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randnotizen

ohne zu reisen würde meine existenz als künstler völlig mißraten. zweierlei bedingungen lösen sich auf den fahrten ein. im fremden zu sein und vor ort zu ein. die irritation durch das, was man noch nicht kennt und die konkrete anschauung dessen, was woanders ist… jenseits aller mutmaßungen.

das sind auch grundlagen jener kooperationsansätze, die wir bei „kultur.at“ und im rahmen von „kunst ost“ entwickelt haben. zur erinnerung: „kunst ost“ war ursprünglich ein projekt von „kultur.at“. wegen seiner anwachsende dimension und komplexität hatten wir es schließlich ausgelagert und mit einer eigenen struktur versehen.

doch im verweben der unterschiedlichen aufgaben und vorhaben ergibt es ein ganzes, das sich wechselseitig bedingt. es löst sich auch auf reisen ein. das meint einerseits die besuche von kolleginnen und kollegen in anderen regionen. davon verdichtet sich nun etwas in unserer „kulturspange“: [link]

teil der "kulturspange" (von links) franz maunz, eva ursprung, mirjana peitler-selakov und gerhard flekatsch

das gewinnt andererseits erweiterungen über unser „balkan büro“ [link] die krisen des vormaligen jugoslawien sind auch die krisen europas. uns damit und mit den konsequenzen zu befassen bedeutet, sehr viel von jenen kräftespielen zu begreifen, die ganz europa bewegen. (in den „fahrten südost“teil #1 und teil #2 — sind einige aktuelle notizen zusammengefaßt.)

diese mischung aus konzentration auf lokale und regionale, aber auch auf grnzüberschreitende zusammehänge bündeln sich nun in unserer arbeit an der startphase eines „kompetenzzentrums für gegenwartskunst“: [link]

steinernes monument eines brockens europäischer historie: die brücke über die drina

in kooperation mit dem kunstsammler erich wolf haben wir begonnen, gegen ressentiments und kompetenzdefizite, die es in verschiedenen instanzen dieser gesellschaft gibt, der gegenwartskunst gerade in dieser von krisen bestimmten zeit neues terrain zu gewinnen.

reflexionsvermögen, flexibilität des denkens, problemlösungskompetenzen, all das, was politik und wirtschaft so sehr fordern, was aber voe allem eine zeitgemäße demokratie dringend braucht, sind fertigkeiten, die in ihrer entfaltung klare vorbedingungen haben. es geht um WAHRNEHMUNGSERFAHRUNGEN, also um ästhetische erfahrungen. genau DAS bedeutet „ästhtetik“: wahrnehmung.

es gibt nur wenige genres, in denen all das so radikal, also grundlegend zu anwendung kommt, wie in der befassung mit kunst; egal ob als kunstschaffender oder als rezipierender mensch. so gesehen ist es absurd, daß gegenwartskunst vor allem jenseits der landeszentren als „abgehoben“ diffamiert und als „elitär“ herabgewürdigt wird.

man kann ja über kunst reden: malerin herta tinchon im arbeitsgespräch ("talking communities")

es ist ebenso absurd, daß budgets dafür so umfassend gekürzt wurden. aber das scheint im augenblick nicht verhandelbar zu sein. also brauchen wir strategien und neue modi, um in dieser zeit mit ihren kompetenzverlusten und ihrer stagnation nicht nur terrain zu halten, sondern boden zu gewinnen.

fahrten südost

wir haben bei „kunst ost“ verschiedene themenschwerpunkte. zeitgeschichte und sozialgeschichte spielen dabei eine erhebliche rolle. die agrarische welt ist eines unserer bezugssysteme. blühen und verfall von industriellen komplexen interessieren mich, weil sie gegenwärtige situationen eingefärbt haben.

die krisen-erfahrungen durch kriegshandlungen sind ein eigenes themenfeld, von dem ich bei uns nur mehr symbolische und mentalitätsgeschichtliche präsenzen finden. (doch deren wirkung besteht.)

hinter vukovar: ackerbau und viehwirtschaft im großen stil

auf dieser fahrt durch kroatien, serbien und bosnien haben derlei zusammenhänge völlig andere bedingungen. so wie ich es innerhalb der steiermark für unverzichtbar halte, andere regionen konkret zu besuchen, wo sich für uns arbeitsschnittpunkte ergeben, gilt mir das auch für südost-europa.

