Vol. 34: Sicherungskopie 2.0. – Tapete mit Ansatz

Von Monika Lafer

Ein Haus wird entkernt. Überall findet man Spuren vergangener Tage und untrügliche Merkmale gewesener Zeit.

Tapete mit Ansatz, 2023, 56 x 42 cm, Buntstift und Aquarell auf Papier. [GROSSE ANSICHT]

In diesem Fall war es eine Zeitreise in die 1970er. Viele Elemente waren mir aus meiner Kindheit bekannt, zumal auch mein Elternhaus Mitte der 1970er erbaut worden war: Die Küchenzeile mit den schmalen Chromleisten, Schmiedeeisenelemente, einzelne Lampenschirme… deutlich anders, weil viel hochwertiger, waren im Gleisdorfer Haus die Tapeten an den Wänden.

Renaissance- und Barockmuster in Brokatoptik waren im Wohnbereich zu bestaunen. Als Kunsthistorikerin denke ich da sofort an die Gründerzeit, wo man auch Elemente der Epochen in einer bestimmten Art miteinander kombinierte. Dies gelang mal besser, mal weniger gut. So wurden Kirchen in der Formensprache der Gotik erbaut, der erste neugotische Bau ist die Klosterkirche in Admont. Auch die Gleisdorfer Pfarrkirche wurde mit einem damals „zeitgemäßen“ Turm ausgestattet. Rathäuser bekamen Elemente der Renaissance zugedacht, jenes in Gleisdorf ist ein Beispiel hierfür.

Griff man in der Renaissance auf Elemente der Antike zurück, so erinnerten sich die Künstler der Gründerzeit an die Antike und Renaissance, aber auch an Manierismus und Barock. Man kann sagen, die nachgeborenen Generationen bauten auf den Vorleistungen der Altvorderen auf, auch wenn sie etwas ganz anderes draus entstehen ließen.

Lustigerweise kam gerade im 19. Jahrhundert ein Künstlertypus auf, der diese Tatsachen nicht gerne um sich hatte: Nein, er war etwas Besonderes, ein Übermensch (nach Nietzsche), der nur aufgrund seiner ureigenen Genialität Überirdisches zustande brachte. Ein Malerfürst. Dieses Rollenverständnis hatte natürlich ihre Gründe, die mit der Komplexität dieser Zeit zu tun haben – hatten doch im 19. Jahrhundert viele Umbrüche stattgefunden.

Allerdings finde ich es erstaunlich, dass gerade in einer Zeit, in der man sich augenscheinlich des Formenrepertoires vergangener Tage bediente, der Geniekult um einzelne Künstlerpersönlichkeiten, die in ihrem Selbstverständnis nicht der Vorleistungen anderer bedurften, sich so stark entwickeln konnte.

Heute trifft man mittlerweile wieder Menschen im weiten Feld der Kunst, die sich nicht mit Begabtenschal, Geniedeckel oder barocker Entourage als Malerinnen und Maler deklarieren, sondern einfach mit Begeisterung an Inhalten arbeiten. Und es als selbstverständlich sehen, dass sie auf den Vorleistungen anderer mit ihren Arbeiten aufbauen. Als neugieriger Geist, der sich umfassend bildet, kommt man an solchen Tatsachen nicht vorbei. Das erdet und erzeugt Demut. Man weiß was man kann und was nicht – eine gute Voraussetzung für Kooperationen aller Art. Es verhindert verlässlich Trittbrettfahrerei und ähnliche Sauereien.

Gutes Zusammenarbeiten erkennt man auch daran, dass jemand ein Thema ins Spiel bringt, ein anderer reagiert umgehend mit seinen Mitteln, ein weiterer findet einen ganz anderen Schnittpunkt und das Gefüge wächst in einem mühelosen logischen Muster. Wie bei der Tapete mit Ansatz. Doch was ist nun damit gemeint?

Es bedeutet, dass beim Tapezieren darauf zu achten ist, die Ränder der einzelnen Bahnen nahtlos an die Muster anzufügen. Und im Falle des Gleisdorfer Hauses waren es großflächige Ornamentabfolgen, die es zu beachten galt.

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Kontext
+) Vorlauf: Vol. 33: Sicherungskopie 2.0
+) Mai 2021: Die erste Sicherungskopie
+) April 2022: Die abschliessende Episode

Zeit.Raum Gleisdorf
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Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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