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auf jeden fall: weng

was ich am zusammenkommen von versierten leuten sehr mag: wir müssen uns die branche nicht erklären. niemand hat lust, sich jammereien anzuhören. wir überprüfen unsere befunde auf klare schnittpunkte, wir debattieren die schlüsse, die daraus zu ziehen sind, und welche handlungspläne diese nahelegen. so ist das nach meinem geschmack.

oh, was könnten wir in dreißig jahren für eine verrückte rentner-gang abgeben! (womöglich kommt es ja so.) es ist also von einer denkwürdigen session in weng bei admont zu erzählen. die gegend hat besonderen reiz. es herrscht dort etwa acht monate winter und zwei monate ist es kalt. nein! kleiner scherz! wir hatten bei unserer klausur milde sommertage.

alpin gelagert (von links): eva ursprung, franz maunz, mirjana peitler-selakov und gerhard flekatsch

kürzlich gab es eine erfahrung von weng, der folgte meine erste erklärung von weng. das war eine kleine wegmarke am rand möglicher routen. zwischendurch hatte ich einige leute gefragt, ob sie mit mir in eine konzentrierte arbeitssituation gehen würden. meine lieblings-annahme: gerade WEIL die zeiten schwierig sind, der kulturbereich schläge gegen seine fundamente und strukturen hinnehmen muß, die sich offenbar nicht abwenden lassen, möchte ich mit inspirierten leuten losziehen und zusätzlichen boden gewinnen.

diese idee fand jazz-promotor franz maunz ganz interessant. zumal ihm auch die vorstellung behagte, wir könnten quer durch die steiermark eine art „kulturachse“ installieren, der entlang sich kompetenzen bündeln und möglichkeiten verknüpfen ließen.

wissenschafter günther marchner (links) und jazz-promotor franz maunz teilen eine spezielle leidenschaft: sie sammeln wein und haben uns sachkundig durch einige uralte basisgebiete der kultur geleitet 😉

diese vorstellung mußte ich dem sozialwissenschafter günther marchner [link] nicht erst buchstabieren, der mann ist seit wenigstens 20 jahren mit solchen zusammenhängen gut vertraut. künstler gerhard flekatsch [link] bringt auch so viel an erfahrung und vorausschau mit, daß wir uns mit fragen nach den basics keinen moment lang aufhalten müssen. damit war unser pflänzchen von neuem bezugssystem — über gleisdorf — nach norden und nach süden verzweigt.

man kennt hier mein wiederkehrendes räsonieren über „zentrum-provinz-verhältnisse“ und die diversen arten von gefälle, welche darin zutage treten. das ist EIN aspekt der geschichte. ein anderer aspekt liegt in den zusammenhängen künstlerischer praxis im landeszentrum graz, wo ja von keinem honigschlecken berichtet werden kann; wie künsterin eva ursprung zu erzählen weiß. [link] unserer erfahrungen handeln von allerlei kontrasten und schnittpunkten. das macht die erörtererung von gemeinsamen optionen ziemlich spannend.

kuratorin mirjana peitler-selakov pendelt in ihrer arbeitspraxis zwischen höchst verschiedenen lebensräumen zwischen „zentrum“ und „provinz“, vertieft durch aktuelle projekte auf dem balkan, der ja seinerseits als ganzes dem „westlichen“ europa gegenüber eine art provinz-funktion wahrnehmen muß.

die gang zu gast bei radio "freequenns" in liezen

so, da sind wir also nun, drei kunstchaffende (flekatsch, ursprung und ich), ein kulturschaffender (maunz), eine kunsthistorikerin (peitler-selakov) und ein sozialwissenschafter (marchner). das ergibt in summe weit über hundert jahre kulturelle praxis und theoriegestützte diskurse. ich darf behaupten, hier hat sich nun eine „gang of excellence“ formiert, die lustig ist, über das bündeln der diversen kompetenzen und kenntnisse arbeitsbedingungen herbeizuführen, die das bei weitem übertreffen, was uns zur zeit quasi „gnadenhalber“ von herkömmlichen einrichtungen angeboten wird.

themen, strategien, methoden, ich darf weiter behaupten: wo wir hinfassen, ist auf jeden fall die action. und zwar auf der höhe der zeit. schauen wir also wer das zeug und die laune hat, auf diese art für kunst und kultur neuen boden zu erarbeiten. (siehe zum aktuellen hintergrund auch: wetterfest im schlechten wetter!)

