Tesserakt: Das Erzählen als Verfahrensweise

Ich hab in „Die Sache mit den Quanten“ etwas notiert, was sich auch auf die Kunstpraxis umlegen läßt, in der Wissenschaft Relevanz hat und auch in der Wirtschaft nicht ignoriert werden sollte.

Wie und wodurch gelangt man hinter den nächsten Horizont?

Es ließe sich so zusammenfassen: ein kompetenter Umgang mit dem Nichtwissen. Versierte Leute werden mir sicher bestätigen, daß man jedem Vorhaben schadet, wenn man Wissensdefizite überspielt, kostümiert, tarnt.

In meinen Notizen zum Thema „Die Ehre des Handwerks“ habe ich es mehrfach betont. Wer gute Fragen stellt, erweist sich als taugliche Kraft. Gut, manchmal ist Nichtwissen Stoff für eine Blockade, oft aber auch der Rahmen für eine Art von Ahnung, dank derer man hinter den nächsten Horizont gelangen könnte.

Die erwähnte Notiz lautet: „Wir können es nicht wissen. Wir können es nicht sehen. Wir können nicht darauf zugreifen. Und dennoch ist daran etwas Erfahrbares, unbedingt aber Erahnbares. Wir können damit einen Umgang haben.“ [Quelle]

Mit erfahrenen Leute brauche ich das Ob nicht debattieren, aber ein Wenn-dann kann uns durchaus gemeinsam beschäftigen. Wer sich da die Ärmel aufstrickt und mit einer Macher-Pose losmarschiert, läuft höchstwahrscheinlich auf einer Schleife vertrauter Denkweisen weiter im Kreis.

„Wissenschaft hat nichts mit Wahrheit zu tun.“

Wenn ein Buddhist mir sagt „Aus dem Nichts entsteht das Neue“, weiß ich es so zu deuten: Ich muß von meinen vertrauten Vorstellungen Abstand gewinnen und ich sollte beiseite räumen, was ich schon zu wissen glaube. Erst in diesem Absehen von bestehendem Wissen und wohligen Gewißheiten vermag etwas Neues ausreichend Platz zu finden.

Das ist keine Domäne des Buddhismus. Michael Narodoslawsky vom Institut für Prozess- und Partikeltechnik (TU Graz) hat uns 2012 im Rahmen einer Dialogveranstaltung von Kunst Ost verdeutlicht, wovon er auszugehen pflegt. Er meinte damals: „Wissenschaft hat nichts mit Wahrheit zu tun.“ Was ist sein Ausgangspunkt? „Wir versuchen das, was die Leute vor uns gefunden haben, zu widerlegen.“

Narodoslawsky kommt dann auf einen sehr wesentlichen Punkt: „Das bedeutet, was ich heute finde, ist mit Sicherheit falsch.“ Wissenschaft ist demnach „eine Form der Auseinandersetzung nach bestimmten Regeln mit der Realität“. Nachzuhören in meinen Tondokumenten von dieser Session: „Leben: Die Praxis der Zuversicht“ [Link]

„Ein guter Designer muß mir den Chip erzählen können.“

Dazu paßt, was mir die Erinnerungsmaschine von Facebook heute aus dem Stapel gezogen hat. Ich hab in der Notiz „Strategie und Transzendenz“ Mirjana Peitler-Selakov erwähnt, Functional Safety Expert bei Infineon Technologies und hochkarätige Mathematikerin. So wurde ich an eine Notiz erinnert, in der folgende Passage vorzüglich zum Thema paßt.

Zitat: „Der alte Modus in einer Chipentwicklung steht unter dem Stichwort Requierement, also Erfordernis. Befehle definieren und ausführen. Das ergibt einen Befehlskatalog. Eine Liste yon ‚You shall!-Anweisungen‘. Im Chipdesign werden Anforderungen (bezüglich der Funktion) über Anweisungen abgearbeitet. Peitler meint, diese Verfahrensweise käme aus einer einstmals zu engen Spezialisierung, die man heute aufbrechen müsse. Sie sagt: ‚Ein guter Designer muß mir den Chip erzählen können.‘ Der neue Ansatz ist auf die Möglichkeit ausgerichtet, enorme Komplexität zu bewältigen, indem man eine Erzählung entwickelt, durch die man einen Flow erreicht. Um mit diesen größeren Zusammenhängen fertigzuwerden, müßten die zuständigen Leute ihr Selbstverständnis und ihr Berufsbild verändern.“ [Quelle]

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Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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