Zwischen Serbien und Montenegro

Selman sagte: „Man muß es erst können, um zu wissen, was man nicht braucht.“ So geht er über das Selbstportrait hinweg, das 1994 in Düsseldorf entstand, eine frühe Zeichnung, die erkennbar macht, wie er seine Striche in den Raum zu setzen vermag.

Autoportret, Dizeldorf, 1994

Selman Trtovac, Autoportret, Dizeldorf, 1994

Bevor er mir dann die Arbeit zeigte, die wir in Montenegro stattfinden lassen, blätterten wir Fotos durch, die ihn während seines Besuches bei seinem ehemaligen Lehrer Klaus Rinke zeigen.

Ich bin immer wieder beunruhigt, wenn ich sehe, daß jemand – wie Rinke – auf ganz klare, schlichte Formen zurückkommt und das in sehr großer Dimension bewältigt. Unerfahrene Leute neigen zur Ansicht, das sei die einfachere Sache. Ein Irrtum!

Ich hab das zum ersten Mal nachhaltig begriffen, als ich in Madrid, auf der Suche nach Picassos „Guernica“, unerwartet zwischen überdimensionale Arbeiten von Eduardo Chillida geriet. Wie viel Erfahrung auf dem Weg zu Meisterschaft ist nötig, um mit ganz sparsamen Bewegungen eine große Stellungnahme abzugeben!

Ich werde gar nicht erst versuchen, jemandem zu erklären, welche Freude ein einzelner, überzeugender Strich in mir auslösen kann. Diese müßigen Gesten, jemandem eine Station auf einer langen Reise zu erläutern, jemandem, der merklich nicht gesonnen ist, irgendwohin aufzubrechen. Da ist nichts zu erzählen.

Die Maschine

Die Maschine

Anderen muß nichts erläutert werden, die reisen selbst. Man trifft einander gelegentlich an Schnittpunkten der Routen und tausch Erlebnisse, Erfahrungen aus. Das ist es, wovon Kunst sehr wesentlich handelt. Sie ist die Reise selbst im Kontrast zu den Bildpostkarten, die verschickt werden können.

Während ich dies schreibe, ist die Maschine schon auf dem Weg. Heimo wird irgendwo auf der folgenden Route eine Stelle in Montenegro auswählen, wo die Fuhre in Stellung gebracht werden kann, damit die Maschine das aktuelle Stück von Selman abspielt: „Korrelation/Utopie“ (2015)

Wir werden Evidenz herstellen, daß das geschehen ist. Mehr wird danach nicht mehr auffindbar sein. Ich stehe in derlei Fragen seit vielen Jahren unter dem Einfluß von Vilem Flusser und seiner Auffassung, daß jede Schrift verblaßt, verschwindet. Mir selbst fehlt heute jeglicher Ehrgeiz, um Dauer zu ringen.

Heimo beim Testlauf für : „Man muß es erst können, um zu wissen, was man nicht braucht.“ So geht er über das Selbstportrait hinweg, das 1994 in Düsseldorf entstand (Autoportret, Dizeldorf, 1994), eine frühe Zeichnung, die erkennbar macht, wie er seine Striche in den Raum zu setzen vermag.

Heimo beim Testlauf für „Korrelation/Utopie“

Es ist die Reise selbst, die mir vordringlich etwas bedeutet. Sie kann letztlich nur von verwehenden Spuren handeln. Das drückt sich ja auch in unserer Maschine aus, die nur mobil bleibt, wenn sie ständige Wartung erfährt. Jede Karre, die einige Monate unbewegt bleibt, erleidet sofort wachsende Standschäden. Jedes Automobil ist ein eindringlicher Beleg für Entropie.

Wir Menschen sind darin nicht grundlegend anders. Im Physischen gleichermaßen wie im Denken und in den Emotionen ist Stillstand ein schleichender Tod.

Von der Herrschaft der Barbaren wissen wir verbindlich, daß sie Menschen ruinierten, indem sie ihnen sinnloses und physisch erschöpfendes Tun auferlegt haben. Es ist demnach mehr als zweifelsfrei, worum wir Menschen uns bemühen müssen, solange ein Leben dauert. Mehr gibt es dazu eigentlich nicht zu sagen.

Während also Heimo die Maschine nach Montenegro bewegt, werde ich heute mit Selman noch eine Markierung auf der Pancevo-Seite der Donau setzen. Morgen breche ich mit Milan Bosnic in ein ostserbisches Bergbaugebiet auf, um dort die verschwundene Ausstellung zu realisieren.

— [Das Kunstsymposion] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
Dieser Beitrag wurde unter Feuilleton abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.