Schlagwort-Archiv: annabella dietz

Nennen Sie Ihre Gründe!

Es ist schon so, daß meine verfügbare Zeit momentan kaum für künstlerische Praxis reicht, großteils für Debatten, Entwicklungsarbeit und administrative Aufgaben draufgeht. Es wäre ohne Zweifel angenehm, würde mir ein Teil der mühsamen Dinge abgenommen, um mehr Platz für die künstlerische Arbeit zu lassen. Wäre. Könnte. Würde. Träumereien. Der Status quo fordert uns momentan auf andere Art.

Eva ursprung (ganz links) bei der Session in Schloß Hainfeld

Wir hatten eben dieses von Künstler Gerhard Flekatsch initiierte Arbeitstreffen in Schloß Hainfeld, bei dem wir daran gingen, neue Ideen für eine sinnvolle Kooperation mit Wirtschaftstreibenden zu erarbeiten. Eine „Urbanisierung“ der „Provinz“ wäre ja Unfug, weshalb auch herkömmliche Vorstellungen von Sponsoring uns keinen Meter weiterhelfen.

Das war zugleich der Auftakt zu einer kleinen Ausstellung, an der unter anderem Künstlerin Eva Ursprung beteiligt ist. Wie das in Berufsgruppen so üblich ist, auch wir plaudern unter der Arbeit über die „Hackn“, über den Zustand des Betriebes. In den letzten Monaten wurden wir alle vom Lauf der Dinge ziemlich gezaust. Erschöpfungszustände sind inzwischen Standard.

Ich möchte es noch konkreter ausdrücken: Was die Kommunen und das Land uns innerhalb der letzten zwölf Monate zugemutet haben, war so anstrengend, ich bin in dieser Phase definitiv beschädigt worden. Einer der dümmsten Aspekte daran ist die Tatsache, daß unter sprunghaft ansteigendem Krisendruck viele Leute in Politik und Verwaltung diesen Druck sofort an uns weitergereicht haben, in dem sie ansatzlos alles fallen ließen, womit sie grade noch befaßt waren.

Dadurch sind nicht nur wir Kunstschaffenden individuelle beschädigt worden. Dadurch sind auch schon erreichte, also erarbeitete Ziele den Bach runtergegangen. Aber so ist das eben und einschlägige Klagen können beim Salzamt abgegeben werden.

Harmonischer Gemeinderat; die eklatanten Einbrüche im Kulturbereich sind offenbar niemandem aufgefallen

Ich habe gerade in Gleisdorf eine Gemeinderatssitzung miterlebt und war verdutzt, welche Harmonie da herrschte. Das es im Kulturgeschehen nicht nur der Stadt, sondern der ganzen Region gerade ein veritables Desaster gegeben hat, schien diese Harmonie mit keinem Funken Unruhe zu trüben.

Meine Standardfloskel in diesen Zeiten: Es IST so. Und wir haben es offenbar selbst verabsäumt, während der wenigstens letzten zwanzig Jahren konkret wie mit Nachdruck zu fordern, daß in Politik und Verwaltung ausreichend Leute auftauchen müßten, die per Kompetenz in der Lage wären, zu VERSTEHEN, wovon wir reden. Es gibt sie vereinzelt und wir bekommen keinerlei Streß, diese wenigen gelegentlich zu treffen.

Ansonsten haben wir momentan nicht einmal das geringste Gesprächsklima, das zu angemessenen ÖFFENTLICHEN DISKURSEN führen könnte. Man ahnt, dem Abfassen von Protestnoten messe ich die allergeringste Bedeutung bei. Davon kursieren außerdem längst auffallend viele aus der Szene, deren Amtsdeutsch, deren „Funktionärssprech“ kann ich keine fünf Zeilen weit ernst nehmen; wie sollte es dann jemand in Politik und Verwaltung?

