Dresscode

In der realen sozialen Begegnung ist jeder Aspekt unserer Erscheinung ein Statement. Gesichtsausdruck, Haartracht, Bekleidung, auch Fahrzeuge, die wir benutzen, sind Medien in einer sehr komplexen Kommunikationssituation. Ebenso die Accessoires, die Gebrauchsgegenstände in unseren Taschen.

Möchten Sie überprüfen wie gut Sie solche Codes lesen können, werden Sie im nächstbesten Supermarkt feine Anordnungen finden. Ich hab es nie eilig, wenn ich an einer Kasse anstehe, denn das ist meistens so unterhaltsam wie Vorabend-TV.

Zur Kodifizierung des Auftritts gehören oft sehr verhaltensoriginelle Variationen des Menschseins. Fragen Sie eine erfahrene Kassiererin, was sie über die Jahre erlebt. Es ist ein Menschenzoo. Doch die eigentliche Arena, auch der Kampfplatz von Begehrlichkeiten und Aussagen, ist das Reich des Dresscodes. Das brisanteste Teilgebiet bleibt dabei bis heute der Kampf um die körperliche Silhouette der Frau.

Als ich bei „Mythos Puch“ im Jahr 2017 die Geschichte des Fahrrades gestreift habe, lag darin reichlich Anlaß, jenes Ringen auf dem Weg von den Korsagen zum Reformkleid und schließlich zu Frauen in Hosen zu beachten. Da wurde reichlich Gewalt angewendet. Definitiv eine Kriegsgeschichte in vielerlei Sinn des Wortes. [link]

Davor, 2014, hatte ich einmal mehr etwas verständnislos bestaunt, daß Legionen von Männern eher kleingewachsene Frauen aus dem Showgeschäft verehren, die sich völlig hypertrophe Körperformen erarbeitet haben. Dolly Buster und Dolly Parton, Ceca Raznatovic etc. (Siehe zum Beispiel die Logbuch-Einträge vom 15. Mai 2014 und von 25. Mai 2015!) In den Social Media werden diverse Leisten, die sich um Autos und Motorräder drehen, auch gerne mit ziemlich skurril proportionierten Frauenkörpern dekoriert.

Wer seine Lesefähigkeit bezüglich Dresscodes prüfen möchte, ist übrigens auch bei Kulturveranstaltungen gut aufgehoben. Speziell bei Vernissagen. Schauen Sie gelegentlich nach, wer und mittels lustiger Hüte, schriller Brillen oder anderer Akzentuierungen mitteilen möchte, zum Kunstvölkchen zu gehören.

Wir kommunizieren also sehr ausdauernd und ausgiebig durch die Inszenierung unsere Körper und Auftritte. Das tun freilich auch jene, die meinen, es nicht zu tun, die sich dabei um Understatement bemühen.

Bis es hochsommerlich wird, gehe ich mit nichts lieber als mit meinen Bergschuhen auf die Straße. Das hat physikalische und symbolische Gründe. Es fühlt sich gut an, für jede Bodenbeschaffenheit gerüstet zu sein, ohne darüber nachdenken zu müssen. Es verweist auf jene grenzenlose körperliche Robustheit, die ich als junger Mnesch hatte. Es demonstriert ferner meine Absage an Feiertage und Festtagskleidung.

Ich bin Freelancer. Es gibt in meinem Leben keine klar strukturierte Trennung zwischen Arbeitszeit und Freizeit. (In mir regiert ein eigentümlich strukturierter Hackler.) Das alles sorgt für launige Interaktionen. Ich hab mehr als einmal erlebt, daß man mir in solchen Zusammenhängen unterstellt hat, ich sei ein Workaholic, also ein Mensch mit einem Suchtproblem. Mumpitz!

Österreich ist eine Nation der Angestellten. Da fällt es es vielen Menschen schwer, sich eine andere als ihre klar geregelte Existenz mit gesicherter Freizeit vorzustellen. (Eines trifft freilch zu, ich werde von einer ebenso grenzenlosen wie pausenlosen Wißbegier getragen.)

Ich mag Arbeitsgewand, sehr strapazierbares Zeug, das ich trage, bis die Sachen kaputtgehen. Es fehlt mir das Geschick, elegante Dinge zu finden. Ich sehe mich lieber im Baumarkt um als in einem Herrenfachgeschäft. Dafür kann man mich vor Weinregalen oder in Buchhandlungen finden, wo ich nie in ein Gedränge mit jenen komme, die ihre Garderobe auf höherem Niveau erweitern.

Falls ich darüber zwischendurch je nachgedacht habe, nahm ich an, ich würde auf diese Art jegliches Statement bis ins völlige Understatement abschwächen, vorzugsweise eigentlich verschweigen. Dazu gehört ebenso meine Vorliebe für den unscheinbaren Bürgerkäfig der Autowelt. Ich bin ein Kombi-Typ, würde freilich genauso gerne einen vom Militär ausgemusterten Puch G nehmen, wenn der für mein Dasein nicht so unverhätlnismäßig wäre.

Aber selbstverständlich ist auch solche Ausstattung, die auf Unscheinbarkeit zielt, ein überaus deutliches Statement. Dazu kommt, was ich mir kürzlich von Vintage-Expertin Kerstin Feirer ausführlicher erklären ließ. Unser Art der Garderoben-Haltung schafft astronomische Problemlagen in sozialen und ökologischen Zusammenhängen.

Das ist mit der Erzeugung und dem Vertrieb von Bekleidung noch nicht erledigt. So ist zum Beispiel Baumwolle, wovon Massen verbraucht werden, als Recycling-Stoff so gut wie nicht verwertbar, vom Färben und anderen Chemie-Anwendungen gar nicht zu reden.

Die leibliche Anwesenheit im öffentlichen Raum hat also sehr brisante Seiten eines immerwährenden Bühnenspiels und der Dresscode gehört vermutlich zu den derzeit völlig unterschätzten, entsprechend vernachlässigten Themen.

— [Dorf 4.0: Stadt-Land] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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