Ich bin mit einigen Verbündeten strikt auf Zuversicht ausgerichtet; auf die Zuversicht, daß wir Problemlagen, die uns in den letzten Jahren erwuchsen, bewältigen werden und daß wir daraus Erfahrungen gezogen haben, die uns auf diesem Weg Klarheiten bieten.
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was ist kunst? #19
in meinem milieu „beuyselt“ es gerade wieder heftig. damit meine ich, es ist ein vermehrtes aufkommen von berufungen auf joseph beuys festzustellen. dieses phänomen hat so eine konjunkturen. in den meisten fällen der berufungen ist es angewandte schlamperei.
wir haben bei „kunst ost“ nun schon einige zeit eine kooperationssituation mit kunstsammler erich wolf. der verdreht schnell die augen, wenn man ihm mit diesen schlampigen beuys-auslegungen kommt. wir teilen das anliegen, der gegenwartskunst mehr augenmerk und terrain zu sichern. dabei ist es sehr abträglich, wenn halbgare vorstellungen kolportiert werden, die vor allem zweierlei fördern. sie bedienen den bebend vorgetragenen appell von unsichern leute, doch bitte auch dem metier der kunstschaffenden zugerechnet zu werden. und sie ermutigen die verächtlichen, sich hinter diesem ignoranz-posten einzugraben: „das kann eh jeder!“
ich hab kürzlich in meinem logbuch eva blimlinger, die neue rektorin der akademie der bildenden künste, zitiert: „Mich nervt, dass manche glauben, wenn sie drei Versatzstücke haben, können sie alles. Das lässt sich generell auf die Kunst übertragen: Bestimmte Dinge muss man lernen, als Künstler.“ [link] was spricht bloß gegen solches lernen, gegen das vertiefen in stoffe und das klären von kontext?

wenn es „beuyselt“, geht es meist dabei um den „erweiterten kunstbegriff“ im zusammenhang mit der beschreibung einer „sozialen plastik“ und um eine unterstellung, wonach beuys gesagt haben soll, jeder mensch sei ein künstler; so im sinne von kunstschaffend gleich franz sattler als fotograf, herta tinchon als malerin oder jörg vogeltanz als graphic novelist, so wie ich als autor.
es wäre natürlich völliger unfug, derlei anzunehmen. es wäre mumpitz, jahrzehnte der künstlerischen praxis für unerheblich zu halten und gelegentlich spontanes hineinschnuppern als gleiche kategorie zu deuten. dabei interessiert mich keine idee von erhabenheit oder exzellenz. es geht mir bloß darum, daß ein apfel keine birne ist und daß jede kommunikation in’s leere leäuft, wenn wir uns nicht gelegentlich rückversichern, was denn nun womit gemeint sei.
ich bin keineswegs eine autorität in der beuys-exegese, aber das getraue ich mich herzusagen: so hat es beuys keinesfalls gemeint, daß alle menschen künstler seien, sondern bloß, und das ist ja brisant genug, daß sie welche sein könnten. in einem der überlieferten gespräche (beuys, kounellis, kiefer und cucchi) heißt es etwa: „Wenn Du ein waches Auge hast für das Menschliche, kannst Du sehen, daß jeder Mensch ein Künstler ist“, was ja ganz offenbar ein nachdenken über die conditio humana ausdrückt, also auch über menschliche POTENZIALE.

hier geht also generell um möglichkeiten der menschen und um quellen, aus denen zu schöpfen ist, auch um die frage, was denn die kunst und was künstlerische praxis sei. das rechtfertigt keinen umkehrschluß im sinne von: „alle menschen sind künstler“.
kürzlich habe ich eine veranstaltung erlebt, da wurden vor dem publikum einige leute zusammengesetzt, um ein thema zu diskutieren. dieses setup wurde zur „sozialen plastik“ erklärt und die moderatorin betonte mehrmals, daß sie, um diese aufgabenstellung zu verstärken, die gemeinten personen wie eine „reihe von perlen“ beinander halten würde.
es machte deutlich, hier wurde beuys recht schlampig so gedeutet, daß etwas herzustellen sei, was dann als „soziale plastik“ gelten dürfe, nämlich jenes grüppchen vor em publikum und die kommende debatte. ich kenne keinen hinweis, der uns nahelegt, das herstellen von etwas bestimmten könne eine „soziale plastik“ ergeben. es ist doch eher so, daß „soziale plastik“ etwas sehr viel größeres und grundlegenderes meint, etwas gesamtgesellschaftliches. in diesem sinn kann ich als künstler zwar beiträge zur „sozialen plastik“ erbringen, aber nicht ihr autor, ihr urheber sein.
