was ist kunst? #15

wochen. monate. gelegentlich auch ein jahr oder mehr davon. dem entstehen einer arbeit gehen bei mir lange prozesse des schauens, imaginierens und überdenkens voraus. spontane manifestationen sind dabei meist nur etwas wie probestücke, details auf kurze frist. bis ich ein exponat für fertig, einen prozeß für abgeschlossen halte, habe ich mich selbst daran verändert. ich bin also angesichts der ergebnisses nicht mehr der, der ich am beginn gewesen bin.

manchmal kommt so ein verlauf gar nicht mehr vom virtuellen ins aktuelle. es kann also vorkommen, daß einieg werke sich nicht in einem „endprodukt“ materialisieren, weil sie sich gewissermaßen in der virtualität erfüllt haben. ebenso schaffe ich immer wieder artefakte aus meinem leben, verwerfe stücke, werfe sie also weg. oder ich löse sie auf, um die interessanten unter ihren bestandteilen für eine andere arbeit zu verwenden. das mache ich nicht nur mit gegenständen, auch mit texten kann es dazu kommen.

sie ahnen schon, ich bin dabei ziemlich wenig auf publikum angewiesen. das wichtigste spielt sich nicht in der arena ab. deutlicher könnte die unterscheidung zwischen KULTURELLEM WERT und MARKTWERT vielleicht gar nicht gemacht werden. für den markt muß ich etwas veräußern. für immaterielle vorgänge muß ich über die dinge frei verfügen können. ich nehme an, es kann verstanden werden, wo ich als künstler meist den fokus habe. es ist die künstlerische PRAXIS selbst, die mir über alles geht, nicht das einzelne werk, das artefakt.

deshalb ist mein hauptereignis auch dieses nun schon über viele jahre laufende projekt, man könnte sagen: werk, mit dem titel „the long distance howl“. deshalb nenne ich es „art under net conditions“, also eine kunst unter bedingungen der vernetzung. die verneztung meint hier ein geflecht von prozessen, ereignissen, gegenstständen… und selbstverständlich menschen.

dieses prozeßhafte arbeiten mag ihnen deutlich machen: hier stoßen wir kaum auf die frage „WAS ist kunst?“, eher laufend auf die frage „WANN ist kunst?“. daraus folgt: ich PRODUZIERE kunst nicht, ich PRAKTIZIERE sie. es gibt dazu einen sehr schönen gedanken, über dessen quelle ich mir nicht mehr recht im klaren bin.

ich denke, ich hab diesen gedanken von jacques rancière, der ihn, so glaube ich, von schiller bezogen hat. demnach ist kunst das ERGEBNIS von etwas, das für jene, die es gemacht haben, nicht kunst war. damit ist auf engstem raum diese komplexe geschichte skizziert, wie ich sie wieder und wieder erlebe.

es ist nicht so, daß ich morgens aufstehe, mir einen kaffee koche, die ärmel aufkremple und mir sage: jetzt gehe ich kunst machen. es ist mehr so ein dauerzustand, in dem neugier, erregung, wißbegier und tatendrang zu stets anderen mischungen vergären, gelegentlich zu neuen zuständen verdichten.

es ist ein wechselspiel zwischen aisthesis und poiesis. ja! ästhetik und poesie. also wahrnehmung (aisthesis) und schaffen (poiesis), durchsetzt von reflexion. und befeuert von kommunikation mit anderen menschen über eben diese dinge oder über das, was sie – diese dinge und prozesse – umgibt.

folglich gilt, wie erwähnt: ich PRODUZIERE kunst nicht, ich PRAKTIZIERE sie. ich weiß eher nicht WAS kunst ist, aber meistens weiß ich, WANN kunst ist. das einzelne werk ist mir in der regel bloß teil des prozesses und oft anlaß für neue vorhaben. deshalb kann ich mich kaum auf den markt konzentrieren, bin für ein publikum wenig verfügbar, ich hab viel damit zu tun, diese prozesse in gang zu halten.

[überblick]

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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