Archiv für den Monat: November 2011

und dann 2050? #7

Seit Ende der 1980er beschäftigt mich das Thema „Eigenständige Regionalentwicklung“ und die Frage nach angemessenen Zusammenhängen im Kulturbereich. Es gab ab etwa Mitte der 80er ein deutlich sichtbares Milieu von Kulturschaffenden, die damals vieles von dem erprobten und einführten, was heute Standard ländlicher Kulturreferate ist.

Dennoch ist der kulturpolitische Status quo in der „Provinz“ momentan mehr als besorgniserregend. Wie war das möglich, wo doch so viel kulturelles Engagement Platz gegriffen hatte? Außerdem gingen viele Leute aus diesem damaligen Inituiativenmilieu in verschiedene Institutionen der Gesellschaft, die ein waches Verständnis von Kulturgeschehen fördern könnten. Ich nenne ein regional prominentes Beispiel: Erwin Eggenreich wird der nächste Bürgermeister von Weiz sein. Er war damals ein engagierter Akteur dieser kulturellen Entwicklung.

Gerhard Ziegler (links) und Erwin Eggenreich waren tragende Akteure der regionalen Kulturinitiativenszene in den späten 1980ern. Ziegler ist heute im Projektmanagement tätig, Eggenreich wird der nächste Weizer Bürgermeister.

Ich habe keinen Zweifel, daß einer der Hauptgründe des aktuellen Zustandes im Auseinanderfallen der Milieus liegt, zwischen denen Kommunikation weitgehend abgebrochen ist. Damit meine ich, wir haben aufgrund unserer biografischen Entwicklungen höchst unterschiedliche Felder betreten und weder Anlaß noch Wege gefunden, die Kommunikation zwischen diesen Felder aufrecht zu erhalten, obwohl wir uns aus der Vorgeschichte gut kannten. (Oder vielleicht eben deshalb.)

Ich sehe das übrigens auch als ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Innerhalb der letzten zwölf Monate haben Konfliktlagen im sozialen und kulturellen Bereich deutlich gezeigt, daß mindestens auf der Landesebene die Politik und die Zivilgesellschaft, als zwei Sphären eines größeren Zusammenhangs, auseinandergefallen sind und daß die Kommunikation zwischen diesen beiden Sphären stellenweise bloß noch Simulation ist.

Aber auch auf kommunaler Ebene ist Kommunikation sehr schwierig geworden. Gremien der Gemeinden scheinen eher auf sich zurückgezogen zu sein. Ratlosigkeit nimmt zu. Das Thema Gemeindezusammenlegungen dominiert offenbar viele Arbeitsbereiche. Auch die „Großregion“, eben erst schwungvoll konstituiert, läuft anscheinend auf ein Schwimmen in Gelee hinaus.

In der Kleinregion Gleisdorf heißt es: „Gemeindezusammenlegung nein danke!“ Mit einer kuriosen Ausnahme, wo zwei Winzlingsgemeinden die Fusion erwägen. Allerdings unter der Bedingung, daß ihnen vom Land ein neues, gemeinsames Gemeindezentrum gebaut würde. Lustig!

Die Sitzungen des Gleisdorfer Gemeinderates haben einen öffentlichen Teil, der besucht werden kann, um aus erster Hand zu erfahren, was im Rathaus läuft

Das Thema „Großregion“ wurde 2009 eingeführt: [link] Die Politik hatte entschieden, es sollen in der Steiermark sieben Großregionen formiert werden. Im Gleisdorfer Gemeinderat erfuhr ich: Die Aufgaben sind noch unklar. Auch die Zusammenarbeit mit LEADER sei weitgehend unbestimmt. Es sei eben ein „Werdungsprozeß“. Die regionalen Mühlen mahlen also sehr langsam, während uns die Probleme galoppierend entgegen kommen.

Das korrespondiert freilich mit dem rasenden Servicebedürfnis der Bevölkerung, deren Großteil offenbar von öffentlicher Hand Leistungen erwartet, ohne ausreichend zu klären, was dabei an Eigenverantwortung und Selbstorganisation verstärkend ins Spiel kommen könnte. Dazu hat sich Helmut Kienreich, derzeit Bürgermeister von Weiz, recht deutlich geäußert: [link]

Ich sehe sehr deutlich im Kulturbereich, wie das Servicebedürfnis die Eigeninitiative überlagert. Was ist in den letzten Jahren „bottom up“ entstanden? Welche Kulturschaffenden treffe ich etwa bei Meetings der „Kleinregion Gleisdorf“, wo man völlig zwanglos mit Funktionstragenden der Kommunen ins Gespräch kommen kann?

Es ist verlockend, Politik und Verwaltung mit Vorhaltungen zu konfrontieren. So lassen sich die Ursachen für Stagnation und Kompetenzverluste bei anderen finden. Ich tendiere dazu, primär auf dem eigenen Feld für neue Klarheiten zu sorgen und Handlungspläne zu entwickeln. Parallel müssen wir uns überlegen, was getan werden soll, damit Leute in Politik und Verwaltung zu verstehen beginnen, wovon wir reden. Das ist nämlich nicht von hausaus gegeben. Kommunikation. Übersetzungsarbeit. Das erledigt sich nicht von selbst.

"kunst ost" und die bereichsübergreifende kooperation: gleisdorf, hainfeld (feldbach) und graz, hier gerhard flekatsch und eva ursprung

Ab da lassen sich Kooperationen entwerfen und erproben. Klare Inhalte, gelingende Verständigung, ohne diese Ausgangspunkt droht jede weitere Bemühung in leere Kilometer zu münden. Mein Credo für diese Prozesse: Klären wir zuerst quer durch verschiedene Metiers, ob wir gemeinsame Fragen haben, deren Bearbeitung uns interessant erscheint. Falls ja, klären wir, welche gemeinsamen Aufgaben eine Bündelung unserer verschiedenen Kompetenzen nahelegen würden.

