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Talking/Walking Communities

Wir haben mit der „novi sad-session“ im Dezember 2010 die Reihe Talking Communities eröffnet und eingeführt: [link] Sie ist als Konferenz in Permanenz den Fragen der Kunst und der Kulturpolitik gewidmet. Nun werden daraus auch gewissermaßen Walking Communities ;-))

Für das kulturelle Engagement abseits des Landeszentrums bieten Telekommunikation und Teleworking eine Reihe von Vorteilen. Aber die reale soziale Begegnung bleibt unverzichtbar. Wo Kooperation gewünscht wird, sollten außerdem die herkömmlichen Muster des Verhältnisses „Zentrum/Provinz“ nicht reproduziert werden. Also „zentralisieren“ wir diesen Prozeß nicht, wir wandern mit unseren Arbeitstreffen stets durch die Region, suchen die verschiedenen Plätze auf, wo einzelne Personen oder Gruppen Kulturarbeit leisten.

Manchmal reisen wir gemeinsam ein Stück des Weges. So zum kommenden „Picknick im Kopfbahnhof“, wo wir eine „Konferenz in Permanenz“ realisieren. Das bedeutet, wir besuchen Künstlerin Kathi Velik, die im alten Bahnhof von Bad Gleichenberg wohnt und ihn zu einem kleinen Kulturzentrum umgestaltet hat. Wir machen das mit einer gemeinsamen Bahnfahrt Gleisdorf – Bad Gleichenberg; ein Teil der Leute von Graz aus.

So wird nun die neue, südlichste Position der Kulturspange [link] markiert. Basics: Bringen Sie individuellen Picknick-Proviant mit. Decke und/oder Klapphocker dürften nützlich sein. Kleingeld für den Fahrkarten-Automat nicht vergessen!

Diese „Konferenz in Permanenz“ ist ein weiterer Beitrag, um zur Verständigung und zur Kooperation Kunst- und Kulturschaffender anzuregen. Ich hab im Intro zum „April-Festival“ 2012 [link] schon eine klare Position formuliert, die keine Bittsteller-Pose vorsieht, sondern davon handelt:

Wir vertreten unsere Sache in jeder denkbaren Situation. Wir haben in Fragen der Kulturpolitik eine deutliche Themenführerschaft aufgrund gebündelter Kompetenzen. Wir suchen die Kooperation mit anderen Kulturschaffenden, mit Funktionstragenden aus Politik und Verwaltung, mit Wirtschaftstreibenden.

Die Themen für unsere Zugfahrt und den Aufenthalt im Kopfbahnhof:
+) Kennenlernen neuer Leute
+) Vorbereitung der Station vom 5. Mai 2012
+) Kooperationsmöglichkeiten innerhalb der Kulturspange
+) EPU-Know how, Strategien gegen die Krisensituationen

Zum Teilthema EPU-Know how beziehe ich mich auf Inhalte der Gruppe „Amici delle SVA“: [link] Siehe dazu auch: „Wir sind 55,6 Prozent!“ [link]

Chris Hildebrandt präzisierte zur Frage, wer in dieser Community zur Debatte steht: „…selbstverständlich sehen wir — neben EPUs, neuen Selbstständigen, Freiberuflern und Kleingewerbetreibenden — auch Teilselbstständige mit (oft) Gering- oder Teilzeitanstellung als unsere Zielgruppe. Wie du ja weisst sind solche Fälle ja z.B. besonders bei Kunstschaffenden sehr häufig.“

Sonntag, 25. März 2012
Talking/Walking Communities
[link]

Wir sind 55,6 Prozent!

Ich bin freischaffender Künstler, also ein EinPersonen-Unternehmen, kurz: EPU. Damit gehöre ich einer bedeutenden Spezies der österreichischen Wirtschaft an. Wir sind nämlich sehr viele. Die Wirtschaftskammer hat gerade wieder gezählt. Einzelunternehmen und GmbHs (gewerbliche Wirtschaft, ohne geringfügig Beschäftigte):
+) EPU in Österreich (absolut): 238.320
+) EPU in Österreich (Anteil): 55,6%.
Wir machen also gut die Hälfte heimischer Betriebe aus. [Quelle]

Mit meinen 56 Jahren liege ich deutlich über dem Durchchnittsalter. Der Frauenanteil scheint sich der Hälfte anzunähern:
EPU-Durchschnittsalter: 43,9 Jahre
EPU-Frauenanteil: 43,4%

Ich bin einer von Tausenden, die für Steuern und Sozialversicherung selbst aufkommen, wobei ich als Künstler einen staatlichen Zuschuß von 130, Euro/Monat erhalte; also nicht ich, dieses Geld geht direkt an die SVA.

