Was es wiegt… #87: Bereichsübergreifendes II

(Beiträge und Fragen zu einer nächsten Kulturpolitik)

[Vorlauf: Teil I] In Krusches kleinem Handbuch bewährter Mantras gibt es zwei, die sich speziell auf den heimischen Kulturbetrieb beziehen. Mantra 1: „Wenn den Kulturleuten nichts mehr einfällt, fangen sie an von Vernetzung zu reden.“ Mantra 2: „Vernetzung ist kein Inhalt, sondern ein Werkzeug.“ Ich habe seit den 1980er Jahren in der Region eine ganze Serie von Vernetzungsprojekten erlebt, einige selbst konzipiert und erprobt. Warum hat wohl bis heute keines abgehoben?

1988 bis 1990: kulturelle Kooperationsversuche zwischen Gleisdorf und Weiz

Man könnte ahnen: es hat etwas mit dem Thema „Bereichs- und ressortübergreifendes Arbeiten“ zu tun, denn es gibt „Die Szene“ als etwas Homogenes nicht. Selbst innerhalb einer Region und noch diesseits staatsnaher Kulturinitiativen, also im eher freien Bereich, sind Kontraste und Differenzen oft erheblich.

In Teil 1 von „Bereichsübergreifendes“ habe ich einen kleinen Genre-Katalog begonnen, der es nahelegt, sich eventuell eine Art Landkarte der Bedeutungen zu zeichnen, um ein brauchbares Bild zu bekommen, was allein in der Oststeiermark
a) Grenzen,
b) Konvergenzgebiete und
c) Demarkationslinien sind,
…wenn wir über „Bereichs- und ressortübergreifendes Arbeiten“ nachdenken.

Wer das simplifiziert, einebnet oder gar in Abrede stellt, kennt entweder die Branche nicht oder hat verdeckte Intentionen. Im ersten Teil des Textes habe ich ein eher subjektives Set notiert, wie es für Kunst Ost typisch ist. Es gibt demgegenüber ein ganz grundlegendes Problemgebiet, das ich seit den 1980ern kenne, das ab 2010 neue Brisanz erhalten hat. Es wurde mir bei der Weizer Konferenz auch von anderen Leuten bestätigt.

Ehrenamt/Hauptamt
Zwei Bereiche, die in den meisten Fällen unvereinbar scheinen. Erstens könnte es aus sozialen Gründen klug sein, zweitens wäre es ein strategischer Zug ersten Ranges, wo Ressourcenverknappung galoppiert: Bezahlte und unbezahlte Arbeit klug kombinieren. Das vergrößert den Handlungsspielraum, stabilisiert ein Projekt und liefert ein gutes kulturpolitisches Argument für jede Kommune. Dieses Argument lautet: „Aus jedem Eure, den Sie in unser Vorhaben investieren, machen wir durch unser Engagement fünf bis acht Euro. Alle Beteiligten gewinnen!“

Jahre der Vernetzunbgsversuche

So läuft es aber nur selten. Was mir auch Kolleginnen und Kollegen erzählen: Kriegen ein, zwei Leute für ihren Beitrag Geld, wollen die anderen auch Cash oder schmeißen hin.

Es hat sich in wenigstens 40 Jahren nicht etablieren lassen, daß wir für unsere Leistungen in verschiedenen Währungen bezahlt werden können. Cash ist nur eine davon. Sichtbarkeit, Kompetenzgewinn, Sozialprestige, es gibt allerhand Kapital-Varianten. (Schlag nach bei Bourdieu!)

Zentrum/Provinz
Die 1970er brachten eine umfassende Revolution der individuellen Mobilität, den zweiten Schub der Volksmotorisierung mit Automobilen. Die 1990er brachten uns eine völlige Neufassung unserer Info-Sphäre. Was wir damals „Neue Medien“ nannten, veränderte die Verhältnisse im öffentlichen Diskurs sowie im Erzeugen gesellschaftlicher Realität durch Medienanwendung.

Außerdem sind wir mittlerweile in der Vierten Industriellen Revolution angelangt, es haben sich auch Technologie und Wirtschaft essentiell verändert. Daher dachte ich schon in den 1990ern, das alte Denkmodell „Zentrum/Provinz“ habe sich erledigt und mindestens im Kulturbereich würden wir Denkweisen a la 19. Jahrhundert hinter uns lassen. Ich war mir in den 2000ern sicher, das sei vorangekommen.

Über Jahre auf Wanderschaft: Nicht zentralisieren!

So lief das aber nicht. Provinzorte entwickelten sich vielfach in den alten Mustern, bildeten sich als Zentrum heraus, indem sie ihre Peripherie zur Provinz machten. Das über Jahrzehnte leidenschaftlich gepflegte Konkurrenzverhältnis zwischen Weiz und Gleisdorf brauche ich weder zu referieren, noch zu belegen. Es ist evident.

Diese Evidenz besteht auch darin, daß mindestens während der letzten 30 Jahre keinerlei relevante kulturelle Vernetzung im Raum zwischen diesen beiden Städten entstanden ist. Sollte sich das jetzt ändern? Weshalb und wodurch? Sind neue Akteurinnen und Akteure auf dem Set aufgetaucht? Oder ist das bloß regionalpolitisches Karaoke? Ein Evergreen zum Abräumen nächster Budgets?

Über die konkreten Arbeitsansätze, Versuche, Modelle zum Thema werde ich in Glosse III erzählen, auf daß man mein Staunen begreifen mag, daß nun schon wieder von Vernetzung geredet wird, obwohl seit dem „Fest der Initiativen“ vom 22. September 1990 kein derartiges Projekt das Ende der Finanzierung aus öffentlicher Hand überstanden hat.

Das heißt, die Kulturschaffenden haben das bei uns hier auch nie aus eigener Kraft und Intention vorangebracht. Was hat sich geändert? Und Sie erinnern sich, daß mir meine Glosse #80: „Geheimdiplomatie“ von der Organisationsleitung vorgeworfen wurde? Sie erinnern sich, daß ich in Glosse #82: „Dissidenz statt Resistance“ den „Tisch 3 mit seiner nicht deklarierten Hausmacht“ erwähnt habe? [Fortsetzung: Teil III]

— [Das Weizer Panel] —
— [The Long Distance Howl] —

Postskriptum
In Glosse #84: „Die Hierarchiefrage“ findet man meine „Institutionsanalyse“, die ich in Glosse #85: „Die Aufstellung“ vertieft hab, um ein Ergebnis zu formulieren: „Wie schon vermutet, ich bin hier der Dorfdepp. Oder ich war eventuell Statist in einem Arbeitskreis, bei dem die Themenstellung „Bereichs- und ressortübergreifendem Arbeiten“ durch die Hausmacht der genannten Formation der sechs von elf Personen schon vorab im Kasten war.“ [Quelle] Inzwischen weiß ich es genauer…

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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