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kunst ost: reflexionen #6

Zwischen Partizipation und Konsumation

Wir sind im regionalen Kulturbetrieb noch stark von der Tendenz zu Events dominiert. Es wird zwar in der Kommunalpolitik kaum noch wer offen fragen „Wie viele Leute waren da?“, denn es hat sich herumgesprochen, daß diese Frage allein wenig klärt, aber traditionelles Funktionärswesen besteht mindestens unter der Hand auf diesem Kriterium als Hauptmaßstab.

Schauspieler Peter Simonischek (links) und Kulturpromotor Werner Sonnleitner

Ich hab es schon bei mehreren Gelegenheiten zur Sprache gebracht, unter anderem in „Eine neue Konzeption der Ethik?“, daß wir laufend prüfen sollten, welches Verhältnis von Konsumation zu Partizipation wir bei unseren Vorhaben zustande bringen. („Konsumation oder Partizipation, das ist eine der brisanten Fragen im laufenden Geschehen.“) [Quelle]

Auch in „Kulturpolitik als Two Trick-Pony“ taucht die Frage auf: „Wohin? Zu mehr Konsumation oder mehr Partizipation?“ [Quelle]

Ich fuhr gestern in Markt Hartmannsdorf, um die Präsentation der prämierten Arbeiten des Literaturwettbewerbes „Wortschatz 2012“ zu hören. Freilich waren hier viele Leute zugange. Dieses Ereignis wird vom renommierten Schauspielerehepaar Peter Simonischek und Brigitte Karner getragen.

Aber der Anlaß zu diesem vom Verein Kultur und Begegnung [link] getragenen Wettbewerb ist eben Partizipation. Ich war übrigens am allermeisten überrascht, wie hochkarätig die Arbeiten der jungen Leute waren; der Literaturwettbewerb ist für zwei Gruppierungen ausgeschrieben, Jugendliche und Erwachsene.

Schauspielerin Brigitte Karner

In seinen einleitenden Worten erwähnte Simonischek diesen Effekt der Massenkultur, dessen Konsequenzen wir zwar erahnen, der aber nur selten öffentlich zur Debatte steht. Denn wir wissen ja eigentlich nicht so genau, was es für Konsequenzen hat, wenn der dominante Anteil einer ganzen Bevölkerung seit Jahrzehnten an den „elektronischen Lagerfeuern“ sitzt, in die TV-Geräte starrt. (Aber wir sind heute auch nicht mehr ganz ahnungslos, was das bedeutet.)

Malerin Michaela Knittelfelder-Lang

Simonischek sagte, das Fernsehen habe „den Schalter von aktiv auf passiv umgelegt“, täglich ab 19:00 Uhr. Er bezog sich in dieser Einschätzung auf seine beruflichen Erfahrungen: „Theater lebt und leidet seit der griechischen Antike mit der menschlichen Leidenschaft.“ Worauf die sich richte, sei eben aufschlußreich. Den Weg in die Kunst bezeichnete Simonischek als einen „Austausch mit sich selbst und anderen“.

Dieses Argument ist ein Angelpunkt für kulturelles Engagement und ein Plädoyer für die Befassung mit Kunst. Es berührt Positionen, die in einem erheblichen Kontrast zur ladläufigen „Eventitis“ stehen. Damit ist auch der Blick auf den grundlegenden Unterschied zwischen Partizipation und Konsumation gelegt. Die Konsumation ist eben in sehr vielen Fällen ein Geschäft mit Surrogaten. Der „Austausch mit sich selbst und anderen“ darf als grundlegendes soziales Ereignis geltern, ohne welches menschliche Gemeinschaft gar nicht erklärbar wäre.

Die Präsentation, der Auftritt, die Ausstellung, all das ist natürlich nicht gering zu schätzen und hat unter anderem wichtige soziale Funktionen. Das hat aber ein geistiges Klima zur Bedingung, dessen Qualität und Reichweite als ein Gegenstand der Kulturpolitik zur Debatte stehen müßte.