Viele Leute meines Metiers sind Angestellte, denn Freischaffende machen auf Österreichs Kunstfeld den geringsten Teil aus. Angestellte dürfen sich Arbeits- und Lohnnebenkosten mit ihrem Betrieb oder ihrer Behörde teilen. Meinsgleichen tragen das weitgehend alleine. Ein „EU-Vergleich der Arbeitskosten und Lohnnebenkosten für das Jahr 2010“ mag dabei ganz interessant sein: [link]

Nun sind Leute wie ich keineswegs unwillig, ihren Teil zum Gemeinwesen beizutragen. Aber Faktum ist, daß der MODUS, den uns die Politik bezüglich Sozialversicherung auferlegt hat, inzwischen als KONKURSRISKO Nr. 1 dieses Milieus gilt. Das heißt, nicht die nötige Versicherungsabgabe an sich ist unser Problem, sondern die Berechnungs-Modalitäten erweisen sich mehr und mehr als ruinös.

Diesem Umstand, nein: Mißstand, widmet sich nun schon einige Zeit eine Interessensgruppe, welche unter dem Namen „Amici delle SVA“ auftritt: [link] Dazu tut sich auch bei Facebook laufend was: [link]

Sehr impulsgebend war in der Sache bisher außerdem das „Forum zur Förderung der Selbständigkeit“: [link]

Wir haben uns hier nicht mit hausgemachten Problemen eingedeckt. Im „Kurier“ war eben zu lesen:
>>In der SVA-Chefetage heißt es, man sei ja selbst unglücklich mit der Lage. Aber man dürfe von der Vorgabe des Gesetzgebers nicht abweichen, sagt Direktor Peter McDonald. Im Gegensatz zur Finanz hat die SVA kaum Spielraum für Kulanz: Sie muss qua Gesetz eintreiben.<< [Quelle]

Die Problemlage ist also bekannt und keineswegs ein kleiner „Betriebsunfall“, den noch niemand bemerkt hätte:
>>Die SVA sieht die Probleme, sieht sich aber schuldlos. Nur: Wo ist dann der Aufschrei gegen die Belastungen im Sparpaket, wo der Kampf für die Klienten?“ McDonald: „Ein Aufschrei hilft weniger als Überzeugungsarbeit.“ Aber die leistet eben niemand ernsthaft. Bis auf Weiteres gilt also der Befund eines SVA-Opfers: „Wir sind die Lücke im System.“<<

Hier also ein herzliches DANKE an die Politik, daß wir mit diesem unausgegorenen Reglement permanent unter Druck stehen müssen, was seinerseits mittel- bis langfristig Schäden und daher Kosten verursacht. Schäden am Geschäft und Schäden an den Menschen, welche diese Geschäfte betreiben.

Man möchte den Verantwortlichen zurufen:
Reicht es Euch noch nicht, was Österreichs Volkswirtschaft an Burn out, Mobbing, Bildungsdefiziten etc. verdauen muß? Ist es so schwer, uns engagierten Leuten adäquate Rahmenbedingungen zu bieten?

Hans Rauscher notierte eben im „Standard“ zur Sache:
>>Die Wirtschaftskammer tut ein bisserl was. Aber die soziale und politische Bedeutung des Wandels zur Kleinselbstständigkeit haben sie alle nicht begriffen.<< [Quelle]

An all dem ist AUCH interessant, daß in den aktuellen (öffentlichen) Diskursen Kunstschaffende noch kaum genannt, einbezogen werden, sich aber auch selbst nur schütter zu Wort melden. Es gibt also einbe Menge Handlungs- und Klärungsbedarf.

>>“Eigentlich müssten bei allen Verantwortlichen die Alarmglocken schrillen. Wenn eine Sozialversicherung fast 18 Prozent ihrer Versicherten mahnt und 9 Prozent aufgrund fehlender Beitragszahlungen exekutierten, dann läuft ganz offensichtlich etwas grundlegend falsch“, zeigt sich Ruperta Lichtenecker, Wirtschaftssprecherin der Grünen, besorgt über die Situation von Ein-Personen UnternehmerInnen (EPU) und KleinstunternehmerInnen in Österreich.<< [Quelle]

[wovon lebt der krusche?]

Als EPU-Mensch ökonomisch überleben

Ich hab nun schon an mehreren Stellen betont, daß wir im Kunstbetrieb ein merkwürdiges Phantasma installiert haben. Freelancers gelten meist als höchstes Ideal. Der freischaffende Künstler, die freischaffende Künstlerin, aus rein künstlerischer Arbeit ein adäquates Jahreseinkommen erwirtschaftend, das sei die „Königsklasse“.

Bis zum nächsten Steuerbescheid, der für "Berichtigungen" sorgen wird, erwartet die Finanz von mir diese Zahlungen

Es ist ein kleiner Haken an der Sache. Diesen Typus findet man in Österreich fast überhaupt nicht, die lebenden Exemplare sind eine verschwindende Minorität. Diese Minderheit steht in zweierlei Geruch, ist mit Widersprüchen belegt. Einerseits müssen genau DAS ja die „richtigen“ Kunstschaffenden sein, die sowas hinkriegen. Andrerseits stehen sie prinzipiell unter Generalverdacht, sich dem Markt anzudienen und die „Reinheit der Kunst“ am Kassenschalter zu schänden.