[2050: übersicht]

und dann 2050? #6

Wenn uns für die Zukunft etwas gelingen soll, müßte uns die Gegenwart einigermaßen klar und verständlich sein. Das ist momentan ein anspruchsvolles Thema, weil sich aus der Vergangenheit heraus nun im Lauf der Dinge ein Tempo entfaltet hat, das alle Lebensbereiche durchdringt und das in der Art bisher ohne Beispiel war.

Philosoph Peter Sloterdijk hat das in einem sehr anregenden Interview (manager magazin 2009) so beschrieben: „Wir sind in ein Zeitalter der unmenschlichen Geschwindigkeiten eingetreten — und dieser Übergang läuft mitten durch unsere Lebensgeschichten. Wir nehmen an einer maßlosen Beschleunigung teil und besitzen nur ein konfuses Vorgefühl von dem, was wirklich mit uns geschieht. In zwei oder drei Generationen wird man deutlicher sehen.“ [Quelle]

Von Links: Andreas Kindermann (Geschäftsführer), Karl Bauer (Tierarzt), Mirjana Peitler-Selakov (Kuratorin) Und Michaela Knittelfelder-Lang (Malerin) in der Lederfabrik Wollsdorf

Ein „konfuses Vorgefühl“. Das ist gelegentlich gar kein so übler Zustand, um etwas zu erahnen, wo genaueres Erkennen noch unmöglich bleibt. Aber bei „kunst ost“ wollen wir momentan einiges viel genauer wissen. Was soll denn das sein, die „Energie-Region“? Worauf läßt sich die Idee stützen, dies sei eine Region? Das muß sich ja ganz wesentlich aus dem Beziehen, was Menschen hier konkret tun, womit und wodurch sie ihre Leben gestalten.

Ich verfolge laufend, wie solche Fragen von der Politik her behandelt und beantwortet werden, vor allem auf kommunaler und auf Landesebene; siehe etwa Projekt-Log #356! Sitze ich mit einem Unternehmer an einem Tisch, kommen natürlich andere Aspekte ins Blickfeld. Eben hatte sich Andreas Kindermann, Geschäftsführer der Lederfarbrik Wollsdorf, für uns einige Zeit genommen.

In welchen regionalen Zusammenhängen ereignet sich ein Betrieb, der auf dem Weltmarkt eine markante Rolle spielt? Das war eine überaus spannende Debatte, von der ich noch ausführlicher erzählen werde. Die wirtschaftliche Situation eines Lebensraumes kommt uns ja meist nicht besonders bemerkenswert vor, so lange alles klappt und gedeiht. Erst wenn sich Defizite und Problemlagen breit machen, dämmert uns, daß wir diese Kräftespiele wenigstens skizzenhaft verstehen sollten.

Wollsdorf scheint zu gedeihen. Was bedeutet das? Was verlangt das? Davon später mehr! Ein anderes Gedeihen hat eben kuriose Früchte getragen. Ich habe hier schon von unserer Kooperation mit Unternehmensberater Erich Wolf erzählt und daß wir nun mit einem mehrjährigen Prozeß befaßt sind, der ein „Kompetenzzentrum für steirische Gegenwartskunst“ herbeiführen soll. Siehe: [link]

„Das unabhängige Wirtschaftskomitee ‚Initiativen Wirtschaft für Kunst’ vergibt den Österreichischen Kunstsponsoringpreis ‚Maecenas’ heuer bereits zum 23. Mal…“ Fein! Zum Beispiel an Erich Wolf. Ein schönes Signal und ein aktueller Anlaß, auf regionaler Ebene genauer herauszuarbeiten, was denn Zusammenhänge zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur genau sein können.

Genau das, solche Zusammenhänge, sind ja unter anderem auch Gegenstand des Projektes „iEnergie Weiz Gleisdorf“ selbst, wo etwa Universitäten und die Grazer TU den Auftakt gestaltet haben. Da wurden übrigens gerade die ersten Rückmeldungen eingearbeitet. Das adaptierte Szenario, mit dem wir uns befassen, ist hier deponiert: [link]

Die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur beschäftigen uns auch in der Kooperation mit einer Kulturinitiative der Nachbarregion Vulkanland. Künstler Gerhard Flekatsch ist unser Kooperationspartner im Verein bluethenlese, welcher im geschichtsträchtigen Domizil des Joseph von Hammer-Purgstall etabliert ist, im Schloß Hainfeld nahe Feldbach. („Geschichtsträchtig“ ist hier keine Floskel, sondern ergibt einen sehr konkreten historischen Hintergrund zu unseren aktuellen Kooperationen mit Südosteuropa.)

Künstler Gerhard Flekatsch und Künstlerin Eva Ursprung bei den Vorbereitungen für unsere aktuelle Session

Damit richten wir eine längerfristige Arbeitsebene ein, auf der ein Kreis relevanter Personen die Klärung solcher Fragen konsequent verfolgen wird. (Mit der darauf folgenden Station werden wir im Jänner 2012 bei „KWB“ zu Gast sein.) Wenn wir also präzisieren möchten, mit welchen Vorstellungen ausgestattet sich in eine Zukunft blicken läßt, die sich 2050 auf diese oder jene Art einlösen wird, dann sollte eine mit Kontinuität versehene Kommunikationslage zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur sich als vorteilhaft erweisen können.

[2050: übersicht]

Zur Lage der bildenden Kunst in Graz

Ich hab gerade mit einem kleinen Beitrag auf der INFOGRAZ-Website zusammenzufassen versucht, wo die Debatte rund um die zukünftige Nutzung des Grazer Künstlerhauses steht: [link]

Inzwischen scheint auch der ÖFFENTLICHE Diskurs inhaltlicher Fragen in die Gänge zu kommen. Das hat übrigens die GANZE Steiermark sehr nötig. Immerhin neigt sich mehr als eine Ära interessanter kultureller und kulturpolitischer Entwicklungen merklich ihren Enden zu. Das erzeugt Klärungsbedarf.