wovon handelt kulturpolitik? #8

(eine erklärung von weng)

die folgende reflexion entstand nach einer konferenz kulturschaffender und wirtschaftsleute in weng bei admont („forum k“) [link] und kurz vor einem weiteren arbeitstreffen kulturschaffender ebendort.

wir sind als kunst- und kulturschaffende keine objekete der kulturpolitik, sondern die primär handelnden, von denen kulturpolitik – im sinne der zivilgesellschaft – generiert wird. wir sind teil jener deutungseliten, durch deren zusammenwirken kulturpolitik im staatlichen sinne überhaupt erst entsteht.

diese ansicht ist keine einsame option. ich kenne natürlich kolleginnen und kollegen, die sich in der rolle bittstellender so vertraut sind, daß ihnen ihre gebeugte haltung gar nicht mehr auffällt. sie würden keineswegs voraussetzen, daß augenhöhe ein ausgangspunkt ist.

unsere profession ist von aktion und reflexion bestimmt. das bedeutet, wir haben laufend zu überprüfen, in welchem maß unser praktisches tun sich dem annähert, was unsere diskurse über kunst und kultur als wünschenswert und notwendig nahelegen. wir haben aber auch – umgekehrt – unsere zielsetzungen an den politischen ergebnissen zu überprüfen.

als kulturschaffender jenseits des landeszentrums kann ich mich nicht auf einen gesellschaftlichen konsens stützen, der dem kulturellen sektor auch nur annähernd jene relevanz und jenes gewicht zuschreibt, wie etwa dem bildungswesen, der medizinischen grundversorgung und anderen quellen soziokulturellen gedeihens.

für diese häuig auffallende und kuriose abschätzigkeit jenem kernbereich menschlicher gemeinschaft gegenüber, nämlich der kunst und der kultur gegenüber, mache ich hauptsächlich unseren erfahrungen als dienstboten und untertanen über mehr als hundert generationen verantwortlich. zu lange waren die zugänge zu diesen menschlichen erfahrungsbereichen den alten eliten vorbehalten, die nachkommen der domestiken, der knechte und mägde sind sich ihres anspruchs darauf mehr als unsicher.

dazu kommt: ich habe unaufgeregt festzustellen, daß eine ganze reihe von jungen strukturproblemen und eine neu wie massiv aufgeflammte landflucht viel beitragen, um das alte „zentrum-provinz-gefälle“ zu unerem nachteil zu restaurieren, obwohl es in diesem wohlhabenden land seit der industriellen revolution inzwischen überwunden sein sollte.

hier können wir nicht einmal innerhalb des eigenen metiers eine anregende debatte über fragen der verteilungsgerechtigkeit erreichen. also ist ein kulturelles engagegement auf der höhe der zeit in der sogenannten „provinz“ momentan mit zusätzlichen bürden belastet, die wir hier entweder verringern oder kompensieren müssen. wie das gehen soll, ist augenblich gegenstand internsiver erprobung einiger strategien.

ich habe festzustellen, daß dieses gefälle aktuell sogar vom allgemeinen lauf der dinge verstärkt wird und daß unser landeszentrum graz auf bedenkenlose art, und ohne diesbezüglich öffentliche diskurse zu erleben, kulturell zu lasten der „provinz“ floriert.

das ergibt sich nicht nur über das landeskulturbudget, von dem ein seit 2003 („kulturhauptstast europas“) fast konkursreifes graz über gebühr mittel bezieht, das ergibt sich zusätzlich über das massive gefälle im österreichweiten finanzausgleich, bei den steiermark schlußlicht des ganzen staates ist; nicht so graz.

da sich, wie schon angedeutet, nicht einmal kolleginnen und kollegen in graz geneigt zeigen, diese fragen auch nur zu diskutieren, dürften wir kunst- und kulturschaffende in der „provinz“ weiterhin völlig auf uns gestellt bleiben, da sogar der verantaltungstyp „regionale“ längst noch nich absehenh läßt, ob dieses „format“ a) bestand haben wird und wie es b) nachhaltigen nutzen für die kulturellen strukturen der regionen erbringen könnte.

all das ereignet sich einerseits vor dem eklatanten mangel an gesellschaftlichem grundkonsens, was die notwendigkeit aktiver kulturpolitik über ortsgrenzen hinaus angeht, andrerseits gelingt es vorerst kaum, in der regionalen kommnalpolitik einigermaßen sachkundige akteurinnen und akteure zu finden; sprich: ein großteil der orts-chefs und gemeideratsmitglieder hält diesen tätigkeitsbereich groteskerweise für unerheblich.

