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was ist kunst? #9

die dinge sind nicht bloß was sie sind, sondern stets auch etwas anderes. ich weiß, das kommt jetzt ein wenig floskelhaft daher. als kinder hatten wir manchmal magischen gegenstände in den händen. dazu zählten „wackelbilder“. es waren meist kleinere blättchen, die einen wechselnden inhalt boten, wenn man den blickwinkel leicht verschob. (bilder hinter sogenannten lenticularfolien.)

diese art „wackelbilder“ sind heute längst von anderen visuellen sensationen übertroffen, werden aber immer noch erzeugt. dazu schreibt ein anbieter über den „flip-effekt“ etwa: „Die Erzeugung von äußerst effektvollen Bildabfolgen ist möglich.“

ich erinnere mich an kindertage, in denen ein fernsehgerät noch nicht zum obligaten inventar eines haushaltes gehörte. da war der eindruck solcher wechselbilder natürlich in einen anderen zusammenhang gebettet als gegenwärtig, wo unser vermögen, visuelle codes zu entschlüsseln, mit inputs vollgestopft ist wie nie zuvor in der menschheitsgeschichte.

mit „vexierbildern“ verhält es sich ähnlich wie mit „wackelbildern“. sie verlangen allerdings, daß der „flip“ im kopf passiert. man muß sie nicht unbedingt bewegen, um den „zusätzlichen“ bildinhalt zu entdecken. solche kuriositäten sind in der kunst wenigstens seit der renaissance erhalten. in meiner kindheit waren „suchbilder“ sehr populär. da sind im vordergründig offensichtlichen bildinhalt noch andere motive versteckt gewesen, die man suchen mußte. eine frage des „flip“ im kopf.

dieser „flip“ im kopf, ich sehe rückblickend, daß solche simplen vergnügen, in wackel- und suchbildern kleine überraschungen zu finden, grundlegende erfahrungen waren, die mich lehrten, kunstwerke zu „lesen“; also die visuellen codes zu entschlüsseln und zu verstehen.

derlei möglichkeiten der verborgenen inhalte finde ich natürlich auch in anderen codes, nicht bloß in den bildwelten. in einer polemisch verkürzten deutung des möglichen unterschiedes zwischen kitsch und kunst ließe sich behaupten: im kitsch ist nichts zusätzliches verborgen. er erzählt bloß sich selbst.

nun hat für mich jahrzehntelange künstlerische praxis zu einem kuriosen effekt geführt. die ganz welt ist mir zu einem „vexierbild“ geworden. je ausdauernder ästhetische erfahrungen sich auswirken dürfen, desto zwingender werden mir solche sichtweisen. vielleicht besagt das ja auch bloß, daß ich reichlich geübt habe, auf einer sehr breiten skala von tiefenschärfe den fokus beliebig zu verschieben.

metapherngeschäfte! ich erzähle hier nicht die welt und nicht die kunst. das sind bloß reflexionen und denkanstöße. meine erfahrung besagt: das leben in der kunst wird so zum „dauerzustand“. ich würde diesen blick auf komplexität, diese neigung vexierbilder zu lesen, um nichts mehr aufgeben.

würde ein einziges bild für eine ausstellung genügen? (von links: die fotografen andreas turk, richard mayr und franz lukas)

tiefenschärfe und komplexität. das verlangt keineswegs, sich so auch in einem werk zu zeigen. radikale reduktion kann die richtige antwort auf eine bestimmte fragestellung sein. ich habe das gerade in einem laufenden prozeß diskutiert, wo ein leidenschaftlicher fotograf auf eine ausstellung zugeht und dazu tendiert, dort bloß ein einziges bild zu zeigen. es gab kurz die überlegung, wie ein publikum das wohl aufnehmen würde.

das führte zu einigen ausführlichen erörterungen. im allgemeinen wird kunstschaffenden manchmal vorgeworfen, daß sie sich dem publikum andienen würden. wenn sie sich aber bei der arbeit einen gedanken an das publikum verbieten, kann das ebenso zu vorhaltungen führen.

das handelt vor allem einmal von der vermischung verschiedener jobs. die aufgaben der KUNST sind heute ja ganz andere als die aufgaben der KUNSTVERMITTLUNG. was also in der kommunikation nach innen geschieht, hat andere zusammenhänge als die kommunikation nach außen, fordert einen, ganz unterschiedliceh aufgaben zu erfüllen.

ich kenne aus der regionalen kulturarbeit kreative leute, die eine befassung mit all diesen zusammenhängen entweder ablehnen oder in ihrer arbeit weitgehend vermissen lassen. kein einwand! aber ich kann jemandem nicht folgen, der so eine position hält und sich dennoch unter die flagge der gegenwartskunst reklamiert …