Ich denke, einer der wichtigsten Klärungsbereich ist dabei die Frage nach etwas mehr kategorialer Trennschärfe zwischen Gegenwartskunst und Voluntary Arts. Ein aktuelles Grazer Thesenpapier betont überdies das Anliegen, die angewandten Bereiche, das Kunsthandwerk und Bereiche der Creative Industries von der Kunst zu unterscheiden.

Ich hab eben von Künstlerin Eva Ursprung dieses sehr anregende Statement erhalten. Ich gebe das Dokument hier in vollem Umfang wieder:

ZUR LAGE DER BILDENDEN KUNST IN GRAZ

Gemeinsame Thesen und Forderungen der unterzeichnenden Kulturproduzierenden.
Adressiert an Kulturpolitik, Kulturjournalismus und Kunstpublikum

Der politische Rahmen der Bildenden Kunst in Graz ist verbesserungswürdig. Der rasche Wechsel der zuständigen PolitikerInnen, falsche Weichenstellungen und das Ausbleiben sinnvoller Kurskorrekturen haben über Jahre ein Szenario entstehen lassen, in dem das Verständnis für ein funktionierendes Gesamtbild des Grazer Kunstbetriebs verloren gegangen ist. Übereilte oder nicht nachhaltig konzeptionierte Projekte, die politisch gewollt und an den Kulturproduzierenden vorbei initiiert wurden, haben ihr übriges zu dieser Situation beigetragen.

Heute muss festgestellt werden, dass der besondere Status und die Bedeutung der bildenden Kunst in Graz von dem die Stadt über Jahrzehnte profitiert hat, der Kunstschaffende und Kunstinteressierte aus unterschiedlichen Ländern anzog und mit dazu führte, dass man sich 2003 Kulturhauptstadt Europas nennen durfte – in dieser Form nicht mehr erkennbar ist. Diese Bewertung wird auch außerhalb von Graz geteilt, wie sich an der abnehmenden überregionalen Wahrnehmung von Institutionen und Projekten zeigt.

Gerade mittlere und kleine Kunstinstitutionen, die zahlreichen Initiativen der freien Szene wie auch die KünstlerInnen müssen erkennen, dass sich ihre Arbeitsbedingungen kontinuierlich verschlechtern. Es herrscht eine zu große Kluft zwischen den wenigen großen, öffentlichkeits-wirksamen Prestigeprojekten, die sich PolitikerInnen und kleine Interessensgruppen leisten, und den vielen unabhängig agierenden, jedoch durchwegs unterfinanzierten Institutionen und Initiativen. Diese sind es aber vor allem, die sich dem avancierten, experimentellen, für neue Tendenzen und Ideen offenen Bereich künstlerischer Produktion und Vermittlung widmen.

Insgesamt verliert Graz zunehmend den Charakter eines vielfältigen, produktiven Labors aktueller Fragestellungen und künstlerischer Strategien, durch die sich die Stadt auf der internationalen Landkarte der zeitgenössischen Kunst positioniert hat. Ein solches produktives Labor entspricht jedoch der Größe der Stadt, ihrem Profil und ihrem Potenzial viel mehr, als das Nachahmen einer repräsentativen Kultur- und Tourismuspolitik der Metropolen. Dem experimentellen Klima der Grazer Kulturlandschaft, das einst das besondere Profil von Graz und dessen überregionalen Ruf mitbegründet hat, fehlen mittlerweile die geeigneten Rahmenbedingungen, um sich in einem ständig verändernden internationalen Kunstkontext spezifisch zu positionieren.

Darüber hinaus hat sich ein Kontroll- und Effizienzdenken gerade gegenüber den unabhängigen Institutionen und Initiativen durchgesetzt, das mit Hilfe von inadäquaten Bewertungskriterien eines tradierten Institutionsdenkens (BesucherInnenzahlen, Werbemaßnahmen, etc.) das Ungleichgewicht der Mittelverteilung zusätzlich verstärkt. Dadurch wird ein pseudo-ökonomisches Modell in Umlauf gebracht und versucht, es als Maßstab für die Art und Weise der Arbeit mit zeitgenössischer Kunst zu befestigen: „Für die Kulturindustrie wird der Begriff der ‚Öffentlichkeit‘ (…) durch den Begriff ‚des Marktes‘ ersetzt, der Warenaustausch und Konsum als Modi des Zugangs und der Artikulation impliziert.“ (Simon Sheikh)

Welche Probleme lassen sich konkret benennen?

