Was es wiegt, das hat’s I

(Beiträge und Fragen zu einer nächsten Kulturpolitik)

Ich habe in verschiedenen Glossen und Kommentaren behauptet, die jetzige Kulturpolitik der Steiermark sei offenbar nicht reformierbar, ich möchte über eine nächste Kulturpolitik nachdenken und debattieren. Darüber habe ich mit Musiker Oliver Mally Konsens. Doch es ließ sich kein Forum finden oder schaffen, in dem derzeit solche Diskussionen geführt werden können. Es wird viel geschwiegen. Es dominiert die Hofberichterstattung. (Es gibt nach wie vor rebellische Attitüden.)

Saure Zeiten? Interessante Zeiten!

Also haben Mally und ich uns ein Rollenspiel ausgedacht. Wir sind die Origami Ninjas. Egal, wie oft einen das Leben zusammenfaltet, wir entfalten uns stets wieder. Und wir überprüfen den Status quo, damit unsere Orientierung was taugt, um unsere Arbeit zu machen. Ferner: wir reden darüber; vorzugsweise ganz ungeschminkt.

Weshalb ist das wichtig? Folgerichtigkeit! (Ohne Folgerichtigkeit würde mein Werk als Künstler zur Dekoration werden. Aber ich bin kein Dekorateur.)

Schon zu Beginn der Corona-Krise, als viele Leute treuherzig verlautbarten „Ohne Kunst wird’s still“ (#kunstistauchsystemrelevant), also diskursiv auf Knien herumrutschten, schrieben wir uns ein Zitat von Toni Morrison auf die Türschilder: „This is precisely the time when artists go to work—not when everything is fine, but in times of dread. That’s our job!” („No Place for Self-Pity, No Room for Fear“, 2015).

Wo stehen wir?
Nach Corona ist vor Corona. Wirklich? Nein! Wir sind zwischen 2010 und 2020 gesamtgesellschaftlich in einen massiven Umbruch gegangen. Big Data, die Vierte Industrielle Revolution, weltweite Flüchtlingsbewegungen, rasantes Artensterben, zunehmende Klimaprobleme, wir leben in interessanten Zeiten.

Weshalb erwähne ich das Zeitfenster 2010 bis 2020? Die von den USA ausgegangene Weltwirtschaftskrise (ab 2008/2009, Lehman Brothers und Konsorten) hatte sich bis 2010 mit unseren hausgemachten Problemen verzahnt. Es folgten damals: die Verwaltungsreform, das steirische Doppelbudget, etwas später neue Gemeindezusammenlegungen, die Reduktion der Leader-Regionen und so weiter und so fort.

Oliver Mally, gezeichnet von Heinz Payer

Die Seuche hat das alles bloß schärfer konturiert, mit tieferen Kontrasten versehen. Und sie hat den gesamten Kulturbetrieb übern Haufen geschmissen, so daß inzwischen gut erkennbar wurde: wer hat was drauf und wer nicht? Wer campiert lieber im Jammertal und wer ist unterwegs zu nächsten Klarheiten?

Staatskunst?
Dazu kommt, daß die Politik im Bereich der „Staatskunst“ Farbe bekennen mußte: welche Kompetenzen sind nun verfügbar, um a) Zukunftsfähigkeit in Aussicht zu stellen und b) Politik im klassischen Sinn hervorzubringen?

Dazu bin ich unter anderem auf die öffentlichen Diskurse angewiesen, damit ich etwas über den Status quo herausfinde. Aber was meint „Politik im klassischen Sinn“? In der Philosophie der Antike: Pólis und Politikós im Dialog, im Wechselspiel. Das wäre, um es mit heutigen Begriffen zu sagen: Staatskunst (Politik & Verwaltung) im Dialog und im Wechselspiel mit der Zivilgesellschaft.

Also die Praxis des Bottom up-Prinzips: engagierte Bürgerinnen und Bürger. Der Dialog. Die Verwaltung dient der Politik. Beide begleiten und verstärken (als Ausdruck von Staatskunst), was engagierte Bürgerinnen und Bürger voranzubringen bemüht sind. (Das wäre eine Idealvariante!)

Kulturpolitik sollte solchen Zusammenhängen in irgendeiner Weise entsprechen können. Es gilt Antwortvielfalt. Was aber nicht akzeptabel ist: wenn Politik sich auf a) Selbstverwaltung und b) Public Relations konzentriert, dafür Kulturbudgets kapert, selbstrekrutierende Eliten etabliert und die Verwaltungskräfte sich dem anschließen; wie einst bei Hofe.

