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kunst ost: zwischenstand II

Wie schaut’s aus? Gut schaut’s aus! Ich hab zwar die Zeit ab Oktober 2010 als extrem anstrengend erlebt. Da waren so gut wie keine Pausen möglich, viel Unklarheit und auch Unsicherheit am Beginn, vor allem in Summe ein sehr großes Arbeitspensum zu bewältigen. Ich hab in letzter Zeit auch schon einigen Unmut entwickelt, daß ich kaum noch zum meiner künstlerischen Arbeit komme; und das wäre ja eigentlich meine primäre Profession. Aber Krisen haben es eben so an sich, daß man sich die Belastungen in ihrem Ausmaß und ihrem Zeitpunkt nicht aussuchen kann.

Dem steht jedoch viel an positiven Ereignissen und Erfahrungen gegenüber. Die „Hauptsensation“ ist für mich das Funktionieren des Strukturdetails „Location Crew“. Im heurigen „April-Festival“ hat sich das fulminant bewährt: [link] Ohne diese Ereignis-Basis wäre ein derart üppiges Programm niemals realisierbar gewesen; schon gar nicht mit den heuer eher geringen Mitteln.

Werner Sonnleitner (Markt Hartmannsdorf)

Irmgard Hierzer (Gleisdorf), Michaela Knittelfelder-Lang (Markt Hartmannsdorf), Winfried Lehmann (Ludersdorf) und Hildegard Sowinz (Oberdorf) repräsentieren da einen definitiv neuen Typ regionaler Kulturschaffender in so einer Konzeption, welche meines Erachtens nun an der Schwelle zur Ausgereiftheit steht.

Zu diesen „Schlüsselpersonen“ des 2012er-Festivals ist außerdem anzumerken, daß sie etwas eingebracht haben, was in der „Initiativenszene“ der Steiermark ein wenig rar geworden ist: Sie haben sich vergnügt den gegebenen Möglichkeiten gewidmet, also getrachtet, mit den begrenzten Ressourcen ein möglichst feines Ergebnis zu erarbeiten, statt die Kraft mit Lamentieren zu vergeuden und der Welt mitzuteilen, was man alles tun KÖNNTE, wenn man ganz andere Bedingungen HÄTTE.

Hilde Sowinz (Oberdorf)

Diese fröhliche Art, sich der österreichischen Jammerkultur fernzuhalten, ist nach meiner Überzeugung ein Garant, daß sich weitere Vorhaben gut entwickeln lassen und dafür dann auch bessere Bedingungen und reichere Ressourcen zu gewinnen sind.

Ein anderer Aspekt, der in diesem Festival Wirkung gezeigt hat, ist die wachsende Kooperation mit völlig eigenständigen Kulturinitiativen. So war Werner „Sonni“ Sonnleitner von „Kultur & Begegnung“ in Markt Hartmannsdorf [link] zum wiederholten Mal unser Projektpartner.

Besonders wichtig erscheint mir die „werkstatt gleisdorf: zeitgeschichte + kultur“ [link] des versierten Wolfgang Seereiter, weil da nicht nur, aber sehr wesentlich an Themen gearbeitet wird, die mit Tabus behaftet sind, die gegenwärtig hohe Relevanz haben. (Wir haben noch allerhand Arbeit vor uns, um zu klären, wie man derlei kritische Positionen in einem Gemeinwesen stabilisieren, erhalten kann.)

Andere Kooperationen für das Festival bedürfen der Reflexion, um klären zu können, was sich da an weiterem Potential zeigen kann.

Winfried Lehmann (Ludersdorf) und Martin Krusche (rechts)

Ein eigenes Kapitel ist die Kooperation mit Geschäftsleuten. Davon werde ich noch separat berichten. Wichtig ist mir dabei: Das ist eine Phase bei kunst ost, wo wir primär nicht losgehen, um bei der Wirtschaft Budgets zu akquirieren, sondern um zu erwirken, daß sich Geschäftsleute handelnd in unsere Projekte einbringen.