(1) der rasche Wechsel der zuständigen PolitikerInnen verunmöglicht eine Kontinuität der Kommunikation und erschwert so die längerfristige Umsetzung von Konzepten und Schwerpunkten
(2) die Unverhältnismäßigkeit der Verteilung finanzieller Mittel zwischen den wenigen großen Einrichtungen, die unter kulturpolitischem Einfluss stehen und den vielen unabhängigen Institutionen und Initiativen; so fließen etwa seitens der Stadt Graz mehr als 90 % der Mittel, die unter dem Titel Bildende Kunst ausgegeben werden in eine einzige Einrichtung, das Kunsthaus
(3) damit einhergehend die Konzentration der Definitionsmacht über Kunstproduktion und Kunstrezeption
(4) mangelnde Entwicklungsoptionen von unabhängigen Institutionen und Initiativen
(5) das Auftreten der Kulturpolitik nicht nur als Ermöglicherin sondern als eigener Veranstalterin
(6) inkompetente Umsetzung von Kunst- und Kulturprojekten durch politik-eigene Gesellschaften
(7) Die Vermischung der Begriffe „Kunst“ und „Angewandte Kunst“ bzw. die Einverleibung der Freien Künste in die „Creative Industries“
(8) Perspektivenlosigkeit junger Kunstschaffender und in Folge deren Abwanderung mangels adäquater Kunstausbildung und kaum Möglichkeiten, mittels Kunstproduktion zu überleben
(9) Mangel an freien, offenen, selbstverwalteten Ateliers und Präsentationsräumen
(10) mangelhaftes Lehrangebot neuester Kunstgeschichte an den universitären Einrichtungen
(11) schließlich eine zunehmende Prekarisierung von Kunstschaffenden und KunstvermittlerInnen
Diese Diagnose deckt sich in vielen Punkten mit den Ergebnissen der aktuellen Evaluierung der Kulturförderung der Stadt Graz. Die hier geäußerte Kritik kann nicht als reine Interessenspolitik einer Handvoll AkteurInnen abgetan werden. Sie wird vielmehr von Vielen mitgetragen, in der Sorge um den Kunststandort Graz. Die Kulturpolitik von Stadt Graz und Land Steiermark ist aufgerufen, zur Rettung des Kunststandorts Graz tätig zu werden!

Aus diesem Grund fordern wir:

(1) Ein klares kulturpolitisches Bekenntnis zu Graz als Standort zeitgenössischer bildender Kunstproduktion, Präsentation und Vermittlung. Damit einhergehend das Bekenntnis, diese Bereiche finanziell entsprechend auszustatten, anstelle Gelder weiter in Neu- oder Umbauten von Hüllen zu stecken, die kaum mehr mit adäquatem Programm und Inhalt gefüllt werden können
(2) eine Umverteilung der vorhandenen Budgetmittel hin zu kleineren und mittleren, unabhängigen Institutionen und Initiativen
(3) internationale Ausschreibung und Transparenz bei der Vergabe von Stellen im Bereich der großen Kunsteinrichtungen
(4) ein Ende der Ämterakkumulation bei den großen Kunsteinrichtungen und unabhängige künstlerische Leitungen insbesondere für das Kunsthaus Graz, die Neue Galerie und das Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark
(5) einen Stopp der öffentlichen Hand als Veranstalter im Kunstbereich
(6) Einbindung internationaler ExpertInnen in mittel- und längerfristige kulturpolitische Entscheidungen
(7) Unterstützung von KünstlerInnen bei der Einrichtung selbstverwalteter Atelierhäuser anstelle topdown zur Verfügung gestellter Flächen
(8) die Einrichtung einer (universitären) zeitgemäßen Kunstausbildung in Graz, die eine durchgehende Präsenz internationaler ExpertInnen vor Ort ermöglicht, den internationalen Austausch befördert und junge Kunstschaffende an Graz bindet
(9) Fair Pay im Bereich von Kunst- und Kulturproduktion, um einer Prekarisierung sowohl von Kunstschaffenden als auch von KunstvermittlerInnen vorzubeugen
Die UnterzeichnerInnen sehen ihre – durchaus unterschiedlichen – Formen der Arbeit mit zeitgenössischer Kunst nicht als „Versorgungsleistung“ von KunstkonsumentInnen, die ihr Votum über den Kauf von Eintrittkarten abgeben oder als BesucherInnenstatistik unsere Arbeit legitimieren. Wir weisen auch den Anspruch zurück, Orte der Repräsentation für Kulturpolitik zu sein. Unsere Ausstellungsräume, Publikationen, Projekte und Interventionen eröffnen vielmehr Räume für die Ausbildung und Übung anderer Fähigkeiten und Erfahrungen als jene, die den scheinbar unhintergehbaren Anforderungen einer postulierten neo-liberalen Gesellschaft unterworfen werden. Experimentell heißt vor allem, diese Räume für ein anderes Denken nicht nur künstlerischer, sondern auch allgemeiner Interessen offen zu halten.

Wir erwarten uns von der Kulturpolitik keine ausgefeilten Strategiepapiere oder kulturpolitische Leitlinien, sondern eine kompetente und durch Kontinuität gekennzeichnete Auseinandersetzung, die sich an den tatsächlichen Bedingungen der Arbeit der vielen AkteurInnen im Kunstfeld orientiert, die die Notwendigkeit einer internationalen Vernetzung erkennt und die nicht allein die lokale Sichtbarkeit und die dadurch gegebenen lokalen Repräsentationsmöglichkeiten zum Maßstab nimmt. Ideen, Konzepte und Schwerpunkte, die sich längerfristig positiv auswirken, gibt es längst, vor allem aus den Reihen der ProduzentInnen selbst.

Graz, am 7.11.2011

Reinhard Braun, Camera Austria
Sandro Droschl, Kunstverein Medienturm
Søren Grammel, Grazer Kunstverein
Reni Hofmüller, ESC
Astrid Kury, Akademie Graz
Karin Lernbeiß, Streetgallery
Margarethe Makovec & Anton Lederer, < rotor >
Eva Meran, the smallest gallery
Wenzel Mracek, Kunsthistoriker, Publizist
Eva Pichler, Gerhard Pichler, zweintopf
Heidrun Primas, Andreas Heller, Forum Stadtpark
Nicole Pruckermayr, Institut für zeitgenössische Kunst, TU Graz
Johannes Rauchenberger, Kulturzentrum bei den Minoriten
Ulrich Tragatschnig, Kunsthistoriker, Journalist
Eva Ursprung, Schaumbad – Freies Atelierhaus Graz; IG Kultur

[Die Debatte: Übersicht]

und dann 2050? #5

Um es vorweg zu betonen: Die ersten Absätze dieses Beitrages mögen etwas deprimierend klingen. Ich muß das so ausführten, damit der Status quo klar wird. Im Anschluß wird es aber sehr optimistisch; wenn ich meine Schlüsse ziehe…

Ich komme mit Absagen besser zurecht, wenn sie offen formuliert sind, statt bloß unter einem Lächeln exekutiert zu werden. Zum Beispiel: „Festhalten möchte ich jedoch, daß wir keine externen Marketingaktivitäten durchführen und dafür auch kein Budget haben. Eine finanzielle Unterstützung der Künstler ist uns daher leider nicht möglich.“ Das ist ja keine Seltenheit.

