Archiv für den Tag: 2. Juni 2011

klärungsbedarf

wir sind uns definitiv einig: die KUNST ist die kunst und hat ihren zweck in der kunst. sie ist kein werkzeug „um zu…“, kein soziales programm, keine wellness-einrichtung, keine tourismus-maßnahme. als kunstschaffende widmen wir unsere künstlerische praxis der kunst. basta! aber!

wir sind als künstler soziale wesen, politisch anwesend. das bedeutet, wir verwenden unser reflexionsvermögen auf den lauf und den stand der dinge. und wir bringen unsere kompetenzen, die wir unter anderem in langjähriger befassung mit kunst erwerben, als engagierte bürger in das gemeinwesen ein.

christian strassegger

nein, das ist jetzt keine erklärung, keine verlautbarung, kein manifest. dieses WIR ist ein sehr loses, eigentlich: flüchtiges, das sich über kommunikationsverhalten und gelegentliche zusammenkünfte konstituiert. wir sind keine gruppe. die zusammensetzungen an den tischen sehen meist höchst unterschiedlich aus.

so, das war nun die stunde der offenbarungen. mehr ist davon augenblicklich wohl nicht nötig. „kunst ost“ ergibt einen MÖGLICHKEITSRAUM, in dem sich gelegentlich etwas von all dem verdichtet. manchmal heißt das auch einfach: ein paar drinks und über das leben wie über die kunst plaudern.

mir ist freilich die KONTINUITÄT wichtig. ich lege großen wert auf ein anregendes geistiges klima. das braucht inspirierte menschen, die miteinander zu tun haben möchten; wenigstens temporär. deshalb müssen wir nichts gründen. es ist ohnehin schon alles gegründet worden.

emil gruber

früher gab es hier einmal eine verschwörung der poeten“. das hat mir auch gefallen. heute ist das setup anders, wesentlich luftiger. naja, das „kuratorium für triviale mythen“ spielt derzeit schon eine markante rolle. motive und schwerpunkte ändern sich eben.

diesmal saß ich mit christian strassegger und emil gruber am tischchen. gerhard flekatsch [bluethenlese] gesellte sich schließlich dazu. wir debattierten die möglichkeiten, gelder für weiterführende projekte zu lukrieren. das faktum runtergefahrener bzw. völlig gestrichener kulturbudgets der gemeinden im ländlichen raum läßt sich nicht zurecht- oder wegdiskutieren. es gab schon vor jahren da und dort den expliziten politischen wunsch, die mittel kunstschaffender runterzukürzen und lieber in den sozialbereich zu investieren.

aus einer gleisdorfer wahlkampfbroschüre vom märz 2010

ich kann mich nicht erinnern, daß quer durchs land stimmen dagegen laut geworden wären. dem steht gegenüber, daß eine ubanisierung der „provinz“ unsinn wäre, daß also strategien aus den zentren sich nicht hierher verlegen und sinnvoll anwenden lassen. dazu zählt auch, daß herkömmliche ideen von sponsoring für unsere tätigkeitsbereiche nicht umsetzbar sind.

gerhard flekatsch

momentan verfügbare ideen in diesem zusammenhang greifen bloß dort, wo es um etablierte kunstformen und um repräsentation geht. also zum beispiel im musikbereich, wo die operettte regiert, klassische musik zuspruch erlebt und zeitgenössische musik sich da in nischen mitereignen darf.

bei bildender kunst regiert natürtlich der kanon, bei literatur und anderen geistigen stoffen ebenso das, was im feuilleton längst reüssiert hat. kurz, herkömmliches sponsoring setzt hauptsächlich auf den repräsentativen veranstaltungsbereich, auf bewährtes und populäres oder überhaupt lieber auf sport.

ich schreibe das ganz unaufgeregt, weil es vollkommen schlüssig ist, daß es sich so ereignet. wir sollten wissen, womit wir es zu tun haben und auf welchem terrain sich AUCH unser tun entfaltet. daß heißt dann für leute wie uns vor allem einmal, wir sollten gute gründe wissen, warum es unsere aktivitäten geben muß und warum das auch finanzierungen verdient. darüber haben wir also zu reden: was sind diese guten gründe?

ob wir es beklagen, ignorieren, ausblenden, egal, es gibt momentan einen enormen verdrängungswettlauf. eine stadt wie gleisdorf hat gegenüber 2009 ihr kulturbudget UM etwa 75 prozent AUF zirka 25 prozent heruntergekürzt. auf das verbleibende budget sind allerdings auch mehr einrichtungen aus, als in kleinen gemeinden. aber immerhin hat eine kleinstadt noch eine infrastruktur, wo wir bei manchen vorhaben durch sachleistungen seitens der kommune unterstützung finden.

in den kleineren gemeinden waren es entweder vorher schon NULL prozent kulturbudget, sind es spätestens jetzt MINUS hundert prozent, viele davon haben nicht einmal kulturbeauftragte. das ist der status quo in einer landschaft, wo nicht einmal unter gebildeten leuten und personen mit akademischen graden ein weitreichender grundkonsens herrscht, daß die „provinz“einen lebhaften KULTURBETRIEB haben solle, was – bitte schön! – keineswegs NUR veranstaltungskultur meint.

