Was es wiegt… #83: Definitionshoheit

(Beiträge und Fragen zu einer nächsten Kulturpolitik)

„Warum bist du so?“
„Es ist meine Natur.“

Von den über 40 Jahren, die ich in der Kunst lebe, habe ich gut 30 Jahre auf Wissens- und Kulturarbeit in der Provinz verwendet; als Akteur eines Initiativen-Milieus, das sich im Status von den staatsnahen Einrichtungen unterscheidet. Staatsnahe nenne ich jene, die längerfristig einen erhöhten Aufwand haben, also etwa eine eigene Spielstätte, ein fixes Haus, wenigstens eine angestellte Kraft etc.

Der Tisch 3 (Foto: Nikola Milatovic)

Es ist daher nicht bloß meine private Auffassung, ich beziehe folgende Annahme auch aus Jahrzehnten der praktischen Kulturarbeit, die in meinem Fall stets projektbezogen war. Projektbezogen heißt: klar definierter Beginn und ebenso feststehendes Ende des Projektes. (Eine Struktur des Temporären.)

Daher meine vielfach überprüfte Überzeugung: Doppelbödigkeit, verdeckte Intentionen und informelle Hierarchien beschädigen das Fundament des Gemeinwesens.

Ich halte das für unausweichlich. Dazu kommt eine weitere Überzeugung. Durch das konsequente Eliminieren von Widersprüchen läßt sich keine Wahrheit generieren. Wer diesen Ansichten zustimmen kann, wird auch Dissens als anregend empfinden und nicht jenen Phänomenen zurechnen, die abgeschafft werden müssen. Das mündet auf meinem Kontinent in eine Praxis des Kontrastes, denn nur so halte ich eine kontinuierliche Arbeit am ganzen Leben für machbar.

Definitionshoheit
Damit wäre auch schon zusammengefaßt, was ich subjektiv für eine grundlegende Anforderung im „Bereichs- und ressortübergreifenden Arbeiten“ halte; so lautete nämlich das Thema des Weizer Panels, zu dem ich eingeladen war. Meine hier eingangs verfaßte Skizze, die ich in meinem Milieu für paradigmatisch halten möchte, steht ihrerseits im Kontrast zu den „Hausordnungen“ anderer Institutionen unseres kulturellen und sozialen Lebens.

Lautet also das Generalthema „Kulturstrategie 2030“ und meint die gesamte Steiermark, kann es nicht darum gehen, derlei Kontraste abzuflachen, einzuebnen. Ist das in der vorigen Glosse erwähnte Multiperspektivische ernstgemeint, muß kulturpolitische Praxis die Idee von Inklusion kennen, mit Dissens und Kontroverse rechnen, also auf gelegentliche Kulturschocks eingerichtet sein.

Es kann nicht Aufgabe dieses Prozesses sein, eine homogenen Untertanenmasse zu erarbeiten. Wir wissen aber aus der praktischen Arbeit, und das zeigte sich auch in Weiz: manche Einrichtungen tendieren dazu, Definitionshoheit zu verwalten, die von ihrem Personal gepflegt und notfalls verteidigt wird.

Daher müßte das erklärte Ziel unseres Panels („Tisch 3“) auch im Vortrag des Ergebnisses auffindbar sein, was meint: unter verschiedenen Positionen aus verschiedenen Aufgabenfeldern des regionalen Kulturgeschehens, waren folgende (derzeit vorrangige) Teilthemen abzuleiten, die einer gründlichen Bearbeitung harren:…

So kam es aber nicht. Stattdessen dominiert ein einziges Thema. Sie finden den Bericht der beiden Panel-Vorsitzenden im Doku-Video ab 1:35:50. Dieses Fazit erhält ab 1:41:50 eine Kuriosität; daß sich nämlich aus dem Publikumsraum eine Co-Moderatorin einbringt, um den Bericht zu korrigieren.

+) Das Video mit den Weizer Berichten
+) Die Fotostrecke

Klärungsbedarf
Ich hab in der vorigen Glosse folgende Bildunterschrift verfaßt: „Tisch 3 mit seiner nicht deklarierten Hausmacht“. Das wird noch zu erläutern sein. Da besteht meiner Ansicht nach Klärungsbedarf. Ich werde auch so frei sein, die Panel-Ergebnisse vor den Hintergrund der österreichweiten Kulturarbeit ab den 1990er Jahren zu stellen, um deutlich zu machen, wo unser Milieu heute steht.

Das berührt übrigens – so nebenbei – auch das Reüssieren der Neuen Rechten in Europa ab den 1980er Jahren. Es berührt den Umstand, daß wir alle in den 1990ern bestenfalls sehr unzureichend darauf reagiert haben, und was das heute a) für die Corona-Kontroversen bedeutet sowie b) die Erschütterung Europas, weil der Faschismus jüngst wieder in Waffen steht.

Auch das sind, mindestens für mich, derzeit wichtige Teilthemen von „Bereichs- und ressortübergreifendem Arbeiten“, die hohe Priorität haben. Weshalb? Weil sie unsere gesamten Lebenssituation betreffen, den sozialen Frieden spürbar belasten und wenigstens dadurch eine „Mehrsparten-Aufgabe“ für alle gesellschaftlichen Einrichtungen ergeben. Naja, vielleicht in einem anderen Leben…

— [Das Weizer Panel] —
— [The Long Distance Howl] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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