Schlagwort-Archiv: talking communities

aussichten auf 2011

wogen haben sich geglättet. klarheiten haben sich eingestellt. im ersten halbjahr 2011 werden wir mit dem regionalen april-festival“ unseren hauptakzent setzen. (hier wird unsere kollegin nina strassegger-tipl eine zentrale rolle einnehmen.)

im zweiten halbjahr soll es wieder ein internationaler akzent sein; wenn alles gut geht, erneut in kooperation mit dem festival „steirischer herbst“.

kunsthistorikerin mirjana peitler-selakov bei "labor-übung"

eine eigene kategorie ist der „frauenmonat“, dem „schwerpunkt frauenleben“ gewidmet, den wir weiterführen möchten. diese größeren vorhaben werden quer durch das jahr mit kleineren ereignissen verflochten. hier sollen die „talking communities“ dominieren: reden, reden, reden, bis wir einander kennen.

mit diesem fazit beschrieb mir vor jahren eine türkische künstlerin den ermordeten journalisten hrant dink. wir leben in einer ära, wo weltweit auffallend oft kritische medienleute ermordet werden; vor dem hintergrund, daß der mainstream-betrieb, allem voran das fernsehen, ohnehin jede dialogfähigkeit und diskursbereitschaft der menschen übertönt, zur seite drängt.

also heißt es für uns „back to the basiscs“, abgeleitet aus unserer konferenz in permanenz und aus den bisherigen „kultursalons“. die betonung liegt hier auf realer sozialer begegnung, auf gesprächen und der fähigkeit, seine bzw. ihre gründe zu nennen. (dazu kommen know how-angebote speziell für den kulturbereich.)

einen prägnanten auftakt dessen haben wir gerade im serbischen novi sad gesetzt: [link] das ist zugleich ein hinweis darauf, daß „kunst ost“ nicht nur lokal und regional agiert, sondern auch den austausch mit kulturschaffenden anderer länder sucht und praktiziert.

warum? ganz einfach! einerseits lassen sich die eigenen annahmen und schlüsse ganz gut auf ihre tauglichkeit überprüfen, wenn man deren grundlagen auch mit menschen aus ganz anderen regionen debattiert. andrerseits ist dies ein eu-projekt. die dimension einer eventuell europaweiten relevanz kann ich nicht zuhuse, im eigenen dorf klären oder erreichen.

überdies haben wir ja für den aspekt des „labor-betriebes“ von „kunst ost“ die aufgabe übernommen, kulturpolitische und soziokulturelle grundlagen zu erarbeiten, die sich über die eigene region hinaus als tauglich erweisen sollen. auch dazu ist es unverzichtbar, das eigene bezugssystem gelegentlich zu verlassen. (siehe dazu etwa dieschock-allianz!)

ein moment in sarajevo ...

andere mögen von paris, london oder berlin träumen. wir sind zum schluß gekommen, daß länder wie bosnien oder serbien interessante referenzpunkte ergeben. unsere „kulturen“ verfügen über gemeinsame historische wurzeln. sie waren außerdem mehr als ein halbes jahrtausend jener region zugehörig, in der wien und istambul die absolut normativen instanzen gewesen sind. beograd war dazwischen ein „angelpunkt“ dieses kräftespieles und sarajevo ein vor allem auch kulturelles zentrum von herausragender bedeutung.

lokal, regional, international. ich denke das ist ein angemessener horizont für ein ambitioniertes kulturprojekt. dieser zugang, der nun auf mehrjähriger praxis beruht, rechtfertig gewiß die feststellung: „provinz war gestern!“ und zwar auf jeden fall da, wo uns die dinge gelingen.

was uns zwischendurch mißlungen ist, macht uns zwar keine freude, hat aber einen bescheidenen nutzen im sinne von „fein, daß wir diese fehler abhaken können. nicht nötig, sie zu wiederholen.“

talking communities #2

für mich sind diese schritte als „back to some basics“ angelegt. im data overflow einer dominanten fernsehwelt a la berlusconi, die auch auf die anderen medienbereiche erdrückenden einfluß nimmt, haben wir gute gründe, uns dieser grundlegenden kompetenzen zu versichern und sie konsequent einzusetzen: reale soziale begegnung und diskurs im sinne von „nennen sie ihre gründe!“

ich hatte „im fenster“ unter anderem zur frage gefunden, warum wir das nicht per lautsprecher nach draußen übertragen. nein, es geht um genau diese nähe, wo die mediale reichweite sich aus der physis, aus der konstitution unserer sinne herleitet. im zentrum der stadt, gut sichtbar, präsent, aber nicht an ein größeres publikum adressiert.

zur erinnerung: „broadcasting“, also das prinzip „ein sender, viele empfänger“, war eine grundsituation des faschismus. das personal der tyrannis ist immer bestrebt, die individuell gehaltene kommunikation unter kontrolle zu bekommen. dem gegenüber brauchen wir strategien und praxisformen, „öffentlichkeit“ und öffentliche diskurse erhalten zu können, auch wenn und gerade weil die aktuelle mediensituation das eher zu demontieren scheint.