Damit meine ich, Kulturpolitik muß durchaus offenlegen, wie sehr sie eher der Partizipation oder eher der Konsumation verpflichtet ist, wie sehr sie also auf welche Veranstaltungen setzt und in welchem Maß sie beiträgt, daß auch in der Region Inhalte und Ergebnisse erarbeitet werden können.

Ein reges Veranstaltungsprogramm, bei dem man bloß auf dem Kunstmarkt einkauft, ist sehr wesentlich eine Frage verfügbarer Budgets. Ein kulturelles Engagement, das Menschen dazu anregt, selbst handelnde und produzierende Personen des Kunst- und Kulturgeschehens zu werden, hat dagegen ganz andere Grundlagen.

[kunst ost: reflexionen]

kunst ost: reflexionen #5

Kulturelles Engagement auf der Höhe der Zeit

Aber nun kurz zurück zu den klar erinnerbaren Anfängen von kunst ost, in erster Schreibweise noch kunst O.ST, was auf den Regionsbegriff „Oststeiermark“ verwies. Rückblickend läßt sich ein Abend konstituierender Ereignisse markieren. Der 6. März 2007: [link]

Wir hatten bei kultur.at zu der Zeit eine Kooperation mit dem Festival steirischer herbst erreicht, um so im Herbst 2007 einen Kunstakzent von internationaler Relevanz zu realisieren. Der Auftakt dazu war für 16. März festgesetzt: [link] Im Mai folgte, als Zwischenschritt, die kleine Ausstellung „Nobody Want’s To Be Nobody“.

Veronica Kaup-Hasler (steirischer herbst, links) und Mirjana Peitler-Selakov (kultur.at, Mitte) bei der Eröffnung in Gleisdorf

Das eingangs erwähnte Treffen vom 6. März hatte ich als eine Einladung an regionale Kräfte konzipiert, mit einem Auftritt an die Herbst-Geschichte anzudocken und ein Gesamtereignis herbeizuführen, in dem internationale und regionale Kräfte in Wechselwirkung kamen.

Das war also 2007 gewissermaßen die Vorläufersituation zum aktuellen Programmschema, in dem diese zwei Positionen allerdings heute geteilt sind: Regionale Kräfte im ersten Halbjahr (April-Festival), internationaler Kontext im zweiten Halbjahr.

Ende März 2007 hatte ich außerdem noch ein Gespräch in Weiz erwirkt, bei dem wir eine mögliche Kooperation Kulturschaffender quer durch die Region erörterten: [link] Das war die kulturpolitische Ebene; mit einigen Konsequenzen, die ich damals nicht einmal geahnt habe, denn es sollte später noch für erhebliche Unruhe sorgen, daß unser Arbeitsansatz der regionalen Kulturpolitik ganz neue Optionen zumutete: [link]

Gleisdorfer Kunst- und Kulturschschaffende beim ersten 2007er-Treffen, das zu kunst ost führte

Für die Ebene der primären Kräfte hatte ich einen „Dreisprung“ vorgeschlagen. Es ging mir darum, daß wir in drei festgelegten Schritten innerhalb von drei Jahren die praktische Kooperation üben konnten und innerhalb der Region schrittweise wachsen würden; falls alles gut ging. Die „1 von 3“ trug den Titel „next code: flow“ und ging im November 2007 auf dem Weizberg über die Bühne: [link]

Mit der „2 von 3“ im Jahr 2008 waren wir bei den konzeptionellen Grundlagen des April-Festivals angelangt: [link] 2009 folgte die „3 von 3“ und 2010 hatte ich mit der ganzen Geschichte einen Status quo erreicht, der uns neue Möglichkeiten bot, weil kunst ost inzwischen zu einem LEADER-Kulturprojekt geworden war; weshalb wir es aus kultur.at auslagerten und als eigenständige Rechtsperson aufstellten. Hier eine kleine Zusammenfassung dieser Schritte: [link]

