Der Wunsch nach Kontrolle

Ein Bonmot besagt: Macht braucht Kontrolle. Österreichs Realität riecht in manchen Ecken nach Macht wünscht Kontrolle… über Andersdenkende. Das ist nicht neu. Von Metternich über Dollfuß bis Hitler haben unsere Leute geübt, sich damit vertraut zu machen. Und wenigstens seit der Gegenreformation haben wir deutliche Eindrücke, wie Mächtige ihr Denken, Reden und Tun aufeinander abstimmen, um sich Vorteile zu sichern.

Das Ibiza-Videos [Link] liefert uns im Originalton eine Vorstellung davon, wie in vaterländischen Kreisen über Medienfreiheit nachgedacht wird. Hace Strache machte klar, daß er es gerne Ungarns Viktor Orban gleichtun würde, wenn er die Möglichkeiten dazu erhielte. Schwank am Rande, das hätte er gerne ausgerechnet mit russischem Geld realisiert.

Diese Details fügen sich nahtlos in Österreichs Situation der letzten Jahre, wo Kräfte eines kritischen Journalismus wachsenden Angriffen ausgesetzt wurden. Funktionäre der FPÖ haben sich im Diskreditieren und Bedrohen besonders hervorgetan, jüngst: „Harald Vilimsky droht Armin Wolf und erntet Kritik von Medienminister Blümel“ [Quelle]

In diesem wachsenden Abwehren eines kritischen Journalismus bildet das sexuell gefärbte Herabwürdigen von Journalistinnen eigene Schwerpunkte mit frivolen Angriffen. Bei all dem kommen wir in Österreich jederzeit mit alten Ressentiment aus, die vermutlich schon dem Fürsten Metternich genutzt haben.

Freilich darf man nicht erwarten, daß die erregte Gefolgschaft der vaterländischen Kräfte sich mit Geschichte und Kultur so weit vertraut gemacht hat, daß ihr der Name Metternich etwas sagen würde.

Nebenbei dient der Antisemitismus als eine Art Allzweckwaffe, für deren Gebrauch man überhaupt keine Kenntnisse braucht. So zitierte das Magazin „Heute“ eine der Empfehlungen für Journalist Wolf: „Du verdammte Judensau, begib dich in ein KZ“ [Link]

All das bedeutet, einige politische Formationen und ihre Anhängerschaft wünschen sich die Vierte Gewalt im Staat nicht bloß an die Leine, sondern an die Kette. Wie weit das aus dem Lager der FPÖ auch in christlich-soziale Kreise reicht, läßt sich derzeit nicht genau sagen.

Allerdings sind Statements von exponierten ÖVP-Leuten im regionalen Geschehen sehr aufschlußreich und liefern Beispiele, die einer Befragung durch kritischen Journalismus nicht standhalten würden. Zur Erinnerung: Letzten Sonntag wählte Europa sein Parlament, wobei die EVP trotz deutlicher Verluste einen Wahlsieg errang. Auch in Österreich siegte die ÖVP, wie erwähnt, in einer Direktwahl für das europäische Parlament: [Quelle]

Youtuber Rezo
(Foto: Rewinside, CC BY 3.0)

Am Montag darauf sprachen Parteien des österreichischen Parlaments dem vormaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz ihr Mißtrauen aus, weshalb er demissionieren mußte. Das ist kein Gegenstand von Wahlen, darüber hat also nicht das Volks zu entscheiden. Es sind sozusagen Parlaments-Interna.

Dazu las ich auf Facebook von einem Parlamentarier der ÖVP: „In Kürze wird hier das Parlament anders entscheiden, als es das Volk gestern kundgetan hat.“ Kontrafaktisch. Eigentlich Desinformation. Ich kann es nicht für ein Versehen halten, dazu ist die Sachlage viel zu einfach und deutlich.

Bei unseren Nachbarn in Deutschland ist das christliche Lager in letzter Zeit sehr viel deulicher geworden. Den Anlaß dazu lieferte Youtuber Rezo am 18. Mai des Jahres: „Die Europawahl bzw EU-Wahl steht vor der Tür. Ob CDU, SPD oder AfD gute Parteien sind, die im Einklang mit Wissenschaft und Logik stehen, versuche ich in diesem Video zu beantworten.“ Die Aufrufzahlen des 55 Minuten-Videos liegen augenblicklich jenseits der dreizehn Millionen: [Quelle]

Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesvorsitzende der CDU, quittierte das Video eines jungen Menschen und dessen Konsequenzen mit einer Pose der Gekränktheit, spricht sich offen gegen diese „Meinungsmache“ im Web aus, was ja implizit die Meinungsmache der eigenen Werbeagenturen für vorrangig erklärt. Im gleichen Atemzug empfiehlt sie die Debatte von „Regulierungsmöglichkeiten“: [Quelle]

Digitalpolitiker Tankred Schipanski (Foto: Tankred Schipanski, CC BY-SA 3.0 DE)

Vielleicht hab ich ihr Statement falsch verstanden, ungünstig gedeutet. Nein, hab ich nicht! Es lohnt, den Vorspann eines Deutschlandfunk-Artikels komplett zu zitieren: „Der CDU-Digitalpolitiker Tankred Schipanski hat die Äußerungen von Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer verteidigt. Mit den sozialen Netzwerken sei eine neue Informationsordnung jenseits der klassischen Medien entstanden, sagte Schipanski im Dlf. Jetzt müsse überlegt werden, wie eine Regulierung aussehen könne.“ [Quelle]

Schipanski in angewandter Augenauswischerei: „Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich zur Meinungsbildung im digitalen Zeitalter geäußert und gesagt, dass wir überlegen müssen, nicht nur als Politik, sondern das macht die Wissenschaft schon seit geraumer Zeit, wie eine Regulierung hier stattfinden kann, so wie wir es bei den klassischen Medien eigentlich auch kennen.“

Rezo hat sich ja nicht anonym geäußert, sondern ist gut erkennbar im öffentlichen Diskurs aufgetreten. Da sollte geltendes (Medien-) Recht vollkommen ausreichen, falls man ihm eine strafbare Handlung vorzuwerfen hat. In dem Fall sollte AKK sich auf den Klagsweg begeben. (Das ist aber offenkundig nicht der Fall.) Ist aber nichts Klagbares im Video, sollte man ihn inhaltlich stellen und auch Dissens in Kauf nehmen.

Also läuft Schipanskis „Jetzt müsse überlegt werden, wie eine Regulierung aussehen könne“ auf eine Drohung a la Vilimsky hinaus, mit der er als Jurist und „Digitalpolitiker“ Flagge zeigt.

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Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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