Schlagwort-Archiv: wovon handelt kulturpolitik?

wovon handelt kulturpolitik? #8

(eine erklärung von weng)

die folgende reflexion entstand nach einer konferenz kulturschaffender und wirtschaftsleute in weng bei admont („forum k“) [link] und kurz vor einem weiteren arbeitstreffen kulturschaffender ebendort.

wir sind als kunst- und kulturschaffende keine objekete der kulturpolitik, sondern die primär handelnden, von denen kulturpolitik – im sinne der zivilgesellschaft – generiert wird. wir sind teil jener deutungseliten, durch deren zusammenwirken kulturpolitik im staatlichen sinne überhaupt erst entsteht.

diese ansicht ist keine einsame option. ich kenne natürlich kolleginnen und kollegen, die sich in der rolle bittstellender so vertraut sind, daß ihnen ihre gebeugte haltung gar nicht mehr auffällt. sie würden keineswegs voraussetzen, daß augenhöhe ein ausgangspunkt ist.

unsere profession ist von aktion und reflexion bestimmt. das bedeutet, wir haben laufend zu überprüfen, in welchem maß unser praktisches tun sich dem annähert, was unsere diskurse über kunst und kultur als wünschenswert und notwendig nahelegen. wir haben aber auch – umgekehrt – unsere zielsetzungen an den politischen ergebnissen zu überprüfen.

als kulturschaffender jenseits des landeszentrums kann ich mich nicht auf einen gesellschaftlichen konsens stützen, der dem kulturellen sektor auch nur annähernd jene relevanz und jenes gewicht zuschreibt, wie etwa dem bildungswesen, der medizinischen grundversorgung und anderen quellen soziokulturellen gedeihens.

für diese häuig auffallende und kuriose abschätzigkeit jenem kernbereich menschlicher gemeinschaft gegenüber, nämlich der kunst und der kultur gegenüber, mache ich hauptsächlich unseren erfahrungen als dienstboten und untertanen über mehr als hundert generationen verantwortlich. zu lange waren die zugänge zu diesen menschlichen erfahrungsbereichen den alten eliten vorbehalten, die nachkommen der domestiken, der knechte und mägde sind sich ihres anspruchs darauf mehr als unsicher.

dazu kommt: ich habe unaufgeregt festzustellen, daß eine ganze reihe von jungen strukturproblemen und eine neu wie massiv aufgeflammte landflucht viel beitragen, um das alte „zentrum-provinz-gefälle“ zu unerem nachteil zu restaurieren, obwohl es in diesem wohlhabenden land seit der industriellen revolution inzwischen überwunden sein sollte.

hier können wir nicht einmal innerhalb des eigenen metiers eine anregende debatte über fragen der verteilungsgerechtigkeit erreichen. also ist ein kulturelles engagegement auf der höhe der zeit in der sogenannten „provinz“ momentan mit zusätzlichen bürden belastet, die wir hier entweder verringern oder kompensieren müssen. wie das gehen soll, ist augenblich gegenstand internsiver erprobung einiger strategien.

ich habe festzustellen, daß dieses gefälle aktuell sogar vom allgemeinen lauf der dinge verstärkt wird und daß unser landeszentrum graz auf bedenkenlose art, und ohne diesbezüglich öffentliche diskurse zu erleben, kulturell zu lasten der „provinz“ floriert.

das ergibt sich nicht nur über das landeskulturbudget, von dem ein seit 2003 („kulturhauptstast europas“) fast konkursreifes graz über gebühr mittel bezieht, das ergibt sich zusätzlich über das massive gefälle im österreichweiten finanzausgleich, bei den steiermark schlußlicht des ganzen staates ist; nicht so graz.

da sich, wie schon angedeutet, nicht einmal kolleginnen und kollegen in graz geneigt zeigen, diese fragen auch nur zu diskutieren, dürften wir kunst- und kulturschaffende in der „provinz“ weiterhin völlig auf uns gestellt bleiben, da sogar der verantaltungstyp „regionale“ längst noch nich absehenh läßt, ob dieses „format“ a) bestand haben wird und wie es b) nachhaltigen nutzen für die kulturellen strukturen der regionen erbringen könnte.

all das ereignet sich einerseits vor dem eklatanten mangel an gesellschaftlichem grundkonsens, was die notwendigkeit aktiver kulturpolitik über ortsgrenzen hinaus angeht, andrerseits gelingt es vorerst kaum, in der regionalen kommnalpolitik einigermaßen sachkundige akteurinnen und akteure zu finden; sprich: ein großteil der orts-chefs und gemeideratsmitglieder hält diesen tätigkeitsbereich groteskerweise für unerheblich.

ich sehe uns kunst- und kulturschaffende also gefordert, jene kompetenzen zu bündeln, die a) treffsichere fachdiskurse ermöglichen und uns b) zu strategien bringen, die eine art der „best practice“ im regionalen kulturgeschehen ermöglichen.

wir werden dabei die „provinz“ nicht „urbanisieren“ können, was meint, zentrums-strategien nützen uns da draußen nichts. eine der größten aufgaben liegt im augenblick darin, verständlich und nachvollziehbar zu machen, daß wir eine profession ausüben, die kein dekorations-geschäft, kein wellness-angebot und keine „quotenmaschine“ für den tourismus ist, sondern ein zentrales ereignis menschlicher gemeinschaft, das versierte akteurinnen und akteure braucht.

entsprechend kann sich kulturpolitik nicht darin erschöpfen, die (immer weniger werdenden) kulturbudgets zu verteilen und veranstaltungen zu eröffnen. so ein pures „funktionärs-verständnis“ von kulturpolitik wäre völlig ungeeignet, relevante kulturelle beiträge zur bearbeitung aktueller fragen und probleme zu erbringen.

als künstler bin ich natürlich nur der kunst verpflichtet, die ihre eigenen aufgabenstellungen und strategien hat. aber in der künstlerischen praxis erwerbe ich kompetenzen, die mir als kulturschaffender und als bürger viel nützen, um im sinne von kollektiv zu schaffenden aufgaben im gemeinwesen wirkungsvoll tätig zu sein.

