Was es wiegt… #86: Bereichsübergreifendes I

(Beiträge und Fragen zu einer nächsten Kulturpolitik)

Es ist naheliegend, daß in unserer Runde höchst unterschiedliche Auffassungen bestanden, was am Tisch 3 unter „Bereichs- und ressortübergreifendem Arbeiten“ bearbeitet werden sollte. Da ich diese Konferenz nicht als Plattform für Lobbyarbeit im Sinne von Partikularinteressen sah, wäre schon allein aus meiner Arbeitspraxis ein Fächer von Teilthemen aufzumachen gewesen.

Fotograf Richard Mayr bei unserer Tour zum Projekt „Wegmarken“

Ich ordne das entlang der letzten 15 Jahre unserer regionalen Bildungs- und Kulturarbeit. Damit mag klar werden, daß mir nun eine einzelne Glosse nicht genügen kann, um den Themenbogen in Stichworten rund zu machen.

Es ist diese Komplexität, die ich im regionalen Leben vorfinde, weshalb ich angenommen hatte, daß wir bei der Weizer Konferenz vor allem einmal Grundlagen erarbeiten. Für meine Arbeit gilt zwingend, sich dieser Komplexität zu stellen, statt über Komplexitätsreduktion Wow-Effekte zu generieren, wie das vielerorts üblich geworden ist, um Kulturbudgets zu kapern.

Intermultiwasweißich
Wann immer wir komplexere Vorhaben realisiert haben, wurde gerne das Interdisziplinäre betont. Damit haben wir es aber nicht zu tun, wo bloß mehrere Disziplinen zur Wirkung kommen. Dafür muß der Begriff „multidisziplinär“ genügen.

Interdisziplinär wird es ja erst, wenn verschiedene Kompetenzbereiche ineinander aufgehen dürfen und wenn es mir erlaubt ist, meine eigene Domäne zu verlassen, um mich in einer anderen Disziplin zu erproben und zu erfahren. Ein Modus, der Zeit beansprucht und die Akzeptanz prozeßhafter Anteile als legitimem Inhalt des größeren Ganzen verlangt.

Drei Sektoren
Ich arbeite in der Tradition einer „sektor3 kultur- und medienpolitik“. Das bezieht sich auf unsere Bemühungen quer durch Österreich, und zwar speziell in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre. Diese Entwicklung mündete in eine Auswertung der Diskurse und in eine Verdichtung der Teilthemen. (Ich habe dabei den Philosophen Gerald Raunig als maßgebliche Koordinator in Erinnerung.)

Wir klärten unsere Vorstellungen vom Verhältnis der drei Sektoren Staat (Politik und Verwaltung), Markt (Betriebe, Wirtschaft) und Zivilgesellschaft (Privatpersonen, juristische Personen) zueinander. Ich halte diesen Zugang immer noch für relevant und meine, diese Zusammenhänge müßten laufend neu geklärt werden.
+) Gerald Raunig: Sektor3/Kultur
+) Die Geschichte der IG Kultur von 2000 – 2005

Ich orte heute eine problematische Hierarchiebildung zwischen den Sektoren Staat, Markt und Zivilgesellschaft, da es im Kulturbetrieb spätestens ab 2010 zu Ressourceneinbrüchen und Klimaverschlechterungen kam, die 2015 einen frostigen Kategoriensprung vollzogen und 2020 durch die Corona-Pandemie schärfere Kontraste erhielten.

Bereichs- und ressortübergreifendes Arbeiten sollte uns nützen, das zu analysieren und über Strategien des Ausgleichs zu reden, auch zu verhandeln, statt in ein Rat Race einzuschwenken, das asymmetrische Verhältnisse steigert.

KWW
In diesem Sinn haben wir bei Kunst Ost immer wieder angesetzt, eine Wechselwirkung von Kunst, Wirtschaft und Wissenschaft zu erproben; und zwar nicht, indem das jeweils andere Genre als Ressource genutzt wird, um das eigene Metier zu subventionieren, sondern um die unterschiedlichen Kompetenzen in synergetische Effekte zu bringen: Wissensgewinn hat Vorrang!

Drei Genres
Nach wie vor hat bei Kunst Ost das Trio Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst hohe Priorität; und zwar speziell in der Frage, was dabei a) an gemeinsamen Quellen genutzt wird und b) an wirksamen Querverbindungen besteht. Wir haben in diesem Sinn eine Reihe von Veranstaltungen realisiert, führen kontinuierliche Diskurse und haben dazu inzwischen auch einige Buchpublikationen erreicht.

Dies Bemühungen gelten unter anderem der Ambition, gegenüber der alten bildungsbürgerlichen Tendenz, diese Genres hierarchisch zueinander anzuordnen, heute eine komplementäre Anordnung zu entfalten; auch in Beachtung der Tatsache, daß man in der Antike die Bereiche Kunst, Handwerk und sogar Wissenschaft mit einem Begriff gefaßt hat: téchne.

Wir haben außerdem über mehrere Jahre sehr klare Vorstellungen erarbeitet, was wir mit dem Begriff Volkskultur bezeichnen und was nicht, haben überdies das Stiefkind des Genres betont: Volkskultur in der technischen Welt. [Fortsetzung: Teil II]

— [Das Weizer Panel] —
— [The Long Distance Howl] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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