ich denke, es ging beuys dabei um einen gesamten sozialen „organismus“, der (mit-) zu gestalten sei. es ist natürlich auch „gebeuyselt“, wenn ich behaupte, daß jede handlung politische relevanz habe. es weist allerhand darauf hin, daß es angemessen sein mag, in küntlerischer praxis da und dort im sinne beuys’ zu handeln, doch sich explizit auf ihn zu berufen halte ich für eitlen unsinn und eine überflüssige übung.
da mein werk und mein tun ohnehin auf den vorleistungen anderer beruhen, ist die referenz fast unausweichlich. im 20. jahrhundert haben etwa duchamp, warhol und beuys derart enormen einfluß auf die welt der (westlichen) kunst gehabt, daß mir scheint: man müßte ihren konsequenzen schon ziemlich bewußt und angestrengt ausweichen, um NICHT da und dort zu ihnen in tradition zu stehen.
das beliebte und geschwätzige „beuyseln“ hat was von den logos der sponsoren auf rennfahrzeugen, wie es dann die stutzer im alltag imitieren, wenn sie ihre golfs und audis mit markenzeichen dekorieren, um anzudeuten, daß sie schnelle und professionelle fahrer seien. nun erkennt man den schnellen und professionellen fahrer hauptsächlich an seinem fahrstil, da bedarf es keiner inszenierung. die logo-wirtschaft ist entbehrlich.
das ist dann auch in der kunst so. sie merken es gelegentlich an den einladungstexten zu vernissagen, wo sich leute hinreißen lassen, jeden gehabten sommerkurs aufzulisten, jede unerhebliche ausstellung in der letzen bankfiliale der hintersten provinz. legitimations-schinderei.
die komplexität von beuys’ werk hat eine dimension, die mich eher scheuen ließe, mich darauf öffentlich zu berufen. man muß ganz schön hoch springen können, um sich aus solchem schatten herauszubewegen. das übliche gehüpfe bringt einen da nicht voran.
p.s.:
da ich diese fotos in meinem beitrag verwendet hab: ich erinnere mich an einige sessions mit robert adrian x: [link]
hat er dabei beuys je explizit erwähnt? von sich auch nicht. bob hat allerdings ausgedrückt, daß ihm beuys und dessen auffassung von den zusammenhängen der kunst und der politik wichtig seien.
zum beispiel durch das tragen der kappe mit der aufgestickten ju 87, jenem „stuka“, in dem beuys 1944 während eines schneesturms auf der krim abgestürzt war. bob’s werk ist von beuys’ arbeit sicher markant beeinflußt. kein grund, das vor sich herzutrompeten… robert adrian x: [intelligent machines] [Zero – the art of being everywhere] [Deja Vu]
das kühle extrazimmer 12
ich wiederhole einen ganzen absatz aus einem vorherigen eintrag, um dann recht ausführlich darzulegen, warum und wie netzkultur eine wirkungsvolle position gegenüber dem boulevard und medien-bezogenen major companies ernöglicht.
„das wohnzimmer mit seiner elektronik-ausstattung als platons höhle? wenn ich netzkultur als ein sinnvolles praxisfeld verstehe, auf dem wir medienzugänge und medienkompetenzen erlangen und praktizieren können, dann heißt das vor allem auch: üben wir meinungsbildung, um eine meinung zu haben. üben wir mediengestützte kommunikation, um eine grundlegende vorstellung zu erlangen, wie diese angebliche ‚informationsgesellschaft’ funktioniert.“ [quelle]
falschmünzerei wurde zu einem grundlegenden handwerk der medienindustrie, die aneignung von bildern, aus denen irreführende selbstdarstllungen werden, sind standard. ich nehme einen kleinen umweg. drei große konzerne dominieren den nahrungsmittelmarkt in österreich. dabei werden produkte aus der industriellen landwirtschaft mit bildern aus der bäuerlichen landwirtschaft berworben, vermarktet. das heißt, der dominante apparat plündert die kultur des marginalisierten bereiches, um mit dessen erscheinungsbildern an jenen verkaufserfolge zu arbeiten, durch welche die bäuerliche landwirtschaft marginalisiert wird. das ist ein ziemlich zynischer prozeß, ein ungeschminkert raubzug.
übertrage ich diese erfahrung auf den medienbereich, passen die bilder natürlich nicht ganz genau. dennoch liegen ein paar anregungen in so einem vergleich. flaches entertainment gibt sich als kulturelles geschehen von relevanz aus und generiert jene breitenwirkung, über die anspruchsvolleres kulturgeschehen marginalisiert und abgewirtschaftet wird. was hat netzkultur dagegen auszurichten?

