Abgang Lunacek Teil 2

„Ich hab über Jahre immer wieder behauptet
Wenn wir primären Kräfte nicht klären was Kunst sei
und welche Bedingungen sie brauche, dann werden es
Wirtschaft und Politik für uns tun, aber nicht mit uns tun.“

(Martin Krusche am 12.5.2020 zur Kulturpolitik)

Mission Statement
[Vorlauf: Teil #1] Die Amtsführung von Ulrike Lunacek hat mich bisher nicht beschäftig. Eben geht die zehnte Woche Lockdown zu Ende. Auf der Hälfte der Strecke schien mir klar, daß die Regierung keine Konzepte, weil keine inhaltliche Basis dafür hatte, meinem Metier den Sturz in diese Krise zu mildern. Man kann das hier in den vorangegangenen Beiträgen nachlesen.

(Quelle: Youtube)

Ich wurde äußerst stutzig, als ich Vizekanzler Werner Kogler hörte, wie er einer ganz simplen Frage auszuweichen versuchte. Er begann ansatzlos, das Thema wegzureden, um erst im letzten Abdruck seiner Antwort offenzulegen, daß er keine relevante Partei kennen würde, für die ein bedingungsloses Grundeinkommen derzeit Thema sei. Siehe die NotizDas hochrangige Gestammel!

An Ulrike Lunacek beschäftigt mich derzeit nur, was Inhalt ihrer Abschiedsrede ist, denn dieses Statement halte ich für sehr aufschlußreich und exemplarisch. Ich hab im ersten Teil angemerkt, daß im Umfeld von Frau Lunacek offenkundig bestenfalls mit den Sichtweisen einer veralteten Bourgeoisie gedacht und gehandelt wurde.

Die Politikerin Susanne Jerusalem hatte uns überdies auf zynische Art wissen lassen: „Ich würde gerne Geld in Kunst, Kultur und Bildung fließen lassen. Der Beweis dafür, dass es den ÖsterreicherInnen dadurch in Zukunft besser ginge als heute, müsste aber erst erbracht werden.“

Dieses Zitat und die Lunacek-Rede im Kielwasser der zitierten Kogler-Worte dienen mir als Markierung. Hier steckt jetzt ein Fähnchen im Gras. Hinter dieser Position liegt eine Kulturpolitik, die mir in wesentlichen Zügen als ein Echo aus der Gründerzeit (19. Jahrhundert) erscheint, mit ein paar Tropfen Biedermeier in der dünnen Suppe.

(Quelle: ORF/Facebook)

Die Lunacek-Rede halte ich für ein Schulbeispiel jener Ausflüchte, mit denen sich ein bourgeoiser Geist rausredet, nachdem er zwar die Benefits lukrieren konnte, die einem die persönliche Assoziation mit Kunst und Kultur möglich macht, aber im Grunde keinen Tau hat, wovon auf der Höhe der Zeit zu reden wäre.

Das ist ein höfisches Verhalten, völlig antiquiert, mit dem ich mich nicht weiter befassen kann. Ich bin Künstler. Das ist mein Leben. Mich beschäftigt derzeit der Weg in eine nächste Kulturpolitik, denn diese kann man offenbar nicht retten.

Vielzahl unterschiedlicher Lebenskonzepte
Seit der Antike laufen Debatten, was Kunst sei und was Handwerk sei. Daher wissen wir, daß sich Bedeutungen ständig verschieben, denn die Zuschreibungen wechseln von Ära zu Ära. Wollen wir aktuell die Gegenwartskunst von den Voluntary Arts unterscheiden? Gibt es Gründe, Kunst und kreatives Basteln voneinander zu unterscheiden? Haben wir heute überhaupt noch einen brauchbaren Begriff von Volkskultur, da diesem Genre in der Steiermark ein eigenes Ressort gewidmet ist?

Sollten wir es debattieren, wenn Garten-Deko auf Kreisverkehr-Inseln aus Kulturbudgets finanziert wird? Haben wir das Zeug, die Querverbindungen zwischen Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst zu erörtern? Wo finde ich eine Volkskultur in der technischen Welt wahrgenommen? Was unterscheidet die Unterhaltungsindustrie allenfalls vom heimischen Kulturbetrieb? Wie sind die Dinge zwischen den Zentren und ihren Provinzen geregelt?

