Auf das Virus kulturell reagieren

Von den Virologen weiß ich inzwischen so allerhand. Darunter interessieren mich jene recht wenig, welche mir via Youtube als Experten angedient werden, denen angeblich die freie Rede verboten worden sei. Ich mißtraue diesem Prädikat deshalb, weil ich nicht wüßte, wer bei uns jemandem das Reden verbieten will und wie das gehen sollte.

Aber das weiß ich: wer sich wichtig machen möchte, behauptet erst einmal gerne, über exklusives Wissen zu verfügen, das andere nicht haben. Und wie betont man das vorteilhaft? Indem man betont, diese anderen wollten einem das Reden verbieten.

Dieses Muster haben wir unter anderem durch Jörg Haider und Hace Strache kennengelernt: „Sie sind gegen ihn, weil er für Euch ist!“ Dieses selbstreferentielle Geschwafel wirkt schon etwas abgestanden, geht aber offenbar selbst sehr wachen Leuten noch zu Herzen.

Aus über zweitausend Jahren geistigem Leben im Morgen- und Abendland weiß ich durch überlieferte Texte: Im geistigen Leben ist es ganz normal, daß einander widersprochen wird. Davon ist keinerlei Expertise ausgenommen. Genau das, fortlaufende kritische Diskurse, bringt uns nächste Klarheiten.

Was also die hehren Inhaber von Geheimwissen als Beleg für ihre Relevanz behaupten, ist banale Praxis denkender Menschen. Deshalb haben wir zum Beispiel zu Kategorien wie Intersubjektivität gefunden.

Wer hervorragendes Geheimwissen exklusiv zu haben behauptet, wäre grundlegend verdächtig, unlautere Motive zu haben. Stattdessen gilt: was eine größere, qualifizierte Gruppe für gegeben hält, können wir vorerst als Tatsache betrachten; bis es widerlegt wird.

Das ist ferner ein gutes Mittel gegen die Tyrannis. Wer auch immer recht zu haben wünscht, erkennt an, daß seine oder ihre Auffassung weiter zur Debatte steht. Das ist sozusagen ein intellektuelles Reinheitsgebot.

Dabei hilft der philosophische Gedanke, daß wir etwas halbwegs verläßlich falsifizieren können, aber nicht sehr dauerhaft verifizieren. Es geht um die Metapher vom schwarzen Schwan. Wenn ich mein Lebtag nur weiße Schwäne gesehen habe, läßt sich vorläufig feststellen: Schwäne sind weiß, es gibt keine anderen… bis irgendwer einen schwarzen Schwan sieht.

War das jetzt schwierig?

Aber wow! So viele Virologie-Experten um mich. Gut, wir müssen individuelle Entscheidungen treffen, wie wir mit der Nachricht einer unsichtbaren Bedrohung umgehen wollen. Ich lese inzwischen übrigens lieber Berichte von Pathologen. Was haben sie in den Körpern Toter gesehen, in deren Fleisch sich die Anwesenheit von Covid-19 feststellen ließ?

Und daran denke ich: Stimmt schon, das Virus verbreitet sich nicht. Es kann nämlich nicht laufen, durch die Gegen hüpfen, herumflattern. Wir verbreiten es. Wir tragen es weiter. Durch unserem Umgang miteinander, durch unseren Umgang mit der Welt. So viel scheint zweifeldfrei geklärt zu sein.

Sollte ich mit dem Virus in Kontakt kommen, was in der Oststeiermark sehr unwahrscheinlich ist, werde ich das nicht spüren. Sollte das Virus den Weg in meinen Körper schaffen, werde ich das nicht spüren. Erst wenn mein Körper sich dagegen zu wehren begänne, würde ich etwas spüren. In dem Fall wäre noch völlig ungeklärt, welche Teile meines Körpers zur Arena würden, zum Schauplatz des Abwehrkampfes. Und es wäre ungewiß, wie es ausgeht.

Wenn ich mich einigermaßen sicher fühlen möchte, muß ich eine spezielle Kulturleistung erbringen, die wir auch sonst in vielen Fällen brauchen: Abstraktion. Ich muß eine Annahme entwickeln, wie ich mich sicher unter einer unsichtbaren Bedrohung bewege, die ich sinnlich nicht aufspüren kann und von der ich daher auch nicht weiß, ob sie gerade in meiner Nähe ist.

Das ist, wie angedeutet, ein kultureller und sozialer Akt, der nicht auf meiner Wahrnehmung, sondern auf meinen Annahmen von der Welt beruht. Ich werde nie beweisen können, daß ich klug gehandelt habe, weil ich nicht wissen kann, ob ich konkret gefährdet war.

Ich verstehe, daß so ein kultureller und sozialer Akt manchen Menschen zu anstrengend erscheint. Von denen lese ich dann zum Beispiel via Facebook Sätze wie: „Ich sag euch was, bis vorgestern war ich noch so oft sowas von wütend über diese ganze große Verarsche, und vorgestern hat es in meinem Kopf klick gemacht und jetzt lese ich die Schlagzeilen und lach mich nur noch schief über diese ganze Sinnfreiheit.“

Ja, plötzlich ist diese komplexe Welt wieder ganz einfach, man kann sich frei fühlen, geradezu unbeschwert. Es wird sich zeigen, welche Einschätzung längerfristig hält und welche etwa durch Pathologen falsifiziert wird. Wer das jetzt schon für geklärt hält: Gute Reise! Und bitte ein wenig Abstand! Aber danke! Jedes freie Lachen erhellt meine Tage.

— [Stadt-Land] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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