30 Jahre LEADER VII

Publizist Johannes Tandl hat auf Facebook zu meiner vorherigen LEADER-Glosse einen Kommentar in energischem Tonfall deponiert. Christoph Stark, Bürgermeister, Nationalrat und Geschäftsführer der LEADER-Region wird es eventuell nicht so gemeint haben, als er am 11.6.2021 notierte: „Die Energieregion Weiz-Gleisdorf hat sich zum Ziel gesetzt, die Region nachhaltig zu entwickeln. Dazu gehört, das eigene Tun ständig zu hinterfragen.“

Ich nehme an, Stark hat das auf interne Debatten bezogen. Wir brauchen solche Überlegungen freilich auch im öffentlichen Diskurs, denn das EU Programm LEADER ist nicht bloß an die Funktionstragenden gerichtet, sondern an uns Menschen in der Region. Ich sehe allerdings, daß a) Funktionärswelt und b) unsere Alltagswelt zunehmend in verschiedene Sphären auseinandergefallen sind. Ich zitiere Tandl:

„Leader? Sind das nicht die EU-Peanuts für ‚Innovationsförderungen‘ im ‚ländlichen Raum?‘ Mein Eindruck ist, dass es manche Regionen tatsächlich geschafft haben, mit Leader-Geld zumindest ihre regionale Identität zu fördern (Almenland, Vulkanland) und zahlreiche EU-kofinanzierte Projekte aufzusetzen. Die Angst – aus Sicht der Gebarungskontrolleure – bei diesen langfristigen Förderprogrammen ist, dass viele Einmalgeförderte recht kreativ darin sind, mit Networking und Lobbyismus aus Projektfinanzierungen Daueralimentierungen zu machen. Das ist aus Sicht der EU angeblich korrupt. Warum eigentlich?“

Diesen Aspekt einer möglichen Korruption sehr ich noch nicht so genau. Faktum ist aber, daß die Bedingungen für die Kofinanzierung durch die EU sehr klar formuliert wurden. Eine Beugung dieser Regeln kommt verschiedentlich vor. Derlei hab ich schon gesehen. Meines Wissens kontrollieren a) das Land Steiermark und b) die AMA eine ordnungsgemäße Abwicklung von LEADER-Projekten.

Tandl weiter: „Geht es bei Leader nicht vor allem um das Placet der lokalen Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft und Kunst zu erlangen, für all die Segnungen, mit denen uns Brüssel sonst noch beglückt? Auf alle Fälle kommen über die Jahrzehnte recht hohe Beträge zusammen, die wir natürlich zuerst an die EU gezahlt haben und die dann teilweise in den ‚ländlichen Raum‘ zurückfließen. Außerdem dürfen Bürgermeistervereine formal über die Leader-Mittel entscheiden und mit Phantasiezahlen argumentieren, wie viele Millionen durch diese Förderungen angeblich gehebelt und wieviel Arbeitsplätze durch die EU und ihr glückliches Wirken in der Region geschaffen wurden. Ein tolles EU-Zustimmungskaufprogramm, in das die bequemen Förderungswerber gut hinein passen. Unbequeme dürfen vielleicht mit „Schweigegeld“ rechnen. Aber nur wenn sie auch wirklich schweigen…“

Die Tendenz von Tandls Kritik scheint mir klar. Ich fasse es mit meinen Worten zusammen und verkürze es polemisch: Die EU gibt Leuten aus Politik, Wirtschaft und Kunst Mittel in die Hand, um EU-Freundlichkeit zu erkaufen.

Wir sollten also offen über a) Leistungsaustauch und b) konkrete Deals reden können. Das wäre eine interessante Debatte, von der ich im Augenblick noch nicht sagen kann, wer sie mit wem in welchem Rahmen führen sollte. Bürgerinnen und Bürger müßte das aber interessieren.

Im Detail
Ich deponiere hier noch einige meiner Antworten, die ich zu Tandls Kritik auf Facebook gegeben hab. Nehmen wir das einfach als Ausgangspunkt einer möglichen Debatte. Tandl erwähnte Politik, Wirtschaft und Kunst. Ich möchte präzisieren: die drei Sektoren Staat, Markt und Zivilgesellschaft im Wechselspiel.