Künstlerin oder Künstler zu sein, das handelt von einer Vielzahl ganz unterschiedlicher Lebenskonzepte und von höchst verschiedenen Formen des Broterwerbs. (Broterwerb ist keine Kategorie der Kunst!) Nur ein Bruchteil heimischer Freelancers kann mit rein künstlerischer Arbeit ein angemessenes Jahreseinkommen erwirtschaften.

Dieser Bruchteil ist zwar Teil des Metiers, reicht aber niemals, um das geistige Leben eines ganzen Landes in Gang zu halten. Es ist daher plausibel, daß eine Bevölkerung in ihr geistiges Leben investiert? Muß noch geklärt werden, daß der Kulturbereich kein Orchideenfach ist, sondern so existentiell notwendig, wie ja auch die Bereiche Bildung, Gesundheit, Sicherheit etc.?

Die Quelle
Ich nutze als Quelle einen Clip auf Youtube: „Kritikwelle, kein Rückhalt: Lunacek tritt zurück! | krone.at Pressekonferenz | Corona-Krise. Live übertragen am 15.05.2020“ Dazu eine Erläuterung, unter anderem: „Sie war seit Wochen mit einer Kritikwelle aus der Kulturwelt und zuletzt auch mit schwindendem Rückhalt in der Regierung konfrontiert. ‚Ich habe im Lauf dieser Woche gemerkt, dass die Unzufriedenheit und die Enttäuschung von vielen im Kunst- und Kulturbereich trotz der Hilfspakete nicht geringer wurde, im Gegenteil. Ich musste feststellen, dass ich keine positive Wirkung mehr erzielen konnte‘, sagte Lunacek zur Begründung.“ [Quelle]

Der Auftakt
Über zwei Minuten lang Floskeln inklusive „Ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht“, wie das immer bei diversen Bachelor-Varianten, bei Big Brother und ähnlichen Formaten gesagt wird, wenn jemand gefeuert werden soll. Gewöhnlich klappen meine Ohren bei dieser Botschaft sofort zu, weil sie meist ein verläßlicher Indikator für Heuchelei ist.

Ungefähr bei Minute 2:55 britzeln meine Sicherungen. Ich höre etwas über „…das Schöne, das Progressive, das Aufrüttelnde auslösen. Das, was uns zu wachen Menschen macht.“ Ich halte derlei Gerede für das typische bildungsbürgerlicher Karaoke, wenn sich jemand salbungsvoll und selbstergriffen zur Kunst äußern möchte, aber zum Thema nichts Essentielles zu sagen weiß.

Mir sind noch nie Kunstschaffende von Relevanz begegnet, die solche gedrechselten Sätzchen raushauen, denn ganz unter uns: das bedeutet alles und nichts. Frau Lunacek mag für sich denken und empfinden, was ihr beliebt, dagegen gibt es nichts einzuwenden.

Wenn aber die eben noch ranghöchste Kulturpolitikerin Österreichs solche Dinge öffentlich sagt, möge ihr jemand flüstern: Zu solchen Floskeln könnte ich nun auch Gabalier, Kurz, Strache oder sogar Mausi Lugner als Quelle nennen, es erschiene für keinen Moment unglaubwürdig. Das ist sehr flaches Wasser und jeder Maturant, von dem ich sowas zu hören bekäme, erhielte von mir den Rat: „Such dir eine andere Hackn, das mit der Kunst wird bei dir nichts.“

Diese unerträgliche Klischeewirtschaft
Bei zirka Minute 3:27 sagt Lunacek, „Österreich spielt nämlich“, dann stottert sie und beginnt den Satz neu, führt aus: „in der Weltliga des Kunst- und Kulturlebens eine führende Rolle“. Ja, bei so einer Zeile aus einem Operetten-Libretto käme ich auch ins Stottern und würde überdies erröten, meinem Gegenüber so eine Schaumrolle zuzumuten.

