16:00 Uhr Gemeindesitzungssaal Service Center Gleisdorf
Impulsreferate und Präsentation des Projektes FMTechnik! 2011-2013 mit anschließender Diskussion mit den TeilnehmerInnen aus dem Wirtschafts- und Bildungsbereich der Region über die regionalen Umsetzungsmöglichkeiten des Projektes.
ich hab in einem beitrag über kulturpolitik die „freiheit der kunst“ als ein rechtlich verbrieftes kulturelles gut beschrieben: [link] das österreichische staatsgrundgesetz widmet der kunst und deren lehre einen eigenen artikel (17a). ich habe bei der gelegenheit eine reihe anderer gesetzesstellen zitiert, die von gedankenfreiheit, freiheit der berufswahl und ähnlichen anliegen handeln.
nun darf ich zu gunsten von uns kunstschaffenden betonen: wäre die befassung mit kunst bloß ein kulturelles dekorationsgeschäft oder, etwas wichtiger genommen, ein wesentlicher bereich unseres bildungswesens, wäre es kaum nötig, sie per staatsgrundgesetz gegen anfechtungen und einschränkungen zu schützen.
der befassung mit kunst, ob schaffend, vermittelnd oder rezipierend, wird eine besondere soziokulturelle bedeutung beigemessen, die sich auch im kulturförderungsgesetz des landes steiermark [link] ausdrückt. der § 1 hebt das in zwei punkten speziell hervor:
+) 2.: die schöpferische Selbstentfaltung jedes Menschen durch aktive kulturelle Kreativität und die Teilhabe jedes Menschen am kulturellen und künstlerischen Prozess in jeder Region des Landes; und
+) 3.: eine zum Verständnis und zur Kritik befähigte Öffentlichkeit;
eine sehr interessante referenz findet man diesbezüglich im vorwort jenes buches von niklas luhmann, mit dem er sich im rahmen seiner großen gesellschaftstheorie ganz speziell der kunst widmet, nein, eigentlich nicht der kunst, sonder der gesellschaftlichen bedeutung von kunst. daß luhmann dieses buch, nämlich „die kunst der gesellschaft“, geschrieben hat, „liegt nicht an besonderen Neigungen des Verfassers für diesen Gegenstand, sondern an der Annahme, daß eine auf Universalität abzielende Gesellschaftstheorie nicht ignorieren kann, daß es Kunst gibt“.
(foto: edith cytryn)
da wir keinen kunstbegriff haben, der durch die zeiten gleich anwendbar wäre, wandelt sich auch stets, was mit „freiheit der kunst“ gemeint wird. in der antike wurde zwischen „freien künsten“ (artes liberales ) und „praktischen künsten“ (artes mechanicae) unterschieden. grob gesagt: zwischen kopfarbeit und handarbeit (einrechnend, daß handarbeit ohne kopfarbeit wohl nicht möglich ist.)
die „praktischen künste“ (téchne) waren solche, die direkt dem broterweb dienten, während die „sieben freien künste“ jene waren, die „eines freien mannes“ für würdig befunden wurden. damit ist jemanden ins blickfeld gewückt, der in einer sklavengesellschaft auf kosten anderer sein leben führte, seine muße pflegte und sich diesen künsten widmete. jemand, der sich also seine erhabenheit bestätigte, indem er die voteile konsumierte und freiheiten genoß, deren grundlagen ihm abhängige erarbeiten mußten.
ich betone das, weil ich daran erinnern möchte, welche sozialen bedingungen die „freiheit der kunst“ einst hatte, auch um darauf hinzuweisen, daß wir gegenwärtig unserer freiheit als kunstschaffende und unsere daraus resultiernden ansprüche auf andere art begründen müssen.
die „sieben freien künste“ waren wenigstens bis zum mittelalter: arithmetik, astronomie, dialektik, geometrie, grammatik, musik und rhetorik. gegenüber den „praktischen künsten“, bei denen kräftig hand angelegt wurde, also körperliche arbeit fällig war, galten die „freien künste“ (mit ihrer betonung geistiger arbeit) als privileg „freier menschen“, was bedeutete, sie waren die angelegenheit sozial gut gestellter männer.