Hainfelds Schloßherrin Annabella Ditz und Kunstsammler Erich Wolf: Ohne eine Praxis des Kontrastes wäre in der Region wohl kaum Boden zu gewinnen

Ich bevorzuge vorerst die Arbeit an einer möglichst detaillierten Darstellung des Status quo, um daraus passende Strategien abzuleiten, Handlungspläne zu erarbeiten und loszulegen. All das, wie angedeutet, von öffentlichen Diskursen begleitet. Da wie dort muß es heißen: „Nennen Sie Ihre Gründe!“

Ich mißtraue jenen, die sich darin bedeckt halten, egal, in welchem Lager sie stehen.

verbreiterung

ich habe kürzlich erzählt, daß wir von hier aus nach süden eine kooperation entfalten. künstler gerhard flektsch (verein „bluethenlese“) und schloßbesitzerin annabella dietz (schloß hainfeld, nahe feldbach) gehen mit uns in einigen arbeitsansätzen d’accord. siehe dazu: „verdichtungen“!

nun habe ich ein ausführliches arbeitsgespräch mit kulturwissenschafter günther marchner („consalis“) hinter mir. marchner ist ein langjähriger und profunder kenner der initiativen-szene. er arbeitet teils auf der meta-ebene, aber auch an der basis. wir haben nun übereinkunft, eine themenstellung gemeinsam zu bearbeiten und die aktivitäten dazu in einem wechselspiel zwischen obersteiermark und oststeiermark zu realisieren.

es geht im kern um VERGESSENES WISSEN, also um jene kompetenzen, die in regionen noch vorhanden, aber teils verschütt gegangen sind. dabei sehen wir praktische möglichkeiten, unsere kulturellen fragestellungen einerseits im kunst-kontext zu bearbeiten, andererseits an unternehmen der regionen heranzuführen und sie drittens auch auf der meta-ebene zu bearbeiten.

kulturwissenschafter günther marchner ist u.a. seit jahrzehnten mit theorie und praxis der initiativen-szene befaßt

der „kunst ost“-modus „zwischen grundlagen, alltagspraxis und kunst“ bewährt sich ja zunehmend. mit diesem aspekt von wissensmanagement, den marchner nun schon eine weile bearbeitet, sehen wir eine gute möglichkeit, die verschiedenen genres und themenstellungen stärker miteinander zu verweben.

wir haben konsens, daß im kern eine betrachtung des wechselspiels zwischen agarischer welt und industrialisierter welt jene kräfte sichtbar macht, denen auch das kunstgeschehen ausgesetzt ist, respektive in dem ein kunstgeschehen jenseits des landeszentrums überhaupt erst raum und ressourcen findet.

ich habe in diesem zusammenhang nun viele jahre das denkmodell von den „drei sektoren“ forciert, in dem staat, markt und zivilgesellschaft zu kooperationen finden mögen. das ist vor allem im projekt-logbuch nachzulesen, etwa 2007: [link], 2008: [link] etc., aber auch an etlichen anderen stellen der dokumentation unserer laufenden arbeit.

wir sehen uns, was anregungen betrifft, auch immer wieder in anderen ländern um. so haben wir einen wichtigen aspekt des regionalen kunstgeschehens durch erfahrungen von kulturschaffenden in irland besser zu differenzieren gelernt. sprachregelung und inhaltliche dimensionen der „voluntary arts“ sind uns in belfast greifbar geworden: [link]

aktuell haben wir in kanada eine interessante korrespondenz mit unseren zugängen entdeckt. simon brault „is both a member of Canada’s cultural establishment and an iconoclast dedicated to its reimagining.“ eine sehr interessante position! zu braults funktionen zählt auch jene des „chairman of Culture Montreal, a grassroots organization that over the last decade brought together governments, business, and Montreal’s arts community to design and pay for a cultural renaissance in the city.“ [quelle]

der kanadische kulturschaffende simon brault (foto: maximecote)

da wurde ich natürlich sehr hellhörig: eine basis-organisation, die während des letzten jahrzehnts regierung, geschäftswelt und die kunst-community von montreal zusammengebracht hat, um eine kulturelle wiedergeburt der stadt zu entwerfen und zu bezahlen. das ist also offenbar ein großes praxismodell der kooperation jener drei sektoren, von denen ich hier seit jahren rede.