[überblick]

wovon handelt kulturpolitik? #7

ob man zu den kunstschaffenden zählt, die einen brotberuf ausüben, oder zu jenen, die ihr jahreseinkommen nur aus künstlerischer arbeit beziehen, ist primär eine soziale kategorie und keine der kunst. aber es macht natürlich unterschiede in den ergebnissen, ob ich im jahr auf 300 tage künstlerischer arbeit komme oder bloß auf 30.

welche berufsbilder mögen sich daraus ergeben, wenn es auch ein beruf sein kann, zu den kunstschaffenden zu gehören? auf banaler ebene bevorzuge ich die annahme, professionalität komme durch arbeitszeit. also zum beispiel: lieber 300 tage statt 30 tage künstlerischer arbeit im jahr.

die letzten 200 jahre mußte man entweder reiche eltern haben oder zu jener mikro-minorität kunstschaffender gehören, die sehr schnell hohen marktwert schaffen. für leute meiner herkunft war ein künstlerleben eher undenkbar und ökonomisch nicht machbar. darüber schwindeln sich manche von uns gerne mit romantischen bildern hinweg.

zwischenzeitlich gehörte es zum guten ton in der „bohème“, bürgerliches dasein zu verachten. im 19. und frühen 20. jahrhundert waren solche milieus leidenschaftlich damit beschäftigt, „bürgerliche normen“ zu ignorieren, zu verachten oder zu brechen. in solchen mileus ereignete sich ab und zu ein wenig an relevantem kunstgeschehen.

die austrifizierte version: von jim cogan hab ich den blues zu spielen gelernt und wodka war standard, southern comfort das dessert.

in der pop-kultur hat sich das dann auch auf verschiedene arten gezeigt, freilich auf gebrochene art, weil viel weniger romantisch verbrämt. das ist beispielsweiser in der ironischen phrase „money for nothing chicks for free“ zusammengefaßt. die „dire straits“ haben dem thema einen song gewidmet: [link]

in meiner biographie läßt sich so eine bohème-phase nachweisen. stoff für reminiszenzen und sentimentale momente. das ist aber meist ein status, der einen in künstlerischen belangen nicht gerade rasend voranbringt. mindestens nicht im kunstbetrieb österreichs.

einer der wesentlichsten gründe dafür liegt wohl im etwas tabuisierten zusammenhang zwischen künstlerischer existenz und dem „bürgertum“ als hautsächlichem publikum, hauptsächlicher kundschaft, also primäres bezugsfeld und primäre einkommensquelle. (kunstschaffende unter sich sind einander erfahrungsgemäß nur selten gewogenes publikum und schon gar nicht kundschaft.)

ich hab es gemocht, ein bohemièn zu sein, aber das war selbstverständlich ein leben auf einem anderen planeten

damit meine ich auch: die „antibürgerliche“ attitüde erschöpft sich meist schnell, wenn ich für ein selbst mäßiges jahreseinkommen sowohl in verkäufen und engagements wie auch in den fragen nach stipendien und preisen niemand anderem gegenüberstehe als menschen der mittelschicht.

die obere mittelschicht und die reichen sind in der regel ohnehin keine realen gegenüber in meinem milieu. mindestens im bereich der bildenden kunst wären da zum beispiel galeristen vermittelnde instanzen. wer von uns in diesem bereich reüssiert, kann feilich erleben, daß etwa gut situierte sammler eines tages das atelier sehen wollen. aber die meisten von uns sind in der realen begegnung noch nie in solche gesellschaftlichen zonen vorgedrungen.

mangels einer wenigstens halbwegs offenen auseinandersetzung mit fragen des beruflichen selbstverständnisses, der sozialen bedingungen und der realen einkommensverhältnisse von kunstschaffenden in österreich herrscht über weite strecken diffusion, zuweilen sogar recht obskures mutmaßen.

wenn die rede auf unsere soziale lage kommt, verweisen wir üblicherweise auf eine studie, die in einem schreibtisch der bildungsministerin verrottet und auf einige streitschriften der ig kultur österreich, wahlweise der ig autorinnen autoren. das war’s!

mir ist das etwas zu wenig. und mich stört das gemurmel und gemurre, das nie konkret werden will. deshalb habe ich begonnen, einige takte klartext in diese angelegenheit zu bringen. wenn ich mit meiner sozialen lage und mit dem kulturpolitischen status quo nicht zufrieden bin, was der fall ist, dann erscheint es mir nützlich, möglichst konkret greifbar zu machen, worüber ich rede und warum ich bestimmte erwartungen habe, auf gewissen standards bestehen muß.

dabei scheint es mir nützlich, eine soziale standard-situation kunstschaffender exemplarisch greifbar, nachvollziehbar zu machen. rund um diese simplen faktenlagen konkreter zahlen möchte ich auch sichtbar machen, welche summe an kompetenzen eingesetzt werden müssen, um abseits des landeszentrums eine existenz als freelancer im kunst- und kulturbereich zu haben.

darum hier nun der schwerpunkt „wovon lebt der krusche“: [link] im projekt-logbuch habe ich dazu ein quasi vorwort verfaßt: [link] ich möchte in meinem umfeld ein stück terrain schaffen, auf dem etwas mehr klarheit herrscht, wie die dinge zusammenhängen und funktionieren.

[übersicht]

wovon handelt kulturpolitik? #6

ich hab im vorigen beitrag, der #5 [link], schon angedeutet: ich halte es a) für sehr problematisch und b) für eine fehlinterpretation des begriffes „politik“, wenn wir in der sache ein bipolares setup unterstützen und reproduzieren. eine aufstellung, die quasi ZWEI parteien kennt und einander für konfrontationen gegenüberstellt; nämlich: hier wir, die kulturschaffenden, dort sie, die funktionstragenden der politik. also hier die kultur, dort die kulturpolitik.

erstens ist dieses „wir“ höchst diffus, gutmeinend gedeutet: etwas heterogen. zweitens ist KULTURPOLITIK nicht das, was kulturpolitikerInnen tun, sondern das, was ALLE beiteiligten gruppierungen gemeinsam, durchaus auch im kontrast und im widerstreit, als kulturpolitische situation des landes generieren. wenn schon unterschieden werden soll, dann mögen einmal die kriterien besprochen und formuliert werden.

im april 2010 hatten wir gegen einige erhebliche widerstände durchgesetzt, daß eine landesweite kulturkonferenz mit der damaligen landeskulturreferentin bettina vollath in einer autowerkstatt realisiert wird. mit einigen leuten aus der politik läßt sich durchaus von herkömmlicher repräsentations-inszenierung abstand nehmen, um neuen bedeutungszuweisungen platz zu schaffen.