wir haben uns von der werbebranche in wirtschaft, politik und einigen anderen genres daran gewöhnen lassen, daß die systematische täuschung von menschen akzeptabel sein soll, daß ein behaupten ohne belege preiszugeben und ohne einer verifizierung standzuhalten etwas anderes als lügen sein soll. diese mischung aus falschmünzerei und marktschreierei hat kuriose konsequenzen.
irgendwelche einwände? selbstverständlich! viele! aber!
gegenüber dem boulevard und den diversen major companies der medienwelt werde ich mich nicht als guerrilero gebärden, denn diese pose wäre mit einem federstrich erledigt. mit einem hammer in der hand eine festung flach machen zu wollen, das sind eitle träume, welche einen für einige zeit über den mangel an konkretem tun hinwegtrösten können.
andrerseits ist unsere kultur reich an erfahrungen, daß die tyrannis oft eine einzelne stimme fürchtet, daß ein system kursierende gerüchte bekämpft, daß klar vetretene positionen, auch wenn sie bloß ein flüstern auf dem glacis sind, zuweilen in der festung vernommen werden.
um bei der eingangs skizzierten analogie zu bleiben: es ist kategorial zwischen industrieller und bäuerlicher landwirtschaft zu unterscheiden, auch wenn die bilder täuschen. intentionen, methoden und wirkungsweisen sind höchst unterschiedlich. solche unterscheidungen kennen wir natürlich auch im medienbereich, in unserer informationellen umwelt. unsere kultur ist von solchen divergenzen geprägt.
doch um das eine vom anderen unterscheiden zu können, brauchen wir kriterien und neue medienkpompetenzen. vor allem, wo globale player via propaganda mimikry betreiben und in diesem geschäft der verstellung, der maskerade – wie erwähnt – oft jene kulturen plündern, die sie überrennen, an den rand drängen, marginalisieren. in diesen kräftespielen stehen einander also völlig ungleiche parteien gegenüber.
die erwähnten kriterien und medienkpompetenzen werden uns zum zweck einer angemessenen kritikfähigkeit selbstverständlich nicht von diesen major companies angetragen. wir müssen sie also von anderen instanzen einer gesellschaft beziehen. der kulturbereich ist nur eine dieser instanzen. kulturschaffende und die von ihnen geschaffenen initiativen sehen zum teil genau darin einige ihrer wesentlichen aufgaben und ein stück ihrer legitimation: medienkompetenzen und kulturell relevante inhalte zu vermitteln. das ist ein wichtiger inhaltlicher schwerpunkt, seit sich in österreich eine „netzkultur-szene“ herausgebildet hat.

dieser szenebegriff ist freilich ein sehr offener, der für ein vexierbild steht. aber im schnittpunkt mehrerer deutungen finden wir ein konglomerat von autonomen kulturinitiativen, print-leuten, radio-leuten und (kultur-) server-crews, begleitet von einzelnen kunstschaffenden oder kleinen gruppen davon. (siehe dazu auch: [ncc]!)
aus den frühen jahren der theorie und praxis dieser szene stand in österreich das prinzip, für „public access“ zu sorgen. das meinte in zeiten vergleichsweise hoher zugangskosten, für den kulturbereich möglichst fette, preiswerte übertraguntsraten einzufordern. es stand ein „austrian cultural backbone“ zur debatte. es gehörte dazu, für die nutzung dieser technologie kompetenzen der handhabung UND bezüglich inhaltlicher fragen zu bieten.
aus der zeitungs-szene waren diskurse um fragen der meinungsbildung längst eingeführt, war ein augenmerk auf inhaltliche kompetenzen und kommunikationsvermögen präsent. vom fall des rundfunkmonopols und der preis- wie performanceentwicklung im web-bereich versprachen wir uns neue möglichkeiten, die demokratischen anliegen bezüglich kritischer öffentlichkeit nun besser voranzubringen. ganz so ist es dann nicht gekommen. dennoch hat sich einiges ändern lassen. vor allem sind etliche unserer kulturpolitischen anliegen heute auch in gesetze eingegangen.
so korrespondiert beispielsweise, was ich unter dem stichwort „public access“ angedeutet habe, mit einem gesetzesauftrag, den man aus dem aktuellen steirischen kultuförderungsgesetz herauslesen kann. der paragraph 1 nennt im absatz (4) als „insbesondere folgende Ziele“ der kulturförderung unter anderem „eine zum Verständnis und zur Kritik befähigte Öffentlichkeit“.
das ist auffallend NICHT das geschäft der meisten medienkonzerne. ich nenne stellvertretend das genre tv. fernsehsender fluten unseren alltag mit bildern, die vorgeben, unsere realität abzubilden, was definitiv nicht der fall ist. dabei entsteht eine normative kraft, durch die unsere realität gezwungen wird, sich an diesen bildern messen zu lassen, sich ihnen sogar anzugleichen. das surrogat erhebt sich über das original. das ganze ist außerdem ein enormes business. wohin das zielt, hat berlusconi unmißverständlich klar gemacht.

