Archiv für den Monat: Juni 2011

das kühle extrazimmer #11

philosoph oliver marchart schrieb in seinem aufsatz „kulturarbeit als ‚freie opposition’“ zur „ewigen frage: was tun?“: „es geht nicht mehr nur voluntaristisch darum, möglichst schnell möglichst viele leute auf die straße zu bringen. neue fragen sind dazugekommen: wie kann dem widerstand dauer und substanz gegeben werden? wie läßt sich erreichtes (wie politisierung, engagement, netzwerke, kontakte…) befestigen und ausbauen?“

die publikation „sektor3/kultur“ (widerstand, kulturarbeit, zivilgesellschaft) stammt aus dem jahr 2000. es war die zeit einer blauschwarzen regierung. marchart fragte in seinem text: „wie läßt sich die momentane politisierung halten?“ wir müssen möglicherweise zugeben: es kann gar keine rede davon sein, daß wir diesen oder jenen status von 2000 gehalten hätten. ich sehe weder eine klare kontinuität, noch eine kollektive reflexion der gemachten erfahrungen, um strategien und kulturelle praxis zu evaluieren.

wo stehen wir rund ein jahrzehnt nach diesen arbeitsschritten?

aus welcher position sprechen ich? die sache beschäftigt mich als freischaffender künstler, der ein kulturelles engagegement jenseits des landszentrums verfolgt, und zwar im sinne der ideen eigenständiger regionalwntwicklung. dabei trete ich als akteur einer „netzkultur-szene“ auf, die sich seit etwa ende der 1980er-jahre bemüht hat, sich mit eigenen konzepten gegenüber den etablierten major-companies des mediengeschehens aufzustellen.

das hieß ursprünglich: zeitung machen, kleinverlage entwickeln. dazu kamen später erste online-projekte, schließlich komplette server-crews von netzkultur-knoten, schließlich die freien radios, welche durch den fall des rundfunk-monopols möglich wurden.

das buch „sektor3/kultur“ dokumentiert eine konferenz der ig kultur österreich, die im frühjahr 2000 stattgefunden hat. rund ein jahr davor hatten wir in linz die „meko 99“ absolviert. es war die erste österreichweite medienkonferenz dieser drei milieus, der print-leute, der web-leute und der radio-leute. diese konferenz wurde im buch „sektor3medien99“ (kurskorrekturen zur kultur- und medienpolitik) dokumentiert. hier die „linzer erklärung“: [link]

ich sehe mich bei meiner arbeit in dieser tradition stehend, vermisse dabei aber klar die kontinuität einer „szene“. wir haben zwar beispielsweise in graz einige biennalschritte mit dem „ncc“ vollzogen, dem „net art community congress“, der schließlich vom kongress zur convention wurde: „net art community convention“: [link]

aber es läßt sich nicht belegen, daß netzkultur-szene und etwa eine ig kultur steiermark zu einer vernetzten und kontinuierlichen kulturpolitischen arbeit gefunden hätten, die vor allem auch im „realraum“ über das zentrum graz hinaus gewachsen wäre. analoger raum und virtueller raum blieben in der frage ungenutzt. auch via teleworking ist nichts entstanden, was sich über einige jahre bewährt hätte.

ich betone diese punkte, weil die aktuelle politische lage der steiermark bei der zivilgesellschaft mehr als dringenden handlungsbedarf aufwirft. aber, wie oliver marchart notiert hat: was tun? eine aktionsbereitschaft, die sich hauptsächlich auf den straßen von graz manifestiert hat, bewirkte in aktuellen budgetverhandlungen tatsächlich einige wirkung. so viel ist evident. was folgt daraus? wie und womit wird es weitergehen?

ich haben nun an mehreren stellen drei grundlegende fragen notiert, die sich im netzkultur-kontext nahelegen, die aber in einer demokratie ganz generell fundamentalen rang haben:
+) bin ich sichtbar?
+) werde ich gehört?
+) werde ich verstanden?

wo der gang in den öffentlichen raum, auf die straße, gelingt, wenn dabei eine große anzahl von menschen mobilisiert wird, habe ich kurzfristig die ersten beiden fragen eingelöst. da ich aber die orientierung hin auf die einlösung der dritten frage für unverzichtbar halte, muß klar sein, daß die strategien der mobilisierung richtung straße dazu nichts beitragen.

