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Tabu Leistungsaustausch

Wir debattieren in unserem Milieu keine Fragen wie die nach dem Leistungsaustausch. Aber wir praktizieren es. Wenn „Die Szene“ Geld erwartet, sogar Geld fordert, sei es von der öffentlichen Hand oder von der Wirtschaft, impliziert das ja einen Leistungsaustausch. Die Forderung nach Geld ist evident, die nach MEHR Geld häufig.

Ich betreibe keine Philosophie, sondern rede dem realen Leben hinterher, wenn ich daran erinnere, daß Geld ein MEDIUM ist. Was immer andere Menschen an Prioritäten bevorzugen, in MEINEM Universum bleibt es unverzichtbar, stets neu zu klären:
a) WAS möchte ich in Geld konvertieren?
b) IN was möchte ich Geld konvertieren?

Gerald Gigler bei der Session in Wien

Gut, als Kunstschaffender ist mir das schnurzegal, weil ich in der künstlerischen Praxis mit solchen Kategorien nichts zu tun hab. Aber als Kulturschaffender empfinde ich da stets Klärungsbedarf. Verwechseln wir also nicht Fragen der Kunst und Fragen der Kunstvermittlung.

Eine Gesellschaft kennt viele Zusammenhänge, in denen erbringbare Leistungen NICHT einer kommerziellen Verwertungslogik unterworfen werden können. Wo wir das für uns geltend machen, müssen wir natürlich unsere Gründe nennen können. Ich hab im vorigen Beitrag [link] LEADER-Fachreferent Gerald Gigler erwähnt.

Giglers Feedback zur Wiener Session an mich berührt einen grundlegenden Bereich möglicher Schnittstellen verschiedener Genres. Er schreibt zum Beispiel: „Mechanismen, Qualitäten oder auch nur Themen, die mich und andere ‚berühren’, offenzulegen und deren innere Logik für unterschiedliche Kontextebenen brauchbar zu machen.“

Worum es da geht? Wir debattieren immer wieder, auf welchen Grundlagen praktikable ANSATZPUNKTE liegen können, um der Gegenwartskunst in der Provinz mehr Boden zu verschaffen. Diese Ansätze können nicht in der Kunst selbst liegen, sondern bedürfen ziemlich sicher grundlegenderer „Bezugsfelder“.

1982: Eine dichte "Club-Szene", in der sich Kunstschaffende erproben konnten, gab es im Landeszentrum, aber nicht in der Provinz

Da habe ich mit Gigler offenbar schon Konsens: „Ich glaube verstanden zu haben, was du für Intentionen hegst und von welchen Arbeitsprämissen du ausgehst. Ich versuche in der Regionalentwicklung ja ähnlich anzusetzen.“

Das bedeutet auch, wir haben nicht die Ambition, als „Provokateure“ im Sinne einer „antibürgerlichen Bohème“ aufzutreten, denn dieses Konzept ist in seiner heutigen Deutung über 200 Jahre alt und überdies „Zentrums-Kram“. Darin liegt keinerlei brauchbare Strategie für unsere Vorhaben in der Provinz, das ist bloß ein Rollenangebot für soziokulturelle „Pausen-Kasperln“, denen die Argumente ausgegangen sind.

Gigler geht es darum, und da sind wir uns einig, „an den Schnittstellen der Regionalentwicklung ‚Diskussion und Innovationskraft’ zu ‚provozieren’“. Er meint damit genauer ein „nicht systemangepasstes Verhalten – natürlich gepaart mit hoher Kompetenz in der Argumentation bzw. Dialektik“. Wir wissen ja beide, „dass ANDERE schon das als provokativ erachten, was nicht ihrem Denkschema entspricht“. Das trifft übrigens auch und besonders auf unser Milieu selbst zu.