Vieles ist in Umbruch befindlich. Auch Gerald Gigler, beim Land Steiermark für die LEADER-Regionen zuständig, kann uns augenblicklich nicht sagen, wohin es in naher Zukunft mit diesen Konzepten geht

Mehr noch, inzwischen agieren ja auch Kommunen so. Kennt noch jemand kleinere oder mittlere Gemeinden, deren Funktionstragende Kunst und Kultur für ebenso wichtig halten wie das Bildungs- oder Gesundheitswesen? Werden dafür Budgets bereitgestellt? Diese Fälle sind rar geworden.

Offen gesagt, ich war zwischenzeitlich etwas erschrocken, wie umfassend hier in der „Provinz“ der Kulturbereich an wesentlichen Ecken fallen gelassen wurde, als die Krisenmomente zunahmen. Es erfolgte ein weitreichender Rückzug auf vertraute Positionen, was bedeutet: Events, Projektchen mit Tourismusbezug, aus! Es gibt auch keinen aktiven Dialog Funktionstragender mit bewährten Kulturschaffenden. Damit meine ich: Von den Gemeinden geht derzeit offenbar gar nichts aus.

Es scheint, als sei die Schildkröte zum Wappentier der Region erwählt worden. Da ist sicher noch Leben unter dem Panzer, aber es läßt sich nicht sagen, ob sich nun etwas bewegen wird oder nicht.

Gut, da wäre nun gerade ein als Offensive angelegter Prozeß, bei dem unter der Headline „Visionen 2050“ Debatten und Feedbacks angeregt werden sollen, die im Sinne einer wachsenden „Bürgerbeteiligung“ funktionieren mögen. Also ein diskursiver, eine soziokultureller Prozeß.

Der Prozeß läuft, Rückmeldungen führen zu Veränderungen der Grundlagen. Aber was wird solchen Vorgängen Dauer verleihen? Wie wird allenfalls professionelle Begleitung für ehrenamtliches Engagement gestaltet sein?

Der Auftakt ist bemerkenswert, weil das Projektteam von diversen Universitäten und der TU Graz einen sehr interessanten Ausgangspunkt erarbeitet hat. Hat es sich deshalb ereignet, daß sich der Vorstand unserer LEADER-Region, immerhin alles Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, an ihre Leute aus Bildungswesen und Kultur gewandt haben, um ihnen zur Sache einen Vorschlag zu machen oder sie zur Zusammenarbeit einzuladen?

Nein, das hat sich nicht ereignet. Diese Idee ist offenbar kaum naheliegend. Gut. Da besteht eben Klärungsbedarf, der in den vergangen Jahren nicht statgefunden hat. Es ist fast, als begännen wir anläßlich dieses Projektes bei Null. Fast. Denn immerhin haben wir Kunst- und Kulturschaffenden die letzten Jahre genutzt, um verschiedene Modi zu erproben und praktische Erfahrungen zu sammeln.

Das bedeutet AUCH:
Es kann gar nicht genügen, in diesem Kulturbereich aufzutreten und den Anspruch „Ich bin Künstler“ als einzig relevantes Thema einzuführen. Ebenso könnte man vorbringen, Lehrerin zu sein, Krankenschwester, Polizist, was auch immer. Das ist ja für sich kein relevantes Statement, sondern bloß ein Hinweis darauf, worüber nun geredet, eventuell verhandelt werden könnte.

Zurück zur Passage „…daß wir keine externen Marketingaktivitäten durchführen und dafür auch kein Budget haben. Eine finanzielle Unterstützung der Künstler ist uns daher leider nicht möglich.“

Es wäre naiv bis skurril, wollten regionale Kunstschaffende, die keinen internationalen Marktwert für sich geltend machen können, bei einer Firma ankommen und sagen: „Geben Sie uns einiges Geld für unsere künstlerischen Vorhaben, wir bieten Ihnen dafür einen Imagegewinn.“

Das wäre freilich ein Kernereignis von Sponsoring, wie wir es bisher kennen. Kulturschaffende bieten Unternehmen wenigstens zweierlei Möglichkeiten: a) Sich im Gemeinwesen soziokulturell zu engagieren und b) dabei auch einen Imagegewinn für den Betrieb zu verbuchen.

Minimalbetrieb in der Kommune: Sigrid Meister vom Gleisdorfer Büro für Kultur und Marketing bekommt ein Kind und geht demnächst in Karenz. Ihr bisheriger Chef Winfried Kuckenberger geht eben in Pension, sein Nachfolger Gerwald Hierzi wird im Februar 2012 seinen Dienst antreten.

Das kann keine Basis für unsere regionalen Vorhaben sein, weil sich so ein Zugang praktisch nicht einlösen läßt. Ich habe im vorigen Beitrag schon notiert, welchen Ausgangspunkt ich für „kunst ost“ herausgearbeitet habe, um klären zu können, was an Kooperationen denkbar wäre. Und DAS ist der wesentliche Punkt: Kooperation.

a) Gibt es aktuelle Fragestellungen, die uns gleichermaßen interessieren?
Falls ja, bleibt zu erörtern:
b) Gibt es Aufgabenstellungen, die sich aus diesen Fragen ableiten und die wir teilen könnten?
Das verlangt auch Klärung:
c) Welcher Art sind unsere Kompetenzen, die sich in einem gemeinsamen Vorhaben komplementär ergänzen und verstärken könnten?

