Schlagwort-Archiv: oststeiermark

wovon handelt kulturpolitik? #9

ich habe hier schon erwähnt, daß sich diese in summe wohlhabende gesellschaft ein irritierendes ausmaß an stagnation und kompetenzverlusten leistet. das beschreibt unsere gesellschaft nicht erschöpfend, denn selbstverständlich sind auch andere kräfte im spiel, die durchaus grund zur zuversicht geben. aber die beharrenden momente sind momentan sehr auffällig.

vielleicht liegt eine zwickmühle darin, daß wir alte prägungen noch nicht ausreichend überwunden haben. wer bei den dingen nicht mitreden darf, wird auch keine verantwortung übernehmen wollen. wirft das ein „henne-ei-problem“ auf? ich kenne es nämlich auch umgekehrt und halte es in projekten ganz gerne so: wer keine verantwortung übernimmt, soll auch nicht mitreden.

ich vermute, es sind die erfahrungen von alten, hierarchischen gemeinschaftskonzepten, welche es menschen heute manchmal so schwer machen, die eigenen begehrlichkeiten auch mit ausreichender selbstverantwortung und initiative zu unterlegen. ich hatte zu solchen fragen eben eine interessante debatte in einer anregenden runde. wir waren uns im wesentlichen einig: wenn es so IST, dann nützt es nichts, darüber zu räsonieren. wir sind gefordert, auswege zu finden und auch zu gehen.

rupert rauch (links), mirjana peitler-selakov und horst fickel

ich halte das für den teil einer grundlegenden KULTURPOLITISCHEN debatte. das handelt im kern von fragen der demokratie. denn hier geht es um ideen, wie menschliche gemeinschaft gestaltet werden kann, das stützt sich sehr wesentlich auch auf symbolisches denken, auf unsere ideenwelten. wenn also nicht simples faustrecht vorherrschen soll, bedarf es sehr „kultivierter“ denkweisen, um konzepte zu entwickeln und auch praktisch zu erproben, in denen sich KULTUR zeigt.

die KUNST spielt dabei als — ein radikaler erfahrungsbereich — eine wichtige rolle. sie ist aber nur ein teil dieses größeren ganzen einer sich äußernden kultur, also auch der kulturpolitik. ich habe es schon betont, kulturpolitik muß anders verstanden werden als ein bloßes verteilen von budgets und eröffnen von veranstaltungen. diesde auffassung kann hier in der „provinz“ aber nicht vorausgesetzt werden.

gerhard flekatsch

das heißt folglich, kulturpolitik kann nicht nur die sache von funktionstragenden der politik sein. was das nun konkret bedeuten soll, bearbeiten wir einerseits innerhalb der crew unserer „kulturspange“: [link] das ist andrerseits anlaß für arbeitsgespräche in weiteren formationen.

künstler gerhard flekatsch und kunsthistorikerin mirjana peitler-selakov sind teil der kulturspangen-crew. rupert rauch ist ein bauer aus straden. dieser ort markiert übrigens nach tradiertem verständnis auf dem stradner kogel das südliche ende der oststeiermark. horst fickel ist unternehmer im technikbereich. ein kompetenzen-mix nach meinem geschmack.

was sind also nun zeitgemäße kulturpolitische arbeitsansätze, die vor allem jenseits des landeszentrums beitragen, ein kulturelles klima zu schaffen, das über die alten hierarchischen prägungen hinausweist? was ist ein kulkturelles engagement auf der höhe der zeit, das der kunst ihren rang bestätigt und die eigenverantwortung der menschen betont?

gerhard flekatsch (links) sabine zettl und rupert rauch

das zu klären beschäftigt uns gerade; mit einem fokus auf die oststeiermark, aber auch mit bezug zu anderen landesteilen. im zentrum stehen dabei gegenpositionen zu stagnation und kompetenzverlust. die praxis der eigenverantwortung und eigeninitiative; auch als herausforderung für politik und verwaltung.

p.s.:
horst fickel und sabine zettl sind übrigens in fragen der kochkultur sehr bewandert. diesmal wurde die session durch sabines beitrag zu einem klassischen symposion, einem erlesenen GASTMAHL.