Danach richten sich dann auch die Vorscheibungen der Sozialversichrungen, momentan diese

Das sind also reichlich nervöse Umgangsformen mit einer Profession, die in dieser und jener Praxis unter dem üblichen Druck steht, den alle Freelancers kennen. Bedenkt man nun, daß EPU, also „Einpersonenunternehmen“, rund 60 Prozent von Österreichs Betrieben ausmachen, möchte man annehmen, der Staat sorge in seiner begleitenden Gesetzgebung für ein Reglement, das diesem Berufsfeld gerecht wird und das uns durch die stets sich ändernden Geschäftsverläufe stärkend begleitet. Beim Staat gibt es aber offenbar andere Prioritäten.

An das Kreuz des Triple A-Phantasmas geschlagen (Foto: Amici delle SVA)

Unternehmensberater Conrad Pramböck hat gerade für erfrischenden Klartext gesorgt und den Kontrast Angestellte/Freelancers etwas herausgearbeitet:
„Sie (Die Angestellten, Anm.) haben extrem große Sicherheit, regelmäßiges Einkommen, verdienen ab dem ersten Arbeitstag, haben einen voll ausgestatteten Arbeitsplatz und bekommen Unterstützung von ihren Kollegen. Selbstständige hingegen verbringen die ersten Wochen damit, Möbel und Computer zu besorgen, mit Rechtsanwalt und Steuerberater zu sprechen. Das sind zwar wichtige Dinge, aber es vergeht Zeit, die sie nicht dafür investieren können, Geschäfte zu machen.“ [Quelle]

Ich verrate ja kein Geheimnis, daß gerade in krisenhaften Verläufen eines Landes ganze Kettenreaktionen davon ausgelöst werden, daß stärkere Instanzen anfallende Probleme flott an die nächst schwächeren Instanzen weitergeben. So staunt man als Freelancer mitunter, welcher Scherereien und Aufgaben einem plötzlich zugefallen sind, die ruckzuck von oben nach unten durchgereicht wurden.

Während fix angestellte Leute zwischendurch ihre Belastungserlebnisse in einem Krankenstand mit anschließendem Urlaub auskurieren, beiße ich im nächsten Durchgang an zu langen Arbeitstagen meine Zähne zusammen. (Gut, ich hab es ja so gewollt. Selbstgewählt!)

Dabei empfinde ich es dann schon als sehr provokant, wenn ich zeitgleich lese, wie ein Profi, außerdem vormaliger Finanzminister, sich sein gut situiertes Leben absichern kann: „Zuletzt musste Ex-Finanziminister Grasser laut Bericht mit einem kargem Jahreseinkommen von 13.520 Euro auskommen. Die Finanz hegt „den konkreten Verdacht einer Abgabenhinterziehung bezüglich Umsatzsteuer, Einkommenssteuer und Kapitalertragssteuer“, heißt es.“ [Quelle] Und genau derlei Steuerbescheide gehen automatisch an die SVA, um dort für „Berichtigungen“ in den Vorschreibungen zu sorgen.

Ich soll mir gelegentlich auch noch Neid unterstellen lassen, wenn ich solchen Status quo kritisiere? Das ist alles in Österreich sehr kurios geordnet. Vor dem Hintergrund aufgedeckter Korruptionsvorgänge im Lande kämpfen Kleinstunternehmen heute mehr denn je um ihr Bestehen, bei dem oft folgende Hürde aufragt.

Unter den Tausenden EPU-Leuten ringt eine Legion vor allem mit dem Reglement der Sozialversicherung, durch welches sie so unter Druck sind, daß die SVA längst als Konkurs-Risiko ersten Ranges gilt.

Im „Forum zur Förderung der Selbständigkeit“ [link] kann man allerhand über diese Zusammenhänge erfahren. Seit Monaten widmen sich ferner die „Amici delle SVA“ ganz speziell den Problemlagen, dem Informationsstand und den Lösungsansätzen dafür, die Versicherungspflicht bei der SVA ökonomisch zu überleben: [link]

Und jetzt noch ein kleiner Schwank zum Abschluß dieses Beitrages. Es gibt offenbar Geschäftsmodelle, deren Konzeption alles übersteigt, was ich mir vorstellen kann:
>>Klar ist zudem: In Grassers Stiftungskarussell bunkern mehr als neun Millionen Euro. Preisfrage: Wie ist das möglich, wo er doch beim Finanzamt nur ein so geringes Einkommen versteuert hat? Stimmt da etwas mit der österreichischen Steuergerechtigkeit nicht?<< [Quelle]

+) Siehe zum ganzen Themenkomplex auch: „Wovon lebt der Krusche? [link]
+) Zu den Hintergründen auf dem Kunstfeld: [link]
+) Steirischer Lokalkolorit („Niemand hat mich gerufen“) [link]

[Wovon lebt der Krusche?]