Die aktuelle Ausdifferenzierung von „kunst ost“ schreitet voran. Aus dem Umfeld der „Kulturspange“ hat sich nun ein Team (Fickel, Flekatsch, Krusche, Peitler-Selakov) zum Schwerpunkt „Kunst, Wirtschaft, Wissenschaft“ herauskristallisiert, das augenblicklich schon einmal via „Facebook“ an die Öffentlichkeit tritt: KWW [link]
Die nächste größere Zusammenkunft wird am 25. Jänner 2012 stattfinden und öffentlich zugänglich sein. Die Themenstellung lautet „Regionale Identität: eine Illusion oder unsere Wirklichkeit?“ [link]
Ein anderes Team ist auf der „Reise über die Dörfer“ und besucht Betriebe, um in laufenden Gesprächen einen verfeinerten Eindruck zu erarbeiten, was genau die Themen der Region seien, soweit das einige maßgebliche Akteurinnen und Akteure der Wirtschaftswelt angeht. (Das Team: Bauer, Knittelfelder-Lang, Krusche, Peitler-Selakov und Strassegger.)
Diese Arbeit, als Work in Progress angelegt, liefert uns klarere Vorstellungen, womit wir es in der Begegnung mit Wirtschaftstreibenden zu tun haben. Es herrscht nach unserer Erfahrung unter den Kulturschaffenden der Region noch viel zu wenig Kenntnis dieser anderen Milieus, vice versa.
In den nächsten Tagen trifft sich eine Gleisdorfer „Location Crew“ zur Projektbesprechung, wodurch nun die neue Struktur für die Ebene regionaler Kunstpräsentation ihre konkrete Form erlangt. Das soll beispielgebend für andere Kunstschaffende sein, die im Rahmen von „kunst ost“ Präsenz zeigen wollen.
Gernot Schrampf ("Malwerkstatt Gleisdof") und Sigrid Meister ("Musuem im Rathaus")
Es gibt aber auch noch weitere Optionen. Etwa daß sich eine vollkommen eigenständige Formation in ein Projekt einbringt. Das wird 2012 beispielsweise die „Malwerkstatt Gleisdorf“ machen, die einen eigenen Part entwirft und realisiert, dabei aber mit dem Kernbereich von „kunst ost“ kooperiert.
Zwischen den praxisbezogenen Angelegenheiten haben wir auch grundlegendere Dinge zu bearbeiten. Zwei von diesen drei Logos dürften in der Steiermark einigermaßen geläufig sein, nämlich jene, wo es um 25 Prozent Kulturbudget rauf oder runter geht. Das dritte Logo, dem Thema „no culture no future“ gewidmet, ist bei uns nicht so populär. Warum?
Es handelt nicht nur von einer kritischen Prüfung der Gesamtsituation des Kulturbetriebes, sondern auch von einer Selbstreflexion, die Konsequenzen verlangen würde. Im Sinne von: „die anderen zwei zeichen handeln in der steiermark vor allem davon, EINER der drei instanzen etwas zuzurufen; im sinne von: wenn IHR euer verhalten ändert, werden UNSERE angelegenheiten in ordnung kommen.“ Weite Details dazu: [link] In diesem Zusammenhang sollte klar sein, wir setzen nicht auf Förderung, sondern auf Kooperation.
Michael Toson mit Prototypen seiner Bastelbogen-Autos
Aber es geht bei uns gerade auch um lustigere Themen. Das „Kuratorium für triviale Mythen“ bringt in wenigen Tagen eine kuriose Publikation heraus. Techniker Michael Toson und Graphic Novelist Jörg Vogeltanz haben in Kooperation eine Serie von Ausschneidebögen gestaltet. Die repräsentieren ein Stück Sozial- und Mobilitätsgeschichte, welche auch in einem erläuternden Text skizziert wird.
künstlerin eva ursprung, eben noch gast bei unseren „talking communities“ in gleisdorf, ordinierte nun mit einer musik-performance beim „homerun“ im grazer „schaumbad“. das bedeutet, ein großes kunstkollektiv räumt das feld und das obere stockwerk einer stattlichen halle am rande der stadt.
eva ursprung ist nicht nur versierte kunstschaffende, sondern auch mit fragen der kunstvermittlung gründlich vertraut
ursprung wird sich jener kleinen kulturkonferenz anschließen, die wie mitte august im obersteirischen absolvieren werden, um einen neuen ansatz erfahrener leute herauszuarbeiten, welche schwerpunkte mit welchen mitteln vertretbar erscheinen, um sie vor allem in diesen krisenhaften zeiten zunehmender budgeteinbrüche zu sichern. themen, know how, strategien.