Ich habe seit dem 2020er Jahr verschiedene Schritte gesetzt, um zu konkreten Fragen seitens der Politik konkrete Antworten zu erhalten, aber auch aus meinem Milieu zu hören: wo stehen wir und was ist der Fall? Ich finde das dröhnende Schweigen in meinem Metier erschreckend.

Offene Debatte?
Musiker Oliver Mally gehört nicht zu den Schweigsamen. Wir befinden uns in einem kontinuierlichen Austausch. Wir haben die „Origami Ninja Association“ gegründet, um in einer Mischung von ernster Debatte und Augenzwinkern in diesen Dingen voranzukommen. Nach wie vor ist mir da draußen zu viel Schweigen und zu wenig kritischer Diskurs.

Wir haben bei den Origami Ninjas inzwischen schon einige Themenstränge bearbeitet. Das betrifft Debatten unter Stichworten wie: Initiativenszene, Solidarität, Landesausstellung, staatsnahe Betriebe im Kostüm „autonomer Kulturinitiativen“.

Aber auch gesamt: wie und wodurch sind wir in dieser Gegenwart angelangt? Und zwar etwa ab 1975, denn ab da kristallisierte sich heraus, was heute autonome beziehungswiese freie Kulturszene genannt wird. Ich hab nun oft erlebt, daß Menschen aus „Szene“, Politik und Verwaltung a) brüskiert reagieren, wenn sie Widerworte hören, b) dann gerne Behauptungen aufstellen, diese aber c) nicht belegen und/oder d) den Diskurs abbrechen, wenn sie keine Zustimmung finden.

Das verläuft oft nach einem klassischen Muster:
A: „Du verstehst mich nicht!“
B: „Ich verstehe Dich schon, aber ich stimme Dir nicht zu.“
A: „Nein, Du verstehst mich nicht.“

Martin Krusche, gezeichnet von Heinz Payer

Das ist eine sehr plumpe Art, um Definitionsmacht zu beanspruchen. So tänzelt die kleine Schwester der Hegemonie. Sie will, daß nur ihre Ansicht gilt.

Wie aber üben wir Kritik, wenn das ernst genommen werden soll? Kritik verlangt nach meiner Auffassung das:

1) Ich zitiere eine Aussage, zu der ich einen Einspruch vorbringen will.
2) Ich nenne die Quelle, damit meine Widergabe dieser Aussage geprüft werden kann.
3) Ich nenne meine Gründe, formuliere meine Kritik.

Weshalb so aufwendig? Ich hab eben er wieder erfahren, daß man auch in meinem Milieu gerne so vergeht: Ich unterstelle Dir etwas und kritisiere Dich dann dafür. (Sowas ist grade bei den Social Media kaum zu revidieren.) Aber die Politik!

Wer ist der Mann?
Vom Landtagsklub der SPÖ werden derzeit Inhalte zur Kulturpolitik angeboten, denn der Abgeordnete und Klubchef Johannes Schwarz befindet sich auf Steiermark-Tour. Ich sah mich nach seiner Expertise um, um ein Bild zu bekommen: mit wem habe ich es da zu tun?

+) Die Website der SPÖ nennt nichts.
+) Meine Abgeordneten nennt: Gesundheit und Finanzen.
+) Steirische Gesellschaft für Kulturpolitik (SPÖ): Die Eingabe von „Johannes Schwarz“ in das Suchfeld ergibt keinen brauchbaren Treffer.
+) Wikipedia: kein Hinweis auf kulturpolitische Kompetenz.

Im Video zu „Clubgespräche Folge 3 Südweststeiermark“ erwähnt Schwarz, daß er Kultursprecher der steirischen SPÖ sei. Er sagt: „Wir reisen durch die Steiermark, lernen die kulturelle Vielfalt unseres Bundeslandes kennen, tauschen uns mit den Kulturschaffenden der Regionen aus und wollen ganz einfach wissen: wo drückt der Schuh und wie könne wir helfen?“

Das will ich mir genauer ansehen. Was meint er damit und was macht er? Ist das bloß Public Relations für die SPÖ oder geht es um kulturpolitische Fragen auf der Höhe der Zeit? [Fortsetzung folgt!]

— [The Long Distance Howl] —
— [Origami Ninja Association] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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