wovon handelt kulturpolitik? #1

ich hab lange der vorstellung angehangen, wir müßten das denkmodell „zentrum/provinz“ neu deuten. über laufende debatten kam ich dann zur annahme, dieses denkmodell müsse überhaupt aufgegeben werden. inzwischen sehen ich keine möglichkeit, es zu suspendieren und mir scheint überdies, daß sich diverse gefälle zwischen zentrum und „provinz“ wieder verstärken; zu lasten der zonen jenseits des landeszentrums.

ich habe verschiedene gründe, auf öffentlichen debatten über die themen kunst und kultur zu bestehen. einer der gründe ist folgender: unsere praktische erfahrung in der „region“ besagt, daß wir entweder selbst definieren, was gemeint ist, wenn jemand „kunst und kultur“ sagt, oder wirtschaft und politik übernehmen das ebenso locker wie bestimmt.

martin krusche (2.v.l.) auf einem screenshot aus einer miniaturkamera an einem miniatur-hubschrauber (driven by bernd kober) über einer arbeit von christian strassegger, ziemlich weit draußen, also sehr jenseits von graz

wenn wirtschaft und politik sagen, was kunst und kultur seien, entstehen zum teil jene gravierenden probleme, die wir gerade zu beklagen haben. das handelt von einer umfassenden marginalisierung des themas in den regionalen medien und in der öffentlichen wahrnehmung. das führt überdies zu situationen, in denen eine teils ratlose kommunalpolitik vor allem „kunst“ aber auch „kultur“ desavouiert und als manövriermasse in regionalpolitischen diskursen mißbraucht.

sind also die deutungseliten aus wirtschaft und politik in dieser sache sich selbst überlassen, werden aus geringstem anlaß auf ANDEREN politischen feldern unsere kulturpolitischen rahmenbedingungen beschädigt. es geht sogar noch weiter. ich werde hier noch dokumentieren, wie kunstsschaffende (als „primäre kräfte“ des metiers) sogar aus regionalen funktionärskreisen für divergierende auffassungen massiv angegriffen werden können, wenn sie professionelle grundlagen von zeitgemäßer kulturpolitik öffentlich thematisieren.

zu all dem kommt ein weitgehend diskreditierter kunstbegriff, der zu einem containerwort verkommen ist, welches mit beliebigen inhalten befüllt und gegen beliebige positionen in stellung gebracht werden kann. damit gerät ein ganzes berufsfeld in mißkredit.

ich rege mich darüber nicht auf, weil ich feststellen muß, daß mein metier die verfestigung solcher mißstände weitgehend ohne jeden einwand zugelassen hat. anders ausgedrückt: wir kunstschaffenden haben die situation miterzeugt, die viele von uns gerade lauthals beklagen.

nun interessiert es mich, zu einem stichhaltigen befund des status quo zu kommen, damit es möglich wird, prozesse einzuleiten, die solche mißstände bessern, möglichst beseitigen. ich denke, diese kulturellen agenda werden im auftakt nicht auf dem boulevard zu bearbeiten sein, sondern primär innerhalb unseres metiers und mit all jenen, die uns beruflich und/oder privat verbunden sind.

ich möchte eigentlich nicht mehr erleben, daß etwa eine ausgewiesene kunsthistorikerin in einer veranstaltung öffentlich behauptet, was KUNST sei, ließe sich nicht so genau sagen.

ich möchte eigentlich nicht mehr erleben, daß kunstschaffende, die sich konsequent künstlerischer praxis verschrieben haben, keine idee haben, worin sich etwa gegenwartskunst und voluntary arts unterscheiden.

ich möchte zum auftakt erreichen, daß wir selbst jene kompetenz zeigen, also haben, welche wir von unserem jeweiligen gegenüber in politk, verwaltung und wirtschaft erwarten.

ich möchte erleben, daß wir unsere gründe nennen und fundiert argumentieren wie verhandeln können. ich erwarte mir dabei augenblicklich weniger von deklarationen und mehr von diskursen.

[übersicht]
[die zum foto erwähnte arbeit von strassegger]

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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