viele ländliche gemeinden haben kulturbudgets zugunsten von sozialbudgets gekürzt, teilweise sogar gestrichen. das weist auf eine verfehlte praxis hin und auf fehlende konzepte. kultur wird da offenbar eher als dekorationsgeschäft, denn als teil des bildungssektors betrachtet. würde jemand schulen sperren, weil die straßenerhaltung so teuer geworden ist? das sind kuriose begründungsmuster.
mehr noch, der kulturbereich ist nicht bloß ein bildungsthema, sondern ein grundlegender bereich menschlichen zusammenlebens. deshalb ist es eigentlich unverzichtbar, kulturschaffenden ein mindestmaß an seriösen rahmen- und arbeitsbedingungen zu sichern.
simon brault („no culture, no future“) kritisiert dieses an üblicher konsumlogik orientiere verständnis von kultur
darin liegt natürlich auch so manches grundlegende versäumnis der kulturschaffenden selbst. alte eliten haben ihre materiellen vorteile genutzt, um mit freier zeit, interesse und muße sich der kunst und „gehobenen“ kulturellen ereignissen zu widmen. das war stets auch ein mittel, um sich von den massen abzugrenzen. die elitären repräsentationsaufgaben von kunst und kultur sind wir bis heute nicht losgeworden.
nun sind wir kinder einer massengesellschaft und (jungen) massenkultur auf dem set. unseresgleichen, also überwiegend leute bescheidener herkunft, sind es nun, die uns arbeitsbedingungen und kulturbudgets zusammenkürzen. das ist zugleich auch restauration alter herrschatsverhältnisse, da kunstgenuß und kulturereignis nicht nur vergnügen, sondern auch zugehörigkeitsdemonstratin sozialer eliten waren.
im klartext: leute unserer eigenen milieus fallen uns kultur- und kunstschaffenden da wie dort bremsend bis blockierend in die arme. wir haben es verabsäumt, uns früh genug um diesen teil der anwachsenden probleme zu kümmern.
sie kennen sicher den zuruf: „das ist so abgehoben!“ „ihr seid so elitär!“ in einer „mc world“, wo man zielistrebig an die theke des lebens eilt, um flott zu ordern, was man sich gerade leisten kann, mit dem ziel, es zackzack zu verzehren, in solchen lebensverhältnissen fehlt natürlich viel an einsicht, daß man sich manche themen und kompetenzen NUR über das aufbringen von ZEIT und ZUWENDUNG aneignen kann.
zeit und neugier für das irritierende, erfahrungen und reflexion ohne gedränge...
unsere wege der künstlerischen und kulturellen praxis sind auf zeiträume und erfahrungsschritte angelegt. kommunikation über die konsequenzen solcher prozesse, in denen man erst einmal ruhig wird, um sich selber wieder hörern zu können. auch die irritiation braucht raum und zeit. befassung mit kunstwerken ist ohne irritationen völlig undenkbar.
wie merkwürdig, daß staat und wirtschaft milliarden investieren, um eine coaching-industrie zu füttern, die an den mängeln eben jener möglichkeiten arbeiten, um die wachsende zahl der ratlosen und der beschleunigungsopfer in dieser gesellschaft abzufangen.
und wenn wir solche möglichkeiten erarbeiten, müssen wir mit anfeindungen rechnen, mindestens mit abschätzigkeit. da ist also einiges an fälliger arbeit bisher unerledigt geblieben, um solche zusammenhänge klarzustellen.
sie kennen das problem? in einer konsumkultur lautet ein vorherrschendes prinzip: ich produziere, du kaufst! unsere erfahrung besagt, daß sich solche beziehungen auf beunruhigende art verselbstständigen und von den eigentlichen inhalten ablösen können.
es ist mir unvergeßlich, wie ich von einem regionalen management einmal mit der anforderung konfrontiert wurde, ich möge etwas „knackiges“ liefern, das sich den bürgermeistern „verkaufen“ ließe. sie ahnen schon, wir sind in diesem punkt nicht einig geworden.
eine kulturinititiative, die sich u.a. der besseren allgemeinen wahrnehmung von gegenwartskunst widmet, hat in ihrem „leistungsheft“ keinen einzigen passus, der von „knackigem“ handelt. es geht auch nicht darum, jemandem etwas zu „verkaufen“.
wenn politikerInnen schäumen: würde ich zu einem kulturthema nur einen bruchteil streitlustiger büergermeisterInnen in den saal bekommen?
außerdem ist in den prozessen, die wir eingeführt haben, ZEIT ein unendlich wichtiger faktor. demnach: knackig, um flott zu sein und schnell anzukommen, das wäre vermutlich ein großer pluspunkt bei der freiwilligen feuerwehr, doch im kulturbereich ist ein katalog der prioritäten etwas anders geordnet.