[überblick]

zwischenstände

was geschieht zur zeit? na, so allerhand. eben hatten wir eine weitere station der „talking communities“: [link] tom tipu pono und renate buchgraber vom projekt „:freie galerie:“ fanden sich zu einer debatte ihrer konzeptionellen grundlagen ein. das in graz ansässige galerie-projekt wird – von einigen kühnen annahmen über den kunstbetrieb ausgehend – nun aus der webpräsenz in eine zusätzliche ereignis-zone im realraum überführt.

tom tipu pono und renate buchgraber vom projekt „:freie galerie:“

einiger anlaß, einschätzungen und aussichten zu debattieren. davor hatten wir ein bemerkenswertes arbeitsgespräch mit meinen “drei tenören”, die freilich nicht singen, sondern ein ungewöhnliches projekt-trio ergeben, in dem eine reflexion über unseren lebensraum zu einem gemeinsamem fotografischen statement führen wird.

da war der moment, in dem franz lukas kopfschüttelnd sagte: „je mehr ich über meine letzten aussagen nachdenke, desto mehr entferne ich mich davon. ich fange wieder bei null an.“ das hat uns amüsiert und es war ihm vermutlich in dem augenblick gar nicht klar, wie sehr genau das, diese radikale bereitschaft, vorläufig erreichtes zu verwerfen, oft ein wertvolles fundament künstlerischer praxis ist. eine unverzichtebare art von produktivem zweifel.

das trio im radikalen kontrast: richard mayr, andreas turk und franz lukas

lukas sagte, es werde seine arbeit vermutlich darauf hinauslaufen daß er nur ein einziges bild zeige, in dem sich der prozeß verdichte. ich wünschte, er würde gute gründe finden, sich von dieser konsequenten konzentration nicht abbringen zu lassen. wir haben also im set nun den „buddhisten“ (lukas), den „praktikanten der kontraste“ (turk) und den „zeitreisenden“ (mayr).

von links: das gleisdorfer kultur-team alois reisenhofer, sigrid meister und winfried kuckenberger

andere session, anderes trio. gleisdorfs kulturreferent alois reisenhofer, kulturbüro-leiter winfried kuckenberger und „MIR“-kustodin sigrid meister in einer debatte mit uns, wo es denn nun regional/kulturell weitergehen könne und wovon allenfalls eine weiterführende kooperation zwischen “kunst ost“ und der stadt gleisdorf handeln könnte.

jungejunge! das sind frostige zeiten. und irgendwie ist in der region so allerhand schaden entstanden; genauer: in der regionalpolitik. das hat aber vielleicht auchn sein gutes. der status quo legt uns behutsame schritte nahe. achtsame prüfung der möglichen vorhaben und der fragen, was dabei das zeug zum konsens hat.

neben all dem erreicht mich einige unruhe anläßlich des buches über den „fall herberstein“, das nun erscheint. ich habe daran als sekretär von autor heinz boxan mitgearbeitet. dadurch haben wir bei „kunst ost“ die basis-finanzierung für das erste quartal 2011 erwirtschaftet: [link]

boxan stand mit andrea herberstein, die sich notorisch „gräfin“ nennen ließ, vor gericht. beide wurden für die verübten betrügereien verknackt; boxan zu bedingten, herberstein zu unbedingten strafen. das buch erscheint in kürze, denn für den 17. februar wird das gerichtsurteil der zweiten instanz erwartet: [link]

ich erhalte inzwischen schon manche zuschrift, die mir „andere blickwinkel“ zum casus quasus anbietet. alles sehr interessant, denn es illustriert, was noch heute populäre auffassungen von regionalentwicklung sind, welche sich auch die falsche „gräfin“ nutzbar machte. ich bin sehr neugierig, was ich in der angelegenheit noch erfahren darf …

— [kunst.rasen] —

aviso: ungleich/ist gleich

Als versierte Unternehmer repräsentieren sie ein Stück des Gedeihens dieser Region: Franz Lukas ist Handwerker, Richard Mayr Apotheker und Andreas Turk Ingenieur. Damit verkörpert das Trio symbolisch die Planung, die Herstellung und den Handel.

Das ist freilich nicht die einzige Weise, in der diese sehr unterschiedlichen Männer hier zu einander in Beziehung gesetzt werden. Jeder von ihnen ist ein exzellenter Fotograf. Ihre bevorzugten Modi, dieses künstlerische Medium einsetzen, sind so kontrastreich wie ihre Lebensgeschichten.

von links: andreas turk, richard mayr und franz lukas

So war es reizvoll, Lukas, Mayr und Turk für einen Prozeß zu gewinnen, in dem eine komplexe Aufgabenstellung zu einem gemeinsamen Ergebnis, einem gemeinsamen Statement führen soll. Dabei entstand der Auftakt einer Reflexion über das Leben in der „Energie-Region“.

