wovon handelt kulturpolitik? #3

ich halte die laune gesetzestexte zu ignorieren, weil sie als „trockene materie“ gelten, für eine problematische pose. in einer repräsentativen demokratie sind das jene texte, die faktisch einen breiten gesellschaftlichen konsens ausdrücken, auch wenn vox populi da und dort anders klingen mag. aber noch wichtiger: das sind regelwerke, auf die ich mich berufen kann, wenn ich mit leuten aus der politik bedingungen zu verhandeln habe.

ich hab im beitrag #16 von „was ist kunst?“ erwähnt: „vor dem hintergrund dieser kräftespiele und bewertungsprozesse, die allerhand mit definitionsmacht zu tun haben, steht es uns allen natürlich frei, uns in selbstermächtigung zu üben. ich denke, es ist so banal, wie es erscheint: wenn ICH sage, daß es ein kunstwerk ist, dann ist es eines. (kaum ein aspekt des kunstgeschehens scheint mehr zu provozieren als dieser!)“ [link]

wir haben die freiheit zu staunen, dinge in frage zu stellen, nichts für selbstverständlich zu halten, das ist sogar per gesetz keinesfalls eine domäne der kunstschaffenden, sondern aller bürgerinnen und bürger

selbstermächtugung in der kunst, um sich seine themen frei zu wählen, über die wege der umsetzung frei zu entscheiden, also mit einem höchstmaß an selbstbestimmung vorzugehen. das soll man dürfen? womöglich ohne ansehen der eigenen sozialen position, des ranges innerhalb einer gemeinschaft? ist da nun von „freiheit der kunst“ zu reden?

ja und nein. eigentlich ist vor allem einmal von der freiheit ALLER bürgerinnen und bürger zu reden, wie uns das auch in den niedergeschriebenen grundlagen unseres staates verbrieft wurde, wie es überdies als teil umfassender menschenrechte verstanden wird.

sollten kunstschaffende die einzigen sein, die das für ihr metier andauernd im munde führen, dann müßte sich eigentlich der rest der menschen fragen, warum, sie es NICHT tun, wo uns derlei freiheiten allen zugesichert sind.

anders ausgedrückt: können sie mir sonst noch professionen nennen, bei der diese grundlegenden freiheiten nicht nur verbrieft sind, da gibt’s ja mehrere, sondern auch so permanent gegenstand öffentlicher äußerungen? doch auch die gegenfrage liegt nahe: können sie mir nur eine profession nennen, die sinnvoll und zielführend auszuüben wäre, ohne solche grundlagen zu brauchen?

das thema „freiheit der kunst“ kommt im österreichischen bundesverfassungsgesetz nicht vor, im staatsvertrag schon gar nicht. im staatsgrundgesetz „über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder“ können wir aber fündig fündig werden: „Artikel 17a. Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre sind frei.“ [quelle]

das ist deshalb der „Artikel 17a“, weil erst noch festgestellt wurde: „Artikel 17. Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei. Unterrichts- und Erziehungsanstalten zu gründen und an solchen Unterricht zu erteilen, ist jeder Staatsbürger berechtigt, der seine Befähigung hiezu in gesetzlicher Weise nachgewiesen hat. …“

dazu paßt dann auch: „Artikel 18. Es steht jedermann frei, seinen Beruf zu wählen und sich für denselben auszubilden, wie und wo er will.“

beide artikel haben voraussetzungen, welche nach dieser oder jener form der praxis verlangen, künstlerische praxis ist bloß EINE der möglichkeiten, wie sich dieses recht ausüben läßt: „Artikel 13. Jedermann hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern. Die Presse darf weder unter Zensur gestellt, noch durch das Konzessions-System beschränkt werden. Administrative Postverbote finden auf inländische Druckschriften keine Anwendung.“

es gibt eine weitere sehr wichtige textstelle in österreichischen gesetzen, die besagt: „Artikel 1. Schutzgarantie der Vertragsstaaten. Die Hohen Vertragschließenden Teile sichern allen ihrer Jurisdiktion unterstehenden Personen die in Abschnitt I dieser Konvention niedergelegten Rechte und Freiheiten zu.“

damit bekennt sich der staat österreich zur „Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)“, das ist die „Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. 1958/210“ (inklusive einem österreichischen „Vorbehalt zur MRK“).

darin lautet der „Artikel 9. Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. (1) Jedermann hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfaßt die Freiheit des Einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, durch Ausübung und Betrachtung religiöser Gebräuche auszuüben. …“ [quelle]

der „Artikel 10. Recht der freien Meinungsäußerung“ vertieft noch, was nicht bloß kunstschaffende beanspruchen, sondern alle bürgerinnen und bürger für sich in anspruch nehmen dürfen: „(1) Jeder hat Anspruch auf frei Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriff öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein. …“

ich möchte also eigentlich nicht hören, daß jemand sich aus diesem oder jenem grund über eine praxis der „freiheit der kunst“ empört, statt sie zu begrüßen, denn es wäre umgehend zu fragen: warum verzichtest du selbst auf solche freiheiten?

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Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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