Von links: Winfried Kuckenberger (Kulturbüro), Christoph Stark (Bürgermeister) und Hannes Felgitsch (Kulturreferent) vertraten das "offizielle Gleisdorf" beim Weizer Treffen

Ich denke, einer der wichtigsten Aspekten dieses Prozesses lag darin, regionale und internationale Kräfte in ein Wechselspiel zu bringen, so daß für die Kreativen in der Region neue Impressionen und Erfahrungen zum fixen Bestandteil unseres gemeinsamen Tuns wurden. Außerdem haben wir im kulturpolitischen Bereich eingelöst, was die Kommunen seit Jahren offiziell erwarten und erbitten: „Bürgerbeteiligung“, Bürgerinnen selbstverständlich eingeschlossen. Genau dieses Einlösen des Bottom up-Prinzip hat uns allerdings in manchen Gemeindestuben auch erhebliche Widerstände beschert.

Ich hab vor fast genau einem Jahr, beginnend am 21. März 2011, kurz zusammengefaßt, wo wir damals gerade mit kunst ost standen: [link] Es war das „Krisenjahr“, in dem die bestürzenden Budgeteinbrüche der Kommunen voll zur Wirkung kamen. Die weltweiten Krisen von 2008/2009 hatten voll zu uns durchgeschlagen, gerade im Kulturbereich wurde bedenkenlos gekürzt.

Ich habe in sehr schöner Erinnerung, was uns als Kollektiv in diesem schwierigen Jahr gelungen ist. Für mich steht außer Zweifel, daß wir diese Ergebnisse heuer bestätigen und stabilisieren können. Nächstes Jahr wird die aktuelle LEADER-Periode enden. Diesen Zusammenhang möchte ich noch kurz erläutern.

Wir sind in einer LEADER-Region, der Energie-Region Weiz-Gleisdorf (Oststeiermark), angesiedelt. Deshalb haben wir eine grundlegende Themenstellung formuliert, die ausdrückt, was hier prägend erscheint: „Zwischen Landwirtschaft und High Tech“. In diesem Gesamtzusammenhang entfalten wir seit Jahren unsere Aktivitäten.

Was diese Region angeht, finden Sie hier weiterführende Details: [link]

Auf dem Weg zum überhaupt ersten LEADER-Kulturprojekt des Landes im Jahr 2009 hatte ich die erhebliche Freiheit, daß mir niemand sagen konnte, wie zu verfahren wäre. Es gab ein interessantes Regelwerk, das sich von der Landesebene her aus a) Sonderrichtlinien und b) einem eigenen Arbeitspapier zusammensetzte:
a) Aktionsprogramm Achse 4 LEADER [Link]
b) Sechs Punkte zum Kulturgeschehen (Gerald Gigler) [link]

Es gab meine eigenen Erfahrungen aus der Praxis mit kultur.at und dem künstlerischen Langzeitprojekt the long distance howl, dessen damaliger Abschnitt unter dem Titel next code der Suche nach neuen Codes und Vorgangsweisen im Kunstkontext gewidmet war: [link]

Ich hatte außerdem seit den 1980ern meine Erfahrungen mit den Ideen eigenständiger Regionalentwicklung. Von da her war klar, daß jenseits des Landeszentrums noch keinerlei kulturpolitische Konzepte bestanden, die über Gemeindegrenzen hinausreichten; wenn wir vom Veranstaltungstyp „Landesausstellung“ und dessen Folgekonzept „regionale“ absehen. Aber die sind beide top down angelegt. Mich interessierte, was für einen Künstler bottom up möglich wäre…

[kunst ost: reflexionen]

kunst ost: reflexionen #4

Kulturpolitik als Two Trick-Pony

Ich erlebe nun seit vielen Jahren das häufige Betonen von „Bürgerbeteiligung“, „Bottom up-Prinzip“ und ähnlichen Ansätzen zur Kooperation zwischen den verschiedenen Sektoren einer Gesellschaft. Die drei Bereiche Staat Markt und Zivilgesellschaft sind in den jeweiligen Lagern mit allerhand Ressentiments hochgerüstet. Von den Zinnen so mancher Festung wird einander zugegrinst.