das bedeutet, es muß komplementär noch andere ansätze und verfahrensweisen geben. die handeln von kommunikation, diskurs und von medialen angelegenheiten, also auch von medienkompetenzen. das sind auf jeden fall netzkultur-agenda. die kunst wird dabei selbst keine unmittelbare rolle spielen, weil kunst kein werkzeug ist. aber kunstschaffende wären natürlich gefordert, jene kompetenzen, die man aus künsterischer praxis erwirbt, in diese prozesse einzubringen.

siehe zum aktuellen stand der dinge auch:
+) bitte aufwachen!
+) klärungsbedarf
+) streitkultur oder kulturstreit?

— [netzkultur: der überblick]

streitkultur oder kulturstreit?

es herrscht quer durchs land viel dissens. genügt es nun, auf der straße präsent zu sein? ist offener protest als ausdruck von empörung ein hinreichendes mittel, um dem politischen personal des landes etwas auszurichten? wird im landhaus oder in der burg darauf reagiert, wenn sich hunderte oder gar tausende menschen auf der straße einfinden, um ihre forderungen laut vorzubringen?

landtagsabgeordnete ingrid lechner-sonnek

ich hab eine landespolitikerin gefragt, was ihr eindruck bezüglich dieser option sei. ingrid lechner-sonnek bestätigt klar, daß solche ereignisse nicht ignoriert werden. das öffentliche protestverhalten selbst und auch dessen mediale auswirkungen lösen in politischen kreisen reaktionen aus.

es sei überdies evident, daß am budget, dem anlaß für diese proteste, im letzten moment noch einige millionen euro in bewegung gebracht werden konnten, was ohne die rund fünftausend menschen auf der straße sicher nicht geschehen wäre.

das ist also die eine ebene des geschehens. da wird es interessant sein, erstens zu erfahren, wie praktikabel und prolongierbar diese präsenz und dieses ensemble von aktionsformen sind, um – zweitens – damit auf den lauf der politik einzuwirken.

mich interessiert freilich auch sehr, welche positionen und welche sozial- wie kulturpolitischen grundlagen heute zur debatte stehen. damit meine ich: mit WEM konkret kann ich WAS konkret verhandeln? auf welchen BEFUND des status quo stützt sich dieses verhandeln? in diesen fragen finde ich sehr unterschiedliche auffassungen vor.

so habe ich etwa das problem, im kulturförderungsgesetz des landes passagen zu finden, welche ich als kunstschaffender begrüße, weil sie mir akzeptable grundlagen für meine arbeit anbieten. aber ich finde diesbezüglich weder in politik und verwaltung angemessene sachkenntnis und bereitschaft, diesen gesetzlichen grundlagen nachzukommen, noch in meinem eigenen milieu einen ausreichend entwickelten stand des diskurses solcher zusammenhänge.

daraus muß ich – polemisch verkürzt – schließen: bei der bloßen entscheidung, die eigene empörung in einer straßenaktion umzusetzen, würden einander voraussichtlich leute aus a) der zivilgesellschaft und b) politik & verwaltung gegenüberstehen, die dem thema kaum gewachsen sind und keine klare vorstellung haben, welche strategien mit welchen zielen zu suchen wären. es bliebe also hauptsächlich, einander anzubrüllen.

ich kontstatiere das im KULTURbereich. den SOZIALbereich betreffend bin ich nicht ausreichend sachkundig, um den stand der dinge zu beurteilen. aber ich frage gerne leute, die das sind.

politikerin ingrid lechner-sonnek hat diese kompetenzen fraglos. franz wolfmayr hat sie ebenso. er ist präsident des EASPD, das ist der „europäische dachverband von dienstleistungsanbietern für personen mit behinderung“.

franz wolfmayr ist im dachverband der steirischen behindertenhilfe und auf europäischer ebene aktiv

ich habe mit wolfmayr gerade einen abend lang debattiert, wo wir in diesen angelegenheiten stehen und womit genau wir es zu tun haben. als eines der größten probleme weist wolfmayr den verlust jeglicher paktfähigkeit maßgeblicher politiker aus. das bedeutet, man könne sich auf getroffene abmachungen nicht verlassen und müsse sogar hinnehmen, daß eine gebrochene vereinbarung von der politik medial als erfolgreicher konsens gefeiert werde.