vielleicht ist es dieser soziale aspekt am thema „freiheit der kunst“, welcher noch heute für viele menschen so provokant wirkt. die historische tatsache, daß muße und geistige tätigkeit bei gleichzeitiger freistellung von mühsamer knochenarbeit kleinen kreisen privilegierter vorbehalten waren.
offenbar überlagert dieses motiv immer noch stark jenes grundlegende angebot aus der befassung mit kunst, nämlich geistige freiheit zu erlangen und zu praktizieren, was sogar per gesetz nicht den sozialen eliten vorbehalten ist, sondern allen bügerinnen und bürgern zugebilligt, ja: empfohlen wird.
ich denke, das sind keine agenda der kunst selbst, sondern soziokulturelle agenda ANLÄSSLICH der befassung mit kunst; wie erwähnt: schaffend, vermittelnd und/oder rezipierend.
ich halte die laune gesetzestexte zu ignorieren, weil sie als „trockene materie“ gelten, für eine problematische pose. in einer repräsentativen demokratie sind das jene texte, die faktisch einen breiten gesellschaftlichen konsens ausdrücken, auch wenn vox populi da und dort anders klingen mag. aber noch wichtiger: das sind regelwerke, auf die ich mich berufen kann, wenn ich mit leuten aus der politik bedingungen zu verhandeln habe.
ich hab im beitrag #16 von „was ist kunst?“ erwähnt: „vor dem hintergrund dieser kräftespiele und bewertungsprozesse, die allerhand mit definitionsmacht zu tun haben, steht es uns allen natürlich frei, uns in selbstermächtigung zu üben. ich denke, es ist so banal, wie es erscheint: wenn ICH sage, daß es ein kunstwerk ist, dann ist es eines. (kaum ein aspekt des kunstgeschehens scheint mehr zu provozieren als dieser!)“ [link]
wir haben die freiheit zu staunen, dinge in frage zu stellen, nichts für selbstverständlich zu halten, das ist sogar per gesetz keinesfalls eine domäne der kunstschaffenden, sondern aller bürgerinnen und bürger
selbstermächtugung in der kunst, um sich seine themen frei zu wählen, über die wege der umsetzung frei zu entscheiden, also mit einem höchstmaß an selbstbestimmung vorzugehen. das soll man dürfen? womöglich ohne ansehen der eigenen sozialen position, des ranges innerhalb einer gemeinschaft? ist da nun von „freiheit der kunst“ zu reden?
ja und nein. eigentlich ist vor allem einmal von der freiheit ALLER bürgerinnen und bürger zu reden, wie uns das auch in den niedergeschriebenen grundlagen unseres staates verbrieft wurde, wie es überdies als teil umfassender menschenrechte verstanden wird.
sollten kunstschaffende die einzigen sein, die das für ihr metier andauernd im munde führen, dann müßte sich eigentlich der rest der menschen fragen, warum, sie es NICHT tun, wo uns derlei freiheiten allen zugesichert sind.
anders ausgedrückt: können sie mir sonst noch professionen nennen, bei der diese grundlegenden freiheiten nicht nur verbrieft sind, da gibt’s ja mehrere, sondern auch so permanent gegenstand öffentlicher äußerungen? doch auch die gegenfrage liegt nahe: können sie mir nur eine profession nennen, die sinnvoll und zielführend auszuüben wäre, ohne solche grundlagen zu brauchen?
