Balkan: Ein Krieg Europas

Ich meine heute mehr denn je (und mit einem Hauch von Ironie): wir sind so sehr miteinander verbunden, daß wir einander fremd wurden.

November 2011: Publizist Norbert Mappes-Niediek (hier neben Kunsthistorikerin Mirjana Peitler-Selakov) im Gleisdorfer „Valentino“

Ich spreche mit etwas Zurückhaltung von „südslawischen Leuten“. Der bosnische Autor Dzevad Karahasan sagte in einem unserer Gespräche augenzwinkernd: „die Balkaneser“. Ich fand es oft amüsant und manchmal verstörend, wie wenig die meisten meiner Leute über unsere südslawischen Mitmenschen wissen.

Man kann heute noch manchmal hören, daß jemand von Jugoslawien als einem „Ostblockstaat“ spricht, was Mumpitz ist, denn Jugoslawien hat nie zum Warschauer Pakt gehört. Ich war seinerzeit eher erstaunt, wie Tito Stalin derart trotzen konnte und manche Balkaneser sagten mir, sie wüßten auch nicht, wie er diesen Sonderweg hinbekommen habe.

Es ist freilich kein Rätsel, wie überhaupt der Balkan sich ja mitteilt. Allerhand Bücher – von Milovan Djilas bis Dubravka Ugresic – geben uns Ausfschluß über balkanische Kräftespiele. (Na klar, auch Ivo Andri? und andere. ) Apropos! Was immer wir aktuell als „unser Europa“ betrachten, es ließe sich nicht plausibel deuten und wäre nicht, was es derzeit ist, ohne eben diese Kräftespiele in einer unglaublich kontrasteichen Region.

Ohne die kulturellen Errungenschaften aus jenem Teil Europas, die wir heute Balkan nennen, wären wir…? Na, mutmaßlich fundamental anders. Vielleicht stärker von den Mauren geprägt, die al-Andalus über Jahrhunderte beherrschten; das heutige Andalusien. So ganz nebenbei ein enormer kultureller Gewinn für Europa.

Aber derlei Spekulationen sind in der Geschichtsbetrachtung vollkommen unzulässig. Faktum bleibt, daß uns ein Blick auf die Landkarte zeigt, welche Gebiete der Begriff „Balkan“ zusammenfaßt. Da sollte einigermaßen geläufig sein, welche kulturellen Leistungen wir von dort über Jahrtausende bezogen haben.

Man kann freilich auch den Fokus auf die breite ethnische Vielfalt und die gravierenden politischen Probleme, die ebenfalls mit dem Begriff „Balkan“ gemeint sind, gerichtet halten. Das wird gerne als Anlaß für Abschätzigkeit genutzt. Ich halte solche Posen für eine Zumutung.

Um es nicht zu vergessen
Als dort noch die Osmanen herrschten, was erst mit den Balkankriegen von 1912 und 1913 umfassend endete, war von der „Europäischen Türkei“ die Rede. Das als kleiner Hinweis: die alte Militärgrenze trennte nicht nur Osmanen und Habsburger.

Die Neuerscheinung

Es bedeutet auch, die Völker haben über sehr lange Zeit hier und dort ganz unterschiedliche Erfahrungen mit sehr verschiedenen politischen und gesellschaftlichen/familiären Systemen gemacht. Wer es also vorzieht, auf südslawische Leute herabzuschauen, ignoriert, daß man sich seinen Geburtsort nicht aussucht. (Sie kennen diese Strategie? Selbstdefinition durch Feindmarkierung.) Aber ich sollte moderat bleiben.

Dem imposanten Winston Churchill wird nachgesagt, er sei der Ansicht gewesen, daß der Balkan mehr Geschichte erzeuge, als er bewältigen könne. Das ist ein Bonmot, wie er es so nach meiner Kenntnis nie gesagt hat. Aber es drückt aus, wie ratlos oder sogar hilflos wir uns manchmal gegenüber jugoslawischen Entwicklungen fühlen, um nicht zu sagen: dem Phänomen Jugoslawien gegenüber.

Zugegeben, es ist kompliziert. Doch das muß man ja bezüglich Klärungen nicht alleine schaffen. Ich habe mir dabei über die Jahre mit Gesprächen und mit Lektüre beholfen. Zwei Autoren ragen dabei markant heraus. Der Historiker Karl Kaser (†) und der Publizist Norbert Mappes-Niediek.

2001: Die Autoren Nenad Popovic (links) und Norbert Mappes-Niediek in der Gleisdorfer Stadtapotheke

Kaser kannte ich schon viele Jahre näher. Sein Buch „Südosteuropäische Geschichte und Geschichtsschreibung“ von 1990 war für mich eine wichtige Lektion gewesen. Auf Mappes-Niediek kam ich 2005. Da erschien sein Buch „Die Ethno-Falle. Der Balkan-Konflikt und was Europa daraus lernen kann“. Nun haben wir 2023. Mir scheint, wir sind mit dem Lernen aus diesem Konflikt noch nicht gar so sehr vorangekommen.

Befragen wir also aktuell jemanden, der mit dem Thema überaus gründlich vertraut ist. Norbert Mappes-Niediek publizierte jüngst das Buch „Krieg in Europa“ (Der Zerfall Jugoslawiens und der überforderte Kontinent).

Er wird damit in Gleisdorf zu Gast sein und einen differenzierten Überblick anbieten. 1) Die Gründe für den Zerfall Jugoslawiens. 2) Ein Portrait des Slobodan Milosevic. 3) Die menschliche Dimension, die Grausamkeiten von sehr zügig brutalisierten Gesellschaftsteilen etc.

Norbert Mappes-Niediek
„Krieg in Europa“
Dienstag, 9. Mai 2023

19:00 Uhr. Forum Kloster, Gleisdorf
(Eine Veranstaltung des Gleisdorfer Kulturreferates)

Siehe dazu auch:
+) Episode XXVI: Mai acht, Bruchstelle  (Zum 8. Mai 1945)

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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