Historiker Yuval Noah Harari nannte 2018 in seinen „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ drei große Narrative, von denen das 20. Jahrhundert geprägt worden sei. Die faschistische Erzählung, die kommunistische Erzählung und die liberale Erzählung.

Er meinte, „Der Zweite Weltkrieg machte der faschistischen Erzählung den Garaus“, was sich derzeit offenbar als Irrtum erweist. Harari dachte ferner, auch die liberale Erzählung sei inzwischen am Wegbrechen. Und zwar seit der weltweiten Finanzkrise von 2008. Wir wären daher 2018 mit dem großen Narrativ der liberalen Demokratie „bei null angelangt“. Nun müsse daher, so durfte man folgern, eine nächste Erzählung formuliert werden. (Die heißt womöglich „Faschismus 2.0“?)
Ich hab vorerst nicht verstanden, weshalb ich in Hararis Überlegungen das Reüssieren der Neuen Rechten vermissen muß, was in Europa ab den 1980er Jahren unübersehbar war. Jene Neue Rechte kommt auch als Stichwort in seinem Register nicht vor.
Was ich heute als etwas Politisches vorfinde, halte ich für etwas substanziell Anderes als den Neofaschismus, den ich im 20. Jahrhundert kennengelernt habe. Knapp und deutlich: Ich halte Rußlands Präsident Putin für einen exemplarischen Faschisten der neuen Prägung. Eine Mischung aus Räuberhauptmann und Propagandaminister. Im Grunde organisiertes Verbrechen. Donald Trump hätte auch das Zeug dazu. Aber ich kann nicht einschätzen, ob ihm der Umbau des Staates der USA im derzeit angelegten Trump’schen Sinn gelingen wird.
Putin? Das ist geklärt!
Während der Faschist Putin und seine Kamarilla Rußland im Griff haben, außerdem global offenbar gut vernetzt sind, ist Trump davon noch ein gutes Stück weit entfernt. So zeigt er sich als Tyrann, der freilich stürzen könnte, bevor gelingt, was er versucht. Oder er setzt sich durch und schließt sich mit seinen Seilschaften dem Konzept „Faschismus 2.0“ an; falls genug Wählerinnen und Wähler im das ermöglichen.

Meine Einschätzung von Putin als Faschist entspringt natürlich nicht bloß meinen eigenen Überlegungen, sondern stützt sich auf einen breiten internationalen Diskurs. Philosoph Jason Stanley, ein Yale-Professor, sagt dazu klar: „Wir müssen uns Faschismus als Kontinuum vorstellen, nicht als schwarz und weiß.“ Demnach: „Putin ist so klar ein Faschist wie Mussolini und Hitler. Orbán bringt keine Journalisten um, aber auch er respektiert die Demokratie nicht, genauso wenig wie Trump. Und viele Männer hinter Trump würden sich selbst als Faschisten bezeichnen.“
Historiker Timothy Snyder unterscheidet derzeit noch: „Trump ist ein Schaf im Wolfspelz, und Wölfe erkennen den Unterschied.“ Er betont einen Effekt, der zu den Fundamenten des Faschismus gehört: „Was diejenigen, die sich Trump unterwerfen, erleben, ist ihre eigene Schwäche.“
Ich werden hier beizeiten auf das Thema „Ein Jahrhundert später: Ein erneuter offener Brief gegen die Rückkehr des Faschismus“ eingehen. (Betrifft: „Verteidigt demokratische, kulturelle und Bildungseinrichtungen. Deckt Verstöße gegen demokratische Prinzipien und Menschenrechte auf. Verweigert vorauseilenden Gehorsam.“) Hier können Sie auf der Seite #2 ein paar von Jason Stanley’s Faschismus-Merkmalen finden. [Fortsetzung]
+) Vorlauf: Faschismus IV
+) Mars (Eine Debatte über Krieg)
+) Rechtsruck
+) Weiter auf Seite #2: