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Jungsein für Fortgeschrittene?

Ich hab in einem früheren Eintrag [link] schon kurz skizziert, warum wir uns bei „kunst ost“ nicht gerade offesiv darum bemühen, Jugendliche an Bord zu holen; obwohl wir keineswegs ausgeblendet haben, was in deren Milieus an Themen und Fragen auftaucht. Jugendliche bekommen doch meist aus diesen oder jenen Ecken zugerufen, was sie tun und wofür sie sich interessieren sollen.

Wir werden jetzt nicht bedenkenlos in diesen Chor einstimmen. Bei einiger Aufmerksamkeit ergeben sich dann schon Berührungspunkte, aus denen auch gemeinsame Vorhaben entstehen können. Damit will ich sagen: Es reizt mich uns andere im Team durchaus, manche Projekte quer durch mehrere Generationen zu entfalten. Es gibt keinen Grund, das übers Knie zu brechen und Youngsters mit der Tür ins Haus zu fallen.

Jugendkulturforscherin Beate Großegger weist darauf hin, daß wir mit Jugendlichen mehr gemeinsam haben können, als gemeinhin erwartet wird, wenn wir nicht erwarten, daß sie so ticken wie wir

Ich hab kürzlich in Gleisdorf einen sehr anregenden Vortrag von Jugendkulturforscherin Beate Großegger gehört. Im Zentrum der Ausführunen stand der Hinweis: „Unsere Kinder sind Kinder der Spaßgesellschaft und bekennen sich dazu.“ Das bedeutet definitiv nicht, sie hätten nur ihr Vergnügen im Kopf. „Sie sind großteils solide und sehnen sich nach Orientierungspunkten.“ Jugendliche sehen an Erwachsenen, daß diese vielfach hohe Werte predigen, nach denen sie selbst nicht leben. Sie möchten aber Teil einer Gesellschaft sein, „wo der Mensch mehr wert ist als das Geld.“ Denn viele Eltern leben offenbar in einer Tretmühle und folgens elbst nicht den Idealen, die sie verbal hochhalten: Liebe, Familie, Freunde, soziale Kontakte.

Viele Jugendliche wollen offenbar nicht mit Ideologie behelligt werden, „weltanschauliche Bindungen sind unten durch“. Die Praxis zählt. (Das dürfte auch eine wichtige Botschaft an die Politik sein.) Sie schauen uns Erwachsenen sehr genau zu, wie Reden und Leben zusammengehen. Sie setzen auf „individuelle Werte, Bauchgefühl und persönlichen Nutzen“, was offenbar nicht heißt, daß sie ein Völkchen von Egoisten sind. Im Gegenteil, Beziehungen und Freundschaften werden als sehr wichtig erachtet. Großegger: Selbst wenn sie uns nachahmen, uns zum Vorbild nehmen, agieren sie nicht immer so, wie wir es erwarten.“ Das bedeutet keinesfalls, sie seien ohne Werte aufgstellt, „sie orientieren sich an ihren konkreten Erfahrungen. Da kommen wir wieder als Vorbild ins Spiel.“

Jugendliche als unser Spiegelbild? Grossegger: "Jede Gesellschaft hat die Jugendlichen, die sie verdient."

Großegger appelliert an Erwachsene, Orientierungspunkte anzubieten: „Jugendliche wollen ihre Aufgaben ja schaffen, sie wissen nur manchmal nicht, wie es gehen soll.“ (Oh! Da haben wir ja einiges gemeinsam!) Planen ist heute chwer. Wissen hat eine sehr kurze Halbwertszeit. Es grassiert „Gegenwartsschrumpfung“. Niemand kann sagen, was in fünf Jahren sein wird. Großegger pointiert: „Alles ist möglich und nix ist fix.“ Das klingt sehr viel freundlicher als es ist.

Ich gehe davon aus, daß wir im Kulturbereich AUCH dazu in der Lage sein sollten, an diesen Problemen förderlich mitzuarbeiten, denn soweit ich sehe, betrifft das wahrlich nicht nur unsere Kinder, sondern in hohem Maße auch uns selbst.

+) Weiterführende Informationen im Internet: [link]

und die jugend?

es ist bei „kunst ost“ schon öfter die frage nach unserer altersstruktur aufgetaucht, ergänzt um die frage: „wo sind die jungen?“ die antwort liegt ja im anlaß zu dieser frage: nicht bei uns. „warum auch?“ frage ich gerne. dabei gehe ich von den erfahrungen mit meinem eigenen sohn aus. die youngsters brauchen mich und meine konzepte nicht, um ihre kulturellen bedürfnisse zu bearbeiten und zu leben.

brauchen keine zurufe von außen, sondern finden mit ihren youngsters offenbar permanent mehr themen und anlässe, als bearbeitbar sind: kunsterzieherin marianne ofner und geschichte-lehrer peter gerstmann

natürlich gibt es kunst-affine teenies in der oststeiermark. soweit ich welchen begegnet bin, waren sie an einem gymnasium und in anregender begleitung von engagierten lehrpersonen meiner generation. das interesse jener teenies an kunst und zeitgeschichte brauche ich nicht zu unseren vorhaben zerren, sie haben ihre eigenen pläne.

ringt annähernd pausenlos darum, den menschen allen alters gute gründe zum lesen anzubieten: buchhändlerin helga plautz (hier mit gleisdorfs bürgermeister christoph stark)

manches an jugendlichem kulturbezug zeigt sich auch rund um aktivitäten der buchhändlerin helga plautz. das hat seine eigenen initialmomente, seine eigene dynamik. ich freue mich, solche anteile des regionalen (kultur-) lebens feststellen zu können. aber es gibt – so weit ich sehe – keinen guten grund, auf diese ereignisse und personen zugreifen zu wollen oder sich auf diesen feldern um irgend eine idee von vernetzung zu bemühen.

ich glaube nämlich nicht, daß eine gesellschaft durch und durch „vernetzt“ sein möchte. solche bestrebungen müßte ich als versuch werten, eine komplette gesellschaft durchzurekrutieren und durchzuorganisieren. das hatten wir schon in den 1930er-jahren. es war kein überzeugender weg.

ein zeitgemäßes echo solcher bestrebungen ist meines erachtens die „vercoachisierung“ der gesellschaft. ich schätze kluge beratung keineswegs gering. das legen schon meine persönlichen erfahrungen nahe. manche lebenssituationen werden durch versierte begleitung erträglicherm sind durch ein angemessenes coaching besser zu bewältigen. aber ein sich verselbstständigender markt wirft hier allerhand kuriositäten aus.

am wenigstens gefällt mir jene abteilung, wo mir scheint, daß leute, die selbst in freier wildbahn noch nie reüssiert haben, plötzlich durch beratungseinrichtungen irrlichtern, um da leute für die freie wildbahn fit zu machen. das bedeutet, ich stehe der boomenden lebensberatungs- und coaching-branche skeptisch gegenüber.

verschiedene welten und bezugssysteme, verschiedene codes: manche fotos machen mir klar, daß ich auch schon jünger war. hier bin ich im gespräch mit autor dzevad karahasan (links) und schauspielhaus-intendantin anna badora beim "europatag" in graz (foto: frankl)

zurück zu den youngsters. wie erwähnt, ich sehe keinen grund, jugendlich zu „kunst ost“ zu verschleppen. wir sind eine community mit beachtlich hohem altersdurchschnitt. das zeigen dann auch unsere arbeitsansätze und praxisformen. die sind nicht auf „jugendkultur“ ausgerichtet, wie andrerseits „kunst und kultur“ nicht gedacht sind, beschäftigungsprogramme abzuwerfen, durch die jugendliche, deren verhalten unseren erwartungen widerspricht, gebändigt werden sollen.

kurz: unsere kulturelle basisarbeit und künstlerische praxis, die auf das erproben verschiedener wege kollektiver kreativität ausgelegt sind, haben den zweck, genau das zu sein; das wird vorläufig kaum wesentlich mit bereichen verschiedener jugendkulturen zu verknüpfen sein.

doch es läßt uns an grundlagen und an rahmenbedingungen arbeiten, die AUCH in der frage nach jugendkulturen relevant sind. doch da wird es an den youngsters selbst liegen, berührungspunkte oder gar überlappungen zu suchen. es sollte nicht gar so schwer sein, zugänge offenzuhalten, wir brauch aber davor keinen marktschreier aufzupflanzen.