Der Künstlersozialversicherungsfonds

Ich lebe jetzt seit über 40 Jahren in der Kunst und genieße Kontakte mit Menschen aus anderen Kulturkreisen. Ich verfolge Kulturdiskurse, nehme selber an welchen teil, lese dazu immer wieder anregende Beiträge. Bedaure, aber ich hab keine Ahnung, was das sein soll, die „Weltliga des Kunst- und Kulturlebens“. Ich fürchte, das ist reiner PR-Sprech in einer durchökonomisierten Lebenswelt.

Leute, ich bin wichtig!
Ab zirka Minute 4:00 redet Lunacek von ihren Netzwerken zugunsten der Kunstschaffenden des Landes. Das meint ja eigentlich Kulturmanagement. Das ist nicht Kulturpolitik. Dafür sollte sie einen leistungsfähigen Stab haben, auch die Verwaltung ermutigen, Lobby- und Netzwerkarbeiten für die primären Kräfte im In- und Ausland zu leisten. Das ist im Grunde nicht erwähnenswert, sondern selbstverständlich.

Dann spricht sie vom Kämpfen und daß sie eine Frau sei, „die immer schon den Mut zu Neuem gehabt hat“. Das sind so Wohlfühl-Phrasen ohne Gehalt. Wort-Container, die man beliebig füllen kann. „Mut zu Neuem“ bedeutet… was? Neu gemessen woran?

Lunacek erwähnt ihr Streiten gegen Grenzen in den Köpfen und Herzen der Menschen. Naja, wer nicht, wenn man einen Beruf wie meinen hat? Erraten: Künstler. Das machen wir dauernd. Ist Voraussetzung und nicht weiter erwähnenswert. Ohne ein Streiten gegen Grenzen welcher Art auch immer hört man auf Künstler zu werden und wird Dekorateur.

Das etwas gruselig umgsetzte „Dahoamsteirern“ wirkt, als hätte es nie einen Diskurs über Volkskultur gegeben. (Quelle: Land Steiermark)

Da verkauft mir jemand warmes Wasser mit dem Hinweis auf die Unique Selling Proposition: „Das Wasser ist naß!“ (Wer hilft mir bitte jetzt, ob solcher provokanten Meldungen meine Contenance an der Kette zu halten, damit sie mir nicht abhaut?)

Breaking News: Das Wasser ist naß!
Diese Botschaft haben wir also entgegengenommen. Dann erzählt Lunacek ausführlich, was sie alles tun wollte. Wollte? Wollte! Ich wollte auch viel tun. Wir alle wollten viel tun. Was erzählt sie uns? Wir waren ja dabei, als es in den Lockdown ging. Geschwafel, Geschwafel, Geschwafel. Sie erzählt mir von ihrem „langen Leben“ und was dazugehöre. Thanx for nothing! Ich hab selber schon ein langes Leben. Das war bisher voller Höhen und Tiefen, mit manchen Verlusten. Ich bin im Bilde!

Lunacek sagt: „Krisenmodus war angesagt“. Plötzlich weiß ich wieder, woher ich solche Posen kenne. Peter Wittmann (SPÖ) war von 1997 bis 2000 Staatssekretär im Bundeskanzleramt und für Kultur zuständig. Bei der legendären Meko 99 in Linz trat er vor uns primäre Kräfte hin und referierte, was er in unseren Konzepten gelesen hatte. (Ich kam mir ziemlich verschaukelt vor.) Siehe zu diesem Stichwort:Linzer Erklärung 1999 (Medienkonferenz Linz 1999: „Kurskorrekturen zur Kultur- und Medienpolitik“)

Hätte, hätte, Fahrradkette!
Lunacek erzählt von ihren drei Wünschen, sagt zirka bei Minute 7:19: „Die Corona-Krise hat ein lange negiertes Problem offensichtlich gemacht. Über Jahrzehnte sind die prekären Verhältnisse, in denen tausende Künstlerinnen und Künstler leben, von allen Vorgängerregierungen ignoriert worden. Nun ist die Existenzbedrohung nicht mehr zu übersehen.“

(Quelle: v@n-site)

Und sie hat das vor der Pandemie anders gehandhabt? Ich zweifle! Claudia Schmied war von 2007 bis 2013 Ministerin für Unterricht, Kunst und Kultur. In ihrer Schublade verrottete eine Studie zur sozialen Lage der Künstlerinnen und Künstler in Österreich. (Nicht die letzte Studie dieser Art.)