Das ist ganz persönlich gemeint; ich versuche Situationen herbeizuführen, in denen sich Geschäftsleute als Akteurinnen und Akteure in das Kulturgeschehen einlassen, individuell dabei mitmachen. Ich bin überzeugt, daß wir auf dieser Ebene MITEINANDER etwas Nachhaltigeres entwickeln können, als dort auf herkömmliche Akquise zu setzen.

Der Fokus ist dabei keineswegs zufällig auf das Miteinander gerichtet. Um es polemisch verkürzt auszudrücken: Ich suche keine Financiers, sondern Verbündete und KooperationspartnerInnen. Das halte ich für die menschlich und ökonomisch interessantere Option in der Arbeit am kulturellen Klima unseres Lebensraumes.

Oberdorf 33

Die Kunst bekommt einen Bezugspunkt. Oberdorf erreicht man zum Beispiel von St. Ruprecht aus, vorbei an Schloß Stadl, auf dem Weg zu einem bedeutenden Naturereignis der Region.

Das Haus liegt an einem der Eingänge zur Raabklamm: [link] Seine Basis war einst ein Preßhaus, also ein Ort der Weingewinnung. Dieser ebenerdige Bereich [link] ist heute als Ausstellungsraum adaptiert, wie das ganze darüber liegende Geschoß für Kulturveranstaltungen bereit steht.

Hilde Sowinz will hier einen längerfristigen Galeriebetrieb etablieren. So verknüpft sie ihre Emotionen für die Kunst und ihren Geschäftssinn, um an einem ungewöhnlichen Ort in der Region einen fixen kulturellen Bezugspunkt zu schaffen und sich dort ein Publikum zu erarbeiten.

Das Haus Oberdorf 33 ergibt so auch den Galerienamen

Diese Ambitionen und Überlegungen teilt Sowinz mit dem St. Ruprechter Hans Gesslbauer. Der ist seinerseits gewillt, in räumlich mäßiger Distanz zu Oberdorf einen ähnlichen Bezugspunkt zu schaffen, einen Ausstellungsraum zu eröffnen. Präsenz und Kontinuität sind zwei wesentliche Aspekte, unverzichtbare Grundlagen, um der Kunst abseits von Zentren Räume aufzubauen.

Hilde Sowinz und Hans Gesslbauer

Hier sind also weitere engagierte Menschen am Werk, um der Region ein paar neue kulturelle Facetten zu verleihen. Der formelle Auftakt für diese Ereigniskette wird sich innerhalb des kommenden „April-Festivals“ ereignen. Am Freitag, dem 13. April 2012, eröffnet Sowinz um 19:00 Uhr die Ausstellung „natürlich-künstlich“ (Ein Leben, inspiriert von der Natur) mit Arbeiten von Hans Gesslbauer, Adolf Gsell und Johann Vidrich.

[April-Festival 2012]

Räume und Zonen

Optimale Präsentationsräume für Kunst, die um der Kunst willen errichtet wurden, das bleibt meist urbanen Zentren vorbehalten. In der Provinz gibt es gewöhnlich keinen ausreichenden gesellschaftlichen Konsens, daß es sowas geben soll, daß es folglich finanziert werden soll. Das schafft „leere Zonen“ im Bereich zeitgemäßen Kulturgeschehens.

Das Gleisdorfer „Museum im Rathaus“

Gelegentlich findet man Ausnahmen. So ist etwa das Gleisdorfer „Museum im Rathaus“ ein feiner und inzwischen bewährter Ausstellungsort. Aber wie angedeutet, das sind die Strukturen in urbanen Zentren.

Manches entsteh auch aus privater Initiative. Seien es Geschäftsräume, die sich für Ausstellungen eignen, wie etwa das Firmengebäude des Gleisdorfer Installateurs Karl Reisenhofer. Seien es vormalige Geschäftsräume, die in privater Initiative für kulturelle Zwecke adaptiert werden, wie die Gleisdorfer „werkstatt gleisdorf: zeitgeschichte + kultur“ [link] von Wolfgang Seereiter.

Die „werkstatt gleisdorf: zeitgeschichte + kultur“

Ein „white cube“ ist die Ausnahme, freie Flächen und freie Räume, der Kunst vorbehalten, sind in der Regel nicht leistbar. So wäre die Provinz kulturell eine „perforierte Zone“ mit erheblichen „weißen Flecken“. So ist es aber in der Praxis nicht. Ich hab in „Ein neuer Angelpunkt“ [link] von Hildegard Sowinz erzählt, die privaten Raum für die Kunst öffnet.