das thema „freiheit der kunst“ kommt im österreichischen bundesverfassungsgesetz nicht vor, im staatsvertrag schon gar nicht. im staatsgrundgesetz „über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder“ können wir aber fündig fündig werden: „Artikel 17a. Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre sind frei.“ [quelle]
das ist deshalb der „Artikel 17a“, weil erst noch festgestellt wurde: „Artikel 17. Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei. Unterrichts- und Erziehungsanstalten zu gründen und an solchen Unterricht zu erteilen, ist jeder Staatsbürger berechtigt, der seine Befähigung hiezu in gesetzlicher Weise nachgewiesen hat. …“
dazu paßt dann auch: „Artikel 18. Es steht jedermann frei, seinen Beruf zu wählen und sich für denselben auszubilden, wie und wo er will.“
beide artikel haben voraussetzungen, welche nach dieser oder jener form der praxis verlangen, künstlerische praxis ist bloß EINE der möglichkeiten, wie sich dieses recht ausüben läßt: „Artikel 13. Jedermann hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern. Die Presse darf weder unter Zensur gestellt, noch durch das Konzessions-System beschränkt werden. Administrative Postverbote finden auf inländische Druckschriften keine Anwendung.“
es gibt eine weitere sehr wichtige textstelle in österreichischen gesetzen, die besagt: „Artikel 1. Schutzgarantie der Vertragsstaaten. Die Hohen Vertragschließenden Teile sichern allen ihrer Jurisdiktion unterstehenden Personen die in Abschnitt I dieser Konvention niedergelegten Rechte und Freiheiten zu.“
damit bekennt sich der staat österreich zur „Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)“, das ist die „Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. 1958/210“ (inklusive einem österreichischen „Vorbehalt zur MRK“).
darin lautet der „Artikel 9. Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. (1) Jedermann hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfaßt die Freiheit des Einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, durch Ausübung und Betrachtung religiöser Gebräuche auszuüben. …“ [quelle]
der „Artikel 10. Recht der freien Meinungsäußerung“ vertieft noch, was nicht bloß kunstschaffende beanspruchen, sondern alle bürgerinnen und bürger für sich in anspruch nehmen dürfen: „(1) Jeder hat Anspruch auf frei Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriff öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein. …“
ich möchte also eigentlich nicht hören, daß jemand sich aus diesem oder jenem grund über eine praxis der „freiheit der kunst“ empört, statt sie zu begrüßen, denn es wäre umgehend zu fragen: warum verzichtest du selbst auf solche freiheiten?
„was? das soll kunst sein?“ diese frage begleitet meine wege durch ausstellungräume seit jahrzehnten wie ein häßliches glockenläuten. ich habe solches fragen, das eigentlich eine feststellung ist, nicht nur angesichts konkreter werke gehört, sondern auch in unzähligen gesprächen über künstlerische ereignisse. ich höre es sogar gelegentlich im vorbeigehen von leuten, mit denen ich nichts zu tun habe. etwa vor dem schaufenster einer kleinen gleisdorfer galerie, wo eine frau lautstark verkündet, „nicht amal geschenkt“ möchte sie eines der bilder haben.
das ist doch sehr erstaunlich, wie viel abschätzigkeit manche menschen für etwas aufbringen, das sie ganz offensichtlich nicht interessiert, obwohl es sie sehr beschäftigt. es markiert eine aussichtlose position, angesichts eines werkes „das soll kunst sein?“ zu fragen, wo jemand ja auch fragen könnte: „womit hab ich es hier zu tun?“ nämlich nicht mit KUNST, sondern mit einem kunstWERK.
franz sattler beim gespräch über seine arbeiten
kunstwerke sind keineswegs zwangsläufig von hausaus welche. wenn sie aber als welche gelten, können sie diesen rang prinzipiell auch wieder verlieren. sollte ein werk über mehrere jahrhunderte solchen rang haben, also zum KANON unserer kultur zählen, ist es freilich sehr unwahrscheinlich, daß es so viel trivialisierung erfährt, um schließlich wieder zum plunder zu zählen. das ist allerdings nicht prinzipiell ausgeschlossen.
zu unserer zeit dominiert demnach NICHT die auffassung, daß für die kunst EWIGE WERTE zur disposition stünden. (ich nehme an, dafür fühlt man sich auf den feldern der religionen zuständig, die kunst ist kein hort des „ewigen“.) die kulturökonomie von boris groys, hier schon erwähnt: [link], beschreibt diese dynamik als ein wechselspiel zwischen valorisierung (aufwertung) und trivialisierung (abwertung), wodurch werke zwischen „profanem raum“ und „archiven der kultur“ bewegt werden. sie werden folglich als mehr oder minder der aufbewahrung für wert befunden.
