mich mit allerhand Bauern, Handwerkern, Ingenieurinnen herumtreibe und einigermaßen klare Vorstellungen hab, womit man ihnen die Plomben zieht und wodurch man ihre Verachtung lostritt.
Der Mechaniker und der Ingenieur, Rennsportlegende F. Thaler (links) und Syncro-Ingenieur E. Mohorko: "Die Bodenplatte ist heilig. Da könntest du sonst gleich ein neues Auto konstruieren, so teuer wird das."
Wir „beuyseln“ nicht, wenn wir einander begegnen, wir Künstler, Bauern, Handwerkern, Ingenieurinnen, sondern tun das mit Achtsamkeit uns Respekt. Niemand von jenen, mit denen ich dafür Zeit verbringe, würde den anderen eine Superiorität des eigenen Metiers aufschwatzen wollen. So ein paternalistisches Verhalten würde einen mit Sicherheit sofort aus diesen Kreisen heraushebeln.
Die Präsentation der Studie, welche Veronika Ratzenböck mit ihrem Team erarbeitet hat, stimmt zuversichtlich. Woher kommt dann die viele schlechte Laune unter den Kulturschaffenden in meiner direkten Umgebung? Naja, was generell gelingt, muß nicht alle von uns sanft betten. Gut, „sanft“ ist sowieso momentan nicht lagernd, kann auch auf absehbare Zeit nicht nachbestellt werden.
Wissenschafterin Veronika Ratzenböck
Die Wiener Session hat mir ergänzend deutlich gemacht, daß der Kulturbereich — ganz unabhängig von diversen krisenhaften Entwicklungen — generell gar nicht so übel beinander ist. Wir haben aber einen Verteilungswettkampf am Hals, ein Rennen um Budgets, das mit spitzen Ellbogen und anderen Artigkeiten ausgetragen wird.
Ich behalte einige Standardzeilen aus meinem Lieblingsliedchen auf den Lippen: „Hundert Prozent Abhängigkeit vom Staat wäre so ein Nordkorea-Modus. Will das jemand?“ Oder: „Als Künstler bin ich noch nicht auf einen geschützten Arbeitsplatz aus.“ (Blöd, daß einen das rauhe Arbeitsklima schon geraume Zeit derart zaust, ich träume natürlich zwischendurch von einem Liegestuhl und kühlen Drinks on the house.)
Woher also Budgets nehmen und nicht stehlen, wenn Länder und Kommunen die Budgets runterfahren? Vom (Kunst-) Markt = Verkäufe von Werken? Von der Wirtschaft = Sponsoring?
Es ist ja klar, daß all unsere liebgewonnen Vorstellungen aus früheren Jahrzehnten völlig irrelevant werden, sobald wir a) die Landeszentren verlassen und dann womöglich auch noch b) von den Feldern bürgerlicher Repräsentationskultur runtersteigen.
Kleiner Einschub:
Ich hab keinerlei Ressentiments gegenüber bürgerliche Repräsentationskultur. Ich hab bloß die Erfahrung gemacht, daß sie für Agenda der eigenständigen Regionalentwicklung kaum etwas hergibt; im inhaltlichen wie im materiellen Sinn des Wortes „hergeben“. Sie bringt uns kaum etwas für die Arbeit an neuen Optionen. Aber sie sichert in einigen Nischen kulturellen Grundkonsens. Das hilft auch.
Für "LEADER Kultur" zuständig: Sandra Kocuvan und Gerald Gigler
Gerald Gigler, der für LEADER zuständige Fachreferent beim Land Steiermark, hat mir zur Wien-Session noch ein paar Überlegungen und Einwände zugeworfen. Darunter zu Fragen der Funktionen von Gegenwartskunst:
„Was noch immer nicht beantwortet, welche Art von Kunst das nun sein wird, aber etwas hat mir schon einen Stich versetzt, dass du die Kunst nicht als ‚soziokulturellen Entwicklungshelfer’ sehen willst. Siehst du unsere ‚Ansprüche’ (Joseph II) wirklich so? Künstler als Unternehmensberater? Nein, hatten wir nicht im Sinn, aber – wie du immer betonst – das Schaffen von ‚NEUEN Verhandlungsebenen’, für Kunst, für gesellschaftliche Entwicklung, das kann schon ein verfolgbares Ziel sein.“
In Pischelsdorf hatte ich bemerkt, daß ich keine allgemeine Kenntnis voraussetzen darf, wer und warum er „J’accuse!“ ausgerufen hat. So verstand zwar Gigler meine ironische Erwähnung Josef II, aber ich erkläre es für alle Fälle kurz.
Seit dieser aufgeklärte Monarch in Österreich geschaltet und gewaltet hat, scheinen wir eine ungebrochene Tradition zu genießen, in der Reformen „von oben“ kommen, also von Regierungsseite. Seit jener Zeit haben wir auch den Typ des Künstlers im Staatsdienst als vertrautes Sujet vor Augen. Zum Thema „oben/unten“ siehe: [link]
In der Tat und peinlicherweise sind die gegenwärtigen Sonderrichtlinien plus das steirische Punkteprogramm zu LEADER Kultur sehr viel anregender als vieles, was ich seit Jahren von der steirischen Szene lese. Während wir also „vorne“ die Kulturpolitik lauthals schmähen, bekommen wir „hinten“ von der Beamtenschaft recht interessante Diskussionsgrundlagen zugestellt.
+) Die „Sechs Punkte“ von Gerald Gigler: [link]
+) Die Sonderrichtlinien: [link]
Nun muß ich einerseits, wie sich zeigt, die Autonomie der Kunst verteidigen, weil zu viele Leute mit unscharfen Vorstellungen herumgeistern, und zum Beispiel annehmen, Kunst ließe sich als soziokulturelles Reparatur-Set funktionalisieren. (Mumpitz!) Ich muß andrerseits völlig neue Arbeitsansätze finden, wo es um Kulturarbeit und eigenständige Regionalentwicklung geht, weil sich veraltete Zentrumskonzepte nicht in der Provinz recyceln lassen, wie sich auch die Provinz nicht „urbanisieren“ läßt.
IG Kultur: Stefan Schmitzer und Juliane Alton in Pischelsdorf
Ergo kann ich, von einigen Teilaspekten abgesehen, für die (kulturelle) Emanzipation der Provinz gegenüber den Zentren keine Zentrumsstrategien anwenden. Wir müssen hier schon selbst herausfinden, was es überhaupt geben sollte und wie es zu erreichen wäre.
Gerald Gigler meinte auch: „Ist ja leider auch bei ‚Insidern’ noch nicht so angekommen: der Krusche plaudert mit Bauern und Schlossern, wo ist da die Kunst?“
Es wäre eine zu drollige Vorstellung:
Der Künstler rennt zu Bauern d und Handwerken und erklärt ihnen die Kunst, er „beuyselt“ also gewissermaßen, und die wackeren Kinder des Ruralen lauschen aufmerksam, werden erhellt und erweckt.
So hat das natürlich Gigler nicht gemeint, so hab auch ich das noch nie versucht, aber derlei fahrlässiges „Beuyseln“ kommt tatsächlich gelegentlich vor, wenn manche Spießer und Mittelschicht-Trutschen sich selbst auf Bauern oder Mechaniker loslassen. Na, das muß ich noch genauer ausführen. Was ich mit „Beuyseln“ meine, ist hier skizziert: [link]