Archiv für den Tag: 1. März 2012

Als EPU-Mensch ökonomisch überleben

Ich hab nun schon an mehreren Stellen betont, daß wir im Kunstbetrieb ein merkwürdiges Phantasma installiert haben. Freelancers gelten meist als höchstes Ideal. Der freischaffende Künstler, die freischaffende Künstlerin, aus rein künstlerischer Arbeit ein adäquates Jahreseinkommen erwirtschaftend, das sei die „Königsklasse“.

Bis zum nächsten Steuerbescheid, der für "Berichtigungen" sorgen wird, erwartet die Finanz von mir diese Zahlungen

Es ist ein kleiner Haken an der Sache. Diesen Typus findet man in Österreich fast überhaupt nicht, die lebenden Exemplare sind eine verschwindende Minorität. Diese Minderheit steht in zweierlei Geruch, ist mit Widersprüchen belegt. Einerseits müssen genau DAS ja die „richtigen“ Kunstschaffenden sein, die sowas hinkriegen. Andrerseits stehen sie prinzipiell unter Generalverdacht, sich dem Markt anzudienen und die „Reinheit der Kunst“ am Kassenschalter zu schänden.

Danach richten sich dann auch die Vorscheibungen der Sozialversichrungen, momentan diese

Das sind also reichlich nervöse Umgangsformen mit einer Profession, die in dieser und jener Praxis unter dem üblichen Druck steht, den alle Freelancers kennen. Bedenkt man nun, daß EPU, also „Einpersonenunternehmen“, rund 60 Prozent von Österreichs Betrieben ausmachen, möchte man annehmen, der Staat sorge in seiner begleitenden Gesetzgebung für ein Reglement, das diesem Berufsfeld gerecht wird und das uns durch die stets sich ändernden Geschäftsverläufe stärkend begleitet. Beim Staat gibt es aber offenbar andere Prioritäten.

An das Kreuz des Triple A-Phantasmas geschlagen (Foto: Amici delle SVA)

Unternehmensberater Conrad Pramböck hat gerade für erfrischenden Klartext gesorgt und den Kontrast Angestellte/Freelancers etwas herausgearbeitet:
„Sie (Die Angestellten, Anm.) haben extrem große Sicherheit, regelmäßiges Einkommen, verdienen ab dem ersten Arbeitstag, haben einen voll ausgestatteten Arbeitsplatz und bekommen Unterstützung von ihren Kollegen. Selbstständige hingegen verbringen die ersten Wochen damit, Möbel und Computer zu besorgen, mit Rechtsanwalt und Steuerberater zu sprechen. Das sind zwar wichtige Dinge, aber es vergeht Zeit, die sie nicht dafür investieren können, Geschäfte zu machen.“ [Quelle]

Ich verrate ja kein Geheimnis, daß gerade in krisenhaften Verläufen eines Landes ganze Kettenreaktionen davon ausgelöst werden, daß stärkere Instanzen anfallende Probleme flott an die nächst schwächeren Instanzen weitergeben. So staunt man als Freelancer mitunter, welcher Scherereien und Aufgaben einem plötzlich zugefallen sind, die ruckzuck von oben nach unten durchgereicht wurden.

Während fix angestellte Leute zwischendurch ihre Belastungserlebnisse in einem Krankenstand mit anschließendem Urlaub auskurieren, beiße ich im nächsten Durchgang an zu langen Arbeitstagen meine Zähne zusammen. (Gut, ich hab es ja so gewollt. Selbstgewählt!)

Dabei empfinde ich es dann schon als sehr provokant, wenn ich zeitgleich lese, wie ein Profi, außerdem vormaliger Finanzminister, sich sein gut situiertes Leben absichern kann: „Zuletzt musste Ex-Finanziminister Grasser laut Bericht mit einem kargem Jahreseinkommen von 13.520 Euro auskommen. Die Finanz hegt „den konkreten Verdacht einer Abgabenhinterziehung bezüglich Umsatzsteuer, Einkommenssteuer und Kapitalertragssteuer“, heißt es.“ [Quelle] Und genau derlei Steuerbescheide gehen automatisch an die SVA, um dort für „Berichtigungen“ in den Vorschreibungen zu sorgen.

Ich soll mir gelegentlich auch noch Neid unterstellen lassen, wenn ich solchen Status quo kritisiere? Das ist alles in Österreich sehr kurios geordnet. Vor dem Hintergrund aufgedeckter Korruptionsvorgänge im Lande kämpfen Kleinstunternehmen heute mehr denn je um ihr Bestehen, bei dem oft folgende Hürde aufragt.

Unter den Tausenden EPU-Leuten ringt eine Legion vor allem mit dem Reglement der Sozialversicherung, durch welches sie so unter Druck sind, daß die SVA längst als Konkurs-Risiko ersten Ranges gilt.