Ich hab im vorigen Eintrag mit einem Gigler-Zitat zu jenem grundlegenden Bezugsfeld hingeführt, von dem aus mir dann auch der Bodengewinn für die Gegenwartskunst möglich erscheint: „Ist ja leider auch bei ‚Insidern’ noch nicht so angekommen: der Krusche plaudert mit Bauern und Schlossern, wo ist da die Kunst?“

Das klappt nämlich nicht, indem wir die Kunstfernen zum Auftakt über Kunst belehren wollten. Wir schon erwähnt, es wäre eine zu drollige Vorstellung: Der Künstler rennt zu Bauern und Handwerken und erklärt ihnen die Kunst, er„beuyselt“ also gewissermaßen, und die wackeren Kinder des Ruralen lauschen aufmerksam, werden erhellt und erweckt.

Wir verstanden uns als Ausdruck einer "Subkultur", die etablierten Formationen erschienen uns suspekt.

Derlei selbstreferenzielle und arrogante Bildungsschusselei war im Grunde schon Ende der 1970er-Jahre erledigt und – man beachte! – in eben ihrem Scheitern ein wesentlicher Entstehungsimpuls der damals ganz jungen Initiativenszene. Zum Mitschreiben:

Genau WEIL eurozentristisch und zentralistisch angelegte bildungsbürgerliche Bildungsschusselei sich als ziemlich untauglich erwiesen hat, genau WEIL a) „Entwicklungshilfe“ für „Entwicklungsländer“ und b) rund zwei Jahrzehnte heimischer Erwachsenenbildung auch all die Mängel und Defizite damaliger Ansätze offengelegt hatten, waren Ende der 1970er-Jahre Prozesse in Gang gekommen, die unter anderem jene kulturelle Initiativenszene hervorbrachten, zu der wir uns zählen.

Sind wir womöglich in der Steiermark heute zu eben dem geworden, was uns vor rund 30 Jahren als soziokulturelle Innovation ausgelöst hat? Das wäre ja etwas gruselig. Ich rede deshalb so bestimmt darüber, weil ich mich mit allerhand Bauern, Handwerkern, Ingenieurinnen herumtreibe und einigermaßen klare Vorstellungen hab, womit man ihnen die Plomben zieht und wodurch man ihre Verachtung lostritt.

Der Mechaniker und der Ingenieur, Rennsportlegende F. Thaler (links) und Syncro-Ingenieur E. Mohorko: "Die Bodenplatte ist heilig. Da könntest du sonst gleich ein neues Auto konstruieren, so teuer wird das."

Wir „beuyseln“ nicht, wenn wir einander begegnen, wir Künstler, Bauern, Handwerkern, Ingenieurinnen, sondern tun das mit Achtsamkeit uns Respekt. Niemand von jenen, mit denen ich dafür Zeit verbringe, würde den anderen eine Superiorität des eigenen Metiers aufschwatzen wollen. So ein paternalistisches Verhalten würde einen mit Sicherheit sofort aus diesen Kreisen heraushebeln.

— [Dokumentation] —

wovon handelt kulturpolitik? #7

ob man zu den kunstschaffenden zählt, die einen brotberuf ausüben, oder zu jenen, die ihr jahreseinkommen nur aus künstlerischer arbeit beziehen, ist primär eine soziale kategorie und keine der kunst. aber es macht natürlich unterschiede in den ergebnissen, ob ich im jahr auf 300 tage künstlerischer arbeit komme oder bloß auf 30.

welche berufsbilder mögen sich daraus ergeben, wenn es auch ein beruf sein kann, zu den kunstschaffenden zu gehören? auf banaler ebene bevorzuge ich die annahme, professionalität komme durch arbeitszeit. also zum beispiel: lieber 300 tage statt 30 tage künstlerischer arbeit im jahr.

die letzten 200 jahre mußte man entweder reiche eltern haben oder zu jener mikro-minorität kunstschaffender gehören, die sehr schnell hohen marktwert schaffen. für leute meiner herkunft war ein künstlerleben eher undenkbar und ökonomisch nicht machbar. darüber schwindeln sich manche von uns gerne mit romantischen bildern hinweg.