Wann stand dieses Thema auf Lunceks Agenda? Das hätte ich ja gerne erlebt. Hätte, hätte… Soweit das also vor der Pandemie der Fall gewesen sein sollte, Lunacek sich dessen angenommen haben sollte, ohne daß es mir aufgefallen wäre, bitte ich um zweckdienliche Hinweise und werde diese Textpassage gerne revidieren.

Dann höre ich von ihr, Österreich würde bezüglich Kunst und Kultur in der Champions League spielen. (Schlechte Metapher! Leistungssport kann für uns im Kunstbereich kein Referenzsystem sein.)

Schließlich das Sezessions-Zitat: „Der Zeit ihre Kunst. Der Kunst ihre Freiheit.“ Da hab ich den Video-Clip abgedreht, denn das geht zu weit! Für einen wie mich lohnt es nicht, solch salbungsvolles Gerede weiter anzuhören. Da hat ja die FPÖ bessere Redenschreiber, um zum Thema Kultur was Interessantes rauszuhauen. Mehr noch, ich empfinde es als Zumutung, daß man mir so einen Satz aus dem 19. Jahrhundert hersagt.

Der Ungar Ludwig Hevesi (1843-1910), dem dieses Zitat zugeschrieben wird, war Feuilletonredakteur des Pester Lloyd, bevor ihn seine Karriere nach Wien brachte. Ich empfinde es als Ärgernis, daß man mir so kommt, um das gehabte Amt zu beleuchten. Lunacek war ein Regierungsmitglied, war kurze Zeit Österreichs ranghöchste Kulturpolitikerin. Sie lieferte mir eine Abschiedsrede, die inhaltlich über Matura-Niveau nicht einmal mit Anlauf hinauskommt.

(Foto: Gryffindor, CC BY-SA 3.0)

Ich habe über den Kunstgeschmack und den Kenntnishorizont von Ulrike Lunacek nicht zu urteilen. Vor allem, weil ich darüber nichts weiß. Aber ich möchte in keinem kulturpolitischen Amt jemanden sehen, der die eigene Perspektive und Kompetenzlage mit einem Stehsatz aus dem vorvorigen Jahrhundert darlegt.

Offenlegung
Meine Rezension der Abschiedsrede von Ulrike Lunacek ist von einem Standpunkt aus formuliert, der sich wie folgt zeigt. Ich frage heute nicht mehr „Was ist Kunst?“, sondern „Wann ist Kunst?“ Wenn es beuyselt, werde ich meist ungemütlich, denn Josef Beuys hat nie gesagt, jeder Mensch sei a priori ein Künstler im Sinn der Gegenwartskunst.

Beuys erläuterte das Zitat „Jeder Mensch ist ein Künstler“ als den Hinweis auf ein menschliches Potential, das man entwickeln und verfolgen kann, was miserable Werke keineswegs ausschließt.

In der Frage nach der Kunstpraxis halte ich es mit Lüpertz. Dem Werk gilt das Ringen um Qualität und Vollendung. Das ist kein Volkssport, kein Unterhaltungsprogramm, keine soziokulturelle Reparaturwerkstatt für gesellschaftliche Probleme. Darum noch einmal Beuys: „Wer nicht denken will, fliegt raus!“

Meine bevorzugte Kunsttheorie ist dieses Konzept einer dynamischen Situation, wie es Boris Groys in „Über das Neue“ dargelegt hat.

+) Abgang Lunacek, Teil 1
+) Ein Feuilleton (Kulturpolitik auf Kunst Ost)
+) Konferenz in Permanenz (Kulturpolitik im Austria-Forum)

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Feuilleton, Kulturpolitik abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.