so kann ich in der praxis doch sehr deutlich zwischen sachpromotorInnen und machtpromotorInnen unterscheiden. außerdem gibt es erhebliche strukturelle unterschiede, die sich aus größe und bevölkerungsart eines ortes ergeben. das landeszentrum, eine kleinstadt, ein dorf, eine großgemeinde, eine kleinregion, das führt zu höchst unterschiedlichen situationen und kräftespielen.

der erste paragraph „Steiermärkischen Kultur- und Kunstförderungsgesetz 2005“ präsentiert uns eine rechtsperson, welche uns gegenüber konkrete verpflichtungen übernimmt und uns kulturelle zielsetzungen anbietet, über die wir, soweit wir uns als sachpromnotoren verstehen, mit machtpromotoren in stadt und land auseinanderzusetzen hätten. paragraph 1, absatz 1 besagt: „Das Land Steiermark als Träger von Privatrechten verpflichtet sich, in der Steiermark oder in besonderer Beziehung zur Steiermark ausgeübte kulturelle Tätigkeiten zu fördern.“

erst in dieser auseinandersetzung, an der ja auch andere deutungseliten teilzunehmen haben, entsteht meines erachtens KULTURPOLITIK; und genau NICHT dadurch, daß funktionstragende der politik tätig werden oder untätig bleiben.

heimo steps, hier neben malerin herta tinchon, ist einer der "architeken" des aktuellen kulturförderungsgesetzes und steht nach wie vor für debatten zu den inhaltlichen fragen zur verfügung

paragraph 1, absatz 2 besagt: „Kulturelle Tätigkeiten im Sinne dieses Gesetzes sind geistige und schöpferische, produzierende und reproduzierende Leistungen sowie die Auseinandersetzung mit ihnen. Kulturelle Tätigkeiten sind unverzichtbar für die Entwicklung der Gesellschaft, geben der Gesellschaft und der Wirtschaft wesentliche Impulse und tragen ein starkes Innovationspotential in sich.“

die schöperischen tätigkeiten, reproduzieren als eine erfahrungsmöglichkeit, der gang auf die metaebene, also reflexion, debatte, auseinandersetzung mit all dem, a) zur selbstvergewisserung, erfahrungs- und entwicklungsmöglichkeit von menschen, b) als quelle von impulsen für gesellschaft und wirtschaft… dankeschön! ich stelle fest, das verständnis dessen, was wir als inhalt und sinn von kulturarbeit gefunden haben, ist inzwischen auch bei den gesetzgebenden instanzen des landes angekommen.

paragraph 1, absatz 2 lautet: „Kultur im Sinne dieses Gesetzes ist ein offener, durch Vielfalt und Widerspruch gekennzeichneter gesellschaftlicher Prozess von kultureller und künstlerischer Produktivität und Kommunikation.“ dazu paßt auch der vierte punkt des absatz 4 ganz gut, welcher eines der ziele dieser kulturförderung nennt: „eine zum Verständnis und zur Kritik befähigte Öffentlichkeit;“

ich verzichte nun auf weitere zitate aus dem gesetz. es durchzulesen macht keine große mühe. sie finden es hier: kultur- und kunstförderungsgesetz 2005 [link]

ich hab nun mehrfach betont, daß nach meiner auffassung kulturpolitik das ergebnis dessen ist, was verschiedene involvierte gruppierungen und deutungseliten im agieren auf einem gemeinsamen feld als politischen status quo zustande bringen. dabei kommt es freilich vor, daß alteingesessene funktionärskreise eine entwicklung von der basis her anfechten und abzuzbrechen versuchen.

ich hab das zwischen 2008 und 2010 auf kuriose art erlebt, daß sich politik und verwaltung der stadt weiz gegen ein privates kulturprojekt u. a. mit folgenden argumenten stellten: „Ein künstlerischer Leiter (Herr Martin Krusche) würde alleine oder im engen Kreise bestimmen ‚was‘ Kunst in unserer Region ist und sein sollte. Dadurch wäre der Vernetzung, der Einbringung von Partikularinteressen aller Mitgliedsgemeinden der Region und auch der Vielfalt der Künstler ein Riegel vorgeschoben.“

ganz bemerkenswert ist folgende passage in einem arbeitspapier, das der damaligen landeskulturreferentin bettina vollath vorgelegt wurde: „Die bereits bestehenden Institutionen unserer Region erfüllen im Wesentlichen die Projektvorstellungen des Antragstellers Martin Krusche nach einem Kompetenzzentrum für Kunst und Kultur. Natürlich kann man im Rahmen der Kulturbeauftragten und der Bürgermeister unserer Region diese Kompetenzen noch aufwerten. Das von Martin Krusche angedachte Kompetenzzentrum findet allerdings keinen Zuspruch in unserer Region, weil es große Teile der Kunstschaffenden ausschließt oder nicht zu integrieren vermag.“

daß bedeutet unter anderem, die kommunlapolitik eines einzelnen ortes fühlte sich befugt, für eine ganze region zu sprechen, politik und verwaltung eines einzelnen ortes fühlten sich befugt, ein privat initiiertes, ergo „bottom up“ entstandenes kulturprojekt anzufechten. (details zu diesem „kampfpapier“ gegen ein regionales kulturprojekt finden sie hier: [link])

daraus hatte ich NICHT zu schließen, daß die kulturpolitik in der region auf den hund gekommen sei, sondern daß eine konkrete interessensgruppe innerhalb der regionalen kulturpolitik eine problematische position einnimmt. es hat in der sache noch eine ganze reihe von versuchen gegeben, unser projekt zu entsorgen. das inkludiert rufschädigende schritte im sinne des strafgesetzbuches (§ 111 Üble Nachrede), was freilich einen von immunität geschützen parlamentarier nicht scheren mußte.

pikantes detail am rande, dieses „kampfpapier“ trägt den titel „Protokoll zur Besprechung Kultur-Ost vom 28.10.2009“, ist also – mit seinem vorschlag eines regionale „gegenprojektes“ – sehr dezidiert an unser projekt „kunst ost“ herangeführt worden.

