Die Gleisdorfer Protestbewegung hat am Abend des Wahlsonntags einen bisherigen Tiefpunkt erreicht. Es kamen so wenige Leute zusammen, daß gleich einmal die drei bereitstehenden Polizeiwagen abfuhren, ehe sich das Restgrüppchen zerstreute. Was war geschehen?
Restprotest: keine realpolitische Kraft im teenagerhaften Aufbegehren
Dieser Begriff „Kulturfestung“ ist heutzutage natürlich ein Widerspruch in sich, ein ideologisches Relikt aus Herrschaftsverhältnissen der Feudalzeit. Damit beklebt jemand ein von jeglicher Komplexität befreites politisches Konstrukt aus versunkenen Zeiten, um sich den konkreten Anforderungen der Gegenwart nicht stellen zu müssen.
Offener Brief an exponierte Persönlichkeiten der politischen Fraktionen Gleisdorfs. Gleisdorf, 22.08.2022
„Ich klage an!“
Werte Dame und Herren! Mit diesen Worten hat sich einst Schriftsteller Emile Zola exponiert, als er einen politischen Mißstand anprangern wollte. Aber wir sind nicht mehr im 19. Jahrhundert und das ist nicht Paris, sondern Gleisdorf. Ich sehe mich allerdings als Autor in jener Tradition von Emile Zola, wonach ich es zu meinen Aufgaben zähle, öffentliche Debatten mitzugestalten.
Der Herr Kickl sagt über die Gleisdorfer Spaziergängerei in Sachen Corona, dies sei „eine heldenhafte Widerstandsbewegung“. Wir werden den Großen Brockhaus an einigen Stellen umschreiben müssen. Etwa die Stichworte Held oder Widerstandsbewegung. (Die Spazierheldinnen und Spazierpartisanen, diese ganze Bummel-Resistance, schaffen vermutlich eine neue Art der Friedensbewegung.)
Ich hab mich ein wenig umgesehen. Was blieb von den großen Gesten und dem erheblichen Lärm derer, die uns alle über viele Monate wissen ließen, daß sie sich ihrer Freiheit beraubt fühlen? Es zeigt sich: die schillernden Lokal-Promis haben aus der Protestbewegung rausgeholt, was ihnen nützt. Versiegt die Quelle, verduften die Promis.
Wer hat noch nicht, wer will noch mal? Nämlich: „Menschen für Freiheit und Grundrechte“
Ich kam an jenem Freitag von einem Arbeitsessen heim und sah die verstummte Weltverbesserungsmaschine wie einen gestrandeten Wal vor dem Gleisdorfer Rathaus. Da hatte ich kurz ein beklommenes Gefühl. Was ist mit den Leuten? Sind sie alle weggeschafft worden? Es hieß doch kürzlich noch in ohrenbetäubender Lautstärke: „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Freiheit klaut!“ Das Tröten ist verebbt.
Ich bin ja so gerührt, wenn meine Leute sich rebellisch geben, wo wir in Österreich doch gar kein Talent zur Revolution haben, solchen Mumm auch noch nie hatten. Es geht mir zu Herzen, wenn sie ihre ungelösten Autoritätskonflikte hinaustragen und sich daran erregen, daß sie es nun irgendjemandem richtig gegeben oder wenigstens richtig reingesagt haben.
Über all die letzten Monate ist eine Protestbewegung in Gleisdorf inhaltlich einfach nicht auf den Punkt gekommen. Es blieb beim Lärmen und inzwischen sind da bloß noch etwas banale Slogans übrig. Den zweiten Schritt haben sich die empörten Leute erspart: Ganz konkret und politisch handlungsfähig werden. Also endlich begründen statt verkünden. Eine relevante Mehrheit bilden.
Ich hab die vorige Glosse jenem Sonntag gewidmet, an dem eine Protestbewegung, die sich in Gleisdorf jede Woche zweimal zeigt, ihre aktuellen Forderungen klargemacht hat. Die „Neigungsgruppe Spazierengehn“ fordert, daß die Gleisdorfer Stadtregierung, die steirische Landesregierung und die Regierung Österreichs zurücktreten solle.
Ich saß an jenem Sonntag abends im Gastgarten des Laurenzi-Bräu, flankiert von versierten Müttern. Das erwähne ich schon vorweg, weil wir auf dem Weg in die Nacht Momente hatten, da über die störrischen Haltungen kleiner Kinder und pubertierender Teenager zu reden war.