ich fasse es so zusammen:
wären kunst und kultur metiers, in denen sich den menschen etwas „knackiges“ andienen und verkaufen ließe, hätte man sowas überdies in wenigstens einem halben jahr im kasten, dann würden wir vermutlich nicht diese umfassende stagnation und diesen rasenden kompetenzverlust erleben, von denen in österreich heute praktisch jeder spatz von jedem dach pfeift.
aber eine menge grundlegender menschlicher kompetenzen lassen sich eben nicht im modus „fast foreward“ implementieren.
ich darf widerholen, was ich an verschiedenen stellen schon erwähnt habe:
im land mit einem der teuersten bildungssysteme europas, das eines der schlechtesten ergebnisse europas produziert, hat laut „gemeindebund österreich“ kein metier so hohe zustimmung zu KÜRZUNGEN wie „kultur“. zugleich ist, ebenfalls laut „gemeindebund österreich“, kein bereich so hoch gereiht, wenn man fragt, wo sich menschen ehrenamtlich engagieren möchten; nämlich: kultur.
es ist von verblüffender radikalität, daß gerade jene genres mit so viel landläufiger abschätzigkeit bedacht werden, die realen anlaß und konkrete verfahrensweisen bieten, um menschen in fragen der selbstvergewisserung, der wahrnehmungs-erfahrungen und des kommunikationsvermögens voranzubringen.
wir reden über kunst und ihre bedingungen: künstlerin eva ursprung in der gleisdorfer ausstellung von künstlerin ulla rauter
kaum ein metier gibt, wie die kunst, gelegenheit, sogar das einander widersprechendes als gewinn zu erleben. die befassung mit kunst zeigt in allem, belegt, beweist und zelebriert: unsere angelegenheit ist nichts weniger als die fähigkeit, in der ANTWORTVIELFALT sich selbst und andere als vollständig und vital zu erfahren.
warum nennt wohl schon der § 1 des landeskulturförderungsgesetzes ziele wie „ die schöpferische Selbstentfaltung jedes Menschen durch aktive kulturelle Kreativität und die Teilhabe jedes Menschen am kulturellen und künstlerischen Prozess in jeder Region des Landes“ oder „eine zum Verständnis und zur Kritik befähigte Öffentlichkeit“?
wie kann es demnach einer etablierten funktionärswelt passieren, diesem einigermaßen deutlich verständlichen GESETZESAUFTRAG vollkommen ratlos gegenüberzustehen? wieso finde ich etwa in der „provinz“ kulturpolitisches handeln weitgehend bloß in einer veranstaltungs- und repräsentationskultur eingelöst, die an auffallend vielen stellen völlig ungeschminkt auf publikumsmaximiereung zielt?
anders gefragt:
was fällt gebildeten leuten eigentlich ein, diesen kulturbereich und das ihm zugehörige kunstfeld zu behandeln, als wären da TOURISMUS-agenda anhängig? und warum wird kaum ein zusammenhang zwischen solchen fehlleistungen und der statgantion wie dem unübersehbaren kompetenzverlust dieser gesellschaft hergestellt?
simon brault konstatiert: „keine kultur, keine zukunft“
ich kann es ihnen verraten:
weil sonst mindestens das akademisch gebildete personal unserer kommunen, aber letztlich auch alle andere arten von funktionstragenden in politik und verwaltung, ihre eigene KOMPETENZLAGE in sachen kunst und kultur auf stand bringen müßten. weil die eigentlich völlig unerklärliche INKOMPETENZ eines großteils dieser leute offenkundig würde.
ich trete JEDERZEIT den wahrheitsbweis an:
greif mir völlig beliebig 10, 15 kulturbeauftrage aus der „provinz“ heraus, setze sie mit mir an einen tisch und ich halte JEDE WETTE, daß allerbestens zehn prozent davon ein 20minütiges fachgespräch durchstehen würden, ohne sich nach spätestens fünf minuten in floskeln, plattitüden und gestammel zu flüchten.
außerdem halte ich für wahrscheinlich, daß keine zehn prozent aller steirischen kulturbeauftragten plus leute aus diversen regional- und tourismus-managements je einen blick in den gesetzestext geworfen haben, also die politische willensbekundung des landes steiermark auch nur flüchtig kennen.
warum kann das nicht öffentlich verhandelt werden? meine erfahrung besagt, daß jemand, der öffentlich sein gesicht zu verlieren droht, die rolleau runterläßt, kommunikation abbricht, jeden gedanken an mögliche kooperation auschlägt. auf solcher ebene ist also für uns nichts zu erreichen.
das bedeutet zwingend, daß wir andere verfahrensweisen finden müssen, um diesen zustand der stagnation zu überwinden; auch um uns nicht selbst in jenen kameradschaftsbund derer mit verlorenen kompetenzen einzureihen. wenn nämlich nicht reichen sollte, daß immer nur die anderen schuld seien, dann liegt vor uns eine erhebliche anforderung, ideen und praktikable modi zu entwickeln, wie und wodurch wir aus dieser stagnation rauskommen.
