wovon handelt kulturpolitik? #7

ob man zu den kunstschaffenden zählt, die einen brotberuf ausüben, oder zu jenen, die ihr jahreseinkommen nur aus künstlerischer arbeit beziehen, ist primär eine soziale kategorie und keine der kunst. aber es macht natürlich unterschiede in den ergebnissen, ob ich im jahr auf 300 tage künstlerischer arbeit komme oder bloß auf 30.

welche berufsbilder mögen sich daraus ergeben, wenn es auch ein beruf sein kann, zu den kunstschaffenden zu gehören? auf banaler ebene bevorzuge ich die annahme, professionalität komme durch arbeitszeit. also zum beispiel: lieber 300 tage statt 30 tage künstlerischer arbeit im jahr.

die letzten 200 jahre mußte man entweder reiche eltern haben oder zu jener mikro-minorität kunstschaffender gehören, die sehr schnell hohen marktwert schaffen. für leute meiner herkunft war ein künstlerleben eher undenkbar und ökonomisch nicht machbar. darüber schwindeln sich manche von uns gerne mit romantischen bildern hinweg.

zwischenzeitlich gehörte es zum guten ton in der „bohème“, bürgerliches dasein zu verachten. im 19. und frühen 20. jahrhundert waren solche milieus leidenschaftlich damit beschäftigt, „bürgerliche normen“ zu ignorieren, zu verachten oder zu brechen. in solchen mileus ereignete sich ab und zu ein wenig an relevantem kunstgeschehen.

die austrifizierte version: von jim cogan hab ich den blues zu spielen gelernt und wodka war standard, southern comfort das dessert.

in der pop-kultur hat sich das dann auch auf verschiedene arten gezeigt, freilich auf gebrochene art, weil viel weniger romantisch verbrämt. das ist beispielsweiser in der ironischen phrase „money for nothing chicks for free“ zusammengefaßt. die „dire straits“ haben dem thema einen song gewidmet: [link]

in meiner biographie läßt sich so eine bohème-phase nachweisen. stoff für reminiszenzen und sentimentale momente. das ist aber meist ein status, der einen in künstlerischen belangen nicht gerade rasend voranbringt. mindestens nicht im kunstbetrieb österreichs.

einer der wesentlichsten gründe dafür liegt wohl im etwas tabuisierten zusammenhang zwischen künstlerischer existenz und dem „bürgertum“ als hautsächlichem publikum, hauptsächlicher kundschaft, also primäres bezugsfeld und primäre einkommensquelle. (kunstschaffende unter sich sind einander erfahrungsgemäß nur selten gewogenes publikum und schon gar nicht kundschaft.)

ich hab es gemocht, ein bohemièn zu sein, aber das war selbstverständlich ein leben auf einem anderen planeten

damit meine ich auch: die „antibürgerliche“ attitüde erschöpft sich meist schnell, wenn ich für ein selbst mäßiges jahreseinkommen sowohl in verkäufen und engagements wie auch in den fragen nach stipendien und preisen niemand anderem gegenüberstehe als menschen der mittelschicht.

die obere mittelschicht und die reichen sind in der regel ohnehin keine realen gegenüber in meinem milieu. mindestens im bereich der bildenden kunst wären da zum beispiel galeristen vermittelnde instanzen. wer von uns in diesem bereich reüssiert, kann feilich erleben, daß etwa gut situierte sammler eines tages das atelier sehen wollen. aber die meisten von uns sind in der realen begegnung noch nie in solche gesellschaftlichen zonen vorgedrungen.

mangels einer wenigstens halbwegs offenen auseinandersetzung mit fragen des beruflichen selbstverständnisses, der sozialen bedingungen und der realen einkommensverhältnisse von kunstschaffenden in österreich herrscht über weite strecken diffusion, zuweilen sogar recht obskures mutmaßen.

wenn die rede auf unsere soziale lage kommt, verweisen wir üblicherweise auf eine studie, die in einem schreibtisch der bildungsministerin verrottet und auf einige streitschriften der ig kultur österreich, wahlweise der ig autorinnen autoren. das war’s!

mir ist das etwas zu wenig. und mich stört das gemurmel und gemurre, das nie konkret werden will. deshalb habe ich begonnen, einige takte klartext in diese angelegenheit zu bringen. wenn ich mit meiner sozialen lage und mit dem kulturpolitischen status quo nicht zufrieden bin, was der fall ist, dann erscheint es mir nützlich, möglichst konkret greifbar zu machen, worüber ich rede und warum ich bestimmte erwartungen habe, auf gewissen standards bestehen muß.

dabei scheint es mir nützlich, eine soziale standard-situation kunstschaffender exemplarisch greifbar, nachvollziehbar zu machen. rund um diese simplen faktenlagen konkreter zahlen möchte ich auch sichtbar machen, welche summe an kompetenzen eingesetzt werden müssen, um abseits des landeszentrums eine existenz als freelancer im kunst- und kulturbereich zu haben.

darum hier nun der schwerpunkt „wovon lebt der krusche“: [link] im projekt-logbuch habe ich dazu ein quasi vorwort verfaßt: [link] ich möchte in meinem umfeld ein stück terrain schaffen, auf dem etwas mehr klarheit herrscht, wie die dinge zusammenhängen und funktionieren.

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Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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