Regionalentwicklung, Regionalpolitik, regionales Bewußtsein, das sind Optionen, die in der regionalen Kulturpolitik noch kaum Spuren hinterlassen haben. Es gab dazu von der Landesebene her einige Impulse, etwa die Ablöse des Veranstaltungstyps „Landesausstellung“ durch die „regionale“. Das hatte zwei wunde Punkte: Es kam von der Landesebene und es ist der Gegenwartskunst gewidmet.

Wohin? Zu mehr Konsumation oder mehr Partizipation?

Nicht einmal die sogenannte „Initiativenszene“ zeigte sich ausreichend in der Lage, solche Ansätze jenseits des Landeszentrums Graz angemessen in Empfang zu nehmen. Nun ist „LEADER Kultur“ gewissermaßen die „Cousine“ dieses Ereignisses „regionale“, das Ganzjahresereignis neben dem Festival. „LEADER Kultur“ hat Schnittpunkte mit der „regionale“, was Intentionen und Aufgaben betrifft, ist gleichermaßen der Provinz verpflichtet und der Gegenwartskunst.

Ich könnte im Augenblick nicht so genau sagen, was meine Kolleginnen und Kollegen in der Sache entwickelt haben, was landesweit Stand der Dinge ist und wo die einzelnen Projekte praktisch hinzielen; vor allem aber, worin wir nun Potential und konkrete Schnittstellen hätten, um dieses neue kulturelle Geschehen auf dem Lande in wesentlichen Teilen ein wenig zu verknüpfen.

Kunstwerke brauchen RAUM. Es ist ein Unfug und Affront, sie zwischen Bankschalter, diversen Plunder und Warenbestände zu quetschen.

Aber zurück zum lokalen „Erfahrungsbereich Kulturpolitik“. Ich hab schon angedeutet, daß es kaum praktische Beispiele gibt, wo Kulturpolitik über Ortsgrenzen hinaus geführt wird und den Ansatz einer regionalen Kulturpolitik zeigen möchte. Das ist allein schon deshalb staunenswert, weil wir von diversen Regionalkonzepten umhüllt sind wie von Zwiebelschalen. Regionext, „Großregion Oststeiermark“, Kleinregionen im Sinne der „Lokalen Agenda 21“, LEADER plus, Städtepartnerschaft etc.

Gut. Es ist eben so. Und wie schon notiert, Kulturpolitik wird regional – von wenigen Ausnahmen abgesehen – auf zwei wesentliche Aufgaben beschränkt:
a) Das Verwalten von Kulturbudgets beziehungsweise das Rechtfertigen eines völligen Fehlens von Kulturbudgets und
b) das Eröffnen von Veranstaltungen.

Wir hatten also bei kunst ost einige Inhalte und Positionen zu erarbeiten, die es reizvoll werden ließen, über diese knappen Optionen der „Zwei Aufgaben“ hinauszudenken und hinauszugehen. Das wäre zwar prinzipiell in den genannten Programmen der Regionalentwicklung schon angelegt, hatte aber zum Beginn unserer Arbeit noch keinerlei konkrete Entsprechung in der Region.

Ganz im Gegenteil, wir haben unter anderem erlebt, daß einzelne Funktionäre der Lokalpolitik unsere Arbeit massiv angefochten haben; und zwar genau weil sie verstanden, daß wir hier auch (kultur-) politische Fragestellungen bearbeiten.