der schon erwähnte abend in der „art klinika“ [link] bekam noch ein kurioses stück realismus in eben solchen zusammenhängen; auf welche arten nämlich menschen ihre möglichkeiten ausloten, um ein geistiges und kulturelles klima zu sichern, in dem eine zeitgemäße demokratie sich einlösen könnte. das sind ja zusammenhänge, die in meiner auffassung einer “art under net conditions” insofern wichtig sind, als ich stets auch nach den „ungebungsbedingungen“ meiner kunst zu fragen habe.

publizist gregor mayer, versierter kenner der region

es ist mindestens 25 jahre her, daß ich gregor mayer das letzte mal begegnet bin. wir haben seinerzeit in graz gemeinsam an einem zeitungsprojekt gearbeitet, zu dem auch mein „avantouristischer“ kollege emil gruber gehörte. es ist also eine ewigkeit und drei tage her, daß wir einander sahen. nun kam er in der „art klinika“ zur tür herein.

mayer lebt seit den 1980ern in budapest und in beograd, schreibt für blätter wie „profil“ und „der standard“ über jene entwicklungen, die uns in eine neue ära wuchten, von der wir so wenig wissen, welche kräftespiele uns zu welchen ergebnissen führen werden.

wir saßen nachts noch in diesem kleinen lokal, wo man die suppe im kochtopf serviert bekommt. in wenigen tagen wird er nach kairo abreisen, um über die aktuelle lage im irak zu berichten.

ich skizziere diesen hintergrund deshalb, weil er den angemessenen kontrast zur momentanen situation im vordergrund abgibt. es könnte heißen: „der weg der tausend gespräche“. ein weg kultureller und politischer entwicklung im sinne zeitgemäßer demokratie, im sinne eines eintretens für die unteilbarkeit der menschenwürde.

einige sehr wichtige impulse habe ich dazu im jahr 1999 vom damaligen botschafter chiles erhalten. osvaldo puccio hatte meine einladung nach gleisdorf angenommen, um in eine dialog-situation zu kommen, in ungefähr das, was wir heute als „talking communities“ realisieren. wir erörterten seine teils radikalen erfahrungen vor dem hintergrund seiner jahrelangen reisen in die dörfer chiles, um dort mit den menschen ungezählte gespräche, diskussionen zu führen.

tausend gespräche. im sinne der haltung von hrant dink, über den mir von einer türkischen künstlerin erzählt worden ist, er habe ein prinzip verkörpert, das so lauten könnte: „reden, reden, reden, bis wir einander kannten.“ [link]

gregor repräsentiert in seinem metier dieses suchen nach vorläufigen klarheiten, dieses ausloten eines status quo bei gleichzeitigem bemühen um intellektuelle redlichkeit. das sind übrigens einige der grundlagen dessen, was wir uns unter „talking communities“ vorstellen. eine klare gegenposition zur kulturellen „ära berlusconi“.

— [talking communities] —

aktuell von gregor mayer:
Aufmarsch, Die rechte Gefahr aus Osteuropa

talking communities

die „art klinika“ in novi sad ist ein ort, aber auch eine formation; eine gruppe kunst- und kulturschaffender. in den kellerräumen befindet sich unter anderem die „schock-galerie“, ausgangspunkt jener jungen „allianz“, die eben entsteht und die ein materielles wie immaterielles netzwerk ergeben soll: [link]

ich hatte nach meiner session in einem schaufenster in der innenstadt [link] dort gestern einen abend zu fragen künstlerischer praxis: Input. Iz serije „Umetnicke prakse“.

wie sich in der anschließenden debatte zeigte, es gibt für kunstschaffende in serbien zwar „sichtbarkeit“, also zugang zur öffentlichkeit, aber kaum einen markt. und daß in einer post-kriegs-gesellschaft öffentliche budgets für die kunst auf den prioritätenlisten eher weiter unten vorkommen, wird kaum überraschen.

nun handelt meine auffassung von einer “art under net conditions” (“umetnost u uslovima umreženja”) zwar von strategien, die unter eben solche bedingungen zu ergebnissen führen, allerdings in einem generell sehr wohlhabenden land; verglichen mit serbien. im sinne von: wenn ich den markt eher meide und die allgemeine sichtbarkeit der prozesse schon das wesentlichste ereignis ist, was einen lauf der (künstlerischen) dinge angeht, weil die essenziellen aspekte kleineren kreisen vorbehalten sind, welche art kunstfeld läßt sich damit bereiten?

daß die essenziellen aspekte kleineren kreisen vorbehalten seien, meint eine künstlerische praxis, die sich nicht primär an ein massenpublikum oder „die branche“ richtet, sondern sehr viel stärker in der art einer „forschungsgruppe“ und überschaubaren „reisegesellschaft“ funktioniert. („the quest“)

der serbische künstler nikola dzafo

unabhängig davon muß sich freilich ein jahresbudget ausgehen, „to make a living“. aber da bleiben auch fragen offen, wie etwa die nach den optionen für einen künstler wie beispielsweise nikola dzafo, eine schlüsselperson der „art klinika“. dzafo ist primär ein exzellenter maler und findet eben in diesem genre zu keiner passablen marktposition; mangels eines ausreichend potenten kunstmarktes im lande. das äußert sich dann auch in so banalen fragen, wie oft ein bild neu grundiert und übermalt werden kann, da die leinwände ja nicht gratis vom himmel fallen.

— [talking communities] —