Howl: Jahr 18, zwei

Goldgräber und Heuschrecken

So viele Jahre hat mich dieses Bonmot des Soziologen Gunnar Heinsohn begleitet: „Um Brot wird gebettelt. Um Rang wird geschossen.“ Blicke ich aber auf die bisher fast 18 von den 20 geplanten Jahren meines Projektes „The Long Distance Howl“ zurück, steht fest, ich habe das Rennen um Rang ausdauernd und vollkommen unterschätzt.

Das alles spiegelt sich in einer gängigen Redensart: Protektion geht vor Kompetenz. Wo immer ich das im genannten Zeitraum zu sehen bekam, war ich dennoch überzeugt geblieben, Wissenserwerb und Erkenntnisgewinn können nicht ausgeschlagen werden. „Werch ein Illtum!“, um es mit Ernst Jandl zu sagen.

Was mich abschnittweise am stärksten betroffen gemacht hat, ist eine Art der Trittbrettfahrerei im Kulturbetrieb. Ich habe mehr als einmal erlebt, daß jemand eine Kooperation mit mir angestrebt hat und nicht einmal dachte, unsere Vereinbarungen zu bedienen.

Das ist so eine Hit-and-run-Variante. Jemand nimmt von den Ressourcen, was sich holen läßt, und ist dann weg. Eine mentale Mischung aus Goldgräber und Heuschrecken. Pandemie und Lockdown sorgen hier für merkwürdige Klarheit.

Den Passagieren auf diversen Trittbrettern bleibt nun bloß noch, auf staatliche Hilfe zu setzen, weil man bei Kolleginnen und Kollegen derzeit nichts abräumen kann. Andere haben schon früher begriffen, daß Kooperation vor Konkurrenz geht. Aber die halte ich für eine Minorität.

Ein besonders amüsantes Segment besetzen jene, die eben noch in großmäuligen Sätzen und in Rebellenposen avisiert haben, sie würden es diesem Kunstbetrieb zeigen, auch dem Markt eine Delle hauen, orten „elitäre Intelektuellenszenen“, so als ob konsequentes Denken unanständig wäre, betreiben also konsequent Selbstdefinition durch Feindmarkierung.

Das ist extrem spießbürgerlich und maskiert natürlich die deprimierend uninspirierten Strategien solcher Leute. Dabei vermeiden sie es auch wegen mangelnder Kompetenzen, sich der Realität einer Art neuen Bourgeoisie zu widmen, Teilen eines Bildungsbürgertums, das Kulturbudgets kapert und für andere Zwecke mißbraucht.

Nein, ich bin nicht enttäuscht. Ich bin deshalb auch nicht aufgebracht, denn da ist dieses ruhige Gefühl: So sind wir eben. Ich muß annehmen, es ist ein Teil der Conditio humana, worüber ich mich nicht ereifern sollte.

Allerdings löst es eine Traurigkeit aus. Vielleicht genauer: eine Melancholie. Etwas Schwermütiges. Mir fiele derzeit in diesem Kulturbetrieb nichts ein, was ich jemandem streitig machen wollte. Es gibt auch keinen Wettbewerb, zu dem ich antreten würde, um jemanden zu überholen.

Das kommt, weil mir etwas überaus klar ist. Ich weiß, was ich zu tun hab. An keinem Morgen müßte ich nach dem Aufstehen überlegen, was meine Aufgaben sind. Ich muß auch nicht grübeln, womit ich meine Zeit zubringen sollte. Alles ist sehr deutlich und es ist bestenfalls zu viel. Aber das regelt sich wie von selbst, indem es sich auf die ankommenden Tage verteilt.

— [Stadt-Land] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
Dieser Beitrag wurde unter Feuilleton abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.