Das sind also gewichtige Barrieren im Bereich möglicher Zusammenarbeit. Anders betrachtet, in dieser Sache ist noch viel an Verständigung, Entwicklungsarbeit und Erfahrungsaustausch notwendig. Wo dann derlei Kooperation mit Funktionstragenden der Kommunen schon klappt, erweisen sich zwei andere Themenbereiche als sehr leichtgängige Krisenquellen:

+) Bestehende Phantasien über die Möglichkeiten von Sponsoring bei Kulturprojekten.
+) Die reibungslose Kombination von bezahlter und unbezahlter Arbeit bei Kulturprojekten.

Die Annahmen über Sponsoring sind gewöhnlich aus den Landeszentren übernommen, wo sie einem anderen Kontext entstammen, in den meisten Fällen nämlich aus diversen, sehr repräsentativen Formen des Kulturbetriebs. Das meint bei uns auf dem Lande dann eigentlich weder die Gegenwartskunst noch die Hobby-Varianten der Voluntary Arts. Das meint eher Operette und Musical, dann aber doch ab und zu hochrangige Gegenwartskunst mit entsprechendem „Promi-Faktor“ (Marke: Arnulf Rainer umarmt einen Bürgermeister).

In Summe meint es Repräsentationskultur, mit der hauptsächlich die Selbstdarstellung von bürgerlichen Kreisen in Events realisiert wird. Prozeßhafte Arbeit kommt da kaum vor. Gut, das sind tradierte Formen, wie sie im 20. Jahrhundert reichlich in die Provinzen gefunden haben. Unsere Arbeit wird nicht gegen solche Formen zu entfalten sein, sondern neben diesen Formen.

Es ist allerhand Sponsorleistung regionaler Wirtschaft an den Sport gebunden. Es fehlt uns noch an ausreichenden Ideen und Konzepten, was Wirtschaft und Kunst/Kultur in der Provinz so verbinden könnte, daß die Wirtschaft hier nennenswerte Budgets investieren würde, die genau nicht vozugsweise in das Repräsentative gehn.

Die Erfahrung zeigt, daß einzelne Geschäftsleute für Eigenveranstaltungen im Kunst- und Kulturbereich durchaus beträchtliche Ausgaben in Kauf nehmen. Dagegen ist der Modus „Geben Sie uns Ihr Geld, wir machen dann schon“ irrelevant. Gleichermaßen substanzlos ist die halbherzige Überredungskonsequenz, um brutto 100,- bis 150,- Euro auf den Tisch zu hauen. In diesem Modus fettet sich die Hobby-Liga ein Vernissagen-Buffet auf, aber kulturelle Entwicklungsarbeit ermöglicht das nicht.

+) Großregion Oststeiermark
+) LEADER plus
+) Lokale Agenda 21
+) Regionext
+) Städtepartnerschaft

[kunst ost: reflexionen]

kunst ost: reflexionen #3

Ressentiments und Skepsis

Wie im vorigen Abschnitt notiert: Unser zentraler Arbeitsinhalt ist die Gegenwartskunst. Außerdem besteht, soweit wir als LEADER-Kulturprojekt etabliert sind, mit unserem Vertragspartner, dem Land Steiermark, Übereinkunft, daß wir uns mit dem kulturpolitischen Status quo zu befassen haben.

LEADER ist ein Programm der EU, über das Fördermittel verfügbar werden. Mit kunst ost ist das überhaupt erste LEADER-Kulturprojekt Österreichs entstanden. Unser Vertrag wurde von Landeshauptleuten unterzeichnet. Wer nun die Provinz kennt, weiß freilich, daß kommunale Kräfte oft empfindlich bis abwehrend reagieren, wenn sie mit Erwartungen von der Landesebene in Berührung kommen.