zwischenzeitlich gehörte es zum guten ton in der „bohème“, bürgerliches dasein zu verachten. im 19. und frühen 20. jahrhundert waren solche milieus leidenschaftlich damit beschäftigt, „bürgerliche normen“ zu ignorieren, zu verachten oder zu brechen. in solchen mileus ereignete sich ab und zu ein wenig an relevantem kunstgeschehen.

die austrifizierte version: von jim cogan hab ich den blues zu spielen gelernt und wodka war standard, southern comfort das dessert.

in der pop-kultur hat sich das dann auch auf verschiedene arten gezeigt, freilich auf gebrochene art, weil viel weniger romantisch verbrämt. das ist beispielsweiser in der ironischen phrase „money for nothing chicks for free“ zusammengefaßt. die „dire straits“ haben dem thema einen song gewidmet: [link]

in meiner biographie läßt sich so eine bohème-phase nachweisen. stoff für reminiszenzen und sentimentale momente. das ist aber meist ein status, der einen in künstlerischen belangen nicht gerade rasend voranbringt. mindestens nicht im kunstbetrieb österreichs.

einer der wesentlichsten gründe dafür liegt wohl im etwas tabuisierten zusammenhang zwischen künstlerischer existenz und dem „bürgertum“ als hautsächlichem publikum, hauptsächlicher kundschaft, also primäres bezugsfeld und primäre einkommensquelle. (kunstschaffende unter sich sind einander erfahrungsgemäß nur selten gewogenes publikum und schon gar nicht kundschaft.)

ich hab es gemocht, ein bohemièn zu sein, aber das war selbstverständlich ein leben auf einem anderen planeten

damit meine ich auch: die „antibürgerliche“ attitüde erschöpft sich meist schnell, wenn ich für ein selbst mäßiges jahreseinkommen sowohl in verkäufen und engagements wie auch in den fragen nach stipendien und preisen niemand anderem gegenüberstehe als menschen der mittelschicht.

die obere mittelschicht und die reichen sind in der regel ohnehin keine realen gegenüber in meinem milieu. mindestens im bereich der bildenden kunst wären da zum beispiel galeristen vermittelnde instanzen. wer von uns in diesem bereich reüssiert, kann feilich erleben, daß etwa gut situierte sammler eines tages das atelier sehen wollen. aber die meisten von uns sind in der realen begegnung noch nie in solche gesellschaftlichen zonen vorgedrungen.

mangels einer wenigstens halbwegs offenen auseinandersetzung mit fragen des beruflichen selbstverständnisses, der sozialen bedingungen und der realen einkommensverhältnisse von kunstschaffenden in österreich herrscht über weite strecken diffusion, zuweilen sogar recht obskures mutmaßen.

wenn die rede auf unsere soziale lage kommt, verweisen wir üblicherweise auf eine studie, die in einem schreibtisch der bildungsministerin verrottet und auf einige streitschriften der ig kultur österreich, wahlweise der ig autorinnen autoren. das war’s!

mir ist das etwas zu wenig. und mich stört das gemurmel und gemurre, das nie konkret werden will. deshalb habe ich begonnen, einige takte klartext in diese angelegenheit zu bringen. wenn ich mit meiner sozialen lage und mit dem kulturpolitischen status quo nicht zufrieden bin, was der fall ist, dann erscheint es mir nützlich, möglichst konkret greifbar zu machen, worüber ich rede und warum ich bestimmte erwartungen habe, auf gewissen standards bestehen muß.

dabei scheint es mir nützlich, eine soziale standard-situation kunstschaffender exemplarisch greifbar, nachvollziehbar zu machen. rund um diese simplen faktenlagen konkreter zahlen möchte ich auch sichtbar machen, welche summe an kompetenzen eingesetzt werden müssen, um abseits des landeszentrums eine existenz als freelancer im kunst- und kulturbereich zu haben.

darum hier nun der schwerpunkt „wovon lebt der krusche“: [link] im projekt-logbuch habe ich dazu ein quasi vorwort verfaßt: [link] ich möchte in meinem umfeld ein stück terrain schaffen, auf dem etwas mehr klarheit herrscht, wie die dinge zusammenhängen und funktionieren.

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