Das bringt mich wiederum zum Themenkomplex „Visionen 2050“. Es wird viele Wege geben, zu dieser großen Themenstellung etwas Relevantes beizutragen. Ich denke, der hier angerissene Modus ist einer davon, welcher vor allem brauchbare Erfahrungen schaffen kann, wie denn nun höchst verschiedene Instanzen eines Gemeinwesens, einer regionalen Gesellschaft erst einmal mit einander in Dialog kommen können, um schließlich auch da und dort zusammenzuarbeiten.

Ich habe nicht den geringsten Zweifel, daß solcher Zugang uns den Weg zu neuen Verfahrendweisen und Strukturen im Kulturbereich weist.

[2050: übersicht]

Aloha Antarctica #2

Eine Notiz im „Iceblog“ besagt: „Die Iljushin 76 wird um 23.30 Uhr abheben und wir werden gegen fünf Uhr oder sechs Uhr am Morgen, je nach Wind, in Novo ankommen. Ob wir noch am selben Tag nach SANAE weiterkommen werden oder nicht, wird sich erst dort zeigen und entscheiden.“

Was bei uns der Postbus ist, zeigt sich dort als Iljuschin(Foto: Iceolutions)

Ich wußte — bei meinem Faible für Fahrzeuge zu Wasser, zu Land und in der Luft — schon als Kind, daß so eine mit Fenstern gepflasterte Rumpfspitze meist auf eine russische Iljuschin hinweist. Iljuschins waren für mich damals mit „riesig“ assoziiert, als herkömmliche Fracht- und Passagierflugzeuge bei uns noch nicht die Dimensionen hatten, die wir heute für selbstverständlich halten. [Die Iljuschin 76]

Will man den Südpol überqueren, was mir nicht im Traum einfiele, muß man erst einmal in seine Nähe kommen. Dieter Staudinger und Armin Wirth haben diesen Teil also per Frachtflugzeug absolviert: „Nach knapp 2 Stunden Flug erreichten wir SANAE und wurden dort sehr herzlich empfangen. Wir waren die ersten Menschen nach fast 10 Monaten fuer die Ueberwinterungscrew und die Stationsbesatzung hat sich sehr gefreut.“

Dieter Staudinger und Armin Wirth haben ausgecheckt (Foto: Iceolutions)

Gestern kam nun die Nachricht: „Heute starten Armin Wirth und Dieter Staudinger ihre Tour von der südafrikanischen Forschungsstation SANAE IV. Ein solches Vorhaben wagen nicht viele: Seit Roald Amundsen 1911 den Südpol als Erster erreichte, wählten erst sechs Expeditionsteams eine Strecke über 3.000 Kilometer Länge in der Antarktis.“

Ich hab von Künstler Joseph Beuys eine sehr anregende Überlegung bezogen: „Wenn ich es denken kann, können es andere auch denken.“ Wäre das ebemso auf menschliches Tun zu übertragen? Ich zweifle. „Wenn ich es tun kann, können es andere auch tun.“ hat in diesem Fall vermutlich eher philosophischen Charakter.

Wenn ich nun an Staudinger und Wirth denke, weiß ich nicht, welche Frage vorrangig wäre. „Warum tun sie es?“ Oder „Warum können sie es?“

Ich meine, es war ein GEO-Heft, das sich noch irgendwo in meiner Bibliothek befinden muß, welches mich auf den Bergsteiger Jon Krakauer brachte, der damals von einem tödlichen Fiasko auf dem Mount Everest berichtete. Später kaufte ich mir sein Buch In eisigen Höhen. Ich bin bis heute von dieser Geschichte bewegt.

Mount Everest-Legende George Mallory

In diesem Buch erwähnt Krakauer George Mallory, der 1924 auf dem Everest ums Leben gekommen ist. Mallory war gelegentlich gefragt worden, warum er diesen mächtigen Berg besteige, der einem doch so große Mühen und Gefahren aufbürde. Mallory soll geantwortet haben: „Weil er da ist.“

Ich ahne, daß es dafür keinen besseren Grund geben kann. Und mir kommt in den Sinn, daß uns hier, in der Oststeiermark, ja gerade wieder dämmert, wie wichtig gelegentlich Klärungen sind, die sich genau NICHT zweckrationalen Fragen oder jenen der Alltagsbewältigung widmen. Jenseits solcher Notwendigkeiten bleibt so viel offen, wo wir noch gefordert sind.

Es ist sicher nicht die naheliegendste Möglichkeit, über den Südpol zu gehen, um dieses Noch an menschlichen Möglichkeiten auszuloten. Aber es ist doch eine sehr faszinierende…

[Aloha Antarctica]

Kunst, Wirtschaft, Wissenschaft…

Warum ist die Befassung mit Kunst wichtig? Das läßt sich selbstverständlich beantworten. Aber nicht in zwei Sätzen. Dazu ist etwas mehr Zeit und Konzentration nötig. Eine Gegenfrage bringt einen allerdings schon mit einem Satz auf die Fährte: Warum geht jede Tyrannis gegen Kunstschaffende vor und bemüht sich, oft mit viel Gewalt, sie an die Leine zu legen?

Gehen Sie also ruhig davon aus, die Befassung mit Kunst berührt und bewegt sehr grundsätzliche menschliche Möglichkeiten. Das erschöpft sich keineswegs in Ausstellungen und diversen Aufführungen. Davon handelt freilich regionale Kulturpolitik überwiegend.

Künstler Gerhard Flekatsch (Kunstverein „bluethenlese“)

Bliebe zu klären, was darüber hinaus Gewicht hat und warum andere Aspekte des Kunstgeschehens in den Kommunen praktisch überhaupt nicht wahrgenommen werden; auch im Sinn einer aktiven Beteiligung an anderen kulturellen Prozessen als bloß jenen der Kunstpräsentation.