[überblick]

agrarische welt: wie einiges zusammenhängt

ich wurde inzwischen mehrmals gefragt, wie ich denn auf das thema „agrarische welt“ gekommen sei. das ist eine geschichte in mehreren ereignis-sprüngen. der jüngste davon ereignete sich im sommer 2010, als ich mit tierarzt karl bauer das kosovo besucht hatte. das bescheidene level, mit dem die meisten bauern dort zurechtkommen müssen, entspricht, so bestätigte mir bauer, ungefähr dem, was der standard in der oststeiermark noch bis zum zweiten wetkrieg gewesen ist. (das hat mir eine menge fragen verursacht, auf die ich dort antworten bekam.)

mit tierarzt karl bauer zwischen kosovo und albanien

davor hatte ich das motiv schon in meinem „regionalen fahrtenbuch“ aufgegriffen: [link] dieser bereich unserer website trägt seit anfang 2010 das motto „zwischen landwirtschaft und high tech“. der grund ist naheliegend. das vormalige armenhaus österreichs, die oststeiermark, war erst nach dem zweiten weltkrieg durch verschiedene modernisierungsschübe zu jenem wohlstand gelangt, den wir heute kennen; und um den neuerdings wieder gefürchtet wird.

ich hatte im ersten eintrag des fahrtenbuchs das wappen von krottendorf werwähnt, in dem ähre und zahnrad diese bipolare situation symbolisieren: agrarisches und technisches. außerdem ist dort von einem zweibändigen werk die rede, das für mich schon für über 20 jahren jene orientierungshilfe ergab, durch welche mir diese region ein stück besser begreiflich wurde: „bäuerliches leben in der oststeiermark seit 1848“ von karl kaser und karl stocker.

ohne wenigstens kursorischer kenntnisse der soziokulturellenn zusammenhänge erschiene mir kulturelles engagement in der region sinnlos

zwischen diesen sehr verschiednen zugängen lag für mich die erfahrung, daß über den weg zur landesausstellung 2001 (“energie”) bis in die gegenwart eine legion von leuten in tourismus-büros, regionalmanagements etc. so allerhand flott dahinschrieben, was die region sei. dorch ein großteil dieser schilderungen, oft in aufwendigen print-produktionen publiziert, gibt eigentlich bloß sehr klischeehafte schilderungen in ausschnitten vom angeblich bäuerlichen und regionalen leben wieder.

wo wir uns heute um den kulturellen bereich einer eigenständigen regionalentwicklung annehmen und für diesen teil des gesellschaftlichen lebens relevante beiträge zu erarbeiten versuchen, muß einigermaßen klar sein, daß wir in der bloßen orientierung an stereotypen promt ins leere laufen und unnütz geld versenken würden.

wir können und wollen in der arbeit nicht ignorieren, was eben noch bestimmend, geradezu normativ im leben der menschen dieser region gewesen ist. was daran sozialgeschichtlich interessant erscheint, dazu erhielten wir gerade nennenswerte anregungen bei ersten „tag der agrarischen welt“.

all das bringt außerdem bezugspunkte zu gegenwärtigen problem- und aufgabenstellungen hervor. individuelle mobilität, verkehrskonzepte, ernährungssicherheit und die frage der nahrungsmittelqualität; vor dem hintergrund weltweiterfinanzkrisen und hochschnellender energie- wie nahrungsmittelpreise zur debatte gestellt.

das sind nicht notwendigerweise bevorzugte themen künstlerischer praxis. aber das sind fundamentale themen, auf denen sich kulturelles engagement aufbaut. und dabei ergibt sich dann durchaus, daß teilthemen und aspekte greifbar werden, die sich dann als künstlerische sujets nahelegen.

ich gehe inzwischen mit ganz anderen augen durch die zonen der agrarischen welt (dieses motiv hab ich allerdings aus dem norden von graz mitgebracht)

so werden wir also dem überaus komplexen thema „agrarische welt“ weiter nachgehen, werden auch interessante querverbindungen zur regional präsenten welt des high tech im auge behalten und in summe einiges beitragen können, was eine authentische vorstellung von dieser region ausmacht. genau DAS sind dann auch durchaus relevante rahmenbedingungen für ein künstlerisches geschehen und ein kulturelles klima, welches dieses künstlerische geschehen fördert.

— [das april-festival 2011] —