Der adaptierte Weinkeller von Gottfried Lamprecht.

Ich hab hier auch schon vom Winzer Gottfried Lamprecht [link] erzählt, der einen alten Weinkeller adaptiert hat und uns für eine Station im kommenden „April-Festival“ öffnen wird. Das sind Bezugspunkte, die uns helfen, aus der Provinz als kulturell „perforierte Zone eine kulturell „vernetzte Zone“ zu machen.

Dazu braucht es Vertrautheit und Kooperation. So können in Summe vorhandene Ressourcen besser gemeinsam genutzt werden, können öffentliche und private Mittel komplementär zur Wirkung gebracht werden, um die kulturelle Situation der Provinz zu stärken.

Dabei muß auch beachtet werden, „kunst ost“ ist hier kein „Generalunternehmen“, keine oststeirische „Kulturprokuratur“, sondern vor allem einmal ein Angelpunkt für so manche Bewegung. Die erlebbaren Ergebnisse resultieren aus der Summe sehr unterschiedlicher Anstrengungen einzelner Personen und ebenso anderer Kulturinituiativen.

Ich denke, das sind brauchbare Schritte, um unter aktuellen Anforderungen neue Erfahrungen zu sammeln, wie Konsumation und Partizipation in angemessene Wechselwirkungen kommen, wie Eigenverantwortung sich mit kommunalen Agenda verbünden könnte. Das dürfte auch interessante Erfahrungen erbringen, worauf sich Selbstbewußtsein und „regionale Identität“ real stützen mögen.

Ein neuer Angelpunkt

Wäre es unter der Erde, müßte es für einen Keller gehalten werden. Der Zugang ist ebenerdig. Der Raum hat erhebliche Dimension. Hildegard Sowinz sagt, hier könnte man sehr schön Skulpturen zeigen. Über diesem Grundstock hat sie vor dreißig Jahren ein stattliches Haus errichtet, das zum Teil von einer Terrasse gesäumt ist. Die gewährt einen weiten Blick in die sanft hügelige oststeirische Landschaft hinter Sankt Ruprecht.

Hildegard Sowinz im Kellergeschoß ihres Hauses

Die Terrasse gehört zu einer der Etagen, die knapp und geschmackvoll möbliert, vor allem aber weitgehend frei gehalten ist. Und da kommt Sowinz auf den Punkt. Ihr liegt am kulturellen Geschehen, dieser Ort wird ein Angelpunkt für etliche Kunstvorhaben sein.

Das bedeutet vor allem einmal, Sowinz repräsentiert eine weitere „location crew“, durch die unser kommendes „April-Festival“ [link] bereichert wird. Das bedeutet auch, Sowinz hat vor, der Gegenwartskunst in der Region eine klare Position zu sichern.

Derlei private Initiative ist nicht nur abseits des Landeszentrums sehr notwendig, weil die Kunst da stets schwächere Strukturen hat. Das ist heute prinzipiell wichtig, wo wir im Kielwasser diverser Krisen neu klären müssen, mit welchen Mitteln und Methoden wir ein lebhaftes Kulturgeschehen in der Provinz ausstatten möchten.

Ich hab im Beitrag „Selbstermächtigung und Autonomie“ [link] schon implizit betont, daß ein Erarbeiten von Faktenlagen erst einmal unsere Sache sein muß. Von da ausgehend wird sich mit Kräften der Kommunen ganz gut verhandeln lassen, welche Kooperationen naheliegen und welche Ressourcen eine Gemeine allenfalls beitragen kann, damit hier längerfristige kulturelle Entwicklungen gestärkt werden.

Apropos! Um solche Aspekte geht es auch in unserem Arbeitsbereich „Kunst Wirtschaft Wissenschaft“. Die jüngste Debatte hat einiges klarer gemacht, wohin die Arbeit konzentriert werden sollte. Künstler Gerhard Flekatsch hat nun einen Videomitschnitt unserer rund zweistündiger KWW-Zweier-Session im Web verfügbar gemacht: [link]