wir haben für unsere regionale projektarbeit wachsende arbeitskontakte mit leuten aus sehr verschiedenen teilen des vormaligen jugoslawiens vereinbart. eine wichtige voraussetzung dafür sind die realen begegnungen, weil nur so sich jenes lernen ereignen kann, das grundlagen der zusammenarbeit ebnet.

wenn trubaci auf dem set erscheinen, bleiben die leute nicht mehr auf den sitzen und kein staub auf den möbeln

was ich damit meine? die südslawischen leute ticken natürlich in vielem völlig anders als wir. sie haben andere codes, sie sind in allerhand fragen von grundlegend anderen ereignissen geprägt.

soweit ich sehen kann, sind einige jahre der laufenden begegnungen keineswegs zu viel, um eine erste ahnung zu bekommen, worin man sich — jenseits der gefundenen gemeinsamkeiten — auch sehr stark unterscheidet. (ZEIT ist ein WICHTIGER faktor in solchen prozessen.)

in manchen momenten verdeckt die höflichkeit im achtsamen umgang mit einander heftigen dissens. außerdem verfügen wir „schwabos“ gegenwärtig über keine ausreichende vorstellung, was gehabte kriegsgreuel und kolportage, mutmaßungen und hoffnungen zwischen den ethnien angerichtet haben.

in potocari wird der tausenden ermordeten aus der enklave srebrenica gedacht

drei völker, getrennt duch die gemeinsame sprache, von heftigkeiten erschüttert, für die sich weit weniger rationale gründe finden lassen, als uns allen lieb sein kann.

aber genau DAS ist MEIN europa. erschüttert von seinen komplexen möglichkeiten. verstaubt und aufgerüttelt zugleich. mißgunst und leidenschaft manchmal ineinander verheddert. harte kontraste und tausend optionen.

ich habe hier nur drei von mehreren völkern erwähnt, die einst jugoslawien ausgemacht haben. ich kann mit serben in kroatien nicht über die „albanci“ im kosovo sprechen und um denen gerecht zu werden, müßte es „kosova“ heißen, aber dort sind ja eben erst die konflikte wieder hochgegangen, da reden wir leicht.

kleiner einschub:
ich staune manchmal über kleine details wie daß albanische kosovaren sich selbst „shqiptaret“ nennen, wenn aber serben das phonetisch für mich überhaupt nicht unterscheidbare „siptar“ sagen, dann ließe sich kein übleres schimpfwort finden.

mazedonien wirft als thema offenbar keine konflikte auf und über montenegriner wird freundlich gelächelt. von den slowenen wird praktisch nicht gesprochen, denn wo sind die schon dabei gewesen?

gestern nacht habe ich im zentrum von sarajevo ein feuer vor einer gedenktafel brennen sehen. beides erinnert daran, wie brigaden der serben, bosnjaken und kroaten — „srba, muslimana i hrvata“ — am 6. april 1945 die stadt befreit haben.

am selben ort einst vereinte befreier, später erbitterte feinde

dieses andenken wird hier bewahrt, menschen zeigen es ihren kindern und lassen sich davor fotografieren. zugleich sieht man von nahen gassen und plätzen auf die umliegenden hügel, von denen im jüngsten krieg die serbischen kanoniere und scharfschützen auf unbewaffnete menschen gefeuert haben.

die kroaten waren hier einmal mit den serben einig, sich bosnien untereinander aufzuteilen, dann standen sie einander wieder als feinde gegenüber. diese 1990er-jahre sind mehr als verwirrend.

ich ahne zumindest, wie alt manche der ressentiments sind, wenn ich sagen höre: „naja, die kroaten können ihre straßen nur nach einem ban benennen, wir nach einem kralj.“

der ban war etwa ein markgraf, kralj ist das wort für könig, die hierarchie ist klar. aber, wie schon erwähnt, genau DAS ist MEIN europa, so komplex und manchmal zutiefst irritierend. verheerend in seinen ausbrüchen und hinreißend mit all seinen schätzen.

ich kann mir ein kulturelles engagement auf der höhe der zeit ohne solche querverbindungen nicht vorstellen. auch wo es ein ausgewiesen REGIONALES engagement ist, hat es nicht erst durch die junge erfahrung einer globalisierung vieler lebensbereiche diese bedingung: die praxis des kontrastes zu bewältigen.

wir, und das sage ich sehr bewuß: WIR, haben damit schon eine lange, tief in die geschichte reichende erfahrung. unsere kultur ist das ergebnis solcher erfahrungen. gegenwärtige kulturarbeit sollte also bei solcher vielfalt wieder anschließen können.