dabei sind diese werke auch einer höchst wechselhaften bewertung unterzogen, was a) ihren KULTURwert und b) ihren MARKTwert angeht. das hat so seine bezüge zu den kategorien GEBRAUCHSwert und TAUSCHwert. was eine sache mir wert ist und was sie auf dem/einem markt wert ist, sind sehr unterschiedliche angelegenheiten.
vor dem hintergrund dieser kräftespiele und bewertungsprozesse, die allerhand mit definitionsmacht zu tun haben, steht es uns allen natürlich frei, uns in selbstermächtigung zu üben. ich denke, es ist so banal, wie es erscheint: wenn ICH sage, daß es ein kunstwerk ist, dann ist es eines. (kaum ein aspekt des kunstgeschehens scheint mehr zu provozieren als dieser!) ob ich auch andere menschen zu dieser einschätzung bewegen kann, bleibt abzuwarten.
wenn mir dabei aber zustimmung verwehrt bleibt? na, dann ist die sache noch längst nicht entschieden. ein stück ewigkeit könnte in der angelegenheit zu meinen gunsten ausfallen. es gilt unter vielen kunstschaffenden allerdings eher als unschicklich, sich frech an die ewigkeit zu wenden. aber vermutlich haben jene kolleginnen und kollegen, die das konsequent und professionell tun, keine schlechten karten. zumindest für einige zeit. wie angedeutet, mit der ewigkeit kann man keine geschäfte machen. zu viele unwägbarkeiten.
kurz noch einmal zu meiner bemerkung aus dem vorigen eintrag: ich PRODUZIERE kunst nicht, ich PRAKTIZIERE sie. das führt zu werken, zu artefakten und prozessen, die für augenblicke bedeutung und gewicht haben, manchmal für länger. wenn etwas davon marktwert erringt, sich also in geld konvertieren läßt, auch gut. ein komplettes jahreseinkommen erwarte ich mir aus solchen möglichkeiten nicht, dafür ist österreichs markt zu klein und mir selbst die welt zu groß.
was mein jahreseinkommen angeht, können sie der notiz „Einige Takte Klartext: Soziales“ [link] details entnehmen. es ist mir schon lange zu dumm, daß solche dinge bei uns wie staatsgeheimnisse behandelt werden, weshalb man nicht so genau weiß, wovon die rede ist, wenn die sprache auf die soziale lage kunstschaffender in österreich kommt. daher dieses stück klartext.
fußnote: daß ich FREISCHAFFENDER künstler bin, ist eine soziale kategorie, es ist keine kategorie der kunst! ich habe als künstler von berufs wegen simultan mit sehr verschiedenen wertkonzepten zu tun. da ist es meiner ansicht nach sehr hilfreich, wenn gelegentlich klartext gesprochen wird, weil sonst ein unerträgliches ausmaß an konfusion um sich greift.
wochen. monate. gelegentlich auch ein jahr oder mehr davon. dem entstehen einer arbeit gehen bei mir lange prozesse des schauens, imaginierens und überdenkens voraus. spontane manifestationen sind dabei meist nur etwas wie probestücke, details auf kurze frist. bis ich ein exponat für fertig, einen prozeß für abgeschlossen halte, habe ich mich selbst daran verändert. ich bin also angesichts der ergebnisses nicht mehr der, der ich am beginn gewesen bin.
manchmal kommt so ein verlauf gar nicht mehr vom virtuellen ins aktuelle. es kann also vorkommen, daß einieg werke sich nicht in einem „endprodukt“ materialisieren, weil sie sich gewissermaßen in der virtualität erfüllt haben. ebenso schaffe ich immer wieder artefakte aus meinem leben, verwerfe stücke, werfe sie also weg. oder ich löse sie auf, um die interessanten unter ihren bestandteilen für eine andere arbeit zu verwenden. das mache ich nicht nur mit gegenständen, auch mit texten kann es dazu kommen.