lassen wir beiseite, daß ein erfolg dieser politischen attacke auf unser privates kulturprojekt mich persönlich vorerst einmal ökonomisch ruiniert hätte und daß uns niemand aus der regionalen politik oder landespolitik in dieser kuriosen sache beigestanden hat. es muß ja daran erinnert werden, daß in den programmen „regionext“, „LEADER“ und „lokale agenda 21“, aus denen die kommunen fördergelder beziehen, ausnahmslos das „bottom up-prinzip“ der aktiven bürgebeteiligung als zentraler wert gilt. dieses prinzip wurde eklatant und ausdauernd von funktionstragenden aus politik und verwaltung verletzt.

diese explizite verletzung jener prinzipen, für deren betreuung die kommunen eu- und landesgelder beziehen, zeigt sich allein schon in folgender begründung, ein LEADER-kulturprojekt einstellen zu wollen: „Projekt- und Entscheidungsträger der Kunst- und Kulturregion Weiz-Gleisdorf sollten unbedingt die Städte und ihre Kulturbeauftragten sein.“ deutlichger kann man die ablehnung des „bottom up-prinzips“ und der aktiven bürgebeteiligung wohl kaum ausdrücken.

im fokus der geschichte steht eigentlich, daß wir uns in einer phase der umbrüche befinden, die uns auferlegt, unsere gründe sehr konkret zu nennen und dazu unsere begriffe zu klären. ich habe diesen fall kurz angerissen, weil er unmißverständlich illustriert, daß wesentliche grundsätze des landeskulturförderungsgesetzes, wie es 2005 in kraft getreten ist, bei kommunalen funktions-eliten teilweise überhaupt nicht angekommen sind.

daraus folgt nun keineswegs, daß leute wier ich unter einer schlechten kulturpolitik leiden würden, sondern MEINE auffassung von kulturpolitik steht in kontrast zu DEREN auffassung von kulturpolitik. ich meine, es ist ein konstituierender TEIL von kulturpolitik, sich über solche auffassungsunterschiede auseinanderzusetzen und um einen neuen status quo zu ringen, falls mir der alte anfechtbar erscheint.

damit betone ich ein grundlegend anderes rollenverständnis und schlage ein bipolares setup in der kulturpolitik kategorisch aus. nur wenn sach- und machtpromotoren in nachvollziehbaren prozessen neue modi der kooperation entwickeln, halte ich die anforderungen einer res publica für erfüllt. das wird sich nicht erreichen lassen, indem sich zwei parteien gegen einander in stellung bringen und gegenseitig anbrüllen.

[übersicht]

wovon handelt kulturpolitik? #5

in meinem milieu dominiert die erwartung, kulturpolitik möge mittel für die produktion von kunstwerken und für deren präsentation verfügbar machen, also für ausstellungen, veranstaltungen etc.

da wir für diese erwartung ein klares gegenüber wünschen, das sich uns verpflichtet fühlt, kann ich die vorherrschende bipolarität im verhältnis kunstschaffende/kulturpolitische funktionstragende nachvollziehen. aber ich muß sie aus prinzipiellen gründen ablehnen.

das heißt: kulturpolitik als aufgabe funktionstragender der politik ist ausdruck einer riskanten selbstbeschränkung. kulturpolitik ist das ergebnis der aktivitäten verschiedener deutungseliten. die politischen funktionstragenden sind bloß eine davon.

hier das personal der kulturpoliztik, da die kulturschaffenden? lieber nicht! (quelle: ig kultur steiermark) kulturPOLITIK ist unser aller sache, kulturPOLITIKERINNEN sind nur eine der damit befaßten formationen.

ich träume mir kulturbeauftragte von land und kommunen weder als meine förderer, noch als gunsterweisende instanzen, aber auch nicht als feindbilder. ich möchte davon ausgehen, daß wir kooperationsmodelle zu erproben haben, was voraussetzt, daß wir rollen und aufgaben stets neu klären.

das stützt sich auf meine vorstellungen gemäß einem denkmodell von drei sektoren (staat, markt und zivilgesellschaft), daß zwar in jedem der bereiche/sektoren eigene prioritäten vorherrschen, daß wir aber ein gemeinsames feld bearbeiten, was ja auch gemeinsame interessen nahelegt.

daraus folgt, daß ich genau diesen arbeitsansatz auch als leistungsfähige methode betrachte, gegen bestehende mißstände auf diesem feld vorzugehen. das bedeutet wiederum, daß alte, liebgewonnen feindbilder hinter uns bleiben müssen. „wir gegen den markt“ und „wir gegen das politische personal“ sind aussichtslose posen, die auf kräftemessen setzen.

mir fehlen beispiele, daß solche art kräftemessen jemals von kunstschaffenden für sich entschieden worden wäre. ich kenne in der geschichte kein einziges beispiel von einem „aufstand kunstschaffender“. und wenn es in europa je um rebellion gegangen wäre, dann nicht um die sache der kunst.

das aktuelle steirische rebellen-gehampel in der auseinandersetzung mit der landesregierung müßte sich in eben dieser attitüde, nämlich ein „aufstand“ sein zu wollen, wenigstens an jenem historischen ereignis messen lassen, bei dem im 20. jahrhundert kunstschaffende und intellektuelle in waffen gingen, um die tyrannis zurückzuschlagen. ich meine den spanischen bürgerkrieg.

"el generalissimo franco" sah im spanischen bürgerkrieg auch kunstschaffende und intellektuelle im gegnerischen lager

wollte ich wissen, was ein rebell sei, werde ich auch in jenem krieg, für den die nazi in spanien geübt haben kaum fündig. vor der puren gewalt, dem terror der nazi, war offener widerstand die ausnahme. auf dem weg dorthin finden sich allerdings schon beispiele, aber eher nicht unter kunstschaffenden. ich denke an den arbeiter koloman wallisch [link] und seine leute, deren unbeschreiblicher mut sie bewegte, dem faschismus das eigene leben entgegenzustellen.

wenn eine empörung schon ein "aufstand" ist, wie wollen wir das dann benennen?

wir aber, unter denen einige zur zeit so laut auftreten, um ein aufstehen zu zeigen, das ein aufstand sein möchte, das sich überdies durch das plündern arabischer codes und deutliche aussagen den aktuellen aufständen im arabischen raum anbiedert, wo unbewaffnete in die konfrontation mit elite-einheiten gehen, wir sind im wesentlichen mit kunst befaßt, mit ihrer praxis, vermittlung und rezeption.