das ist zugleich schon eines der brutalsten symptome meines momentan bevozugten befundes, dem wolfmayr zustimmt. es geht mir um die „auseinandergebrochenen sphären“.

wir sollten eigentlich politik und zivilgesellschaft als zwei sphären eines größeren ganzen verstehen und erleben können. zwei sphären, die einander wechselseitig bedingen und daher nicht getrennt werden könn(t)en. das wird in unserer kultur übrigens allein schon das wort ausgedrückt, weil sich der terminus POLITIK von ZWEI begriffen herleitet, der POLITIKÉ und der POLIS. die „staatskunst“ und das „gemeinwesen“, also in heutiger deutung: politik und zivilgesellschaft. erst in ihrem zusammenwirken ergeben sie das, was wir POLITIK nennen, wenn wir damit NICHT parteipolitik meinen. jedes für sich, ohne das andere, ist in unserer derzeitigen auffasung von demokratie eigentlich weder vorstellbar noch zulässig.

nun erleben wir, daß diese beiden sphären faktisch auseinandergefallen sind. dazu kommt verschärfend, daß auch die kommunikation zwischen diesen beiden ebreichen weitgehend abgebrochen ist, was sich unter anderem genau darin zeigt, daß eine wechselseitige verpflichung offenbar nicht mehr wahrgenommen wird. das äußert sich zum beispiel in eben diesem entfallen von paktfähigkeit. (das ist eine brandgefährliche situation!)

nun haben die leute im sozialbereich vor allem damit viel erfahrung, denn das ringen um eine menschwürdige situation für behinderte handelt im kern seit wenigstens 30 jahren genau davon: FÜR jene, die nicht sprechen können bzw. nicht gehört werden, einzufordern und durchzusetzen, daß die „andere seite“ sich ihnen gegenüber klar verpflichtet und sie in dieser vereinbarung nicht im stich läßt. das ist, soweit ich es als zaungast miterlebt habe, die essenz jener entwicklungen, die im rückblick als „steirische integrationsbewegung“ darstellbar sind.

kleiner einschub:
wie kurios! genau DAS war für mich über jahrzehnte die vorherrschende konnotation des begriffes INTEGRATION, daß behinderte und nichtbehinderte die gleichen lebensräume bevölkern sollen und nicht ein teil in nischen bzw. reservate entsorgt wird. heute ist das wort integration mit völlig anderen assoziationen verknüpft.

egal, ob wir uns nun einem teilbereich wie „behinderte“ oder „kunstschaffende“ zurechnen, beide von sozialer marginalisierung geprägt, ob wir das feld der gesamten zivilgesellschaft ins auge fassen, es stellen sich einerseits fragen nach dem „WIR“, worauf es sich stützt und wie es zustandekommt, es stellen sich aber auch fragen für die einzelne person:
+) bin ich sichtbar?
+) werde ich gehört?
+) werde ich verstanden?

das ist einer der aspekten, den wir erörtert haben. gelingt es uns, eine art grundanforderung zu erkennen, die letztlich ALLE gemeinsam haben, egal welcher „peer group“ sie sich zurechnen? dem folgt dann die überlegung, welche kulturelle und mediale ausstattung uns nützt, auf diese fragen befriedigende antworten zu erleben.

— [kunst.rasen: assistenz] —

frauenmonat von „kunst ost“

nach dem „april-festival“ nun ein weiterer programm-fixpunkt im jahreslauf: der „frauenmonat“. kunsthistorikerin mirjana peitler-selakov hat mit dem schwerpunkt „FMTechnik!“ das thema „frauen, macht und technik“ ins blickfeld der heurigen aktivitäten gerückt. die generelle inhaltliche arbeit zu diesem thema verknüpft peitler-selakov mit einem speziellen künstlerischen beitrag.

künstlerin ulla rauter (links) und kunsthistorikerin mirjana peitler-selakov

lokalaugenschein. projektbesprechung. künstlerin ulla rauter [link] besuchte gleisdorf. wir haben einen raum in einer passage im stadtzentrum zur verfügung; beim „popcorner“: [link] … eine immobilie von horst lesser: [link]

damit gehen wir einmal mehr mit beiträgen der gegenwartskunst in räume des alltagslebens der stadt. rauter wird aktuelle werke zeigen, aber auch direkt vor ort etwas erarbeiten.

