Facebook ist – wie auch andere Arten der Social Media – ein Massenmedium, eine mehrheitlich völlig offene Bühne.

Das Internet ist freilich weder ein rechtloser Raum, noch kann ich in Bereichen meiner Webpräsenz Faustrecht dulden. Wer Fightclub-Manieren schätzt, möge sich damit in private Räume verziehen.
Im Web erweitert sich der traditionelle, also der physische öffentliche Raum, als Diskursfeld in das Internet. Nach meinem Verständnis der Kultur des Abendlandes ist dieser traditionelle öffentliche ein politischer Raum. Und zwar primär durch leibliche Anwesenheit konkreter Menschen. (Nicht so das Internet mit seinen Massen an Bots, Trollen und Fake-Profilen.)
Diese leibliche als politische Anwesenheit war in der griechischen Antike einer männlichen Minorität vorbehalten (Stichworte: Agora und Pnyx). Bürgerliche Öffentlichkeit, wie wir sie heute kennen, ist eine sehr junge Kategorie, die unter anderem mit Medienanwendungen zu tun hat. Bücher und Zeitschriften schufen einen vergleichsweise öffentlichen Diskursraum gegenüber den Brief-Korrespondenzen in privaten Zirkeln. (Dostojewski wurde für das private Verlesen eines kritischen Briefes von der Behörde nach Sibirien geschafft, weil ihn ein Spitzel verraten hatte.)
Noch jünger ist die Möglichkeit für Frauen, ohne männliches Pseudonym in diesen Diskursraum einzutreten, da mitzureden, unter ihrem Namen zu publizieren. Vor diesem Hintergrund sind wir seit ganz kurzer Zeit Glückskinder der Geschichte, da wir in einem Winkel der Welt leben, in der wir öffentliche Debatten führen können, ohne einer Zensur ausgesetzt zu sein.
Das dümmliche Geschwafel von Zensur in Österreich, wie ich es die letzten Jahre laufend vernommen hab, meint etwas ganz anderes. Menschen, die in Medienarbeit und Diskursen eher unerfahren sind, benutzen den Begriff gerne, wenn sie sich in einem einzelnen Medienbereich, etwa in den Social Media, mit ihren Ansichten nicht durchsetzen können.

Auch Leute, die in einem konkreten Medium unbelehrbar gegen die Hausregeln verstoßen, weshalb ein Input gelöscht wird, brüllen gerne: „Zensur!“ und gerieren sich bestürzt. Mumpitz! Der Begriff Zensur steht für eine umfassende, staatlich organisierte Kontrolle der öffentlichen Äußerungen und Publikationen.
Das ist etwas gänzlich anderes, als wenn ich etwa eine Facebook-Gruppe gegründet habe, laufend betreue, moderiere, und ich verbanne jemanden aus dem Fruchtgenuß meiner Arbeit, weil er/sie die Hausregeln wiederholt verletzt.
Der einfache Punkt: Es mag ja sein, daß ich Ihre Ansichten von meiner Bühne entfernen muß, weil sie eventuell meinen Intentionen spottet, mit denen ich diese Bühne im Web aufgebaut hab und kontinuierlich pflege. Deshalb können Sie Ihre Ansichten dennoch jederzeit an tausend anderen Stellen in öffentliche Diskurse einbringen, können anderswo kommentieren, können eine eigene Themenleiste aufbauen und sich selbst Publikum erarbeiten. Das wäre in Zeiten der Zensur unmöglich.
Damit meine ich, in der aktuellen Mediensituation erweisen sich allerhand Menschen, welche die Fahne der Demokratie schwingen, als bloße Trittbrettfahrer, die sich auf die laufende Arbeit anderer draufsetzen, um sich zum Nulltarif hervorzutun. Sie bieten uns keine Inhalte an, sondern drängen uns bloß ihre Denkweisen auf. Dazu müssen sie keine persönlichen Aussagen formulieren, sie reposten einfach was das Zeug hält.
Eine spezielle Liga, die in ihren Social Media-Präsenzen kaum eigene Äußerungen, individuelle Statements zustande bringt. Diese Konsorten verbreiten mehrheitlich Ansichten anderer Leute (Reposting) und setzen knappe Kommentare dazu, machen sich also mit Wasserträgerei wichtig. Lakaien des öffentlichen Diskurses. Das hat mit einer ernsthaften Debattenkultur nichts zu tun.
+) Mars (Eine Debatte über Krieg)
+) Netzkultur
Postskriptum
Von Neurowissenschafterin Leor Zmigrod stammt folgende anregende Überlegung: „Wenn jemand dogmatische und intolerante Gedankenmuster an den Tag legt, müssen wir uns genauer ansehen, wie er denkt, und nicht nur, wofür er zu kämpfen vorgibt.“