weder das anbrüllen von politischem personal noch das werfen von schuhen ändert etwas an der tatsache, daß wir hier bestenfalls unsere interessen verhandeln. VERHANDELN! es ist mir – wie angedeutet – aus dem ganzen 20. jahrhundert kein aufstand kunstschaffender bekannt, es wird voraussichtlich auch dieser keiner sein. ich neige zur ansicht, die groß angelegte geste soll den blick darauf verschleiern, was wir aktuelll zu klären hätten.

wenn wir über steirischen KULTURPOLITIK reden wollen, dann hätte ich dazu gerne eine aussagekräftige momentaufnahme, die deutlich macht: welche instanzen sind teil des kulturpolitischen geschehens? welche agenda wären mit welchen prioritäten zu ordnen? welchen ansprüchen stehen welche verpflichtungen gegenüber?

wie schon früher erwähnt, in der praxis haben etwa kulturbeauftragte der kommunen jenseits von graz überwiegend die vorstellung, ihre aufgabe handle davon, verfügbare miniatur-budgets zu verteilen und daraus resultierende veranstaltungen zu eröffnen.

während das landeszentrum sogar unter widrigsten umständen noch von genug menschen bewohnt wird, deren kulturelle bedürfnisse und auffassungen eine kulturpolitische grundsituation ergeben, welche verschiedene gesellschaftliche instanzen berührt, gibt es zahllose kleine orte und städte, in denen davon nichts zu finden ist.

statt also ein wettrennen um partikularinteressen abzuhalten, wahlweise eine landesweite „wir-situation“ zu simulieren, die keiner genaueren überprüfung standhält, könnten wir langsam beginnen, eine zeitgemäße vorstellung von kulturpolitik zu formulieren, in der rollen und aufgaben etwas präziser dargestellt sind.

solche klarheit vermisse ich momentan. daraus schließe ich, in meinem milieu wissen wir zwar, was wir von der landespolitik wollen, nämlich mehr geld, aber wohin das mit welchen methoden und strategien führen soll, das wissen wir eigentlich nicht.

[übersicht]

wovon handelt kulturpolitik? #4

wir kennen in österreich seit josef II. die neigung, reformen von oben zu erwarten. der aufgeklärte absolutist als guter vater, welcher die gelegentlich rebellischen kinder zufriedenzustellen weiß. das ist ein österreichischer klassiker. außerdem war der erstgeborene sohn von maria theresia bekannt für seine rege reisetätigkeit, dabei vorzugsweise unerkannt, bestrebt, seine ländereien und untertanen besser kennenzulernen.

na? funkt’s? so mögen wir das. der junge war stilprägend. ich darf das so salopp formulieren, da ich heute älter bin als er geworden ist. und seine frau mama war niemals kaiserin, obwohl ich damit aufgewachsen bin, daß man sie „kaiserin maria theresia“ nannte.

ob das wichtig ist? in einem land, wo sogar viele kunstschaffende auf ihren visitenkarten alle akademischen titel, die verfügbar sind, anführen, sagt das eine menge. diese kulturelle prägung steht uns ab und zu etwas im wege. etwa dann, wenn wir wahrnehmen sollten, daß KULTURPOLITIK kein sache bloß der kulturpolitiker sein kann, also auch die veranwortung für das kulturelle klima und die rahmenbedingungen des kulturschaffens nicht bloß in funktionärshänden liegen können.

mein lieblingsmantra in der sache:
wir haben den begriff POLITIK von zwei verschiedenen kategorien bezogen, von der POLITIKÉ, der „staatskunst“, als dem bereich der funktionstragenden, sowie von der POLIS, dem (vormals städtischen) gemeinwesen, also der zivilgesellschaft. erst im zusammenwirken und wechselspiel dieser beiden sphären ereignet sich politik, so auch kulturpolitik.

es wäre quasi eine „josephinische pose“, die dinge quer durchs jahr einfach laufen zu lassen, weil vor allem wir kunstschaffenden uns ja mit kunst befassen müssen, mit nichts anderem, um uns im krisenfall auf ein simple polarisierung zurückzuziehen: hier wir, dort das kulturpolitische personal.

wir haben so eine polarisierung im augenblick zwischen a) kulturschaffenden, die sich im landeszentrum graz konzentrieren und b) der landesebene unserer formellen kulturpolitik. was an einwänden und vorhaltungen, auch an empörung und protest zu vernehmen ist, hat hauptsächlich die budgetpolitik des landeskulturreferates zum inhalt.

in der aktuellen kontroverse fehlen mir vollkommen:
a) was wir selbst alle quer durchs land an kulturpolitischer entwicklungsarbeit schuldig geblieben sind,
b) welche konsequenzen es gerade jetzt vor allem im ländlichen raum für kulturschaffende hat, daß unzählige gemeidnen nicht einmal kulturbeauftragte haben und
c) daß in eben diesem ländlichen raum kulturbudgets, soweit überhaupt vorhanden, nun weitgehend auf null gesetzt wurden oder nur mehr in hunderter-beträgen vorhanden sind.

der zusammenhang ergibt sich unter anderem aus folgendem umstand: die ländlichen gemeinden haben momentan die allergrößten probleme, ihre sozialkosten zu bewältigen, was unter den betroffenen, also hilfsbedürftigen menschen und deren angehörigen, defintiv einen schock ausgelöst hat.

vor diesem hintergrund geht die bereitschaft, gelder für bereiche der gegenwartskunst zu verteidigen, hier auf dem lande überwiegen gegen null. das bedeutet unter anderem, wir büßen gerade, daß wir
+) a: für keinerlei begriffsklärungen gesorgt haben, wie etwa gegenwartskunst und voluntary arts zwei grundverschiedene kategorien sind,
+) b: bisher eher nicht klar gemacht haben, warum kulturpolitik UND kulturförderung keinswegs bloß dem veranstaltungsbereich gewidmet sein können, sondern in summe beitragen müssen, ein kulturelles geschehen und ein kulturelles klima zu ermöglichen, in dem das raum und praxis findet, was ja auch vom gesetz her sache der kulturförderung ist; ich hab das in beitrag #3 ausführlich beschrieben: [link]
+) c: was nun berufsbilder, unser verhältnis zur marktsituation und unser selbstverständnis bezüglich soziokultureller agenda angeht, zu lange zu viel unschärfe zugelasssen haben.