"glissando" von ulla rauter

die künstlerin wird in wien von konzett vertreten: [link] ihre subtilen arbeiten sind anlaß, auch die aktuelle mediensituation zu reflektieren. die vernissage zur ausstellung von ulla rauter ist mit einer speziellen performance für dienstag, den 5. juli 2011, angesetzt. kurz darauf, am 8. juli, wird eine fachtagung im „service center“ der stadt gleisdorf (rathausplatz 3) realisiert.

die frauenbeauftrage von gleisdorf, vizebürgermeisterin christa lang, trägt das vorhaben mit. bei dieser tagung werden versierte frauen von verschiedenen einrichtungen das thema in bezug auf ihren fachbereich referieren. „ams“, „institut für soziologie“, „FiT – frauen in der technik steiermark“ … es wird ein interessanter querschnitt präsent sein.

einen speziellen aspekt von „frauen und technik“ wird von der grazer künstlerin eva ursprung [link] vorgetragen werden. ihre erfahrung mit elektronischer musik spielt dabei eine wesentliche rolle.

außerdem tagen unsere „talking communities“ wieder zum thema „was sagen kunstwerke?“ diesmal mit der gleisorfer künstlerin herta tinchon [link]

das „kuratorium für triviale mythen“ hat inzwischen auch auf das thema reagiert. hier eine erste notiz zum thema wie männlich ist die technik?.

— [frauenmonat: FMTechnik!] —

klärungsbedarf

wir sind uns definitiv einig: die KUNST ist die kunst und hat ihren zweck in der kunst. sie ist kein werkzeug „um zu…“, kein soziales programm, keine wellness-einrichtung, keine tourismus-maßnahme. als kunstschaffende widmen wir unsere künstlerische praxis der kunst. basta! aber!

wir sind als künstler soziale wesen, politisch anwesend. das bedeutet, wir verwenden unser reflexionsvermögen auf den lauf und den stand der dinge. und wir bringen unsere kompetenzen, die wir unter anderem in langjähriger befassung mit kunst erwerben, als engagierte bürger in das gemeinwesen ein.

christian strassegger

nein, das ist jetzt keine erklärung, keine verlautbarung, kein manifest. dieses WIR ist ein sehr loses, eigentlich: flüchtiges, das sich über kommunikationsverhalten und gelegentliche zusammenkünfte konstituiert. wir sind keine gruppe. die zusammensetzungen an den tischen sehen meist höchst unterschiedlich aus.

so, das war nun die stunde der offenbarungen. mehr ist davon augenblicklich wohl nicht nötig. „kunst ost“ ergibt einen MÖGLICHKEITSRAUM, in dem sich gelegentlich etwas von all dem verdichtet. manchmal heißt das auch einfach: ein paar drinks und über das leben wie über die kunst plaudern.

mir ist freilich die KONTINUITÄT wichtig. ich lege großen wert auf ein anregendes geistiges klima. das braucht inspirierte menschen, die miteinander zu tun haben möchten; wenigstens temporär. deshalb müssen wir nichts gründen. es ist ohnehin schon alles gegründet worden.

emil gruber

früher gab es hier einmal eine verschwörung der poeten“. das hat mir auch gefallen. heute ist das setup anders, wesentlich luftiger. naja, das „kuratorium für triviale mythen“ spielt derzeit schon eine markante rolle. motive und schwerpunkte ändern sich eben.

diesmal saß ich mit christian strassegger und emil gruber am tischchen. gerhard flekatsch [bluethenlese] gesellte sich schließlich dazu. wir debattierten die möglichkeiten, gelder für weiterführende projekte zu lukrieren. das faktum runtergefahrener bzw. völlig gestrichener kulturbudgets der gemeinden im ländlichen raum läßt sich nicht zurecht- oder wegdiskutieren. es gab schon vor jahren da und dort den expliziten politischen wunsch, die mittel kunstschaffender runterzukürzen und lieber in den sozialbereich zu investieren.

aus einer gleisdorfer wahlkampfbroschüre vom märz 2010

ich kann mich nicht erinnern, daß quer durchs land stimmen dagegen laut geworden wären. dem steht gegenüber, daß eine ubanisierung der „provinz“ unsinn wäre, daß also strategien aus den zentren sich nicht hierher verlegen und sinnvoll anwenden lassen. dazu zählt auch, daß herkömmliche ideen von sponsoring für unsere tätigkeitsbereiche nicht umsetzbar sind.