noch eine spezielle passage in jenem interview mit brault hat mein spezielles interesse geweckt: „A lot of the arguments that were made against the arts cuts were quite self-serving or defensive, without regard for consequences for Quebeckers and Canadians outside of the community.„ das kommt mir doch sehr vertraut vor.

simon brault konstatiert: „keine kultur, keine zukunft“

ich übernehme hier braults statement „no culture, no future“, das mit dem weißen kreuz auf schwarzem feld auch ein zeichen erhalten hat. ich denke, wir werden in unserem umfeld diesen überlegungen von simon brault noch ausführlicher nachgehen…

verdichtung

egal, wie knapp das geld ist, ohne buchhaltung geht da gar nichts. oder aber: gerade bei knappen budgets ist der laufende überblick unverzichtbar. ich bin ein geborener tabellen-legastheniker, was bedeutet, die arbeit mit diesen bürokratischen belangen geht mir sehr schlecht von der hand. ich bin dabei langsam, erleide schweißausbrüche, kurz, ich stehe unter vollstress, wenn ich ein budget ordnen soll.

obfrau mirjana peitler-selakov ist eine exzellente mathematikerin und somit ein unerbittliches prüforgan meiner bescheidenen leistungen im rechnungswesen

zugleich habe ich natürlich große freude daran, a) zu erleben, daß wir ein projekt ökonomisch nicht in den sand gesetzt haben und b) zu erleben, daß die aufzeichnungen ausgeglichene konten ergeben. allein das abenteuer der tippfehler-suche in excel-dateien gehört zu den mutproben meines alltags, die ich nicht gar so oft haben mag.

auch andere arbeit trägt feine früche. so hat nina strassegger-tipl eben das layout von folder und plakat für unseren „frauenmonat“ geliefert. nun sind die drucksorten da. mit „FMTechnik!“ gehen wir in einen neuen abschnitt der inhaltlichen arbeit: [link] damit wollen wir in naher zukunft den bereich der technischen welt in der region ausloten.

nina strassegger-tipl hat die drucksorten für unseren „frauenmonat“ gestaltet

die arbeit an den aktuellen schritten bezüglich „agrarische welt“ ist nahe dem finish des ersten abschnittes. hier sind wir als trio tätig, mit mir wirken daran noch der tierarzt karl bauer und der künstler christian strassegger.

dazu hat sich nun die konkretiseierung einer weiterführenden idee ergeben. mit dem maler gerhard flekatsch habe ich schon eine weile kontakt. der initiator des vereins bluethenlese verbindet sein kulturelles engagement nicht nur mit gegenwartskunst, sondern auch mit historischen bezügen. eine leidenschaft, die wir teilen; speziell auch auf den autor und orientalisten joseph von hammer-purgstall bezogen, welcher in der oststeiermark einen wohnsitz hatte. genauer: im schloß hainfeld bei feldbach: [link]

mit der frage nach "ost-west-verhältnissen" befaßt: der maler gerhard flekatsch

dieses schloß hat eine besonderheit: seine besitzerin, annabella dietz, setzt nicht auf tourismusträchtige repräsentationskultur, sondern ringt nun seit einigen jahren um klarheit über einen weg, der dem ort UND seiner kulturgeschichtlichen relevanz gerecht wird.

das ist ein faszinierender prozeß, weil er von einem verständnis der dinge und einer kenntnis der hintergründe handelt, die weit übersteigt, wozu sich zum beispiel herkömmliche tourismus- und regionalmanagements üblicherweise aufraffen.

kunsthistorikerin mirjana peitler-selakov (links) und juristin annabella dietz

wir sind uns nun einig, daß wir eine längerfristige kooperation entwickeln und umsetzen möchten, denn da ist konsens in einigen sehr wesentlichen betrachtungsweisen beim blick auf regionalgeschichte und regionalentwicklung. das ergibt in summe eine idee von kulturellen agenda, innerhalb derer auch die gegenwartskunst einen sehr angemessenen bezugsrahmen erhält.

denkt man das nun zusammen mit der tatsache, daß dietz sich für einen ausbau ihres betriebes als bäuerliche landwirtschaft entschlossen hat, ergeben sich mit ihr und dem künstler flekatsch sehr viele schnitt- und berührungspunkte.