Zugleich hätte unser Vertrag und Projekt nie auf die Schiene kommen können, wäre ein Zustimmung von regionalen Machtpromotoren ausgeblieben. So ist der LEADER-Modus. Der regionale „Lenkungsausschuß“ bleibt die erste Instanz, das Land ist die zweite Instanz, mögliche Gelder der vereinbarten Kofinanzierung werden dann bundesweit von der AMA in Wien verwaltet.

Damit sei festgehalten: Solche Budgets, die NUR Kofinanzierungen sind, also keinesfalls in Gang kommen, falls Eigenmittel fehlen, wurden mit hohen Zugangsbarrieren umstellt. Der Aufwand, solche Budgets abzuholen, ist erheblich.

Unser Deal ist also interessant. Der Gegenwartskunst gewidmet, die in der Provinz keinen festen Boden hat, ausdrücklich auf regionalpolitische Relevanz verpflichtet, was in der Regionalpolitik keine Tradition hat, an einen Kunstdiskurs gebunden, der in unserem Metier als öffentlicher Diskurs eher gemieden als gesucht wird.

Damit ist in Summe ein Vorhaben skizziert, das eine ganze Reihe brisanter Punkte enthält. Wir haben uns bei kunst ost vorgenommen, diese Aufgabe zu lösen, um lokal und regional Wirkung zu entfalten und dabei zugleich ein Beispiel von Best Practice zu erarbeiten, das auf europäischer Ebene zur Debatte stehen kann.

In einem Arbeitspapier des zuständigen Referats-Leiters Gerald Gigler (Abteilung 16: Landes- und Gemeindeentwicklung) stehen Passagen wie: „Gemeint ist damit sicherlich nicht die Vermarktung von Kulturarbeit als touristischer Angebotsbringer! Oder auch nicht kulturelle Veranstaltungsförderung.“ Oder: „…kann im positiven Sinne auch Provokation mit einschließen“. Und: „Da LEADER Regionen weitgehend im ländlichen Raum befindlich sind, sollte damit — bei Vorgabe von klaren Zielsetzungen durch die A 9 — auch ein weiter gefasster kulturpolitischer Begriff möglich sein…“ [Quelle]

Ich fand für uns also eine Situation, die auf Übereinkünften ruht, welche vertraglich vereinbart sind, zu denen ich sagen darf: Hier haben Politik und Verwaltung auf der Landesebene eine kulturpolitische Position eingenommen, der ich umfassend zustimmen kann. Es gibt in unseren Vereinbarungen keinen Passus, den ich eingeschränkt oder gar nicht akzeptiert hätte. Das ist kein übler Modus.

Aber die Kunst! Es gibt gelegentlich Ausnahmen, doch das kulturelle Geschehen der Region ist von den Voluntary Arts dominiert. Das hat sich in den letzten Jahren bloß bestätigt, hier sind mindestens 80 Prozent der Kreativen, die publizieren/ausstellen möchten, den Voluntary Arts zuzurechnen: [link]

Ich kann auf einem Terrain, wo Gegenwartskunst keinen sozialgeschichtlich bedingten, gewachsenen Rückhalt hat, diese Arbeit nicht tun, indem ich bei der Gegenwartskunst ansetze. Dabei würde ich bloß ins Leere zielen. Ich muß bei vorhandenen Gegebenheiten ansetzen, über die realen Rahmenbedingungen — quasi vom Rand her — an das Thema heranführen.

Was das bedeutet? Die vorherrschenden Varianten eines Kulturbegriffes subsummieren jegliche kreative Äußerung unter den Begriff Kunst, unterscheiden keine Genres und bergen eine verbreitete Skepsis gegenüber dem, was tatsächlich als Gegenwartskunst gelten darf.

