volkskultur III

ich stelle hier überlegungen zur debatte, die sich zum teil auch auf andere genres in kunst und kultur umlegen lassen. wer an sozialprestige gewinnen will, wahlweise ein genre bewirtschaften möchte, um profit zu lukrieren, braucht dazu kriterien, etabliert zuschreibungen, bedient hierarchien. es geht um rangordnungen, in denen man selbst natürlich gut, also weit oben, plaziert sein möchte.

graphik: cover von „frisierkunst der mode“, august 1936

das musikgeschäft ist in der frage nach dem volkskulturbegriff sehr anschaulich, weil da einerseits mit manchen produkten unvorstellbare geldbeträge bewegt werden, andere formen kaum eine breitere öffentlichkeit finden. ich hab bezüglich volkskultur in der einser-glosse gefragt, was mit der verwendung dieses begriffes gemeint sei:

a) ein sozialer und sozialgeschichtlichen zusammenhang?
b) ein künstlerisches genre?
c) ein vermarktbares produkt der unterhaltungsindustrie?

mit dem bereich a) meine ich jene formen, die von menschen entwickelt und gepflegt wurden, ohne sich dabei von zuschreibungen aus anderen positionen behelligen zu lassen. also ein kultureller bereich, der sich selbstbestimmt entfaltet hat, wo menschen ihre kulturellen bedürfnisse lebten, ohne dabei zurufe von höhergestellten personen zu berücksichtigen. (solche nischen gibt es auch heute noch.)

mit dem bereich b) meine ich jene ursprünglich lokal und regional traditionellen formen, die von einem bildungsbürgertum bis heute bereinigt, geordnet und verwaltet werden, wahlweise von einer art der „traditionsschützer“ gegen „unreine“ formen abgesichert werden. daraus entstanden zum beispiel kulturelle gepflogenheiten, bei denen sich „sachkundige leute“ mündel zum bevormunden suchen. das ergab ein eigenes genre mit unbestreitbaren künstlerischen qualitäten. es wurde aber der bereich a) bloß als quelle genutzt.

mit dem bereich c) meine ich jene formen, die sich einer jungen massenkultur verdanken. sie werden über massenmedien und großveranstaltungen angeboten, folglich von einer unterhaltungsindustrie gepflegt und bewirtschaftet. weder a) noch b) sind in diesem sinn massentauglich, obwohl sie macnhmal in diesem zusammenhang kurz auftauchen.

etwas verwirrend, wenn wir dabei mischformen berücksichtigen und akzeptieren. als beispiel: ein produkt der unterhaltungsindustrie KANN keine volkskultur im ursprünglichen sinn sein, weil die völlig andere bedingungen und zusammenhänge hat. (massenmedien und große bühnen sind logischerweise keine mittel einer früheren volkskultur, weil es sie nicht gab.)

massenprodukte werden heute aber von breiten bevölkerungskreisen geschätzt. menschen, die das mögen und dabei zurufe von außen – etwa fachdiskurse – völlig ignorieren oder aktiv ablehnen, genießen das, was etwa als „kommerz“ etikettiert wird.

so gesehen liegt in exponenten wie andreas gabalier oder dj ötzi eindeutig ein „volkskultur-potential“, das aber als eigenes genre mit den älteren bereichen a: „ursprünglich“ und b: „echte volkskultur“ völlig unvereinbar ist.

doch selbst dieses „gabalier-ötzi-genre“ hat schon wenigstens 100 jahre geschichte hinter sich. grammophon, kino und radio haben die wege bereitet… (facebook-notiz vom 18.5.21, origami ninja association)

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
Dieser Beitrag wurde unter Feuilleton, Kulturpolitik abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.