[Übersicht]

unsere reichweite

vor einigen jahren haben wir symbolisch eine line gezogen, die von wien über beogad nach istanbul reichte. damit sollte ausgedrückt werden, daß unser lebensraum von drei großen kulturellen konzepten bestimmt ist: von latinität, orthodoxie und islam: [link]

das sind nicht bloß religiöse kategorien, sondern die begriffe stehen eben auch für kulturelle und politische dimensionen, wobei in allen drei sphären das denken der griechischen antike zwar unterschiedlich, aber ausnahmslos rezipiert und gewürdigt wurde.

was hat das mit unserer gegenwart zu tun? mentalitätsgeschichte, kulturelle paradigmen und allerhand überlieferungen wirken oft noch über hundert generationen von menschen mitbestimmend, wo gegenwärtige eigenheiten sich soziokulturell so oder so zeigen, äußern. es dürfte bei einem gegenwärtigen engagement im soziokulturellen bereich nützlich sein, solche zusammenhänge wenigstens flüchtig zu kennen. (aber wir reisen auch leiblich zu unseren „alten nachbarn“; siehe dazu das balkan-büro!)

zum thema "europa" fühlen wir uns auch als regionale kulturinitiative angesprochen

manches davon loten wir in unserem regionalen kuturprojekt aus, OBWOHL wir ausdrücklich (leader-) projekt einer bestimmten region sind, also (auch) regionale grenzen haben. die sind aber vor allem formaler natur. der blick über tellerränder und landesgrenzen bleibt unverzichtbar. er ist überdies von unseren partnerinnen und partnern auf landesebene ausdrücklich erwünscht.

beim „europatag 2011“ werde ich solche aspekte in der ersten runde „mobilität“ u.a. mit dzevad karahasan (schriftsteller), elisabeth arlt (verein pavelhaus), anna badora (schauspielhaus graz) und peter pakesch (universalmuseum joanneum) diskutieren.

nikola tesla-experte branimir jovanovic in action: from consumerism to sustainability

das thema „mobilität“ berührt in unserer arbeit auch agenda des kuratoriums für triviale mythen und die „nikola tesla-doktrin“, zu der wir ab nun längerfristig mit dem forscher branimir jovanovic kooperieren. (siehe dazu den beitrag weichenstellungen!)

eine querverbindung zu einem anderen aspekt dieses themenkomplexes: ich arbeite zur zeit gemeinsam mit sozialhistoriker matthias marschik an einem buch, in dem wir österreichs prominentestes phänomen der massenmobilisierung nach dem zweiten weltkrieg vorstellen: „Steyr-Puch 500. Seine Zeit, sein Umfeld, seine Verwandten“. (demnächst im sutton verlag!)

das korrespondiert mit unserer gesamten themenstellung „zwischen landwirtschaft und high tech“, wo vor allem die ersten jahrzehnte der zweiten republik eine zeit der radikalen moderiniserung waren, das heißt sehr konkret auch: eine ära der umfassenden maschinisierung und jenes individualverkehrs mit automobilen, von dem wir uns nun — unter merklichen mühen — langsam wieder verabschieden dürfen.

als wäre es für unser thema extra arrangiertworden: soziale distanz in den 1960ern (ein östereichiches "puch-schammerl" neben einem porsche 356 und vor einem jaguar e-type auf einem parkplatz in gleisdorf)

das sind einige aktuelle arbeitsschwerpunkte entlang unserer vorstellung, der gegenwartskunst in einem soziokulturellen projekt mehr gewicht zu verschaffen; in einem kräftespiel, das wir lokal, regional und international verknüpfen.

die soziokulturelle drehscheibe „kunst ost“ ist das überhaupt erste LEADER-projekt der steiermark. den überblick der laufenden projekte finden sie hier: [link] vermutlich bin ich nicht der einzige, der zur zeit darüber staunt, daß hier eine LEADER-region, nämlich unsere, sich neuerdings über das promoten volkstümlicher schlagermusik hervortut.

ich bin vorerst noch völlig ratlos über der tatsache, daß ein offizielles leader-management das regionale engagegment für innovation und zukunftsorientierung über kommerzielle unterhaltungsmusik promoten möchte (quelle: woche weiz & birkfeld)

aber das ist eben ein stück regionaler realität, die vielleicht über aktuelle kommunikations-defizite innerhalb der region salopp hinwegsehen lassen soll; siehe dazu die aktuelle notiz im projekt-logbuch: [link]