Neofaschismus

Eigentlich wollte ich eine Glosse schreiben, deren Titel „Wie der Neofaschismus nach Gleisdorf kam“ lauten könnte.

Die Gleisdorfer Unruhe

Das war ein sanfter Prozeß, der sich über einige Jahrzehnte hinzog. Ich hab ihn seit den 1990ern begleitet und oftmals kommentiert. Aber ich entschied dann, etwas grundlegender vorzugehen.

Und zwar vor dem Hintergrund, daß wir heuer einerseits vom israelischen „Team Jorge“ erfuhren, bei dem man für gutes Geld alle denkbaren Arten der Cyberkriminalität erhalten konnte, Rufmord und Desinformation eingeschlossen. Dazu kamen dieser Tage anderseits die „Vulkan-Files“ mit Aufschluß über ein russisches Cybercrime-Netzwerk, welches Staatsvölker manipuliert; das eigene eingeschlossen. Wir sollten uns also dringend mit einem Zuwachs an Medienkompetenz wappnen und unsere Kriterien schärfen.

Ein wichtiges Fundament bietet mir dazu Umberto Ecos Essay „Der ewige Faschismus“, in dem man Orientierungspunkte findet. Eco begründet diesen Begriff und den historischen Prozeß unter anderem mit der „Neubewertung der Begriffe, mit denen wir aufgewachsen sind“. Das ist nun wieder nötig, weil die Neue Rechte sich seit den 1980er Jahren in Europa phänomenal entwickelt hat, dabei übrigens für russische Neofaschisten sehr einflußreich war. (Stichwort Alexander Dugin!)

Eco: „Der Begriff Faschismus konnte deshalb zu einer Sammelbezeichnung werden, weil ein faschistisches Regime auch dann noch als faschistisch erkennbar bleibt, wenn man ein oder mehrere Merkmale abzieht.“

Also Gleisdorf, Österreich, Europa und der Neofaschismus. Dazu habe ich über eine für den Alltag taugliche Typologie nachgedacht, denn dieser Neofaschismus funktioniert nicht – wie der Nazi-Faschismus – über eine simple Gleichschaltung weiter Bevölkerungsteile. Er findet durch Vermischungen. Interferenzen und Konvergenz statt. Überlagerungen. Das ergibt Schnittstellen zwischen durchaus unterschiedlichen weltanschaulichen Lagern.

Da besteht die Basis von merkwürdigen Allianzen, die einerseits langsam wachsen, andrerseits schlagartig entstehen; anlaßbezogen, wie etwa die Gleisdorfer Protestwelle gegen Corona-Maßnahmen. Ich sehe daher heute vier wesentliche Milieus, die zueinander komplementär wirksam sind. Die Zierfische, die zeitlose SA, die nächste Bourgeoisie und die Junker. Das ist hierarchisch. Die Zierfische sind dabei gewissermaßen Trittsteine des Neofaschismus. Ideologisch unscharf, vielfältig, aber in einer Summe der Milieus wirksam.

Hier eine Yoga-Gruppe, da Ernährungsbewußte, dort Umweltaktive. Allerhand Wellnessfreudige, die teilweise Dienstleistungen und einschlägige Produkte anbieten. Dazu vaterländische Leute und Geschichtskundige, aber auch Monarchisten. Kartenlegende Fachkräfte, manche mit Engeln in Kontakt. Diverse Orakel, Krieger des Lichts, Naturreligöse, Handpan-Spielende, Trommelnde mit und ohne Taktgefühl, Feng Shui-Versierte, Naturkost- und Rohkost-Genießende etc. etc. etc.

Außerdem wird viel gemalt, gesungen, getanzt und schamanisiert. Es hagelt Lebensberatung. Dazu gibt es diverse Retreats, und auch Meetings an Badeseen, wo man gegen etwas Geld ein Quentchen Heil erlangen kann. Das Knifflige an all dem ist der Umstand, daß man sehr genau hinschauen muß, um subkulturelle Formationen von neofaschistischen Zierfischen unterscheiden zu können. Diese Milieus ind heute teilweise ziemlich vermischt. So also dass Schrebergartenmilieu im großen kontinentalen Kräftespiel. (Die anderen were ich noch beschreiben.)

+) Diskurs: Demokratie (Übersicht)
+) Rechtsruck (Übersicht)
+) Eurasien (Übersicht)

Der ewige Faschismus
Bezüglich Umberto Eco und seine Kriterien („Ur-Faschismus“) siehe meine Notiz „Gleisdorf: Betrachtungen #10“ vom 16.12.2021!

Big Picture
Was diesen Kontinent angeht, läßt sich zusammenfassen: Chinas Xi Jinping, Rußlands Vladimir Putin und Indiens Narendra Modi legen auf Demokratie und Menschenrechte, wie das unsere Verfassung definiert, keinen Wert. Im Gegenteil. Sie meinen ausdrücklich, das würde ihre Wege in die Zukunft stören. Es gibt eine Reihe von Kirchenfürsten, etwa in derr Orthodoxie, die ihnen da zustimmen, auch so mancher Hindu wirkt in solchem Sinn.

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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