also was tun, wenn sich der boulevard in solchem vorgehen weder bremsen noch aushebeln läßt? ein erster schritt kann sein, sich klar zu machen, daß „die öffentlichkeit“ und „der öffentliche diskurs“ nur phantasmen sind. beides gibt es nicht. es gibt statt dessen ein stückwerk an mehr oder weniger qualifizierten teilöffentlichkeiten. was wir als öffentlichkeit oder öffentlichen diskurs wahrnehmen, ist tatsächlich nicht mehr als ein chor sehr unterschiedlicher stimmen.
allerdings bemühen sich major companies auffallend, diesen chor zu homogenisieren. bezüglich der nazi-ära waren derlei bemühungen mit dem begriff „gleichschaltung“ bedacht. ich meine, der begriff taugt heute noch, um zu benennen, was hier versucht wird. das phantasma von „der öffentlichkeit“ verdeckt den stückwerk-charakter von realer öffentlichkeit.
hat man das einmal verstanden, mag einem deutlich werden, daß sich auch kleine chöre und einzelne stimmen in diesen chor, in dieses stückwerk mischen können. war das noch vor jahrzehnten stark davon abhängig, wer dank welcher türhüter welche medienzugänge hat, so hat die aktuelle mediensituation den gatekeepers sehr viel an bedeutung genommen.
die „neuen medien“ haben – nur weil sie da sind – noch keine „neue demokratie“ eingeführt, aber sie haben die mediensituation prinzipiell enorm verändert. das „broadcasting“ war eine methode des faschismus: „ein sender/viele empfänger“. durch die edv-gestützte medienkonvergenz plus die faktische situation „viele sender/viele empfänger“ ist broadcasting keineswegs suspendiert, aber die karten wurden neu gemischt.
was wir also brauchen, sind medienpraxis, medienkompetenz, aber auch einige „alte qualitäten“, also basics der meinungsbildung und des diskurses.
mit diesen fertigkeiten und dem willen, eine zeitgemäße zivilgesellschaft zu formieren, die sich an bewährten bürgerrechten orientiert und deren praktische umsetzung laufend probt wie praktiziert, können sich einzelne in den vorhin erwähnten chor einbringen, können gruppierungen in diesem zusammenhang längerfristig erhebliche wirkung entfalten.
ich werde mich in solchen prozessen selbstverständlich nicht an einrichtungen messen, mit denen ich in keiner weise vergleichbar bin. das heißt, mein tun im medienbereich und im bereich der netzkultur braucht sich nicht an der enormen wirkung großer companies messen lassen. es genügt, wenn ich in meinem unmittelbaren lebensraum mediale wirkung entfalte und dem DAUER verleihe.
meine praktische erfahrung besagt, daß ich innerhalb eines bezirkes, einer einzelnen stadt sowieso, eine mediale situation zu generieren vermag, die etwa von ortshonoratioren und von der regionalpolitik nicht ignoriert werden kann. wenn ich das schaffe und wenn da noch, 20, 50, 100 andere wären, die das in ihrem umfeld auf ähnlich art pflegen, wäre die situation einer zivilgesellschaftlichen öffentlichkeit schon eine völlig andere als unser jetziger status quo.
ich denke, dafür muß die sache mit der meinungsbildung sehr ernst genommen werden. also sachkenntnis und kommunizierbare positionen, bei gleichzeitigem verzicht auf die phrasendrescherei, wie sie der boulevard pflegt, wie wir sie auch aus der politik kennen. es gibt keinen grund, sich des jargons zu bedienen, der von kommerziellen medien forciert wird, weil man den menschen angeblich mehr komplexität nicht zumuten könne.
die marktlage mag es den firmen ja aufzwingen, daß man im brutalen wettkampf mit anderen die aufmerksamkeit von massen an sich reißt und für einige minuten bei sich halten kann. marktschreierei und komplexitätsreduktion bis zur nach unten ausgebeulten flachheit müssen wir von solchen anbietern weder übernehmen, noch müssen wir mit diesem getöse konkurrieren.
wir können all die nischen besetzen, die von solchem lärm verschont oder abgeschottet sind. vielleicht muß man manchmal sehr leise werden, um gehört zu werden.
[NETZKULTUR: der überblick]