sie ahnen schon, ich bin dabei ziemlich wenig auf publikum angewiesen. das wichtigste spielt sich nicht in der arena ab. deutlicher könnte die unterscheidung zwischen KULTURELLEM WERT und MARKTWERT vielleicht gar nicht gemacht werden. für den markt muß ich etwas veräußern. für immaterielle vorgänge muß ich über die dinge frei verfügen können. ich nehme an, es kann verstanden werden, wo ich als künstler meist den fokus habe. es ist die künstlerische PRAXIS selbst, die mir über alles geht, nicht das einzelne werk, das artefakt.
deshalb ist mein hauptereignis auch dieses nun schon über viele jahre laufende projekt, man könnte sagen: werk, mit dem titel „the long distance howl“. deshalb nenne ich es „art under net conditions“, also eine kunst unter bedingungen der vernetzung. die verneztung meint hier ein geflecht von prozessen, ereignissen, gegenstständen… und selbstverständlich menschen.
dieses prozeßhafte arbeiten mag ihnen deutlich machen: hier stoßen wir kaum auf die frage „WAS ist kunst?“, eher laufend auf die frage „WANN ist kunst?“. daraus folgt: ich PRODUZIERE kunst nicht, ich PRAKTIZIERE sie. es gibt dazu einen sehr schönen gedanken, über dessen quelle ich mir nicht mehr recht im klaren bin.
ich denke, ich hab diesen gedanken von jacques rancière, der ihn, so glaube ich, von schiller bezogen hat. demnach ist kunst das ERGEBNIS von etwas, das für jene, die es gemacht haben, nicht kunst war. damit ist auf engstem raum diese komplexe geschichte skizziert, wie ich sie wieder und wieder erlebe.
es ist nicht so, daß ich morgens aufstehe, mir einen kaffee koche, die ärmel aufkremple und mir sage: jetzt gehe ich kunst machen. es ist mehr so ein dauerzustand, in dem neugier, erregung, wißbegier und tatendrang zu stets anderen mischungen vergären, gelegentlich zu neuen zuständen verdichten.
es ist ein wechselspiel zwischen aisthesis und poiesis. ja! ästhetik und poesie. also wahrnehmung (aisthesis) und schaffen (poiesis), durchsetzt von reflexion. und befeuert von kommunikation mit anderen menschen über eben diese dinge oder über das, was sie – diese dinge und prozesse – umgibt.
folglich gilt, wie erwähnt: ich PRODUZIERE kunst nicht, ich PRAKTIZIERE sie. ich weiß eher nicht WAS kunst ist, aber meistens weiß ich, WANN kunst ist. das einzelne werk ist mir in der regel bloß teil des prozesses und oft anlaß für neue vorhaben. deshalb kann ich mich kaum auf den markt konzentrieren, bin für ein publikum wenig verfügbar, ich hab viel damit zu tun, diese prozesse in gang zu halten.
in der 16. kalenderwoche 2009 habe ich im projekt-logbuch notiert: „Zum Kern einer, genauer MEINER Sache: Freelancers auf dem Kunstfeld.“ [link] die studie zur sozialen fage kunstschaffender kannten wir zu diesem zeitpunkt schon, sie war im oktober 2008 publiziert worden: [link]
(quelle: kleine zeitung)
damals wußten wir auch, daß die (inflationsbereinigten) kulturausgaben im staat seit 2000 ständig gesunken waren. da hätten wir uns quer durchs land verständigen können, was zu tun sei. so kam es leider nicht. ich hatte 2009 das überhaupt erste LEADER-kulturprojekt der steiermark in gang. meine annahme, das könnte sich zur plattform ausbauen lassen und neue kooperationsformen hervorbringen, war zu dem zeitpunkt naiv. (wir brauchten dazu viel länger.)
(quelle: kleine zeitung)
damals nahm ich so deutlich wie nie zuvor wahr, daß in der regionalpolitik plötzlich deutliche „absetzbewegungen“ gegenüber der kultur begonnen hatten. deshalb hatte ich aus der „kleinen zeitung“ jenes zitat von vizebürgermeister robert lamperti notiert. es sollten in der folge noch öfter – ohne jede nähere erläuterung – KULTURAUSGABEN negativ konnotiert werden; wie hier: als „unerfreuliche negativentwicklung“.
eigentlich ein deutliches und brutales zeichen, daß politische eliten den kulturbereich offenbar zunehmend als „dekorationsthema“ sahen, das bei bedarf heruntergestuft werden könnte, um spielraum und manövriermasse für andere gesellschaftliche bereiche zu gewinnen.
