Seitenblicke-Kultur

Als sich Österreichs Netzkulturszene Ende der 1990er erstmals bundesweit verständigt hatte, um sich zu konsolidieren, war noch anzunehmen, die neue Situation werde im Kern zu einer Art hochkarätigem und vor allem autonomen Feuilleton führen. (Siehe am Seitenende: Meko 99!)

Wo bin ich, wenn ich überall bin?

Freies Radio, alternative Zeitschriften, die neuen Kulturserver-Crews… Keine Türhüter mehr. Freie Zugänge zu öffentlichen Diskursen und allerhand neue künstlerische Optionen. Soweit ich mich erinnere: Damals sah niemand die Social Media kommen, wie sie aktuell auch das heimischen Kulturgeschehen stark prägen.

Aktuell staune ich, bin gelegentlich konsterniert, wie Kunstschaffende das Web mit einer Art der digitalen Postwurfsendungen vollballern. Modus: Fire and forget! Da sehe ich an zwei Tagen viermal die gleiche Veranstaltungsankündigung in bloß einer Timline. In der nächsten ebenso, weil getaggt und geteilt wird, was das Zeug hält.

Solches Crossposting, das einem die Aufmerksamkeit lähmt, war ursprünglich total verpönt. Viele Leute, auf deren Briefkasten „Bitte keine Werbung!“ steht, machen in eigener Sache genau das und hauen raus, was da Zeug hält.

Dann sehe ich eine Flut von „Seitenblicke-Posen“. Die Fülle ersetzt Inhalte. Eifrige Menschen zeigen sich selbst oder sich selbst an der Seite von jemandem, wahlweise sich selbst in einem Grüppchen. Bildunterschriften sind offenbar zu viel verlangt. Wer ist da jeweils abgebildet? Unerheblich! Solange ich wenigstens eine Person auf dem Foto kenn; und sei es bloß ich selbst. Der Rest? Egal! Wird schon wer anderer kennen; wenigstens die eigene Mutter.

Mitunter stoße ich auf Alben mit 10, 20, 30 Fotos. Lauter Leute und Dinge. Irgendwas. Irgendwo. Aber wer? Wen sehe ich da? Was sehe ich da? Ist doch völlig egal. Das machen heute kleine Kulturvereine so, das machen auch große Kultureinrichtungen. Das machen kommunale und sogar staatliche Einrichtungen. Einzige Botschaft: Wir sind hier!

Seitenblicke-Kultur pur
„Sehen Sie mich? Ich war dort! Ich!“ Das hat freilich so viel Nachrichtenwert wie eine Scheibe Leberkäs von voriger Woche. Sowas verödet einem das Hirn. Da kann ich mir doch gleich „Bauer sucht Frau“, „Big Brother“ oder „Love Island! reinpfeifen, um meine Zeit totzuschlagen. Das unterhält mich wenigstens minimal.

Wen sehen wir da? Raten Sie einfach!

Vor allem aber zeigen mir oft Leute solch nutzloses Posieren, die auch rufen „Kulturland retten!“ Oder „Rettet die Bienen!“ Oder „Fight Patriarchy!“ Oder: „Nie wieder!“ Damit meine ich diese Art Alarmismus per Wehgeschrei, dem dann aber oft bloß solche medienpolitische Besinnungslosigkeit gegenübersteht.

Es mag ja sein, daß so manches Bild mehr sagt als tausend Worte. Sobald Leute auf den Fotos sind, fühle ich mich allerdings verschaukelt, wenn ich mir bloß all die Grinserei anschauen soll, die besagt: „Seht her, dort bin ich gewesen!“ Ein Massenmedium zu nutzen, aber das Informationsangebt so auszudünnen, auf daß Postwurfsendungen übrigbleiben, sowas finde ich frivol, in manchen Fällen bloß noch deppert. (Gesamt ein kulturpolitischer Albtraum.)

Oder aber: Na gut! Wer nicht will, der hat schon. Wozu sich medienpolitisch auf die Höhe der Zeit schleppen? Man kann ja – wenigstens in Österreich – auch durchaus in der Abhängigkeit von rechtskonservativer Regierungen mit dem Leben zurechtkommen. Hauptasche die Pose macht was her.