Das meint 1) Politik & Verwaltung, 2) Wirtschaftstreibende und 3) Privatpersonen wie Vereine. Gehen wir davon aus, in jedem Lager gibt es legitime Interessen. Und es gibt Verpflichtungen. Ich fände es interessant, aktuell zu klären, was da wie dort darunter verstanden wird. Nun zu Tandls Einwänden:

Tandl: „Sind das nicht die EU-Peanuts für ‚Innovationsförderungen‘ im ‚ländlichen Raum?‘“
Krusche: bei einem kleinprojekt frißt der verwaltungsaufwand eigentlich den nutzen der kofinanzierung. das ist betriebswirtschaftlich gesehen und sauber gerechnet mumpitz. das heißt aus meiner sicht: da bekommt man ein bißl geld, damit man für die verwaltung public relations macht.

Redaktionsbesprechung zum LEADER-Projekt „Wegmarken“: Vbgm. Peter Moser (links) und Bürgermeister Werner Höfler)

Tandl: „dass viele Einmalgeförderte recht kreativ darin sind, mit Networking und Lobbyismus aus Projektfinanzierungen Daueralimentierungen zu machen. Das ist aus Sicht der EU angeblich korrupt. Warum eigentlich?“
Krusche: wo auch immer, bei LEADER imo nicht das problem. der deal wird klar formuliert und sollte entspreched umgesetzt werden.

ABER! ich sehe bei manchen beispielen, daß bei der beschreibung des vorhabens und bei der umsetzung getrickst wird. DAS halte ich auch für korrupt = der vertragspartner wird getäuscht.

Tandl: „Geht es bei Leader nicht vor allem um das Placet der lokalen Entscheidungsträger aus Politik Wirtschaft und Kunst zu erlangen, für all die Segnungen, mit denen uns Brüssel sobst noch beglückt?“
Krusche: bei meiner kenntnis der reglements geht es (im kulturbereich) vor allem um
a) ideen und praxis von unten im sinn von
b) bürgerbeteiligung und dabei
c) kooperation mit politik und verwaltung der region,
d) so wie das auch bei regionext und lokale agenda 21 promotet wurde,
e) wofür es KOfinanzierungen zwischen 30 % und 80% gibt,
f) wobei 100 % prinzipiell möglich wären.

Tandl: „Außerdem dürfen Bürgermeistervereine formal über die Leader-Mittel entscheiden und mit Phantasiezahlen argumentieren, wie viele Millionen durch diese Förderungen angeblich gehebelt und…“
Krusche: ja, eindeutig eine verletzung der reglements und inzwischen FORMAL ein bißl abgemildert, aber dfür mit neuen schlauheiten kompensiert.

Tandl: „und mit Phantasiezahlen argumentieren, wie viele Millionen durch diese Förderungen angeblich gehebelt und wieviel Arbeitsplätze durch die EU und ihr glückliches Wirken in der Region geschaffen wurden.“
Krusche: sehe ich auch stellenweise, wobei ja überhaupt eine starke tendenz besteht, public relations als „politik“ zu verkleiden, was natürlich ein ablaufdatum hat, das aber eventuell erst in späteren funktionsperioden liegt.

Tandl: „Ein tolles EU-Zustimmungskaufprogramm, in das die bequemen Förderungswerber gut hinein passen. Unbequeme dürfen vielleicht mit ‚Schweigegeld‘ rechnen. Aber nur wenn sie auch wirklich schweigen…“
Krusche: interessante überlegung. ich könnte das niht in abrede stellen. (Honi soit qui mal y pense!) ich werde so frei sein, deinen input in die doku zu übernehmen.

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+) Dieses Notiz handelt von Feedback auf meine vorherige LEADER-Glosse. Feedback zu: Glosse VI
+) Johannes Tandl ist Herausgeber des Magazins „Fazit“.
+) Martin Krusche ist Angelpunkt eines LEADER-Kulturprojektes: „Wegmarken“ (Ein kulturelles Zeichensystem)

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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