das spiegelt sich in der situation, die uns übliche kulturbeauftragte der gemeinden zeigen. von einigen ausnahmen abgesehen sind kulturbeauftratge vorsitzende von jenen kommunalen gremien, die über geldvergaben enstcheiden. in der regel wird also in kulturreferaten und gemeindestuben die geldvergabe für den veranstaltungsbereich verhandelt, in größeren gemeinden auch so mancher ankauf. dann handelt reale kulturpolitik meist noch vom repräsentativen akt des eröffnens und damit hat sich die sache.

wir haben genau NICHT darum gerungen, daß landesweit in politik und verwaltung ein verständnis wächst, warum geldvergabe für kofinanzierungen und repräsentation bloß die einfachsten übungen am ganzen sind und warum wir mit einander gefordert wären, nun zu klären, was etwa ortsbezogene UND ortsübergreifende, also regionale kulturpolitik sein und leisten müßte, um jenes kulturelle klima zu fördern und jenes geschehen mitzufinanzieren, die den demokratiepolitischen zielen dienen, auf die wir uns einigen konnten und welche auch in verschiedenen gesetzen nachzulesen sind.

so etwa im steiermärkischen kultur- und kunstförderungsgesetz, das als „Ziele und Aufgaben der Kultur- und Kunstförderung“ unter anderem folgende punkte nennt:
+) „2.: die schöpferische Selbstentfaltung jedes Menschen durch aktive kulturelle Kreativität und die Teilhabe jedes Menschen am kulturellen und künstlerischen Prozess in jeder Region des Landes;“ und:
+) „3.: eine zum Verständnis und zur Kritik befähigte Öffentlichkeit;“

deshalb muß ich eine kontroverse, die
+) a: nur zwischen landeskulturpolitik und
+) b: kulturschaffenden des landes als eine
+) c: vor allem kontroverse um budgets angelegt ist,
für sehr problematisch, womöglich sogar für verfehlt halten.

ich muß darauf bestehen, den größeren zusammenhang zu erörtern, zu erfahren, zu bearbeiten. und ich muß darauf bestehen, beide aspeke von politik, „polis“ und „politiké“, in wirkung zu finden, und zwar nicht bloß im landeszentrum graz versammelt und auf das landeskulturreferat hin fokussiert, sondern mit einer idee ausgestattet, wie das auf die gesamte steiermark angewandt werden könnte.

[übersicht]

wovon handelt kulturpolitik? #3

ich halte die laune gesetzestexte zu ignorieren, weil sie als „trockene materie“ gelten, für eine problematische pose. in einer repräsentativen demokratie sind das jene texte, die faktisch einen breiten gesellschaftlichen konsens ausdrücken, auch wenn vox populi da und dort anders klingen mag. aber noch wichtiger: das sind regelwerke, auf die ich mich berufen kann, wenn ich mit leuten aus der politik bedingungen zu verhandeln habe.

ich hab im beitrag #16 von „was ist kunst?“ erwähnt: „vor dem hintergrund dieser kräftespiele und bewertungsprozesse, die allerhand mit definitionsmacht zu tun haben, steht es uns allen natürlich frei, uns in selbstermächtigung zu üben. ich denke, es ist so banal, wie es erscheint: wenn ICH sage, daß es ein kunstwerk ist, dann ist es eines. (kaum ein aspekt des kunstgeschehens scheint mehr zu provozieren als dieser!)“ [link]

wir haben die freiheit zu staunen, dinge in frage zu stellen, nichts für selbstverständlich zu halten, das ist sogar per gesetz keinesfalls eine domäne der kunstschaffenden, sondern aller bürgerinnen und bürger

selbstermächtugung in der kunst, um sich seine themen frei zu wählen, über die wege der umsetzung frei zu entscheiden, also mit einem höchstmaß an selbstbestimmung vorzugehen. das soll man dürfen? womöglich ohne ansehen der eigenen sozialen position, des ranges innerhalb einer gemeinschaft? ist da nun von „freiheit der kunst“ zu reden?

ja und nein. eigentlich ist vor allem einmal von der freiheit ALLER bürgerinnen und bürger zu reden, wie uns das auch in den niedergeschriebenen grundlagen unseres staates verbrieft wurde, wie es überdies als teil umfassender menschenrechte verstanden wird.

sollten kunstschaffende die einzigen sein, die das für ihr metier andauernd im munde führen, dann müßte sich eigentlich der rest der menschen fragen, warum, sie es NICHT tun, wo uns derlei freiheiten allen zugesichert sind.

anders ausgedrückt: können sie mir sonst noch professionen nennen, bei der diese grundlegenden freiheiten nicht nur verbrieft sind, da gibt’s ja mehrere, sondern auch so permanent gegenstand öffentlicher äußerungen? doch auch die gegenfrage liegt nahe: können sie mir nur eine profession nennen, die sinnvoll und zielführend auszuüben wäre, ohne solche grundlagen zu brauchen?

das thema „freiheit der kunst“ kommt im österreichischen bundesverfassungsgesetz nicht vor, im staatsvertrag schon gar nicht. im staatsgrundgesetz „über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder“ können wir aber fündig fündig werden: „Artikel 17a. Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre sind frei.“ [quelle]

das ist deshalb der „Artikel 17a“, weil erst noch festgestellt wurde: „Artikel 17. Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei. Unterrichts- und Erziehungsanstalten zu gründen und an solchen Unterricht zu erteilen, ist jeder Staatsbürger berechtigt, der seine Befähigung hiezu in gesetzlicher Weise nachgewiesen hat. …“

dazu paßt dann auch: „Artikel 18. Es steht jedermann frei, seinen Beruf zu wählen und sich für denselben auszubilden, wie und wo er will.“

beide artikel haben voraussetzungen, welche nach dieser oder jener form der praxis verlangen, künstlerische praxis ist bloß EINE der möglichkeiten, wie sich dieses recht ausüben läßt: „Artikel 13. Jedermann hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern. Die Presse darf weder unter Zensur gestellt, noch durch das Konzessions-System beschränkt werden. Administrative Postverbote finden auf inländische Druckschriften keine Anwendung.“

es gibt eine weitere sehr wichtige textstelle in österreichischen gesetzen, die besagt: „Artikel 1. Schutzgarantie der Vertragsstaaten. Die Hohen Vertragschließenden Teile sichern allen ihrer Jurisdiktion unterstehenden Personen die in Abschnitt I dieser Konvention niedergelegten Rechte und Freiheiten zu.“

damit bekennt sich der staat österreich zur „Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)“, das ist die „Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. 1958/210“ (inklusive einem österreichischen „Vorbehalt zur MRK“).

