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kunst? kannst’ knicken!

kunst ist nichts für dientboten, für untertanen. die domestiken sollen was arbeiten! (die kunstschaffenden eigentlich auch.) wie viele menschen würden jetzt zustimmend nicken? wie viele menschen halten sich selbst tapfer auf dem level früherer dienstboten? das muß einem in einer demokratie natürlich frei stehen.

wie viele ausflüchte kenne ich inzwischen von menschen, die eine befassung mit gegenwartskunst ausschlagen? ich könnte ein buch damit füllen. zu den standards zählt die vorhaltung, das sei alles zu elität, zu abgehoben, würde vom großteil der menschen nicht verstanden werden. staunen? fragen? lesen? nein, nicht jene, die heute noch einem kaiser oder anderer führern danken würden, daß sie wenigstens lesen, schreiben und rechnen lernen durften.

verleger reinhard wernbacher demonstriert auf dem kaffehaus-tisch das format für unser zeitschriften-projekt

aber kunst? meine lieben, das würde einem womöglich die zeit vor den tv-gerät unzulässig verkürzen. kleiner einschub: verleger reinhard wernbacher gibt eine regionalzeitung heraus, „die oststeirische“: [link] es ist für den großteil seines publikums duchaus gewöhnungsbedürftig, dabei auch imnmer wieder ausdrücklich mit dem thema gegenwartskunst in berühung zu kommen.

nun geghen wir einen schritt weiter und diskutieren die pilot-ausgabe einer kunstzeitschrift für die region. wir möchten herausfinden, was passiert, wenn wir mit dem thema einmal breiter unter die leute gehen. im großen format. das demonstrierte er mir auf einem kaffehaus-tisch. ich habe inzwischen schon eine zusage von graphic novelist jörg vogeltanz [link], der ein grafisches gestaltungskonzept erarbeiten würde, das seinerseits einen visuellen beitrag zum thema ergäbe.

graphic novelist jörg vogeltanz (links) im selbstportrait, als figur in einer seiner geschichten

zurück zum ausgangspunkt dieses eintrags, der neigung vieler menschen, die befassung mit gegenwartskunst auszuschlagen. so bekennen sich unzählige leute zur tradition der untertanen. aus neugier und aus neigung eine andere sprache zu erlernen, mit anderen codes vertraut werden, seine horizonte aufzureißen, um in das staunen zu gehen, zu fragen (achtung! philosophiegefahr!), die eigene wahrnehmung durch neue erfahrungen zu verfeinern, das ist wirklich nichts für dienstboten.

wir haben heute zwar in diesem wohlhabenden land erhebliche probleme, ganze generationen mit einem adäquaten bildungsstatus auszustatten. es fehlt an grundkenntnissen, es mangelt an fachpersonal und die akademischen kreise lassen uns allgemein ratlos darüber, daß der uni-betrieb so viel kostet, aber so schwache ergebnisse zeigt.

deshalb müssen aber wir noch lange nicht mehr augenmerk auf das kulturelle klima dieses landes werfen. wo kämen wir hin, wenn wir etwa der kunst und deren derivate mehr stellenwert beimessen würden? das kostet ja. zeit und geld. und leidenschaft.

über kunstwerke reden: kunsthistorikerin mirjana peitler-selakov vor einer arbeit von ulla rauter

ich weiß schon, was ich selbst predige: die kunst ist die kunst und sie ist nicht dazu da, soziale probleme zu lösen. aber die BEFASSUNG mit kunst führt zu erlebnissen, erfahrungen, kompetenzen, die wir im gemeinwesen dringend brauchen. so hängt die sache nämlich zusammen.

außerdem führt die befassung mit kunst zu vergnügungen, die genau NICHT den fragen der alltagsbewältigung gewidmet sind. und das ist offenbar so frivol, da winken abertausende menschen ab, verbeugen sich noch vor dem verbliebenen schatten der herrschaft, den wir nachfahren der untertanen offenbar nur schwer abschütteln können.

einst wußten fürsten und bischöfe ganz genau, warum sie den pöbel lieber auf dem feld schuften oder bei anderen arbeiten sich abrackern sahen, als sich mit kunstwerken und schließlich mit sich selbst zu befassen. (das haben sie ihresgleichen vorbehalten.)

es ist natürlich kein zufall oder eine leere phrase, daß wir mit dem projekt „kunst ost“ eine „soziokulturelle drehscheibe“ etabliert haben, die zwar im kern der gegenwartskunst gewidmet ist, sich aber eine wesentlich komplexere aufgabenstellung vorgenommen hat.