Im „Forum zur Förderung der Selbständigkeit“ [link] kann man allerhand über diese Zusammenhänge erfahren. Seit Monaten widmen sich ferner die „Amici delle SVA“ ganz speziell den Problemlagen, dem Informationsstand und den Lösungsansätzen dafür, die Versicherungspflicht bei der SVA ökonomisch zu überleben: [link]

Und jetzt noch ein kleiner Schwank zum Abschluß dieses Beitrages. Es gibt offenbar Geschäftsmodelle, deren Konzeption alles übersteigt, was ich mir vorstellen kann:
>>Klar ist zudem: In Grassers Stiftungskarussell bunkern mehr als neun Millionen Euro. Preisfrage: Wie ist das möglich, wo er doch beim Finanzamt nur ein so geringes Einkommen versteuert hat? Stimmt da etwas mit der österreichischen Steuergerechtigkeit nicht?<< [Quelle]

+) Siehe zum ganzen Themenkomplex auch: „Wovon lebt der Krusche? [link]
+) Zu den Hintergründen auf dem Kunstfeld: [link]
+) Steirischer Lokalkolorit („Niemand hat mich gerufen“) [link]

[Wovon lebt der Krusche?]

KWW: Identitätsgrundlagen und Kontraste

Folgende Textpassage zum Thema Identität habe ich sehr gemocht:
Zum Aufbau unserer Identität gehört die Erkenntnis, dass:
• wir immer auf die Umwelt bezogen sind
• wir auf die Umwelt neugierig sind, zugleich vor ihr Angst haben
• wir dauernd handeln, also entscheiden müssen
• wir eine Intimität haben
• wir einsam sind
• wir frei sind
• wir mehrere Identitäten haben
• wir nur in einer Gruppe leben können, die uns allerdings bestimmte Regeln und Bewertungen einigermaßen aufzwingt.

Dieses anregende Zitat entstammt einer „Skizze“ von Sprachwissenschafter Michael Metzeltin. Er befaßt sich darin mit dem Zusammenhang von Identität und Sprache. Quelle als PDF: [link]

Identität war in der Deutung einer „regionalen Identität“ kürzlich unser Thema bei KWW: [link] Darauf bezieht sich ein Eintrag im Projekt-Logbuch, in dem ich Martina Böck zitiere: „Jeder kommuniziert und jeder weiß, dass Kommunikation als Verständigungsprozess unser Leben gestaltet…“ [link]

Das mag nun auf Anhieb als etwas viel Zitatenwirtschaft erscheinen, aber es hat eine interessanten Zusammenhang. Kulturbetrieb, Wirtschaft und Politik haben gleichermaßen die Neigung, mit dem Thema Identität intensiv bis ausufernd zu arbeiten. Das führt gelegentlich zu sehr kühnen Spielarten eines Verständnisses von „Wir-Formationen“ und wie sich Einzelne dazu verhalten mögen.

Jede Menge Klärungsbedarf! Vor allem in krisenhaften Zeiten, wo das Verhältnis zwischen Eigennutz und Gemeinwohl massiven Verhandlungen unterzogen wird. Nun habe ich den Metzeltin-Text kürzlich von Böck erhalten. So hängt es oberflächlich zusammen.

Böck hat sich wiederum in einer Diplomarbeit den „Kommunikative(n) Dimensionen bei Patienten mit seltenen Erkrankungen bzw. Kranken ohne Diagnose“ (2009) gewidmet. Das ist jetzt vordergründig nicht gerade mein naheliegendstes Thema. Aber es berührt eine Reihe von Fragen, die mich auch beschäftigen. So schreibt Böck etwa, es „…kommt deutlich zum Ausdruck, dass Identität auf einer Wechselbeziehung sozialer und kultureller Einflüsse, Erlebnis- und Erfahrungszusammenhängen beruht. Identität benötigt Repräsentation und Interaktion, eine Kultur des Sich-Begegnens.“

An anderer Stelle notiert sie, „dass Identität als Selbstkonzept bzw. Lebensentwurf die existentielle Grundlage des Menschen darstellt, von dem ausgehend sein Handeln gesteuert ist.“ Da werde ich natürlich hellwach und finde zugleich ein praktisches Beispiel für eine der Grundlagen des Modus, den ich für „Kunst Wirtschaft Wissenschaft“ formuliert habe. Sind mögliche Kommunikationsbarrieren eingeebnet, wie sie zwischen verschiedenen Milieus aufgrund von unterschiedlichen Ritualen, Codes und Jargons bestehen mögen, frage ich bald: Gibt es Fragestellungen zum Stand der Dinge oder zu Lauf der Welt, die uns gleichermaßen beschäftigen?

Und siehe da, auch wenn ich zum Thema „Patienten mit seltenen Erkrankungen bzw. Kranken ohne Diagnose“ mangels Sachkenntnis gar nichts beizutragen habe, steckt doch in der Arbeit einiges, mit dem wir uns im regionalen Kulturgeschehen befassen.

Wird aus dieser Schilderung ein wenig deutlicher, wie ich mir einen Teil unserer Arbeit als die Metiers übergreifend vorstelle? Es kommt noch was dazu. Der Kontakt mit Böck entstand im Web zwo, wo wir uns offenbar einig waren, daß es unakzeptabel ist, wenn in Kontroversen die Andersdenkenden selbst angegriffen werden, statt ihrer Argumente.

Ist diese Unterscheidung klar? In Meinungsverschiedenheiten werde ich manchmal sehr heftig eine Idee angreifen, aber nicht die Person, die sie hat, äußert. Diese Differenz ist selbst auf dem Kulturfeld nicht mehr ganz so selbstverständlich, wie ich es verlange…

[KWW: Übersicht]