(2. leader-kulturkonferenz in deutschlandsberg)
waren wir gewarnt? haben wir reagiert? hier in der region sicher nicht! mehr noch: von einem „wir“ konnte gar keine rede sein. nach einer kulturkonferenz in deutschlandsberg (26.03.2009) hatte ich „Ein paar Takte Reflexion“ notiert: [link]
ich sehe in diesem text heute einige anregungen zu maßnahmen, die uns JETZT nützlich wären, wenn wir sie damals, 2009 (!), debattiert und angepackt hätten. hätten! haben wir aber nicht. welches „wir?“ eben!
da uns die politik keinesfalls im unklaren ließ, wie sie über unser feld dachte, wären wir wohl gefordert gewesen, die deutlichen zeichen zu interpretieren, schlüsse zu ziehen und zu handeln. aber NOCH trafen uns ja die kürzungen nicht, von denen zwar schon geredet wurde, die aber noch in weiter ferne zu liegen schienen.
inzwischen sind sie sehr viel schneller und umfassender bei uns angekommen, als wir wahrhaben wollten. daher waren die letzten monate von einiger mühe geprägt, unsere projekte auf kurs zu halten und wenigstens grundlegende finanzierungen zu sichern.
parallel dazu heißt es für mich: ab auf die meta-ebene! das ist nicht der pausenfüller, das muß simultan erledigt werden. also: laufender betrieb UND reflexion, was genau geschehen ist, wo wir angekommen sind, wie es nun weitergehen kann, auch: wohin.
ich komme aus einem denken über „eigenständige regionalentwicklung“, in dem zwei prinzipien hohen rang hatten:
a) das heil kommt nicht von außen, wir müssen selbst lösungen finden.
b) aktion und reflexion müssen beieinander und in wechselwirkung gehalten werden.
ich habe nun begonnen, meine aktuellen annahmen und schlüsse zu ordnen und zur debatte zu stellen.
das ist zugleich ein nachdenkprozeß im ringen um brauchbare handlungspläne. daher der leistentitel „wovon handelt kulturpolitik?“ [link] ich stütze mich dabei auf die annahme, daß wir den begriff POLITIK in unserer kultur aus ZWEI dimensionen, beziehungsweise sphären bezogen haben: POLIS, das gemeinwesen, heute würden wir sagen: die zibilgesellschaft, und POLITIKÉ, die „staatskunst“, worunter wir heute die politikerinnen und politiker der republik verstehen.
weil aber die debatte über KULTURPOLITIK auch eine debatte über SOZIALE BELANGE sein muß, habe ich meine eigenen karten offengelegt, damit wir auch klären können, von welchen beddingungen, möglichkeiten und ansprüchen wir im sozialen bereich sprechen.
deshalb gehe ich hier von meinem aktuellen einkommenssteuerbescheid aus, der illustriert, von welcher sozialen position aus ich meine überlegungen vorbringe: [link]
bei einem ausführlichen gespräch mit dem wirtschafts- und kulturlandesrat christian buchmann und einigen regionalen funktionstragenden, wie etwa dem landtagsabgeordneten erwin gruber, sagte buchmann: „mehrheit ist wahrheit in der politik.“
wirtschafts- und kulturlandesrat christian buchmann (links) und landtagsabgeordneter erwin gruber
ob einem diese auffassung paßt oder mißfällt, so also läßt mich ein erfahrener landespolitiker wissen, was er innerhalb seiner sphäre im auge behält. buchmann ist sicher versiert genug, um nicht zu meinen, es sollen nur mehrheiten bestimmen, was zu geschehen habe. doch mindestens in der regionalpolitik wird sehr schnell deutlich, daß beispielsweise die bürgermeisterinnen und bürgermeister in kleinen orten keinesfalls ignorieren, was sich an stimmungen in der bevölkerung bemerkbar macht.