gerhard flekatsch

momentan verfügbare ideen in diesem zusammenhang greifen bloß dort, wo es um etablierte kunstformen und um repräsentation geht. also zum beispiel im musikbereich, wo die operettte regiert, klassische musik zuspruch erlebt und zeitgenössische musik sich da in nischen mitereignen darf.

bei bildender kunst regiert natürtlich der kanon, bei literatur und anderen geistigen stoffen ebenso das, was im feuilleton längst reüssiert hat. kurz, herkömmliches sponsoring setzt hauptsächlich auf den repräsentativen veranstaltungsbereich, auf bewährtes und populäres oder überhaupt lieber auf sport.

ich schreibe das ganz unaufgeregt, weil es vollkommen schlüssig ist, daß es sich so ereignet. wir sollten wissen, womit wir es zu tun haben und auf welchem terrain sich AUCH unser tun entfaltet. daß heißt dann für leute wie uns vor allem einmal, wir sollten gute gründe wissen, warum es unsere aktivitäten geben muß und warum das auch finanzierungen verdient. darüber haben wir also zu reden: was sind diese guten gründe?

ob wir es beklagen, ignorieren, ausblenden, egal, es gibt momentan einen enormen verdrängungswettlauf. eine stadt wie gleisdorf hat gegenüber 2009 ihr kulturbudget UM etwa 75 prozent AUF zirka 25 prozent heruntergekürzt. auf das verbleibende budget sind allerdings auch mehr einrichtungen aus, als in kleinen gemeinden. aber immerhin hat eine kleinstadt noch eine infrastruktur, wo wir bei manchen vorhaben durch sachleistungen seitens der kommune unterstützung finden.

in den kleineren gemeinden waren es entweder vorher schon NULL prozent kulturbudget, sind es spätestens jetzt MINUS hundert prozent, viele davon haben nicht einmal kulturbeauftragte. das ist der status quo in einer landschaft, wo nicht einmal unter gebildeten leuten und personen mit akademischen graden ein weitreichender grundkonsens herrscht, daß die „provinz“einen lebhaften KULTURBETRIEB haben solle, was – bitte schön! – keineswegs NUR veranstaltungskultur meint.

kurz: es besteht eine menge klärungsbedarf. gehen sie bitte davon aus, daß wir freilich gerüstet sind, diese debatte zu führen…

— [was ist kunst?] —

bitte aufwachen!

für mich war im letzten oktober klar, daß jetzt eine wildwasserfahrt angeht, bei der nicht absehbar ist, welches ausmaß an blauen flecken uns blüht. niemand, der auf dem kunstfeld seine arbeit bei vollem bewußtsein tat, konnte übersehen, was anlag.

wir hatten schon seit dem frühjahr 2010 von der voraussichtlich 25 prozent betragenden minderung des nächsten kulturbudgets auf landesebene gehört. graz war zu der zeit ohnehin längst pleite und florierte kulturell zu lasten der restlichen steiermark. ein ländlicher ort wie gleisdorf, wo ich lebe und arbeite, hatte 2010 bereits minus 60 prozent realisiert, inzwischen sind wir – gegenüber 2009 – bei etwa minus 75 prozent kulturbudget angelangt. (siehe dazu den beitrag kulurpolitischer status quo!)

das alles bedeutet nicht, ich sei im blick auf 2011 mit eibner gabe der prophetie ausgestattet gewesen. es waren eigentlich bloß die deutlichsten zeichen zu lesen und daraus ein paar simple schlüsse zu ziehen. anders ausgedrückt: wer eins und eins zusammenzählen konnte, wußte bescheid.

wie erwähnt, das zentrum graz florierte auf kosten seiner peripherie, wo – in der sogenannten „provinz“ – nicht nur viel überzeugungsarbeit anlag, sondern auch die überwiegend abwehrende haltung der kommunalpolitik einen verstärkten einsatz des landes gebraucht hätte, um dieses kulturpolitische gefälle zu kompensieren und uns bei unserem ringen um bodengewinn für kultur und gegenwartskunst zu unterstützen.