Keine Malerin, eine "Pinselschwingerin" (Quelle Kleine Zeitung, Oktober 2009)

Wie erwähnt, unter den künstlerischen Verfahrensweisen dominieren in der Provinz die Voluntary Arts. Kunsthandwerkliche Methoden und kreatives Basteln werden gewöhnlich eingerechnet, während ein breites Unverständnis von Gegenwartskunst oft sogar zu Abwehrhaltungen führt: Zu abgehoben. Zu elitär. Zu intellektuell. Zu schwierig. Das trifft sich mit einer anhaltenden Diskursverweigerung der meisten jener Leute, die tatsächlich im Sinn der Gegenwartskunst arbeiten.

Wir wissen zwar, wenn wir selbst nicht stets neu klären, was Kunst sei, tun das Politik und Wirtschaft für uns, zuzüglich Vox populi, mit den problematischen Konsequenzen, die wir kennen. Das hat seit wenigstens 20 Jahren leider nicht dazu geführt, in der Provinz einen seriösen Kunstdiskurs zu initiieren.

Es mußte uns also gelingen, eine Summe von Ressentiments zu überwinden, ohne jene, die sie pflegen, zu denunzieren. Dazu stießen wir auf ein dominantes Muster in der regionalen Kulturpolitik, die so gut wie keine Beispiele kennt, kulturpolitische Arbeitsansätze über eigene Gemeindegrenzen hinaus zu erwägen, zu erproben. Einschlägige Beispiele finden wir bestenfalls noch in Verkettung mit dem Tourismus, der wiederum so gut wie keine Intention zeigt, sich auf Gegenwartskunst einzulassen.

Diese Situation wird dadurch verschärft, daß ein Gros der regionalen Kulturbeauftragten Kulturpolitik auf zwei wesentliche Aufgaben beschränkt:
a) Das Verwalten von Kulturbudgets beziehungsweise das Rechtfertigen eines völligen Fehlens von Kulturbudgets und
b) das Eröffnen von Veranstaltungen.

Verstehen Sie mich recht! Ich beklage diesen Stand der Dinge nicht, ich finde darin eine äußerst spannende Aufgabenstellung.

Zwei grundlegende Dokumente zu unserem Projekt:
+) Aktionsprogramm Achse 4 LEADER
… über kulturelle Förderungen im ländlichen Raum von 2007 – 2013 durch die Europäische Union und vom Land Steiermark – Kultur [link]

+) Sechs Punkte zum Kulturgeschehen
Von Gerald Gigler… vorgelegt anläßlich des „LEADER Kultur-Treffen“ am 21.11.2008 im Grazer Kunsthaus. Gerald Gigler ist Leiter des „LEADER-Referates“ in der Abteilung 16 (Landes- und Gemeindeentwicklung): [link]

[kunst ost: reflexionen]

kunst ost: reflexionen #2

Geschmacksverstärker und Genußbeschleuniger

Mit dem Eintrag „Gibt es noch ein Geld?“ [link] habe ich auf ein Momentchen während der Organisationsarbeit für unser aktuelles April-Festival [link] reagiert. Ich denke, es ist eine plausible Forderung, Aktion und Reflektion laufend beinander zu halten. Also führe ich das nun auch hier ein. Diese kleine Reflexionsebene für kunst ost.

Unser zentraler Arbeitsinhalt ist die Gegenwartskunst. Unser Arbeitsauftrag ist es, der Gegenwartskunst jenseits des Landeszentrums mehr Augenmerk und mehr Gewicht zu verschaffen. Gemäß den steirischen Sonderrichtlinien und einem entsprechenden Arbeitspapier beinhaltet das auch eine Option, die Sache der Kultur in Fragen der Regionalentwicklung zu vertreten. Es ist also von Kulturpolitik zu sprechen und von Ansätzen, in all dem — Kunstpraxis, Kunstvermittlung und Kulturpolitik –, Neuland zu suchen, Neuland konsequent zu betreten.

Das soll in Prozessen und in Arbeitsvorhaben geschehen, die dem Bottom up-Prinzip verpflichtet bleiben. Das haben inzwischen alle Funktionstragenden der Region in ihre Agenda geschrieben, seufzen zugleich, wenn sie daran denken: „Bottom up“.