darin lautet der „Artikel 9. Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. (1) Jedermann hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfaßt die Freiheit des Einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, durch Ausübung und Betrachtung religiöser Gebräuche auszuüben. …“ [quelle]

der „Artikel 10. Recht der freien Meinungsäußerung“ vertieft noch, was nicht bloß kunstschaffende beanspruchen, sondern alle bürgerinnen und bürger für sich in anspruch nehmen dürfen: „(1) Jeder hat Anspruch auf frei Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriff öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein. …“

ich möchte also eigentlich nicht hören, daß jemand sich aus diesem oder jenem grund über eine praxis der „freiheit der kunst“ empört, statt sie zu begrüßen, denn es wäre umgehend zu fragen: warum verzichtest du selbst auf solche freiheiten?

[übersicht]

die kulturpolitische entwicklung

in der 16. kalenderwoche 2009 habe ich im projekt-logbuch notiert: „Zum Kern einer, genauer MEINER Sache: Freelancers auf dem Kunstfeld.“ [link] die studie zur sozialen fage kunstschaffender kannten wir zu diesem zeitpunkt schon, sie war im oktober 2008 publiziert worden: [link]

(quelle: kleine zeitung)

damals wußten wir auch, daß die (inflationsbereinigten) kulturausgaben im staat seit 2000 ständig gesunken waren. da hätten wir uns quer durchs land verständigen können, was zu tun sei. so kam es leider nicht. ich hatte 2009 das überhaupt erste LEADER-kulturprojekt der steiermark in gang. meine annahme, das könnte sich zur plattform ausbauen lassen und neue kooperationsformen hervorbringen, war zu dem zeitpunkt naiv. (wir brauchten dazu viel länger.)

(quelle: kleine zeitung)

damals nahm ich so deutlich wie nie zuvor wahr, daß in der regionalpolitik plötzlich deutliche „absetzbewegungen“ gegenüber der kultur begonnen hatten. deshalb hatte ich aus der „kleinen zeitung“ jenes zitat von vizebürgermeister robert lamperti notiert. es sollten in der folge noch öfter – ohne jede nähere erläuterung – KULTURAUSGABEN negativ konnotiert werden; wie hier: als „unerfreuliche negativentwicklung“.

eigentlich ein deutliches und brutales zeichen, daß politische eliten den kulturbereich offenbar zunehmend als „dekorationsthema“ sahen, das bei bedarf heruntergestuft werden könnte, um spielraum und manövriermasse für andere gesellschaftliche bereiche zu gewinnen.

(2. leader-kulturkonferenz in deutschlandsberg)

waren wir gewarnt? haben wir reagiert? hier in der region sicher nicht! mehr noch: von einem „wir“ konnte gar keine rede sein. nach einer kulturkonferenz in deutschlandsberg (26.03.2009) hatte ich „Ein paar Takte Reflexion“ notiert: [link]

ich sehe in diesem text heute einige anregungen zu maßnahmen, die uns JETZT nützlich wären, wenn wir sie damals, 2009 (!), debattiert und angepackt hätten. hätten! haben wir aber nicht. welches „wir?“ eben!

da uns die politik keinesfalls im unklaren ließ, wie sie über unser feld dachte, wären wir wohl gefordert gewesen, die deutlichen zeichen zu interpretieren, schlüsse zu ziehen und zu handeln. aber NOCH trafen uns ja die kürzungen nicht, von denen zwar schon geredet wurde, die aber noch in weiter ferne zu liegen schienen.

inzwischen sind sie sehr viel schneller und umfassender bei uns angekommen, als wir wahrhaben wollten. daher waren die letzten monate von einiger mühe geprägt, unsere projekte auf kurs zu halten und wenigstens grundlegende finanzierungen zu sichern.

parallel dazu heißt es für mich: ab auf die meta-ebene! das ist nicht der pausenfüller, das muß simultan erledigt werden. also: laufender betrieb UND reflexion, was genau geschehen ist, wo wir angekommen sind, wie es nun weitergehen kann, auch: wohin.

ich komme aus einem denken über „eigenständige regionalentwicklung“, in dem zwei prinzipien hohen rang hatten:
a) das heil kommt nicht von außen, wir müssen selbst lösungen finden.
b) aktion und reflexion müssen beieinander und in wechselwirkung gehalten werden.

ich habe nun begonnen, meine aktuellen annahmen und schlüsse zu ordnen und zur debatte zu stellen.

das ist zugleich ein nachdenkprozeß im ringen um brauchbare handlungspläne. daher der leistentitel „wovon handelt kulturpolitik?“ [link] ich stütze mich dabei auf die annahme, daß wir den begriff POLITIK in unserer kultur aus ZWEI dimensionen, beziehungsweise sphären bezogen haben: POLIS, das gemeinwesen, heute würden wir sagen: die zibilgesellschaft, und POLITIKÉ, die „staatskunst“, worunter wir heute die politikerinnen und politiker der republik verstehen.

weil aber die debatte über KULTURPOLITIK auch eine debatte über SOZIALE BELANGE sein muß, habe ich meine eigenen karten offengelegt, damit wir auch klären können, von welchen beddingungen, möglichkeiten und ansprüchen wir im sozialen bereich sprechen.

deshalb gehe ich hier von meinem aktuellen einkommenssteuerbescheid aus, der illustriert, von welcher sozialen position aus ich meine überlegungen vorbringe: [link]

wovon handelt kulturpolitik? #2

bei einem ausführlichen gespräch mit dem wirtschafts- und kulturlandesrat christian buchmann und einigen regionalen funktionstragenden, wie etwa dem landtagsabgeordneten erwin gruber, sagte buchmann: „mehrheit ist wahrheit in der politik.“

wirtschafts- und kulturlandesrat christian buchmann (links) und landtagsabgeordneter erwin gruber

ob einem diese auffassung paßt oder mißfällt, so also läßt mich ein erfahrener landespolitiker wissen, was er innerhalb seiner sphäre im auge behält. buchmann ist sicher versiert genug, um nicht zu meinen, es sollen nur mehrheiten bestimmen, was zu geschehen habe. doch mindestens in der regionalpolitik wird sehr schnell deutlich, daß beispielsweise die bürgermeisterinnen und bürgermeister in kleinen orten keinesfalls ignorieren, was sich an stimmungen in der bevölkerung bemerkbar macht.