im sommer 2010 war eigentlich klar, daß in den meisten gemeindestuben großer konses herrschte, daß bei den kommenden finanzproblemen kunst und kultur als erstes zurückgekürzt werden sollen. nach einer umfrage des gemeindebundes waren 91% der bürgermeisterinnen und bürgermeister so wie 95% der bevölkerung dieser meinung. kein anderer kommunaler aufgabenbereich hatte eine so hohe zustimmung zu kommenden kürzungen.

wir kulturschaffende waren im sommer 2010 spitzereiter in der ablehnung

ich hatte das mehrfach mit leuten diskutiert, zu saisonauftakt im projekt-logbuch [link] vermerkt etc. es hat sich nicht gezeigt, daß sich wachsende keise oder sogar „die szene“ hätten aufraffen wollen, etwa mit konsequenter überzeugungsarbeit loszulegen und das breit zu entfalten, um gegen diese stimmung anzugehen. es weist auch nichts darauf hin, daß es wenigstens denkmöglich wäre, DIESES thema den leuten mit aktionen auf der straße nahezubringen.

anders ausgedrückt: es kann mir niemand erzählen, es wäre vorstellbar, das personal der steirischen gemeindestuben per protestbewegung zu bewegen, die oben skizzierten haltungen aufzugeben. es haben zwar aktuelle anstrengungen gezeigt, daß etwa konzentrierte protestaktionen auf den straßen die LANDESpolitik nicht unbeeindruckt lassen, da sehe ich aber wirkungen erst einmal im sozialbereich, der kulturbereich dürfte auf diesem kommunikationskanal nicht gar so hellhörig dastehen.

dazu kommt: bevor in österreich zusammenrottungen auch nur in erwägung gezogen werden, heftigkeiten zur debatte stehen, eine wachsende konfrontation mit poltischem personal wenigsten denkbar erscheint, machen wir sowieso vorzugsweise einmal ferien. falls wir dabei einige unserer vorteile einbüßen, werden wir uns erregen. und weil wir auf dem weg in die kunst überwiegend bohemiens waren, werden wir den „rebellen“ in uns von der kette lassen, der macht dann ein grimmiges gesicht und stößt drohungen aus.

zu dem zeitpunkt fühlen wir uns ganz gefährlich und erzählen einander, es werde einen AUFSTAND geben. freilich wissen unsere gegenüber in dieser kontroverse, daß wir höchstwahrscheinlich das boot, in dem wir alle sitzen, nicht gar zu heftig schaukeln werden, schon gar nicht versenken. in welchem boot wir da sitzen?

das wissen wir eigentlich nicht so genau, wir wollen es nicht wissen. denn solche reflexions- und erkenntnisarbeit würde zum beispiel folgendes deutlich machen: die bourgeoisie, der gegenüber wir uns da so rebellisch gerieren, ist a) unser einziges publikum, b) unsere einzige kundschaft, c) unsere hauptsächliche geldquelle und d) das einzige ziel unserer „gesellschaftskritik“. aus welchem paradies wollen wir die rausschmeißen?

da liegt doch viel näher, daß wir party machen …

kleiner scherz! es wird wohl eher zeit für aktuelle kulturpolitische konzepte und angemessene basisarbeit, um ihnen geltung zu verschaffen.

kulurpolitischer status quo

abbau einer ausstellung; nun endete unser gastspiel in albersdorf und somit die letzte station des heurigen april-festivals. das führte mich mit fotograf franz sattler schließlich auf eine gut beschattete terrasse, wo wir unsere auf langzeit angelegt feldforschung zum thema „kaffee in schwarz und braun“ fortführten. diese überprüfung von kaffee-qualitäten hat als eine der rahmenbedingungen: über das leben und die kunst plaudern.

fotograf franz sattler ist reisender aus leidenschaft und auf unstillbare art blickhungrig

ästhetische erfahrungen verlangen nach reflexion, reflexion nährt die gespräche, gespräche bringen auf ideen, ideen sind das luftige futter für gewichtige vorhaben. so ungefähr hängt das alles zusammen … solange uns zuversicht und geld nicht ausgehen. apropos geld!

der abend war einer station unserer „talking communities“ [link] gewidmet, einem weiterführender teil unserer „konferenz in permanenz“, zu der heimo steps, vorsitzender des steirischen förderbeirates (land steiermark), uns denkanstöße brachte und für fragen wie debatten zur verfügung stand.