Bei „kunst ost“ sind wir längst daran gegangen, diese größeren Zusammenhänge zu bearbeiten und das auch mit regionalen Wirtschaftstreibenden zu verknüpfen. Nun machen wir einen weiterführenden Schritt in der Kooperation mit Künstler Gerhard Flekatsch und dem Verein „bluethenlese“.

Es geht dabei NICHT um die simple Idee, Unternehmen würden im Tausch gegen möglichen Imagegewinn Sponsorbeträge in Kunstprojekte investieren. Das sind Modelle eines ganz anderen Kultursektors, die sich natürlich nicht beliebig übertragen lassen.

Wir trennen erst einmal: Was ist die Kunst? Was ist künstlerische Praxis? Was sind Kompetenzen, die aus der Befassung mit Kunst erwachsen?

Folglich geht es auch nicht um eine flotte Verkaufsvariante. Wir haben zuerst einmal im Dialog mit Wirtschaftstreibenden zu klären:
a) Gibt es aktuelle Fragestellungen, die uns gleichermaßen interessieren?
Falls ja, bleibt zu erörtern:
b) Gibt es Aufgabenstellungen, die sich aus diesen Fragen ableiten und die wir teilen könnten?
Das verlangt auch Klärung:
c) Welcher Art sind unsere Kompetenzen, die sich in einem gemeinsamen Vorhaben komplementär ergänzen und verstärken könnten?

Ich habe diese Überlegungen herausgearbeitet, um eine Vorstellung von möglicher KOOPERATION zu entwickeln, bei der sich Menschen aus ganz unterschiedlichen Genres treffen könnten. Davon erwarte ich mir eine realistische Perspektive und eine praktikable Idee von längerfristiger Zusammenarbeit, die auf Prozesse zielt und sich nicht in einzeln gesetzten, womöglich großspurigen Events erschöpft.

Damit konzentriere ich mich auch auf Optionen, die in jenem „Ideenspiel“ anklingen, welches momentan unter dem Slogan „Vision 2050“ regional zur Debatte steht. Da war ja zu fragen: Auf welche Art könnten oder werden sehr unterschiedliche Instanzen der regionalen Gesellschaft mit einander kommunizieren, um eventuell auch in Kooperationen zu finden?

Wie oben angedeutet: Aktuelle Fragestellungen, die uns gleichermaßen interessieren, könnten zu Aufgabenstellungen führen, die wir uns eventuell teilen wollen.

[2050: übersicht]

das kühle extrazimmer 13

Netzkultur handelt unter anderem von den Möglichkeiten, die uns Kommunikationstechniken bieten, wie sie die Menschheit kürzlich noch nicht kannte. Aber gerade WEIL diese Technologien mächtige Werkzeuge sind, brauchen wir dazu kulturelle Kompetenzen, die keineswegs neu sind.

Wieso soll ich mich auf Informationsangebote von Kulturschaffenden einlassen, die den Kommunikationsstil von Klinkenputzern haben? Ich verzichte! Unter all dem Müll, der einem ungefragt zugeworfen wird, sind nicht einmal Nuggets. Gold auf Schutthalden? Nur im Märchen.

Habe ich in den letzten zwei Jahrzehnten je das besondere Stück aus einer Massensendung erhalten, in dem mir etwas Interessantes angedient wurde? Nein, mir ist kein Beispiel erinnerlich. Es mag ja Geschäftsbereiche geben, wo von einer Million rausgefeuerter Werbemails ein halbes Promille der Leute reagiert. Das ist dann schon was. Oder auch nicht.

Im Kulturbereich ist dieser Modus „fire and forget“ der Ausdruck von Wichtigtuerei und Geringschätzung auch der eigenen Arbeit gegenüber. Die meisten kulturellen Angebote setzen ja auf diese oder jene Art auf Kommunikation. Die Version „Ein Sender, viele Empfänger“, das alte „Broadcasting“, übrigens eine grundlegende Zutat des Faschismus, ist weder der gegenwärtigen Mediensituation gerecht, noch kulturellen Themen angemessen.

Ich empfinde es als provokant, als ärgerlich, wenn mir gedankenlose Schussel ihre Nachrichten aufdrängen; ohne jede Rücksicht, ob ich das wissen möchte oder nicht, ohne jedes Augemerk auf eine sinnvolle Kommunikationssituation.

Als Großmeister dieser bornierten Sturheit erweist sich etwa Manfred Kielnhofer mit dem banalen Dauerläufer „Wächter der Zeit“. Den Kerl wird man nicht los, da kann man freundlich oder unfreundlich kommen. So hat eben auch der Kulturbetrieb seine Lugners, Posaunisten der eigene Wichtigkeit, die sich nicht über die Qualität des Werkes erweist, sondern über die „Lautstärke“ der Medienanwendung.

Es gibt aber auch ganz andere Beispiele. Eines davon möchte ich hier zitieren. Ein rares Beispiel. Und obwohl ich festgestellt habe, daß mir dieses Informationsangebot eher nichts für mein laufendes Tun nützt, ist es dann dieser Kommunikationsstil, der mich bewegt hat, mir die Website genauer anzusehen und dem Absender zu schreiben.

Sehr geehrte Damen und Herren,

da aufgrund der Gesetzeslage in Österreich das versenden von e-mails ohne vorangehende Einwilligung des Empfängers verboten ist, ersuchen wir Sie um eine Bestätigung, um Ihnen weiters Baunews über Bauvorhaben aus Österreich zusenden zu können.

Senden sie einfach dieses Mail über folgenden Link an uns zurück (Anmelden) und Sie werden in unser System aufgenommen. Sollten Sie keine weiteren Informationen wünschen, löschen Sie einfach diese Nachricht und Ihre e-Mailadresse wird nicht in unser System aufgenommen. Sie erhalten keine weiteren Zusendungen mehr.