ich sehe uns kunst- und kulturschaffende also gefordert, jene kompetenzen zu bündeln, die a) treffsichere fachdiskurse ermöglichen und uns b) zu strategien bringen, die eine art der „best practice“ im regionalen kulturgeschehen ermöglichen.

wir werden dabei die „provinz“ nicht „urbanisieren“ können, was meint, zentrums-strategien nützen uns da draußen nichts. eine der größten aufgaben liegt im augenblick darin, verständlich und nachvollziehbar zu machen, daß wir eine profession ausüben, die kein dekorations-geschäft, kein wellness-angebot und keine „quotenmaschine“ für den tourismus ist, sondern ein zentrales ereignis menschlicher gemeinschaft, das versierte akteurinnen und akteure braucht.

entsprechend kann sich kulturpolitik nicht darin erschöpfen, die (immer weniger werdenden) kulturbudgets zu verteilen und veranstaltungen zu eröffnen. so ein pures „funktionärs-verständnis“ von kulturpolitik wäre völlig ungeeignet, relevante kulturelle beiträge zur bearbeitung aktueller fragen und probleme zu erbringen.

als künstler bin ich natürlich nur der kunst verpflichtet, die ihre eigenen aufgabenstellungen und strategien hat. aber in der künstlerischen praxis erwerbe ich kompetenzen, die mir als kulturschaffender und als bürger viel nützen, um im sinne von kollektiv zu schaffenden aufgaben im gemeinwesen wirkungsvoll tätig zu sein.

[überblick]

die erfahrung von weng

ein dampfer legt sich nicht in die kurve, nur weil der schiffsmotor eben ein paar ps mehr aufbringen kann. eine ländliche region ändert nicht ihr kulturelles antlitz, nur weil gerade für ein, zwei jahre erhöhte kulturbudgets zur wirkung kommen. und jetzt ist es in vielen ländliche gemeinden sogar sense mit den wenigsten halbwegs adäquaten kulturbudgets.

dazu kommen noch allerhand andere beeinträchtigungen, von denen ich ihnen hier gar nicht erst erzählen will, weil das schnell fad wird. wir haben ja während der letzten 20 jahre längst so ungefähr 200 problemkataloge erstellt und veröffentlicht. ein lebhaftes geschäft, bei dem wir nun von einigen frischen krisen eingeholt worden sind. also wird es zeit, die befunde auf stichhaltigkeit zu überprüfen, schlüsse zu ziehen, handlungspläne herauszufiltern und loszulegen.

"ForumK" live: manchmal sind wir so ernst, wie es den anschein hat...

warum diese töne? ich war eben in weng bei admont. franz maunz lebt und wirkt dort schon eine ewigkeit und drei tage als jazz-promotor („wengerwirt„). das muß man an so einem ort erst einmal überleben. maunz ist außerdem akteur des kulturdachverbandes R*E*X, was unter anderem bedeutet, er weiß als insider, wozu eine „regionale“ momentan in der lage ist und wozu nicht.

"broadlahn"-sänger ernstl huber (links) und jazz-promotor franz maunz beim ausklang einer welschriesling-meditation

am 6. juli fand in weng ein „ForumK“ statt, also eine jener diskursveranstaltungen, die der R*E*X in gang hält, um brisante frage- und themenstellungen zu bearbeiten. in unserem metier herrscht quer durchs land ein wenig diskursfaulheit, was anderen interessensgruppen zu allerhand von genau jenem spielraum verhilft, dessen konsequenzen im kulturbetrieb zur zeit beklagt werden.

leute wie wir haben ende der 1970er- und entlang der 1980er-jahre entworfen, erprobt und durchgesetzt, was heute als „autonome initiativenszene“ präsent ist. künstlerische genres, deren darbietungen wir jenseits von graz damals erst eingeführt haben, sind heute standard selbst kleiner gemeinden, soweit sie über kulturbeauftragte verfügen.

in vielen gemeinden waren es aber nicht leute der politik, sondern engagierte privatpersonen, die das initiiert haben, weil seitens der kommunen niemand in der lage oder daran interessiert gewesen wäre, gegenwartskunst im bildenden bereich, zeitgenössische literatur, kabarett, jazz, folk und blues zu promoten.