winfried kuckenberger leitet in gleisdorf das „büro für kultur und marketing“, repräsenentiert also die verwaltungsebene der stadt (rechts: fotograf christian strassegger)

bei der erörterung des status quo war von gleisdorfs kulturamtsleiter winfried kuckenberger zu erfahren, daß 2009 im kulturbereich der stadt noch rund 180.000,- euro verfügbar waren, jetzt seien es bloß noch etwa 40.000,- euro. das bedeutet, in gleisdorf ist das kulturbudget nicht UM sondern AUF zirka 25 prozent gekürzt worden.

heimo steps erwähnte zu diesen finanzfragen, daß die stadt graz durch das jahr 2003 („kulturhauptstadt europas“) ein totales debakel erlebt habe. bis heute seien die budgetären folgen dieses finanz-desasters noch nicht bewältigt, weshalb das land steiermark immer noch förderaufgaben übernehmen müsse, die eigentlich die stadt tragen sollte.

im vergleich dazu: die französische stadt lille habe in der umsetzung des vorhabens „kulturhauptstadt europas“ einen gewinn in mehrfacher millionenhöhe gemacht, der danach in den kulturbereich investiert worden sei. das ergebe also zwei shr verschiedene varianten von „nahhaltigkeit“.

wir müssen uns also klar machen, wie problematisch die gesamte „förderlandschaft“ zur zeit aufgestellt ist. steps: „wenn jetzt die gemeinden bei euch auch nichts mehr haben …“ so ist es!

heimo steps, repräsentant der kulturverwaltung steiermarks und kenner von albert camus

denn wenn kommunen wie gleisdorf das kulturbudget im vorjahr um rund 60 prozent reduziert haben und heuer (gegenüber 2009) auf ein minus von rund 75 prozent kamen, dann heißt das auch: kleine gemeinden sind praktisch auf null. (was übrigens viele vorher schon gewesen sind!)

es bedeutet weiters: das ZENTRUM graz beansprucht gegenüber dem REST der steiermark eine unverhältnismäßig hohe förderleistung des landes. die situation hat sich für uns kulturschaffende im ländlichen raum also von wenigstens zwei seiten verschärft, einerseits sind diverse krisen inzwischen voll bei den gemeinden angekommen, andrerseits hat das zentrum graz das gesamte steirische system nachhaltig belastet.

hinzu kommt eine art schreckstarre, verbrämt mit allerhand trotzigen reaktionen regionalpolitscher kräfte angesichts der themen „gemeindezusammenlegung“ und „großgemeinde“. das heißt, die akute budgetnot der ländlichen kommunen ist mit akuten strukturproblemen gewürzt, die teil von vorgängen sind, aus denen längst eine neue welle der landflucht entstanden ist.

es nützt natürlich nichts, nun zu räsonieren. wir brauchen ideen zu lösungen und angemessene strategien. faktum ist: die budgets fehlen UND ein gutteil der demokratisch legitimierten gremien in den kommunen halten GEGENWARTSKUNST für KEIN thema von so hoher relevanz, daß jemand dafür auf anderen feldern für uns budgets erstreiten würde.

hinzu kommt ja das ganz reale problem der kommunen, daß sie momentan nötige sozialleistungen kaum schaffen, was vor allem pflegebedürftige menschen und leute mit allerhand anderen notfällen betrifft. da wird nun einerseits GEGEN die kunst polemisiert, was keineswegs neu ist, da besteht andererseits das nachvollziehbare problem, daß kein gemeinderat der region bewegt werden kann, den kommunal- und sozialbereich zugunsten der kunst stutzen zu wollen.

so haben wir augenblicklich zu klären, welche argumente und strategien, aber auch welche arbeitskonzepte überhaupt geeignet sind, uns in eben dieser situation etwas bodengewinn für die befassung mit kunst zu verschaffen. wir sehen ja auch, daß die öffentliche wahrnehmung kaum ausreicht, um sich den nöten von sozial bedürftigen menschen zu widmen. daß in diesem zusammenhang ein belebtes kulturelles klima eigentlich ebenso notwendig ist, wie die tägliche nahrungsversorgung, ist auf jedenfall NICHT herrschender common sense. (daran haben wir also auch zu arbeiten.)

— [talking communities] —