ich hab im vorigen eintrag [link] skizziert, wie wir uns lokal/regional um eine kooperationsbasis mit politik und verwaltung bemühen, damit a) verstanden wird, was wir tun, warum und wie wir es tun, damit b) das engagement für ein anregendes kulturelles klima eine breitere basis bekommt.

das muß uns auch mit leuten aus der wirtschaft besser gelingen. sie bemerken den feinen unterscheid? nicht die kunst soll störker mit witrschaft, verwaltung und politk verzahnt werden, sondern das kulturelle engagement.

brisanz und idylle

wir haben von unserem ersten „tag der agrarischen welt“ vor allem dieses motiv mitgenommen: ernährung ist das große geschäft der zukunft. international tätige companies kaufen schon heute riesige flächen auf. das wird abhängigkeiten in ganz neuem ausmaß hervorbringen.

wir werden von der geschäftswelt mit idyllischen bildern verwöhnt, was den blick darauf verstellt, daß sich schon jahrzehnte eine bipolare anordnung durchgesetzt hat, in welcher die bäuerliche landwirtschaft gegenüber der industriellen landwirtschaft den völligen nachrang hinnehmen muß. die dominante agrar-industrie verkauft uns ihre produkte vorzugsweise mit werbebildern, die sozusagen der bäuerlichen landwirtschaft heruntergerissen wurden.

tierarzt karl bauer wuchs in der agrarischen welt auf

ich hab diese zusammenhänge gerade erneut mit tierarzt karl bauer debattiert. wir sind uns einig, daß wir diesen themenkomplex für unsere kulturellen vorhaben erschließen wollen. es ist ein feld radikaler zusammenhänge, die unser aller leben erreichen; in jedem winkel der welt.

in den letzten fünfzig jahren ging in österreich – bei steigendem überfluß – die zahlt der menschen, welche in der landwirtschaft tätig sind, von 21 auf 3,9 prozent zurück. bei gleichbleibenden flächen hat die anzahl der landwirtschaftlichen betriebe laufend abgenommen. (das bedeutet: vergrößerung und rationalisierung vieler betriebe.)

der produzenenseite steht gegenüber: hierzulande wird der gesamte lebensmittelmarkt von genau drei konzernen kontrolliert. spar hat sich 29,5 prozent des marktes erarbeitet, rewe rund 31 prozent und hofer zirka 20 prozent. das bedeutet, etwa 80 prozent des lebensmittelmarktes sind in der hand von bloß drei international tätigen companies.

georg keuschnigg in „forum land“, ferbuar 2011

das läßt die fragen nach ernährungssicherheit und ernährungssouveränität einigermaßen brisant erscheinen. hier muß die rede von verfügbarkeit, qualität und preisen der nahrungsmittel sein. wenn man darüber nachdenkt und wenn man einrechnet, daß steigende energiepreise ein hauptereignis sind, um den agrarischen markt zu beeinflussen, wenn ich dann noch über das transportwesen, über verkehrskonzepte und regionale strukturprobleme nachdenke, dann wird sofort deutlich, was diese dinge mit den möglichen themen der „energie-region“ zu tun haben.

übrigens! „forum land“ (die zeitung für den ländlichen raum) titelte auf dem cover der ausgabe ferbuar 2011: „gemeindefinanzen: kippt der ländliche raum weg?“ der individualverkehr wird immer teurer, der öffentliche verkehr wird merklich reduziert. die neue landflucht ist längst realität. ganz klar, daß sich in der befasung damit auch soziokulturelle aufgabenstellungen abzeichnen. und diese ergeben ferner einladungen an kunstschaffende.

verleger reinhard wernbacher ist gelaunt, sich in das kulturprojekt einzubringen

ich habe also mit karl bauer und einigen anderen leuten konsens: das ist eine große themenstellung, die wir uns schrittweise, in einzelnen veranstaltungen und mit der konzentration auf teilthemen, erschließen möchten. dazu diskutiere ich nun auch die arbeit an einem buch, das uns gewissermaßen zu diesem thema führt und welches interessierten laien eine grundlegende orientierung bietet. das findet verleger reinhard wernbacher recht interessant. vor allem, weil wir einige grundlegende themenaspekte und speziell regionale zusammenhänge bündeln möchten.

das läuft übrigens auf einen weiteren schritt in dem hinaus, was mir als kulturelle option vorschwebt: die region erzählt sich selbst, indem die menschen, die hier leben und arbeiten ihre stimmen erheben: mit ihren jeweils bevorzugten mitteln und medien.

— [tag der agrarischen welt 2011] —
— [april-festival 2012]  —