Spätestens jetzt höre ich einige Kulturschaffende und Kulturbeauftragte einwenden: Das klingt alles so kompliziert. Kann man es nicht auch einfacher sagen?

Es IST kompliziert, weil sehr komplex. Mir ist nicht bekannt, daß für solche Themenstellungen eine „Readers Digest-Version“ vorläge, also eine leicht zu konsumierende, lecker schmeckende, mundgerechte Variante.

Ich kenne die gängige Denunziation bis zum Einschlafen: Das möchte sich wichtig machen, indem es komplizierte Wendungen vor sich her trägt.

Aber nein! Das möchte sich keineswegs jemandem andienen. Gehen Sie doch Ihrer Wege, wenn sie leichtere Kost bevorzugen. Bleiben Sie nicht bei uns, wenn Sie diese Art der Ernsthaftigkeit verachten. Die Welt ist voller freundlicher Angebote, welche so tun, als wäre es keine Mühe, sich ihnen anzuvertrauen.

Nur zu! Gehen Sie! Schlummern Sie! Treiben Sie! Das muß einem in einer Demokratie freistehen. Konsumation statt Partizipation. Warum nicht? Treffen Sie Ihre Wahl, aber hören Sie auf, jene herabzuwürdigen, die Wege von mehr Aufwand suchen. Hier gibt es keine Heilversprechen, nur das Gehen, das Entdecken, das Unabsehbare.

In einigen Debatten über gängige Einwände habe ich in jüngster Zeit mehrmals gefragt: Weshalb soll es ein Problem sein, einen Absatz, der eine sehr komplexe Sache behandelt, drei mal zu lesen und in Ruhe zu überdenken, um der Sache auf die Spur zu kommen?

Was genau wollen Sie denn auf dem Feld von Kunst und Kultur, wenn für solche Rezeptions- und Reflexionsakte keine Zeit ist? Was suchen Sie eigentlich hier, wenn das alles leicht konsumierbar und noch leichter verdaulich sein sollte? Gibt es nicht ausreichend Vergnügungsparks, in denen man es simpler haben kann? Warum muß ich mir hier Aufrufe zur Simplifizierung anhören?

Ich verwehre mich gegen diese Anhängerschaft von Junk Food aller Art. Ich verwehre mich gegen die Liebhaberei der Geschmacksverstärker und Genußbeschleuniger. Dafür findet man da draußen genug Angebote. Milliardenschwere Industriekomplexe sorgen für geglättete Angebote und bemühen sich redlich, Millionenvölker an die Haken zu kriegen. Nur zu! Nichts wie hin! Aber ohne mich!

Hier geht es um andere Möglichkeiten, um tiefer gehende Erfahrungen. Die verlangen nach Zeit und Einlassung. Die sind nicht als Junk-Version verfügbar. (Readers Digest: Das Beste in knapper Form, vier Romane, verkürzt, in einem Buch.)

Die Gegenwartskunst und ihre Zusammenhänge. Das sind keine besseren, keine wichtigeren, einfach ANDERE Optionen. Die Befassung mit Kunst, sei es produzierend, sei es rezipierend, als ein radikaler Erfahrungsraum, welcher Zugänge und Wege anbietet, wie sie in Fragen der Alltagsorgansation nicht leicht vorkommen. Ja, es ist anspruchsvoll und verlangt Hingabe. Es ist nicht so leicht zu haben wie ein Schokoriegel an der Supermarktkasse, der einem augenblicklich eine wuchtige Geschmacksexplosion im Mund verspricht und ein mildes, warmes Feuerchen in den Eingeweiden.

Wir haben uns etwas Subtileres vorgenommen. Es ist nicht notwendig, daß sich dafür Massen einfinden. Da ist langer Atem gefordert, um einigen Fragen der Conditio humana konsequent nachzugehen.

[kunst ost: reflexionen]