Es würde uns freuen Sie weiterhin Informieren zu dürfen.

Mit freundlichen Grüßen
Roland Kreslin
(baunachrichten.at)

[NETZKULTUR: der überblick]

Aloha Antarctica

Heute ist, so lese ich, „Weltmännertag“. Zu diesem Thema habe ich nichts beizutragen. Aber da ereignet sich gerade eine bemerkenswerte Geschichte, von der ich erzählen will.

Der Gleisdorfer Dieter Staudinger hat in Armin Wirth einen Weggefährten für eine Route gefunden, welche sich die meisten von uns gar nicht vorstellen möchten. Die beiden Männer starten in den nächsten Tagen von der Station SANAE, um auf einer komplett unerforschten Route zum Südpol zu gehen. GEHEN! Das macht rund 2.200 Kilometer; falls sich die Männer nicht verlaufen. Von da aus geht es dann über eine schon erforschte Route zum Hercules Inlet am Ronne-Eisschelf; macht weitere 1.300 Kilometer. November, Dezember, Jänner.

Dieter Staudinger (Foto: Iceolutions)

Die Männer werden auf Skiern unterwegs sein und ihre Habseligkeiten auf Schlitten (Pulkas) mit sich führen. Da sind rund 150 Kilo pro Person zu bewegen. Bei gutem Wind wollen sie Kites auspacken. Ich vermute: Nur bei guter Sicht. (Man möchte gewiß weder zu Wasser, noch zu Land, noch in der Luft gegen einen Eisberg knallen.)

Ich bin so frei, mir nicht genauer auszumalen, was einem so ein Gang abverlangt.

Als Autor, der die Heizkosten seiner Bleibe heuer auch noch schafft – es gibt ja reichlich, worüber zu schreiben ist –, ziehe ich die warme Stube vor. Wenn mir nach Abenteuer ist, dann renne ich schon auch gelegentlich ins Ungewisse, aber in wesentlich bescheideneren Dimensionen.

Der Gang zu Staudingers Gleisdorfer Heim wäre von mir aus ein netter Spaziergang, die Region ist eher lieblich, war, seit ich sie kenne, noch niemals rauh. Staudinger geht also in extremen Kontraste zu dem, was wir hier kennen.

Sieht man allerdings genau hin, was bei ihm zur Debatte steht, um dieses Polar-Tour zu bewältigen, zeigen sich mögliche Anregungen. Da heißt es etwa: „Einen Schritt nach dem anderen gehen, einen Tag nach dem anderen nehmen.“ No na? Eh klar?

(Foto: Iceolutions)

Natürlich kann ich von meiner Warte aus diese Staudinger-Wirth-Geschichte nur als „extrem“ bezeichnen. Aber das hat in unserer Kultur Geschichte. Die griechische Mythologie bietet uns zum Beispiel Ikarus und Dädalus an. Um von der Insel Kreta fliehen zu können, hatte Dädalus für sich und seinen Sohn Ikarus Flügel angefertigt, die sich bewährten.

Beide flogen in die Freiheit, doch Ikarus in den Tod, da er sich – gegen die ausdrücklichen Anweisungen seines Valters –, zu hoch in die Lüfte und der Sonne zu nahe wagte, worauf das Wachs, von den die Federn der Flügel verbunden wurden, schmolz.

Warum verehren wir eher den leichtsinnigen Ikarus, der seinen Höhenflug mit dem Leben bezahlte? Warum erscheint uns Dädalus dagegen fast blaß? Darüber lohnt es sich wohl, nachzudenken; so dämmert einem vielleicht, was das Staudinger-Wirth’sche „Einen Schritt nach dem anderen gehen, einen Tag nach dem anderen nehmen.“ bedeuten mag.

Nehmen wir an, es wollen beide ihre Leben nicht in einer großen Geste verausgaben, sondern vom Südpol auch zurückkehren. Nehmen wir an, solche Kräftespiele finden sich gleichermaßen im Alltag; in eine persönliche Zukunft führend oder gelegentlich tödlich.

Nun zeichnet sich ein wenig ab, warum mich diese Südpolwanderung eines Gleisdorfers und seines Weggefährten gerade so anspricht. Wir konnten kürzlich in Gleisdorf und Weiz den Auftakt zu einem erhofften Prozeß erleben. Ein Prozeß des Reflektierens und Debattierens. Dabei mögen wir uns der Frage stellen, wie diese Region 2050 befindlich sein könnte und ob wir auf dem Weg dort hin gestaltend auf jene Prozesse einwirken können, die diesen fernen Status quo herbeiführen.

Wagnisse. Keinerlei Massenphänomene. Eine Summe von Entscheidungen und Taten einzelner Personen. Manches davon banal, manches davon vielleicht bedeutend. Voller Risken und ohne jede Klarheit, was genau einen im nächsten Abschnitt erwartet, wie die Wege dorthin beschaffen sein werden.

Sehen Sie nun, wie interessant es sein kann, solchen Männern ein wenig über die Schultern zu sehen? Was auch immer die Motive von Staudinger und Wirth sein dürften, was auch immer ihre Erfahrungen sein werden, allein die Tatsache, daß sie in derlei Unbekanntes aufgebrochen sind, wissend, es wird überaus beschwerlich sein, enthält etwas von Ermutigung auch für sehr viel einfachere Wege.

P.S.:
In meinen Vorstellungen sehe ich die beiden Männer als GEHEND, auch wenn sie Skier verwenden, zuweilen den Kite als Segel. Kleine Schlittenfahrten werden dabei vielleicht einen Teil der Strecke ausmachen, aber Skier sind doch bloß reichlich große Schuhe und letztlich müssen die Männer ihren Leibern, vor allem ihren Beinen trauen können, also: gehen.

[Aloha Antarctica]