kurios bleibt, daß lautes murren mit mehrheiten assoziiert bleibt, was ja keine ausgemachte sache ist. wir wissen in der regeln nicht so genau, was „die leute“ allgemein denken. das sind meist mutmaßungen aufgrund von gerüchten, wanderlegenden, berichterstattung in den medien, leserpost in zeitungen, lauten auslassungen von deutungseliten etc.

aber wir wissen aufgrund von leserpost, umfragen und manchmal laut werdendem gemurre, daß der kulturbereich ganz allgemein und die gegenwartskunst im speziellen keinerlei mehrheiten hinter sich vermuten dürfen.

ob ministerin claudia schmied noch weiß, in welcher schublade die studie über die soziale lage kunstschaffender liegengeblieben ist?

mindestens jene studie [link] zur sozialen lage kunstschaffender, die seit jahren in irgendeiner schublade von ministerin claudia schmied verrottet, unterstreicht diese annahme sehr gründlich.

es weist seit jahren nichts darauf hin, daß mehrheitlicher zuspruch zu einer bezüglich gegenwartskunst offensiven und gut dotierten kulturpolitik vom himmel fallen könnte. es weist außerdem nichts darauf hin, daß politisches personal diesen oder jenen bonus bei seinem klientel riskieren möchte, um jenen sektor nennenswert zu stärken, der sich doch in tagespolitischen scharmützeln so handlich zur diskreditierung anbietet. schlimm? ja, schon. aber wen schert’s?

wir werden uns also voraussichtlich selbst um eine valorisierung unseres sektors kümmern müssen. ich gehe davon aus, daß ein anbrüllen anderer leute sich dafür am wenigstens eignet. ich nehme an, daß konsequente inhaltliche arbeit und das bemühen um strategisch bewirkten „bodengewinn“ uns in der sache voranbringen können.

das sind fragen der inhaltlichen klärungen, fragen der vermittlungsarbeit und fragen der kommunikation nach außen, also auch der medienpräsenz, in summe soziokulturelle agenda.

[übersicht]

wovon handelt kulturpolitik? #1

ich hab lange der vorstellung angehangen, wir müßten das denkmodell „zentrum/provinz“ neu deuten. über laufende debatten kam ich dann zur annahme, dieses denkmodell müsse überhaupt aufgegeben werden. inzwischen sehen ich keine möglichkeit, es zu suspendieren und mir scheint überdies, daß sich diverse gefälle zwischen zentrum und „provinz“ wieder verstärken; zu lasten der zonen jenseits des landeszentrums.

ich habe verschiedene gründe, auf öffentlichen debatten über die themen kunst und kultur zu bestehen. einer der gründe ist folgender: unsere praktische erfahrung in der „region“ besagt, daß wir entweder selbst definieren, was gemeint ist, wenn jemand „kunst und kultur“ sagt, oder wirtschaft und politik übernehmen das ebenso locker wie bestimmt.

martin krusche (2.v.l.) auf einem screenshot aus einer miniaturkamera an einem miniatur-hubschrauber (driven by bernd kober) über einer arbeit von christian strassegger, ziemlich weit draußen, also sehr jenseits von graz

wenn wirtschaft und politik sagen, was kunst und kultur seien, entstehen zum teil jene gravierenden probleme, die wir gerade zu beklagen haben. das handelt von einer umfassenden marginalisierung des themas in den regionalen medien und in der öffentlichen wahrnehmung. das führt überdies zu situationen, in denen eine teils ratlose kommunalpolitik vor allem „kunst“ aber auch „kultur“ desavouiert und als manövriermasse in regionalpolitischen diskursen mißbraucht.

sind also die deutungseliten aus wirtschaft und politik in dieser sache sich selbst überlassen, werden aus geringstem anlaß auf ANDEREN politischen feldern unsere kulturpolitischen rahmenbedingungen beschädigt. es geht sogar noch weiter. ich werde hier noch dokumentieren, wie kunstsschaffende (als „primäre kräfte“ des metiers) sogar aus regionalen funktionärskreisen für divergierende auffassungen massiv angegriffen werden können, wenn sie professionelle grundlagen von zeitgemäßer kulturpolitik öffentlich thematisieren.

zu all dem kommt ein weitgehend diskreditierter kunstbegriff, der zu einem containerwort verkommen ist, welches mit beliebigen inhalten befüllt und gegen beliebige positionen in stellung gebracht werden kann. damit gerät ein ganzes berufsfeld in mißkredit.

ich rege mich darüber nicht auf, weil ich feststellen muß, daß mein metier die verfestigung solcher mißstände weitgehend ohne jeden einwand zugelassen hat. anders ausgedrückt: wir kunstschaffenden haben die situation miterzeugt, die viele von uns gerade lauthals beklagen.

nun interessiert es mich, zu einem stichhaltigen befund des status quo zu kommen, damit es möglich wird, prozesse einzuleiten, die solche mißstände bessern, möglichst beseitigen. ich denke, diese kulturellen agenda werden im auftakt nicht auf dem boulevard zu bearbeiten sein, sondern primär innerhalb unseres metiers und mit all jenen, die uns beruflich und/oder privat verbunden sind.

ich möchte eigentlich nicht mehr erleben, daß etwa eine ausgewiesene kunsthistorikerin in einer veranstaltung öffentlich behauptet, was KUNST sei, ließe sich nicht so genau sagen.

ich möchte eigentlich nicht mehr erleben, daß kunstschaffende, die sich konsequent künstlerischer praxis verschrieben haben, keine idee haben, worin sich etwa gegenwartskunst und voluntary arts unterscheiden.

ich möchte zum auftakt erreichen, daß wir selbst jene kompetenz zeigen, also haben, welche wir von unserem jeweiligen gegenüber in politk, verwaltung und wirtschaft erwarten.

ich möchte erleben, daß wir unsere gründe nennen und fundiert argumentieren wie verhandeln können. ich erwarte mir dabei augenblicklich weniger von deklarationen und mehr von diskursen.

[übersicht]
[die zum foto erwähnte arbeit von strassegger]