kurz: es besteht eine menge klärungsbedarf. gehen sie bitte davon aus, daß wir freilich gerüstet sind, diese debatte zu führen…

— [was ist kunst?] —

bitte aufwachen!

für mich war im letzten oktober klar, daß jetzt eine wildwasserfahrt angeht, bei der nicht absehbar ist, welches ausmaß an blauen flecken uns blüht. niemand, der auf dem kunstfeld seine arbeit bei vollem bewußtsein tat, konnte übersehen, was anlag.

wir hatten schon seit dem frühjahr 2010 von der voraussichtlich 25 prozent betragenden minderung des nächsten kulturbudgets auf landesebene gehört. graz war zu der zeit ohnehin längst pleite und florierte kulturell zu lasten der restlichen steiermark. ein ländlicher ort wie gleisdorf, wo ich lebe und arbeite, hatte 2010 bereits minus 60 prozent realisiert, inzwischen sind wir – gegenüber 2009 – bei etwa minus 75 prozent kulturbudget angelangt. (siehe dazu den beitrag kulurpolitischer status quo!)

das alles bedeutet nicht, ich sei im blick auf 2011 mit eibner gabe der prophetie ausgestattet gewesen. es waren eigentlich bloß die deutlichsten zeichen zu lesen und daraus ein paar simple schlüsse zu ziehen. anders ausgedrückt: wer eins und eins zusammenzählen konnte, wußte bescheid.

wie erwähnt, das zentrum graz florierte auf kosten seiner peripherie, wo – in der sogenannten „provinz“ – nicht nur viel überzeugungsarbeit anlag, sondern auch die überwiegend abwehrende haltung der kommunalpolitik einen verstärkten einsatz des landes gebraucht hätte, um dieses kulturpolitische gefälle zu kompensieren und uns bei unserem ringen um bodengewinn für kultur und gegenwartskunst zu unterstützen.

im sommer 2010 war eigentlich klar, daß in den meisten gemeindestuben großer konses herrschte, daß bei den kommenden finanzproblemen kunst und kultur als erstes zurückgekürzt werden sollen. nach einer umfrage des gemeindebundes waren 91% der bürgermeisterinnen und bürgermeister so wie 95% der bevölkerung dieser meinung. kein anderer kommunaler aufgabenbereich hatte eine so hohe zustimmung zu kommenden kürzungen.

wir kulturschaffende waren im sommer 2010 spitzereiter in der ablehnung

ich hatte das mehrfach mit leuten diskutiert, zu saisonauftakt im projekt-logbuch [link] vermerkt etc. es hat sich nicht gezeigt, daß sich wachsende keise oder sogar „die szene“ hätten aufraffen wollen, etwa mit konsequenter überzeugungsarbeit loszulegen und das breit zu entfalten, um gegen diese stimmung anzugehen. es weist auch nichts darauf hin, daß es wenigstens denkmöglich wäre, DIESES thema den leuten mit aktionen auf der straße nahezubringen.

anders ausgedrückt: es kann mir niemand erzählen, es wäre vorstellbar, das personal der steirischen gemeindestuben per protestbewegung zu bewegen, die oben skizzierten haltungen aufzugeben. es haben zwar aktuelle anstrengungen gezeigt, daß etwa konzentrierte protestaktionen auf den straßen die LANDESpolitik nicht unbeeindruckt lassen, da sehe ich aber wirkungen erst einmal im sozialbereich, der kulturbereich dürfte auf diesem kommunikationskanal nicht gar so hellhörig dastehen.

dazu kommt: bevor in österreich zusammenrottungen auch nur in erwägung gezogen werden, heftigkeiten zur debatte stehen, eine wachsende konfrontation mit poltischem personal wenigsten denkbar erscheint, machen wir sowieso vorzugsweise einmal ferien. falls wir dabei einige unserer vorteile einbüßen, werden wir uns erregen. und weil wir auf dem weg in die kunst überwiegend bohemiens waren, werden wir den „rebellen“ in uns von der kette lassen, der macht dann ein grimmiges gesicht und stößt drohungen aus.

zu dem zeitpunkt fühlen wir uns ganz gefährlich und erzählen einander, es werde einen AUFSTAND geben. freilich wissen unsere gegenüber in dieser kontroverse, daß wir höchstwahrscheinlich das boot, in dem wir alle sitzen, nicht gar zu heftig schaukeln werden, schon gar nicht versenken. in welchem boot wir da sitzen?

das wissen wir eigentlich nicht so genau, wir wollen es nicht wissen. denn solche reflexions- und erkenntnisarbeit würde zum beispiel folgendes deutlich machen: die bourgeoisie, der gegenüber wir uns da so rebellisch gerieren, ist a) unser einziges publikum, b) unsere einzige kundschaft, c) unsere hauptsächliche geldquelle und d) das einzige ziel unserer „gesellschaftskritik“. aus welchem paradies wollen wir die rausschmeißen?

da liegt doch viel näher, daß wir party machen …

kleiner scherz! es wird wohl eher zeit für aktuelle kulturpolitische konzepte und angemessene basisarbeit, um ihnen geltung zu verschaffen.