ich kennen noch eine option. sich einer internationalen nieten-solidarität anzuschließen und mit gelegentlich pittoreskem auftreten, ergänzt duch romantisches gebrüll, vergessen zu machen, daß man selbst längst ein kind der ratlosigkeit geworden ist.
das ist eine demokratie. man darf also frei wählen, welcher haltung man anhängen will.
ich habe kürzlich erzählt, daß wir von hier aus nach süden eine kooperation entfalten. künstler gerhard flektsch (verein „bluethenlese“) und schloßbesitzerin annabella dietz (schloß hainfeld, nahe feldbach) gehen mit uns in einigen arbeitsansätzen d’accord. siehe dazu: „verdichtungen“!
nun habe ich ein ausführliches arbeitsgespräch mit kulturwissenschafter günther marchner („consalis“) hinter mir. marchner ist ein langjähriger und profunder kenner der initiativen-szene. er arbeitet teils auf der meta-ebene, aber auch an der basis. wir haben nun übereinkunft, eine themenstellung gemeinsam zu bearbeiten und die aktivitäten dazu in einem wechselspiel zwischen obersteiermark und oststeiermark zu realisieren.
es geht im kern um VERGESSENES WISSEN, also um jene kompetenzen, die in regionen noch vorhanden, aber teils verschütt gegangen sind. dabei sehen wir praktische möglichkeiten, unsere kulturellen fragestellungen einerseits im kunst-kontext zu bearbeiten, andererseits an unternehmen der regionen heranzuführen und sie drittens auch auf der meta-ebene zu bearbeiten.
kulturwissenschafter günther marchner ist u.a. seit jahrzehnten mit theorie und praxis der initiativen-szene befaßt
der „kunst ost“-modus „zwischen grundlagen, alltagspraxis und kunst“ bewährt sich ja zunehmend. mit diesem aspekt von wissensmanagement, den marchner nun schon eine weile bearbeitet, sehen wir eine gute möglichkeit, die verschiedenen genres und themenstellungen stärker miteinander zu verweben.
wir haben konsens, daß im kern eine betrachtung des wechselspiels zwischen agarischer welt und industrialisierter welt jene kräfte sichtbar macht, denen auch das kunstgeschehen ausgesetzt ist, respektive in dem ein kunstgeschehen jenseits des landeszentrums überhaupt erst raum und ressourcen findet.
ich habe in diesem zusammenhang nun viele jahre das denkmodell von den „drei sektoren“ forciert, in dem staat, markt und zivilgesellschaft zu kooperationen finden mögen. das ist vor allem im projekt-logbuch nachzulesen, etwa 2007: [link], 2008: [link] etc., aber auch an etlichen anderen stellen der dokumentation unserer laufenden arbeit.
wir sehen uns, was anregungen betrifft, auch immer wieder in anderen ländern um. so haben wir einen wichtigen aspekt des regionalen kunstgeschehens durch erfahrungen von kulturschaffenden in irland besser zu differenzieren gelernt. sprachregelung und inhaltliche dimensionen der „voluntary arts“ sind uns in belfast greifbar geworden: [link]
aktuell haben wir in kanada eine interessante korrespondenz mit unseren zugängen entdeckt. simon brault „is both a member of Canada’s cultural establishment and an iconoclast dedicated to its reimagining.“ eine sehr interessante position! zu braults funktionen zählt auch jene des „chairman of Culture Montreal, a grassroots organization that over the last decade brought together governments, business, and Montreal’s arts community to design and pay for a cultural renaissance in the city.“ [quelle]
der kanadische kulturschaffende simon brault (foto: maximecote)
da wurde ich natürlich sehr hellhörig: eine basis-organisation, die während des letzten jahrzehnts regierung, geschäftswelt und die kunst-community von montreal zusammengebracht hat, um eine kulturelle wiedergeburt der stadt zu entwerfen und zu bezahlen. das ist also offenbar ein großes praxismodell der kooperation jener drei sektoren, von denen ich hier seit jahren rede.
noch eine spezielle passage in jenem interview mit brault hat mein spezielles interesse geweckt: „A lot of the arguments that were made against the arts cuts were quite self-serving or defensive, without regard for consequences for Quebeckers and Canadians outside of the community.„ das kommt mir doch sehr vertraut vor.
simon brault konstatiert: „keine kultur, keine zukunft“
ich übernehme hier braults statement „no culture, no future“, das mit dem weißen kreuz auf schwarzem feld auch ein zeichen erhalten hat. ich denke, wir werden in unserem umfeld diesen überlegungen von simon brault noch ausführlicher nachgehen…