Daraus ergibt sich ein Ensemble von visuellen Äußerungen gemäß der Vorstellung von Künstler Martin Krusche, die besagt: Falls diese Region eine Erzählung wäre, dann könnte sie sich selbst erzählen, wenn die Menschen, die hier leben und arbeiten, ihre Stimmen erheben, indem sie dabei ihre bevorzugten Kommunikations- und Gestaltungsmittel einsetzen.

Das wäre „Poiesis“, also Poesie, in einem sehr grundlegenden Sinn. Lukas, Mayr und Turk setzen das nun in einer gemeinsamen Ausstellung fotografischer Arbeiten um.

Ausstellung: „ungleich/ist gleich“
Franz Lukas, Richard Mayr und Andreas Turk
(im Dialog mit Martin Krusche)
Eröffnung: 14.4.2011, 19:00 Uhr
Gleisdorf, Ingenos

— [ein beitrag zum april-festival 2011] —

veränderung … schafft unruhe

es hat an einigen stellen merkliche unruhe in die „kreative basis“ der region gebracht, weil die botschaft angekommen ist: wir sind keine kulturelle service-stelle, die einer handvoll leuten jahr für jahr einen regionalen ausstellungsbetrieb bietet, damit die stets gleichen leute auf die stets gleiche art sich gelegentlich vor publikum finden. diese art von serienbetrieb ist ebenso unnötig wie hinfällig.

solche ich-bezogenen konzepte verblassen heute vor den möglichkeiten einer aktiven community, die sich auf zeitgemäße themen und aufgabenstellungen einläßt. meines erachtens verläuft genau da die grenzlinie zwischen einem bloßen dekorationsgeschäft und einem lebhaften kulturgeschehen, in dem der lauf der dinge reflektiert wird, in dem es lebhafte auseinandersetzungen mit den bedingungen der kunst gibt; also auch mit unseren lebensbedingungen.

in der debatte mit peter moser, dem kulturbeauftragten der gemeinde ludersorf, erfährt man äußerst klare ansichten darüber, was eine konkret betreute kulturpolitik in einer kleinen gemeinde sein kann

für diesen zugang kann sich etwa auch peter moser, kulturbeauftragter der gemeinde ludersorf, erwärmen. wir hatten eben ein plauderstündchen, um eine mögliche zusammenarbeit für das kommende april-festival zu erörtern. er hat längst seine eigenen dispositionen getroffen. die korrespondieren offensichtlich mit der vorstellung, unser kulturelles engagement sollte beitragen, daß die menschen, die hier leben, auch selbst ausdrücken, was das leben in der region sei.

daraus ergibt sich eine kulturelle gegenposition zu üblichen werbetextereien, die zuweilen unzutreffende bilder schaffen, weil sie nicht von gelebten kommunikationsprozessen vor ort ausgehen, sondern von einem schreibtisch aus einer gängigen verwertungslogik gewidmet werden. das muß kein schaden sein, denn trommeln gehört eben zum geschäft. aber es führt doch eher selten zu beschreibungen, die den menschen in diesem lebensraum ein realistisches identifikationsangebot machen würden.

das aktuelle basis-trio von „kunst ost“ ist also eindeutig daran orientiert, einen kurs abseits professioneller marktschreierei zu entwickeln, allerdings ebenso unter verzicht auf rein selbstbezogene kreative, die eine völlig schlampig dahergeredete auffassung von einer „freiheit der kunst“ vorschieben, um ihre partikular-interessen möglichst mit öffentlichen geldern zu unterfüttern.

ich darf als unsere prioritäten herausstreichen: kritischer diskurs, dialog und kooperation. das bedeutet NICHT, wir müßten uns mit jedem verstehen. das bedeutet eher, kanten und kontraste herauszuarbeiten und zu überprüfen, was davon ein längerfristiges engagement rechtfertigt.

drei erfolgreiche unternehmer der region, zugleich drei exzellente fotografen. von links: andreas turk, richard mayr und franz lukas

diese prozeß- und dialogorientierte ausrichtung von „kunst ost“ im jahr 2011 führt dann auch zu solchen settings. eben habe ich drei erfolgreiche unternehmer der region an einem risch erlebt. sie sind es als geschäftsleute gewohnt, auf entwicklungen in ihrer umgebung zu achten und zu reagieren. richard mayr, franz lukas und andreas turk sind aber auch zugleich exzellente fotografen.

das legte mir nahe, sie nicht als mögliche sponsoren für ein kulturprojekt anzusprechen, sondern als mögliche akteure, die so im kulturgeschehen der region für sich eine rolle finden mögen. dieses erste arbeitsgepräch war für mich eines der bemerkenswertesten erlebnisse der letzten monate. ich bin sehr neugierig, wohin uns solche arbeitsansätze führen.