Gesellschaftliche Realität ergibt sich nicht aus dem, was der Fall ist, sondern aus dem, was darüber erzählt wird. Gesellschaftliche Realität ist daher vor allem eine Frage von Sprache, Definitionsmacht und Medienanwendung. Ein Narrativ.

Das gilt für den Faschismus geradezu exemplarisch. Nie hat sich das Patriarchat großspuriger und unverfrorener herausgeputzt, als in dieser brandgefährlichen Klamotte. Um es etwas polemisch verkürzt zusammenzufassen: Faschismus ist in seinen wiederkehrendenden Events ein großes Fest der Maulhelden und Schreihälse.
Ich werde später noch genauer auf Details eingehen, die für eine faschistische Position typisch sind. Sehen Sie sich erst einmal das Gehabe von Tyrannen an, wie es uns medial vermittelt wird. Die Grimassen, die Posen, das ganze Gehampel und die Kraftlackel-Töne. (Man kann sich keine staatstragende Frau in vergleichbarer Selbstinszenierung vorstellen.)
Im faschistischen Kontext sehen wir allerhand erigierte Spießer herumgeistern, wie sie sich ständig entladen müssen. Sei es mit ihrem Schniedel, sei es mit einer Knarre; und wer kann, sogar mit einer Supererektion per bunkerbrechender GBU-57, dem Massive Ordnance Penetrator.
Von Mussolini und Hitler wissen wir, daß diese Typen eigentlich eher schwächliche Männer waren, welche ohne ihre Gefolgschaft mit deren Sucht nach Gehorsam vermutlich nicht einmal den Rang von Stammeshäuptlingen erreicht hätten. Mit Stalin habe ich mich nicht näher befaßt, aber was Milovan Djilas zu diesem Mann notiert hatte, genügt mir.

Und in der Gegenwart? Etwa der „Oberste Führer“ in Pjöngjang? Man sieht ihm an, was dieser Kim Jong-un für ein harter Kerl ist. Abteilung „Du könntest nicht einmal eine neunzigjährige Nonne im Armdrücken besiegen“. Oder jener dem Präsidenten Putin getreue Aljaksandr Lukaschenka? Gleiche Abteilung.
Zeichen und Konzepte
Donald Trump würde ich bisher bloß einen Tyrannen nennen, keinen Faschisten, denn es fehlt in den USA bisher noch die entsprechende Umgestaltung des Staates und die Durchrekrutierung der Gesellschaft. Aber die jetzige US-Regierung hat das Zeug zum faschistischen Regime und der schwächliche Trump in seiner Großspurigkeit das nötige Talent. (Ein harter Junge ist der bloß in seiner demonstrativen Frauenverachtung.)
Wladimir Putin ist ein anschauliches Beispiel für den neuen Faschismus. Er hat gezeigt, wie es gemacht wird, wenn man sich vorzüglich vernetzt und etliche Male die Gunst einer Stunde zu nutzen wußte. Putin demonstrierte eben erst eine bedeutende Grundübung des Faschismus: Wie man mit einem Hauch von Rassismus einen nationalen Mythos zusammentackert, der Legitimation zaubern soll.
Der Präsident vermischte neulich demonstrativ Ethnos und Demos, um die russische Expansion zu rechtfertigen. Zitat: „Er sehe Russen und Ukrainer als ein Volk, sagte Putin beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg. ‚In dem Sinn ist die ganze Ukraine unser‘, sagte er unter großem Beifall im Saal. Auf die Frage des Moderators, inwieweit er die Ukraine erobern wolle, antwortete Putin unter weiterem Applaus: ‚Wo der Fuß eines russischen Soldaten steht, das gehört uns.‘“ [Quelle]
Was politisch eine Bevölkerung (Demos) und was kulturell ein Volk (Ethos) ist, das deckt sich selbstverständlich in keinem modernen Staat. Wie auch? Bei Hitler hieß das noch: „Heimkehr in das Reich“. Was dem Gröfaz („Größter Führer aller Zeiten“) die Reichs- oder Volksdeutschen außerhalb Deutschlands waren, sind bei Putin demnach die Reichs- und Volksrussen in der Ukraine, also in einem völkerrechtlich souveränen Staat. (Etwa wie die Steiermark und Kärnten autochthone Slowenen kennen, das Burgenland Kroaten etc.)

In „Mein Kampf“ lautete das schwülstig vorgetragene Konzept, welches ohne rationale Begründung auskommt: „Endlich aber wollte ich des Glücks teilhaftig werden, an der Stelle sein und wirken zu dürfen, von der einst ja auch mein brennendster Herzenswunsch in Erfüllung gehen mußte: der Anschluß meiner geliebten Heimat an das gemeinsame Vaterland, das Deutsche Reich“.
Putin spart sich den irrationalen Schwampf und formuliert seinen Machtanspruch unverblümt. Allerdings machen im heutigen Rußland ethnische Russinnen und Russen zwar gut 80% der Bevölkerung aus, doch allein die Tataren stellen in der „föderalen Republik“ mit etwa 3,7% mehr als das Doppelte der 1,4% Ukrainer. Da hätten wir dann noch Baschkiren, Deutsche, Tschetschenen etc. etc. Allesamt Demos (Bevölkerung), doch nicht Ethnos (Kulturvolk). Aber was schert das den Führer? [Fortsetzung folgt!]
+) Vorlauf: Faschismus I
+) Mars (Eine Debatte über Krieg)
+) Rechtsruck