kurios bleibt, daß lautes murren mit mehrheiten assoziiert bleibt, was ja keine ausgemachte sache ist. wir wissen in der regeln nicht so genau, was „die leute“ allgemein denken. das sind meist mutmaßungen aufgrund von gerüchten, wanderlegenden, berichterstattung in den medien, leserpost in zeitungen, lauten auslassungen von deutungseliten etc.
aber wir wissen aufgrund von leserpost, umfragen und manchmal laut werdendem gemurre, daß der kulturbereich ganz allgemein und die gegenwartskunst im speziellen keinerlei mehrheiten hinter sich vermuten dürfen.
ob ministerin claudia schmied noch weiß, in welcher schublade die studie über die soziale lage kunstschaffender liegengeblieben ist?
mindestens jene studie [link] zur sozialen lage kunstschaffender, die seit jahren in irgendeiner schublade von ministerin claudia schmied verrottet, unterstreicht diese annahme sehr gründlich.
es weist seit jahren nichts darauf hin, daß mehrheitlicher zuspruch zu einer bezüglich gegenwartskunst offensiven und gut dotierten kulturpolitik vom himmel fallen könnte. es weist außerdem nichts darauf hin, daß politisches personal diesen oder jenen bonus bei seinem klientel riskieren möchte, um jenen sektor nennenswert zu stärken, der sich doch in tagespolitischen scharmützeln so handlich zur diskreditierung anbietet. schlimm? ja, schon. aber wen schert’s?
wir werden uns also voraussichtlich selbst um eine valorisierung unseres sektors kümmern müssen. ich gehe davon aus, daß ein anbrüllen anderer leute sich dafür am wenigstens eignet. ich nehme an, daß konsequente inhaltliche arbeit und das bemühen um strategisch bewirkten „bodengewinn“ uns in der sache voranbringen können.
das sind fragen der inhaltlichen klärungen, fragen der vermittlungsarbeit und fragen der kommunikation nach außen, also auch der medienpräsenz, in summe soziokulturelle agenda.
ich hab lange der vorstellung angehangen, wir müßten das denkmodell „zentrum/provinz“ neu deuten. über laufende debatten kam ich dann zur annahme, dieses denkmodell müsse überhaupt aufgegeben werden. inzwischen sehen ich keine möglichkeit, es zu suspendieren und mir scheint überdies, daß sich diverse gefälle zwischen zentrum und „provinz“ wieder verstärken; zu lasten der zonen jenseits des landeszentrums.
ich habe verschiedene gründe, auf öffentlichen debatten über die themen kunst und kultur zu bestehen. einer der gründe ist folgender: unsere praktische erfahrung in der „region“ besagt, daß wir entweder selbst definieren, was gemeint ist, wenn jemand „kunst und kultur“ sagt, oder wirtschaft und politik übernehmen das ebenso locker wie bestimmt.
martin krusche (2.v.l.) auf einem screenshot aus einer miniaturkamera an einem miniatur-hubschrauber (driven by bernd kober) über einer arbeit von christian strassegger, ziemlich weit draußen, also sehr jenseits von graz
wenn wirtschaft und politik sagen, was kunst und kultur seien, entstehen zum teil jene gravierenden probleme, die wir gerade zu beklagen haben. das handelt von einer umfassenden marginalisierung des themas in den regionalen medien und in der öffentlichen wahrnehmung. das führt überdies zu situationen, in denen eine teils ratlose kommunalpolitik vor allem „kunst“ aber auch „kultur“ desavouiert und als manövriermasse in regionalpolitischen diskursen mißbraucht.
sind also die deutungseliten aus wirtschaft und politik in dieser sache sich selbst überlassen, werden aus geringstem anlaß auf ANDEREN politischen feldern unsere kulturpolitischen rahmenbedingungen beschädigt. es geht sogar noch weiter. ich werde hier noch dokumentieren, wie kunstsschaffende (als „primäre kräfte“ des metiers) sogar aus regionalen funktionärskreisen für divergierende auffassungen massiv angegriffen werden können, wenn sie professionelle grundlagen von zeitgemäßer kulturpolitik öffentlich thematisieren.