diese genres fanden einst weder akzeptanz, noch budgets; kurioser weise vor dem hintergrund, daß viele authentische formen von volkskultur den bach hinuntergingen und von dümmlichem mainstream-kommerz überlagert wurden. es ist mit bis heute ein rätsel, warum zum beispiel menschen aus der agrarischen welt sich ein lächerliches bis groteskes zerrbild ihres eigenen lebens als „freizeitgenuß“ verkaufen lassen.

diskurs am morgen danach: GEA-boss heinrich staudinger (links) und jazz-promotor franz maunz sind einig, daß wir auch über eigenarten der heimischen ökonomie klare aussagen treffen können sollten

wie dem auch sei, leute wir wir haben jedenfalls nun jahrzehnte arbeit und engagement darauf verwendet, das kulturelle gefälle zwischen „zentrum und provinz“ abzuflachen. wie sich aktuell zeigt, hat uns das etwa die politik nicht gelohnt, indem sie es schaffte, im gleichen zeitraum das strukturelle gefälle wenigstens etwas abzuflachen. ganz im gegenteil, wir haben eine neue landflucht am hals, die demographische entwicklung ist einschüchternd schlecht, auf dem lande verkrampfen sich allerhand funktionstragenden im thema neu anstehender gemeindezusammenlegungen. es geht also eindeutig in stürmisches wetter und der dampfer hat motorschaden.

wir haben nun vielfach anlaß, diskurse über kunst, kultur und kulturpolitik in den regionen am laufen zu halten. dieses reiche land erfährt eine wachsende stagnation in vielen gesellschaftlichen bereichen. der rasende kompetenzverlust, den diese gesellschaft erleidet, hat unser metier nicht ausgenommen. welche ausreden würden noch übrigbleiben, um nun jene kompetenzen, die wir für uns reklamieren, nun nicht auch konsequent anzuwenden?

ich hab mit franz maunz und einigen anderen leuten übereinkunft: wir prüfen unsere befunde, ziehen schlüsse daraus und handeln entsprechend. wir sind einig, daß es vorrangig sein muß, nun deutlich zu machen und angemessen nach außen zu kommunizieren, welchen rang unser metier hat, was es zu leisten vermag und welche priorität unserer kulturellen praxis in dieser gesellschaft zufällt.

es kann nicht übersehen werden, daß eines der teuersten bildungssysteme europsas eines der schlechtesten ergebnisse europas produziert. es kann nicht geleugnet werden, daß etablierte funktionstragende der kommunen und des landes an immer mehr aktuellen problemen und aufgaben vorerst scheitern.

distanz zum landeszentrum darf doch kein garant für ein eklatantes, womöglich noch wachsendes strukturgefälle sein

es muß betont werden, daß die kommunikations- und arbeitsverhältnisse zwischen regionalen kommunen und landesebene, aber auch der kommunen und des landes zum bund hin, schwer belastet, teilweise sogar desaströs sind. unser aller leben ist zunehmend durch kommunikationsprobleme, stagnation und kostenexplosionen belastet. wie verblüffend, daß es in der kommunalpolitik österreichweit großen konsens gibt, das ließe sich zum beispiel durch einsparungen ausgerechnet im kulturbetrieb bessern.

das ist für sich schon ein irritierender beleg herrschender kompetenzmängel, denn a) ist kommunikation ein kernbereich soziokultureller agenda, b) hat der kulturbetrieb ein höchstmaß an ehrenamtlichem engagement von bürgerinnen und bürgern, c) hat der gesamte kreativsektor, dem dieser kulturbereich zugerechnet werden muß, wirtschaftlich wesentlich bessere wachstumsraten und entwicklungspotenziale als konventionelle branchen. (ich werde das bei nächster gelegenheit mit quellen belegen.)

wir werden das nicht lösen können, indem wir lange listen von schuldzuweisungen verfassen. wir haben zu klären, wofür wir uns selbst zuständig fühlen und was wir den formell zuständigen funktionstragenden abverlangen müssen, aber auch, was wir ihnen anbieten wollen.

wir haben zu klären, was uns selbst konkret einfällt, um die stagnation in dieser gesellschaft zu überwinden und den umfassenden kompetenzverlust wenigstens zu bremsen.

post scriptum:
die erfahrung von weng liegt nun vorerst darin, daß für mich deutlich wurde, ich bin nicht der einzige, der den status quo so bewertet und ich finde zunehmend erfahrene leute, der handlungspläne meinen ähneln.