zu all dem kommt ein weitgehend diskreditierter kunstbegriff, der zu einem containerwort verkommen ist, welches mit beliebigen inhalten befüllt und gegen beliebige positionen in stellung gebracht werden kann. damit gerät ein ganzes berufsfeld in mißkredit.
ich rege mich darüber nicht auf, weil ich feststellen muß, daß mein metier die verfestigung solcher mißstände weitgehend ohne jeden einwand zugelassen hat. anders ausgedrückt: wir kunstschaffenden haben die situation miterzeugt, die viele von uns gerade lauthals beklagen.
nun interessiert es mich, zu einem stichhaltigen befund des status quo zu kommen, damit es möglich wird, prozesse einzuleiten, die solche mißstände bessern, möglichst beseitigen. ich denke, diese kulturellen agenda werden im auftakt nicht auf dem boulevard zu bearbeiten sein, sondern primär innerhalb unseres metiers und mit all jenen, die uns beruflich und/oder privat verbunden sind.
ich möchte eigentlich nicht mehr erleben, daß etwa eine ausgewiesene kunsthistorikerin in einer veranstaltung öffentlich behauptet, was KUNST sei, ließe sich nicht so genau sagen.
ich möchte eigentlich nicht mehr erleben, daß kunstschaffende, die sich konsequent künstlerischer praxis verschrieben haben, keine idee haben, worin sich etwa gegenwartskunst und voluntary arts unterscheiden.
ich möchte zum auftakt erreichen, daß wir selbst jene kompetenz zeigen, also haben, welche wir von unserem jeweiligen gegenüber in politk, verwaltung und wirtschaft erwarten.
ich möchte erleben, daß wir unsere gründe nennen und fundiert argumentieren wie verhandeln können. ich erwarte mir dabei augenblicklich weniger von deklarationen und mehr von diskursen.
unsere kuratorin mirjana peitler-selakov stellte folgende frage: „Seit Jahren wird versucht, mit Hilfe diverser Förderungsprogramme, Frauen für technische Berufe zu interessieren. Leider beweisen die Untersuchungen, dass diese frauenfördernden Aktionen bisher wenig Effekt gebracht haben. In den klassischen Ingenieursfächern sind noch immer fast keine Studentinnen zu finden. Warum ist das auch heute, im 21. Jahrhundert, so?“
kunsthstorikerin mirjana peitler-selakov (rechts) beim lokalaugenschein mit künstlerin ulla rauter
peitler-selakov ist grenzgängerin im bewohnen verschiedener felder. als kunsthstorikerin widmet sie sich momentan für ihre dissertation ganz speziell den methoden kollektiven erinenerns. doch davor war sie rund eineinhalb jahrzehnte als diplomingenieurin in der motorenentwicklung tätig. sie verkörpert damit ein ganz spezielles beispiel der kombination verschiedener genres, wie wir das bei „kunst ost“ kängerfristig umzusetzen versuchen.
das hat nach unserer auffassung vor allem auch in der „energie-region weiz-gleisdof“ erhebliche relevanz, da hier die agrarische welt durch eine ganze kette von high tech-unternehmen kontrastiert wurde, die teilweise auf dem weltmarkt reüssiert haben.
der „Frauenmonat 2011“ steht unter dem titel „FMTechnik!“, damit ist der themenbogen „frauen, macht, technik“ zur diskussion gestellt. mittlerweile ist das programm ausgearbeitet, zwischen grundlagen, alltagspraxis und kunst verzweigt: [link]
die gegenwartskunst spielt dabei keinesfalls eine „dekorative“ rolle, sondern ist einer von mehreren handlungs- und erfahrungsbereichen, in denen die reflexion, die debatte, aber auch der dort entstehende ausdruck wichtige beiträge zu diesen gesellschaftlichen prozessen ergeben, in denen stets neu geklärt wird, wo wir stehen und wohin wir uns orientieren möchten.
so finden sie in dieser veranstaltungsreihe frauen aus verschiedenen genres der theorie UND praxis im dialog mit einander und mit den kommenden gästen.